Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Residenzpflicht beziehungsweise bei der sogenannten Aufenthaltsbeschränkung handelt es sich um eine Bestimmung aus dem Asylverfahrensgesetz, die besagt, dass Menschen in Duldung oder Asylsuchende den Kreis beziehungsweise Landkreis der zuständigen Ausländerbehörde nur mit einer besonderen Genehmigung verlassen dürfen. Diese Genehmigung erhält der Betroffene nach Ermessen der zuständigen Sachbearbeiter vor Ort. So die Sachlage.
Europaweit ist diese Residenzpflicht einmalig. Deutschland ist das einzige Land in Europa, das noch an dieser Regelung festhält.
Viele von Ihnen sind heute Morgen aus verschiedenen Kreisen hierhergekommen, beispielsweise aus Flensburg oder aus Pinneberg. Herr Carstensen ist sicher aus Nordfriesland hierhergekommen. Ich denke, dass der Schnee heute das Einzige war, was Sie blockiert hat; denn das Passieren von Grenzen ist nicht nur in der Bundesrepublik, sondern mittlerweile in ganz Europa eine Selbstverständlichkeit geworden.
Wir reden heute aber über Menschen, die dieses Privileg nicht genießen, über Menschen, die der Residenzpflicht unterliegen. Aufgrund dieser Regelung kommt es zu Situationen, die absurder nicht sein können. Hierfür möchte ich ein Beispiel benennen.
Ein Mensch, der in Bad Schwartau lebt und einen Freund in Lübeck besuchen will, muss nach Eutin fahren. Eutin liegt 30 km nördlich von Bad Schwartau. Dort muss er sich die Sondergenehmigung abholen und wieder 30 km zurückfahren, um letztlich das Vorhaben zu realisieren, in das 10 km entfernte südlich gelegene Lübeck zu kommen.
Dies ist eine Absurdität sondergleichen. So verletzt auch ein Jugendlicher das Gesetz, wenn er ohne Erlaubnis einen Freund im Nachbarkreis besuchen möchte. Wenn er keine Genehmigung dafür hat, kann er bestraft werden.
Wenn sich diese Menschen integrieren möchten, sollen und wollen, müssen wir ihnen dabei helfen, und zwar an vielen Stellen. Das geht nicht, wenn wir sie einsperren. Deshalb gehört die Residenzpflicht unserer Meinung nach abgeschafft.
Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Wir haben in einer der vergangenen Plenarsitzungen bis zur Ermüdung über den Bürokratieabbau philosophiert. Ein Argument, das besonders den Kollegen von der CDU-Fraktion gefallen sollte. Herr von Boetticher, Sie haben vorhin gesagt, wir Grünen brächten nur Anträge ein, die Geld kosteten. Heute bringe ich einen Antrag ein, der kein Geld kostet, sondern Geld spart.
Abgesehen von all der Unmenschlichkeit, die diese Residenzpflicht mit sich bringt, ist sie mit einem extrem hohen Aufwand verbunden, von der Genehmigung oder Ablehnung eines solchen Ersuchens bis hin zur Bestrafung bei Verletzung dieser absolut unsinnigen Regelung. Sie macht das Leben von Beamten und auch von Betroffenen unnötig schwer. Stimmen Sie also für unseren Antrag; denn dieser baut diese Bürokratie ab!
Unterhalten Sie sich einmal mit Geduldeten oder Asylsuchenden in Schleswig-Holstein, und fragen Sie sie einmal, welches Problem sie am meisten belastet! Sie werden Ihnen sagen, dass sie die bürokratische Diskriminierung am meisten in Bedrängnis bringt.
