Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Versammlungsfreiheit für das Land Schleswig-Holstein (Versammlungsfreiheitsge- setz - VersFG SH)
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Daher eröffne ich die Grundsatzberatung und erteile Herrn Abgeordneten Thorsten
Bevor Kollege Fürter seine Rede beginnt, möchte ich Sie bitten, mit mir gemeinsam Mitglieder des Jugendverbands Neumünster mit Schülerinnen und Schülern der Hans-Böckler-Gemeinschaftsschule aus Neumünster auf der Tribüne zu begrüßen. Herzlich willkommen im Kieler Landeshaus!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Wochenende haben die ersten Massendemonstrationen in Russland seit gut 20 Jahren stattgefunden. Sie haben Medwedew veranlasst, die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Durchführung der Wahl noch einmal überprüfen zu lassen. Anfang dieses Jahres - wir erinnern uns wurde ganz Nordafrika von den Aufständen in Tunesien angesteckt. Wie ein Lauffeuer führten diese Demonstrationen zu ersten entscheidenden Veränderungen.
Das führt uns eindringlich vor Augen, dass die Versammlung von fundamentaler Bedeutung in einer Demokratie ist. Sie kann das letzte verbleibende Mittel oder auch der erste Schritt in die Freiheit sein. In Deutschland sind zum Beispiel die Montagsdemonstrationen in der ehemaligen DDR oder die Anti-AKW-Bewegung hervorragende Beispiele für die politische Kraft, die von Versammlungen ausgehen kann.
Versammlungen sind das Mittel jedes einzelnen Menschen, sich Gehör für seine Meinung zu verschaffen. Aufgabe von uns als Gesetzgeber muss es sein, diesem Wunsch nach Partizipation den größtmöglichen Raum zu lassen. Wie soll es sonst gehen? - Bürgerinnen und Bürger können keine Leitartikel schreiben, Pressemitteilungen verfassen oder wie wir Anträge in Parlamente einbringen. Die Freiheit der Presse ist uns zu Recht heilig, ebenso die Freiheit dieses Parlaments. Das Gleiche sollte nach unserer Auffassung für die Versammlung gelten, für die Bürgerinnen und Bürger, die sich friedlich versammeln.
Dementsprechend muss ein Versammlungsgesetz aus grüner Sicht so freiheitlich wie möglich sein, und dies ohne Einbußen an der Friedlichkeit der Versammlung. Unfriedlichen Versammlungen rede ich hier nicht das Wort. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Aber um entsprechenden Einwür
Schon lange besteht Kritik in Schleswig-Holstein an dem bisher fortgeltenden Bundesversammlungsgesetz. Man kann darüber streiten, ob es rechtstechnisch richtig war, den Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit für das Versammlungsgesetz zu geben. Nun ist es aber so - das war ursprünglich keine grüne Idee -, und wir sollten diese Herausforderung als Parlament auch selbstbewusst annehmen. Das geltende Recht - da werden Sie mir zustimmen - ist an vielen Stellen jedenfalls nicht nur unbestimmt, unvollständig, weil es die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nicht aufnimmt, zum Beispiel zu Spontanversammlungen und zu dem, was im Zusammenhang mit dem Frankfurter Flughafen entschieden wurde, zu Versammlungen auf Privatgeländen. Es atmet außerdem den Geist einer vergangenen Zeit. Die Beschränkung der Versammlung steht im Vordergrund dieses Gesetzes. Wir wollen dem mit unserem Gesetzentwurf einen bewussten Paradigmenwechsel entgegensetzen und die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt des Versammlungsrechts in SchleswigHolstein stellen.
