Protocol of the Session on August 24, 2011

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Heike Franzen das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte den Antragstellern, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gleich vorweg sagen, dass wir Ihren Antrag sehr ernst nehmen. Sie weisen mit Recht darauf hin, dass die Akzeptanz der Bevölkerung für den Bildungsföderalismus dramatisch gesunken ist. Das hat die vielfältigsten Gründe. Die jüngsten Umfragen zur Zukunft der Bildung in Deutschland wurden von der Bertelsmann Stiftung durchgeführt und führen uns eindrücklich vor Augen, was wir eigentlich schon lange wissen: Etwa 480.000 Befragte haben gezeigt, dass die Unzufriedenheit mit dem deutschen Bildungssystemen groß ist.

Gemeinsam haben wir im Dezember letzten Jahres die Landesregierung aufgefordert, eine Bundesratsinitiative zur Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern auf den Weg zu bringen. Die von Ihnen jetzt vorgeschlagene Verlagerung von Kernkompetenzen der Bildungspolitik von den Ländern auf den Bund benötigt nicht nur eine Verfassungsänderung im Bund, sondern sie schwächt auch den Einfluss der Länder an sich. Wenn wir in dieser Frage als handelnde Akteure in der Politik unsere Kompetenzen abgeben - und zwar vollständig -, dann können wir auch den Föderalismus an sich infrage stellen. An der Stelle will die CDU einen anderen Weg gehen.

Für uns steht außer Frage, dass Bund und Länder in Zukunft im Bildungsbereich stärker zusammenarbeiten müssen. Bereits Ende März 2010 diskutierten die Bildungspolitiker der CDU intensiv über die Zukunft des Kooperationsverbots. Angestoßen wurde die Debatte übrigens von Schleswig-Holstein. In einem Land, in dem jährlich 80.000 Schülerinnen und Schüler mit ihren Familien in ein anderes Bundesland wechseln, müssen gravierende Unterschiede in den Schulsystemen angeglichen werden. Dazu gehören vergleichbare Abschlussprüfungen, bessere

Abstimmungen der Inhalte der Lehreraus- und -fortbildung, Koordinierung der Lehrinhalte und eine effektive Evaluation der Schulen. Bund, Länder und Kommunen müssen in der Bildungspolitik enger zusammenarbeiten dürfen,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Marion Herdan [CDU])

sowohl bei der Finanzierung als auch bei den Inhalten wie beispielsweise den Bildungsstandards und der Lehrerausbildung.

Die Länder haben in vielen Bereichen Mühe, ihrer gemeinsamen Bildungsverantwortung gerecht zu werden. Besonders deutlich zeigt sich dies im Bereich der Bildungsfinanzierung und auch bei der Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards im schulischen Bereich.

Wir sind der Auffassung, dass das Kooperationsverbot, welches Bund und Länder die Zusammenarbeit in Bildungsfragen verbietet, in dieser Form nicht mehr zweckmäßig ist. Wir haben in Deutschland eine gemeinsame Verantwortung für die Bildung. Daher muss der Bund auch unterstützend zur Seite stehen können. Wir teilen die Auffassung von Bundesministerin Schavan zur Weiterentwicklung des Bildungsföderalismus. Ich rege daher an, dass wir zunächst einmal im Bildungsausschuss darüber beraten, wie weit die Landesregierung inzwischen mit der Bundesratsinitiative vorangeschritten ist.

Die Drohkulisse Ihres Antrags allerdings, den Föderalismus an sich zu schwächen, lehnen wir ab. Die Union steht für eine Bildungspolitik mit Kooperation und klaren Zuständigkeiten. Die Länder tragen grundsätzlich die Verantwortung für die Bildung, ihnen kommt die Hauptaufgabe in der Weiterentwicklung und im Ausbau des Bildungssystems zu. Zwischen den Ländern muss die Vergleichbarkeit vor allem bei den Bildungsinhalten und -abschlüssen erhöht werden. Mögliche Hemmnisse bei der Frage der Kooperation der Länder untereinander und mit dem Bund sind zu prüfen und im Einvernehmen abzubauen.

Auf dieser Basis können wir gern im Ausschuss beraten. Vielleicht kommen wir ja an dieser Stelle auch wieder einmal zu einem interfraktionellen Antrag. Das würde die Position unseres Landes im Bundesrat sicher stärken.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE ist für uns aufgrund der Regelungswut allerdings nicht

(Ines Strehlau)

zustimmungsfähig. Ich beantrage die Überweisung der beiden Anträge in den Bildungsausschuss.

(Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Martin Haabersaat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Für und Wider des Bildungsföderalismus kann man in fünf Minuten schwer umfassend diskutieren. Um den Umfang und die Komplexität des Themas anzudeuten, zitiere ich einen Historiker aus unseren Reihen, dessen Namen ich später gern auf Anfrage preisgebe. Er schrieb, der Bildungsföderalismus sei nicht weniger als die ,,systemische Generalgrenze im deutschen politischen System“.

Ich möchte die Zeit nutzen, um mit Ihnen aus der Sicht eines Historikers in fünf Stationen von 1946 bis 2006 einige Blickpunkte auf die Debatte zu werfen und einige Schlussfolgerungen anzubieten.

Station eins: Schleswig-Holstein 1946. Aus der Tatsache, dass das Land Schleswig-Holstein älter als die Bundesrepublik Deutschland ist, ergibt sich, dass wir eine Debatte über die Bildungshoheit von Bund oder Ländern ganz ruhig führen können. Die Existenz des Landes hängt nicht von seiner Zuständigkeit für die Bildungspolitik ab. Wir können ohne Aufregung Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten gegeneinander abwägen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Station zwei: KMK 1948. Auch die Kultusministerkonferenz ist älter als die Bundesrepublik. Betrachtet man die Entwicklung Deutschlands und der Bildungspolitik in den vergangenen 63 Jahren, muss man feststellen, dass in Deutschland nicht alles schlecht gelaufen ist. Heute nun wegen eines diffusen Unbehagens allein der KMK Versagen vorzuwerfen, ist wohlfeil, aber nicht ganz zielführend. Die Kultusminister - da nehmen wir sie auch einmal in Schutz - vertreten dort schließlich die politischen Standpunkte ihrer jeweiligen Landtagsmehrheiten. Die sind demokratisch legitimiert und insofern nicht per se anzugreifen. Möglicherweise lohnt es sich aber, über eine Reform der KMK zu sprechen, beispielsweise über die Einführung von qualifizierten Mehrheiten anstelle des Einstimmigkeitsprinzips.

(Beifall bei der SPD)

Station drei: der Bildungsrat, existent von 1966 bis 1975. Der Bildungsrat war eines von mehreren Gremien, mit dessen Hilfe Bund und Länder im Laufe der Jahre um Verbesserungen im Bildungsbereich bemüht waren. Ich bin nicht ganz sicher, warum die Grünen gerade dieses Beispiel gewählt haben. Vielleicht weil der Vorsitzende ein Kieler namens Erdmann war? Man weiß es nicht.

(Heiterkeit bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wichtige Impulse lieferte der Bildungsrat jedenfalls zu verschiedenen Themenfeldern, zum Beispiel zur Gesamtschule und zur Ganztagsschule. Allerdings müssen wir uns heute die Frage stellen: Sind wirklich fehlende Impulse das Problem im Bildungswesen? Mein Eindruck ist manchmal, es sind eher zu viele Impulse, die auf das Bildungssystem einwirken.

(Beifall bei der SPD)

Zu suchen wäre also ein Rat oder ein Weg, der die Legislativen von Bund und Ländern in Gleichklang bringt. Von parlamentarischem Selbstvertrauen würde es allerdings zeugen, wenn man einen solchen Rat dann auch Parlamentariern anvertrauen würde.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Station vier: der PISA-Schock 2001. Wir haben einen kleinen Sprung gemacht, das haben Sie alle bemerkt. Nachdem Deutschland jahrzehntelang nicht an internationalen Bildungsstudien teilgenommen hatte, brachten TIMSS 1995 und vor allem PISA 2001 Bewegung in die Bildung. Die Bildungslandschaft veränderte sich, viele Änderungen sind noch nicht abgeschlossen, vieles ist noch nicht von allen akzeptiert.

Wichtig ist mir aber die Feststellung: Nicht jede Änderung ist negativ, und nicht alles wäre in der Hand eines Bundesbildungsministers besser aufgehoben gewesen. Ein Beispiel sind die Gemeinschaftsschulen, die vielen Schülerinnen und Schülern durch längeres gemeinsames Lernen den Weg zum Abitur ermöglichen. Das hätte uns ein CSUBildungsminister sicher niemals ermöglicht.