Die Betroffenen fahren nicht nur in einen anderen Kreis, um Freunde oder Verwandte zu besuchen oder einen speziellen Arzt aufzusuchen, sondern sie fahren in vielen Fällen auch in einen anderen Kreis, weil sie dies müssen; denn die Ämter verlangen von ihnen, bestimmte Integrationsleistungen zu erbringen wie beispielsweise die Passbeschaffung, den Besuch von Botschaften oder Konsulaten und so weiter. Kommen sie dem nicht nach, kann das Ausländeramt wegen mangelnder Mitwirkung Asylanträge ablehnen. Meine Damen und Herren, das ist in meinen Augen jedoch nur scheinheilig.
Ich bin sehr froh darüber, dass ich sagen darf, dass uns - mit Ausnahme der CDU-Fraktion - nicht viel von den anderen Fraktionen trennt. So hat sich auch die FDP-Fraktion in der Vergangenheit gegen diese Regelung ausgesprochen. Sie macht dies natürlich mit einem anderen Argument. Sie argumentiert wirtschaftlich. Aber auch dieses Argument sollte erwähnt werden; denn es ist richtig. Die Residenzpflicht versperrt den Zugang zum Arbeitsmarkt, und zwar insbesondere in strukturschwachen Regionen.
Generell zeigt sich an der Residenzpflicht jedoch, welche Folgen solche Regelungen insgesamt für den Integrationsprozess haben können. Den Menschen ist es dadurch schwerer möglich, in einen kulturellen Austausch zu gelangen, an Integrationskursen teilzunehmen, politisch zu partizipieren oder die deutsche Sprache zu erlernen. Dies wurde dankenswerterweise im Koalitionsvertrag von CDU und FDP erwähnt. Es ist natürlich dringend erforderlich, dass Asylsuchende Deutsch lernen. Dabei müssen wir ihnen aber auch helfen.
Das Themenfeld der Integration wird in einem Zehnzeiler unter der Rubrik Sport abgetan. Das sind Dinge, die ich an dieser Stelle noch einmal erwähne, vielleicht zur Erklärung, vielleicht auch zur Besserung.
Dann noch ein Satz zum Schluss. Dass das Festhalten an dieser Regelung Schwachsinn ist, habe ich bereits deutlich machen können, auch wenn ich nicht alles gesagt habe. Für uns Grüne ist klar, dass die Freiheit, die wir für den Einzelnen fordern, an keiner Stelle verhandelbar ist.
Wir haben gestern lange über das Europäische Jahr 2010 gegen Armut und soziale Ausgrenzung diskutiert. Ich bitte Sie daher, den Antrag meiner Fraktion zu unterstützen und dieses Jahr nicht nur als
Scheinjahr abzufeiern, sondern sich mit Stärke hinter diese Botschaft zu stellen. Unterstützen Sie unseren Antrag, um dieser Diskriminierung gemeinsam mit uns ein Ende zu setzen!
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die sogenannte Residenzpflicht wird seit langer Zeit viel und manchmal leider auch etwas unsachlich diskutiert. Immer wieder wird so getan, als sei die Residenzpflicht für Asylsuchende und ausreisepflichtige Ausländer ein Akt ausländerfeindlicher Willkür. Dass dies nicht der Fall ist, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2007 festgestellt; denn die Beschränkung der Freizügigkeit dient allein der Sicherstellung rechtsstaatlicher Verfahren.
Bei der Residenzpflicht geht es also nun wirklich nicht um Diskriminierung. Dies der jetzigen Regierung oder den bisherigen Innenministern vorzuwerfen, wäre völlig verfehlt.
Ein Blick in den Koalitionsvertrag von CDU und FDP macht deutlich, dass wir uns zu einer toleranten Integrationspolitik bekennen. Nicht umsonst ist es diese Koalition, die neben dem Flüchtlingsbeauftragten auch einen Integrationsbeauftragten installiert. Dieses Thema werden wir später in diesem Hause noch zu diskutieren haben.