Wir wollen hiermit eine sachliche Debatte über ein neues Versammlungsgesetz anstoßen, das den Herausforderungen und der politischen Kultur des 21. Jahrhunderts zeitgemäß ist. Ich hoffe, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir von Ihnen neben Kritik an einzelnen Normen, die sicherlich in Ordnung ist, auch konstruktive Vorschläge hören, wie wir gemeinsam ein gutes Versammlungsrecht für Schleswig-Holstein hinbekommen. Ich bin Realist. Am Ende dieses Prozesses wird kein Versammlungsgesetz stehen, das zu hundert Prozent dem entspricht, das wir Ihnen als Grüne vorschlagen. Aber ich werde Ihnen versprechen, dass wir als Grüne dafür kämpfen werden, dass wir ein Gesetz bekommen, das die Freiheitlichkeit der Versammlung an entscheidenden Punkten stärkt.
Das Erste ist das Miteinander von Polizei und Demonstranten. Wir wollen ein friedliches Miteinander der Polizei und Demonstranten. Dafür ist wesentlich, dass ein Gebot konstruktiver Kooperation zwischen beiden Seiten festgeschrieben und im Gesetz verankert wird. Wir wollen auch die Konfliktmanagerinnen und Konfliktmanager im Gesetz als mildestes Mittel der Polizei verankern, das helfen soll, dass die Freiheit so wenig wie möglich beein
trächtigt wird. Denn es ist gut, wenn die Landesregierung jetzt quasi im Vorgriff auf das neue Gesetz schon daran arbeitet, Konfliktmanagerinnen und Konfliktmanager als Instrument in die Versammlung einzuführen, auch in Schleswig-Holstein Konfliktmanager auszubilden. Ich finde, wir können das auch so ins Gesetz schreiben.
Das Zweite ist die Stärkung der Bürgerrechte. Die Betonung der bürgerlichen Rechte ist ein wesentlicher Punkt eines modernen Versammlungsgesetzes. Dazu gehören zum Beispiel Versammlungsbeobachter, denen die unparteiliche Teilnahme an Demonstrationen erlaubt sein muss. Wir wollen auch - das wird nicht allen gefallen - die Schwelle für das Einschalten von Kameras bei Demonstrationen erheblich heraufsetzen. Auch wenn das nicht allen gefällt, sage ich klar: Auch das ist für uns etwas, wo der Grundsatz der Freiheit der Versammlung betroffen ist und wir wollen, dass die Versammlungsfreiheit so wenig wie möglich angetastet wird.
Natürlich gibt es Versammlungen, die man beschränken oder sogar verbieten muss. Wir wollen aber kein Gesetz, das Versammlungen unter Generalverdacht stellt. Wir wollen ein Gesetz, das annimmt, dass die Bürgerinnen und Bürger sich in aller Regel friedlich versammeln, wenn sie zusammenkommen, um zu demonstrieren, und es nicht missbrauchen. Wir wollen ein Gesetz, das die Demonstrationskultur in der Mitte unserer Gesellschaft stärkt. Diese Demonstrationskultur ist eine der wesentlichen Errungenschaften in unserer Demokratie.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Man kann durchaus über ein neues Versammlungsgesetz nachdenken. Die Freiheit der Bürger zu schützen, ist allerdings auch schon jetzt Gegenstand des Versammlungsrechts. Insofern könnte „Schutz der Versammlungsfreiheit“ als Titel missverständlich sein. Ich möchte dem Eindruck entgegenwirken, als ob Versammlungsfreiheit derzeit in Schleswig-Holstein nur un
Es gilt derzeit das Versammlungsgesetz des Bundes fort, und es besteht kein dringender Handlungsbedarf. Das sollte zumindest gesagt werden, wenn wir möglicherweise im kommenden Frühjahr hier noch einmal einen Arbeitsschwerpunkt setzen wollen.
Man kann das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht beliebig ausgestalten. Bestimmte Grundstrukturen sind durch das Grundgesetz vorgegeben. Man kann die Versammlungsfreiheit auch nicht grundsätzlich neu erfinden, sondern nur Schwerpunkte, Prioritäten anders akzentuieren, wie es richtigerweise gesagt wurde.