(Beifall bei der SPD)

Station fünf: die Föderalismusreform 2006. Wir wissen nicht, was künftige Historiker als besondere Leistungen der Großen Koalition auf Bundesebene 2005 bis 2009 hervorheben werden, vermutlich

(Heike Franzen)

wird es allerdings nicht die Föderalismusreform sein. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat jedenfalls interfraktionell gefordert, dass sich künftig alle staatlichen Ebenen wieder für ein verbessertes Bildungssystem einsetzen dürfen sollen. Die Beschlusslage vieler Parteien sieht das schon seit den 70er-Jahren vor. Die SPD forderte eine ,,Vereinheitlichung der Bildungsplanung“, die FDP eine ,,Grundsatzkompetenz des Bundes“, und die CDU hat etwas verschlungen gefordert, man solle ,,diejenigen Materien bundeseinheitlich regeln, bei denen das aus sachlichen Gründen geboten ist“. Das war das Berliner Programm der CDU von 1971.

Der Ausblick: Bildungspolitik muss mehr sein als der kleinste gemeinsame Nenner, sogar mehr als die Summe von 16-Länder-Bildungspolitiken. Das Ziel ist klar: Bessere Standards, mehr Mobilität. Wenn wir sie von den Menschen verlangen, müssen wir ihnen das auch ermöglichen. Aber mit welchen Mitteln und um welchen Preis? Man kann einige Passagen des grünen Antrags so verstehen, als wäre die alte Dreigliedrigkeit des Schulsystems im Zweifel besser, wenn sie denn bundesweit eingeführt würde. Da sind wir in Norddeutschland schon weiter. Unser Weg wäre, uns dafür einzusetzen, in Norddeutschland mit mehr Kooperation statt mit mehr Konkurrenz für eine Vereinheitlichung zu arbeiten. Auch wir wollen das Thema gern im Bildungsausschuss weiter diskutieren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Begrüßen Sie bitte mit mir auf der Besuchertribüne den ehemaligen CDU-Landtagsabgeordneten und Vorsitzenden des Agrarausschusses Claus Hopp. Herzlich willkommen im Haus!

(Beifall)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Cornelia Conrad das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Bildungsföderalismus diskutieren, stoßen wir schnell an die Grundmauern unserer föderalen Verfassung. Wir wissen, das Grundgesetz legt die Kultushoheit in die Hände der Bundesländer. Dabei - und das möchte ich gleich zu Beginn meiner Rede unmissverständlich klarstellen - soll es unserer Meinung nach auch bleiben. Eine Übertragung von Bildungskompeten

zen an den Bund, wie es die Grünen in ihrem Antrag vorschlagen, lehnen wir ab. Wir brauchen Freiheit für die Schulen vor Ort und nicht mehr Vorgaben von oben.

(Beifall bei der FDP)

Für uns Liberale ist Bildung ein Bürgerrecht und die Zukunftsressource unseres Landes. Daher benötigen wir in der Bildungspolitik zweierlei. Erstens. Handlungsfreiheit für die Basis, ganz im Sinne des Subsidiaritätsgedankens. Beherzigen wir das und geben den Einrichtungen die Freiheit, die ihre Situation vor Ort genau kennen! Denn Entscheidungen über die Ausgestaltung von Schule werden nur den Anforderungen gerecht, wenn sie auch den regionalen und lokalen Gegebenheiten weitestgehend entsprechen. Wir brauchen eigenverantwortliche Schule, eigenverantwortungsbewusste Entscheidungen, die diese Schulen treffen.

Mit dem neuen Schulgesetz hat die Regierung entsprechende Weichen gestellt und die Eigenverantwortlichkeit der Schulen gestärkt. Wenn man die Debatte in den überregionalen Medien - jüngst im „Spiegel“ - verfolgt, dann sieht man, dass Schleswig-Holstein an der Spitze der Bewegung steht.

Gleichmacherei von oben herab darf es an dieser Stelle auf keinen Fall geben.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Einen bundesweiten organisierten Bildungszentralismus werden wir Liberale nicht mittragen.

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem brauchen wir keine zentralistische Bundesanstalt für Bildung. Vielmehr wäre darüber nachzudenken, den Kommunen als Schulträger mehr Verantwortung zu geben.