Der vorliegende Antrag erscheint mir allerdings begrifflich ein wenig unklar, weil er von Flüchtlingen und Asylsuchenden spricht. Für Asylsuchende gilt nach Asylverfahrensgesetz die räumliche Beschränkung. Dies hat auch den Hintergrund, dass sich der Asylsuchende schon im eigenen Interesse zum Fortgang und für die Beschleunigung des Verfahrens zur Mitwirkung bereithalten muss. Nach erfolgreichem Abschluss des Asylverfahrens wird dem Betroffenen der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Diese Flüchtlinge unterliegen in der Regel keinen Beschränkungen.
Ich gehe daher davon aus, dass die Antragstellerin mit „Flüchtlingen“ nicht diese „Flüchtlinge“ meinte, sondern geduldete Ausländer. „Geduldet“ bedeutet aber, dass der Betroffene verpflichtet ist, das Land zu verlassen. Es handelt sich hier also um Ausreisepflichtige. Diese unterliegen ebenfalls der Residenzpflicht. Das ist richtig.
Es erscheint allerdings auch nicht besonders einleuchtend, weshalb Asylbewerber hier schlechter gestellt werden sollen als Ausreisepflichtige. Auf der anderen Seite ist aber auch nicht einzusehen, warum wir eine Beschränkung aufheben sollen, die ein Verfahren sicherstellt, das die Rückführung eines Ausreisepflichtigen ermöglicht und dem Staat die Möglichkeit gibt, diese Rückführung zu vollziehen.
Es ist auch richtig, dass die Aufenthaltsbeschränkung eine Härte darstellt, besonders dann, wenn die Unterbringung im ländlichen Raum erfolgt.
Gerade die Städte üben eine starke Anziehungskraft aus. Beschränkungen sollten deshalb auf das notwendigste Maß begrenzt werden, auch um eine größere Akzeptanz der Betroffenen zu erreichen.
Der Erlass des Innenministers vom März dieses Jahres geht hier den Weg einer individuellen Differenzierung. Sie haben darauf auch in Ihrem Antrag Bezug genommen. Es geht gerade darum, die echten Härtefälle abzumildern. Es ist keineswegs unser Ziel, diesen Menschen ihre Situation weiter zu erschweren. Daher sollte es auch hier keine weiter gehenden Beschränkungen geben.
Für die CDU steht aber außerhalb jeder Diskussion, dass denjenigen, die nicht an ihrer Ausreise mitwirken - hier meine ich die geduldeten Ausreisepflichtigen -, dieses rechtswidrige Verhalten durch die Aufhebung der räumlichen Beschränkungen nicht erleichtert werden darf.
Diesen Anspruch vertreten wir konsequent, aber auch mit Augenmaß. Deshalb halten wir den oben genannten Erlass für ein Mittel, um sowohl dem Anspruch des Landes als auch dem der Betroffenen gerecht zu werden. Wir sind uns aber auch darüber im Klaren, dass gerade im Bereich Residenzpflicht/
Integration noch viel getan und viel diskutiert werden muss. Wie Sie dem Koalitionsvertrag entnehmen konnten, ist es ebenfalls unser Ziel, uns diesem Thema intensiv zu widmen.
Ich beantrage für die CDU-Fraktion deshalb die Überweisung des Antrags an den Innen- und Rechtsausschuss. Ich bin auf eine konstruktive Diskussion gespannt, die wir zu diesem Thema sicherlich haben werden.
Ich habe nur eine kurze Zwischenfrage. Es gibt auch geduldete Menschen, die seit Jahrzehnten in Kettenduldung leben. Wie verhält es sich bei diesen Menschen? Geduldet ist nicht gleich geduldet.
- Frau Amtsberg, ich habe Ihnen eben gesagt, es gibt sicherlich noch viele Bereiche, in denen wir nacharbeiten und die wir uns genauer ansehen müssen. Deshalb haben wir den Antrag auf Überweisung an den Ausschuss gestellt. Dort werden wir es diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Gemeinschaftsschule in Tönning begrüßen.