Ein Punkt ist die sogenannte unabhängige Versammlungsbeobachtung, die in § 17 Ihres Gesetzentwurfs geregelt wird. Wir haben im Innen- und Rechtsausschuss mehrfach über die Rechte von Abgeordneten sowie über die Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle gesprochen. Nach Ihrem Gesetzentwurf sollen sich Verbände, deren Zweck die Wahrung der Menschen- und Grundrechte umfasst, beim Justizministerium akkreditieren können, sodass deren Vertreter auf Versammlungen als Beobachter auftreten können. Diese sollen sich gegebenenfalls auch innerhalb notwendiger Absperrungen bewegen können sowie Bild- und Tonaufnahmen machen dürfen. Das Innenministerium soll dies dann publizieren.
Ich meine, an dieser Stelle ist die kritische Frage angebracht, ob dies wirklich ein Mehr an Unabhängigkeit bedeutet. Auch Verbandsvertreter sind nicht frei von Interessen. Der hier erweckte Anschein ist nicht unkritisch zu sehen. Sind Verbandsvertreter tatsächlich pauschal unabhängiger als Vertreter der Medien? Ich habe meine Zweifel daran.
Faktisch würde durch eine solche Regelung einer Vielzahl von Menschen ein weitreichender Dispens von polizeilichen Anordnungen erteilt. Auch darüber muss man noch einmal nachdenken. Über einzelne Punkte haben wir bereits im Innen- und Rechtsausschuss diskutiert. Ich glaube, dass wir hierbei zumindest zurückhaltend sein sollten.
Es geht auch darum, dass Film- und Tonaufnahmen gemacht werden können sollen. Wenn ich Ihren Gesetzentwurf richtig gelesen habe, dann sollen diese in allen Bereichen möglich sein. Bei der Polizei werden allerdings bestimmte Hürden gesetzt. Es gibt Gesetzentwürfe aus anderen Bundesländern, mit denen der Polizei mehr Befugnisse zugewiesen
werden sollen. Meines Erachtens kann es nicht sein, dass solche Beobachter - wie auch immer sie akkreditiert werden - im Zweifel mehr Rechte als die Polizei haben. Dies würde nicht meinem Grundverständnis entsprechen.
Ein weiterer erörterungsbedürftiger Punkt ist das Versammlungsverbot nach § 19 Abs. 3. Dies gilt für symbolträchtige Stätten sowie für die Billigung von Gewalt- und Willkürherrschaft. Das ist sicherlich ein richtiger und gut gemeinter Ansatz. Wie dies aber im Einzelnen abzugrenzen ist und ob die Rechtsnorm nicht zu unklar ist, darüber, Kollege Fürter, werden Sie einräumen, müsste man genauer diskutieren, obwohl klar ist, was Sie wollen.
Die Frage der möglichen Unbestimmtheit ist mir auch aufgefallen beim Thema „Grundsätze staatlichen Handels“, § 10. Sie verpflichten darin die Behörden zu Kontakten mit einem höchstmöglichen Maß an Transparenz, und einschüchternde Effekte sollen vermieden werden. Das wird für die Polizei und für die Behörden unglaublich schwer; denn dabei ist eine breite Interpretation möglich. An dieser Stelle müssen wir deshalb einen sehr kritischen Maßstab anlegen.
Ein weiterer Punkt ist die ständige Berichtspflicht im Innen- und Rechtsausschuss über Großdemonstrationen. Derzeit handhaben wir es so, dass über Großdemonstrationen freiwillig vorher berichtet wird. Wenn es gewünscht wird, wird auch im Nachhinein berichtet. Ich kann keinen Handlungsbedarf gesetzlicher Art in dieser Angelegenheit erkennen. Das Maß an Transparenz, das in diesem Zusammenhang geboten wird, ist aus meiner Sicht in keiner Form zu beanstanden. Ich meine nicht, dass es eine gesetzliche Regelungsnotwendigkeit gibt.
Positiv ist mit Sicherheit, dass Sie mit § 14 Abs. 1 Ihres Gesetzentwurfs verbieten wollen, eine Versammlung zu stören. Das soll sogar unter Strafe gestellt werden. Das ist eine klare Position. Das ist nicht unbeachtlich, auch mit Blick auf manche Demonstration, die wir in Lübeck und auch woanders erlebt haben. Das möchte ich ausdrücklich hervorheben.
Als Zwischenfazit möchte ich festhalten: Es gibt Punkte, die zum Teil aufgrund ihrer Schärfe und ihrer Gewichtung diskussionswürdig sind. Darüber und über andere Dinge müssen wir im Ausschuss miteinander sprechen.
In der vergangenen Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses haben Sie, Herr Kollege Fürter, auf Nachfrage gesagt, dass das niedersächsische Versammlungsgesetz eine durchaus handhabbare Grundlage sein könne. Ich denke, auch einen solchen Gedanken könnten wir in die Diskussion aufnehmen. Eine einheitliche norddeutsche Rechtslage muss nicht schädlich sein.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzte Bemerkung des Kollegen Kalinka veranlasst mich zu der Frage, ob Ihre geliebte Bannmeile im niedersächsischen Versammlungsgesetz enthalten ist. Dann weiß ich ungefähr, worauf Sie hinauswollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach der Föderalismusreform ist die Regelungskompetenz für das Versammlungsrecht an die Länder gegangen. Auch wenn das bisherige Bundesrecht so lange weiter gilt, bleibt natürlich unser Auftrag bestehen, ein entsprechendes Versammlungsrecht zu schaffen. Insofern ist es sicher lobenswert, dass die Grünen uns heute ihre Vorstellungen unterbreiten. Wir sind uns mit den Grünen sicher einig, dass das Versammlungsrecht in vielen Punkten modernisiert und liberalisiert werden soll, sichert es doch die Wahrnehmung eines der wichtigsten Grundrechte.
Der konkrete Entwurf hat bei uns aber viele Fragen aufgeworfen, von denen ich Ihnen einige vorstellen möchte. Da wäre zum einen das etwas merkwürdige Bild der Aufgaben der Polizei. In § 18 wird ein Anwesenheitsrecht definiert. Herr Fürter, Sie müssten eigentlich wissen, dass es keine Anwesenheitsrechte der Polizei gibt. Es gibt keine Anwesenheitsrechte, die der Polizei auch noch in einer spezialgesetzlichen Regelung verliehen werden können.
Der Staat hat keine Rechte, sondern Aufgaben und Kompetenzen. Die Polizei ist verpflichtet, tätig zu werden - dabei hat sie gar keine Wahl - zur Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und Durchsetzung von Grundrechten. Ihre Aufgaben ergeben sich aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes und den Spezialgesetzen zum Ordnungsund Demonstrationsrecht. Hierbei handelt sie wie alle Staatsgewalt nach dem Grundsatz der Verhält
nismäßigkeit. Dies ergibt sich übrigens aus Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz und muss nicht gesondert geregelt werden.
Soll die Polizei nicht mehr präventiv tätig sein dürfen und bekommt sie das Anwesenheitsrecht erst dann, wenn die möglicherweise verfeindeten Gruppen aufeinander einschlagen beziehungsweise unmittelbar Gefahr im Verzuge ist? - Das ist eine sehr hohe Schwelle. Das steht so in Ihrem Gesetzentwurf. Damit würde die Polizei zwangsläufig in die Rolle eines Gegners der Demonstrationsfreiheit gedrängt werden, da sie nur noch dann auftreten darf, wenn die Lage so eskaliert ist, dass sie die Demonstration folgerichtig auflösen müsste.
Das ist übrigens genau die Polizei, die wir nicht wollen. Wir wollen eine Polizei, die schon im Vorfeld alles dafür tut, Straftaten zu verhindern, um damit sicherstellen zu können, dass Menschen ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen können.