Protocol of the Session on June 30, 2011

Ich zitiere aus dem Bericht der Landesregierung:

„Seit 1999 fördert die Bundesregierung auf der Grundlage einer Gedenkstättenkonzeption … Gedenkstätten und Projekte, wenn sie von nationaler und internationaler Bedeutung sind.“

Der Minister hat es schon angesprochen. Wir haben auch gehört, dass Schleswig-Holstein keine Gelder aus diesem Programm abgerufen hat. Auch das hat der Minister gesagt. Das wird spannend, wenn man sich anschaut, wer alles Gelder daraus abgerufen hat. Ich lese die Länder einmal kurz vor: Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Berlin, Bremen, Hamburg und Brandenburg. Schleswig-Holstein ist nicht darunter. Das kann ich ehrlicherweise nicht fassen. Es gibt seit vielen Jahren das Förderprogramm des Bundes, und das Land ruft keine

(Jens-Uwe Dankert)

Mittel ab. Warum das so ist, auch das hat der Minister gesagt, und man kann es ebenfalls dem Bericht entnehmen.

„Ein mit Bundesmitteln förderbares Projekt in Schleswig-Holstein könnte nur - abgesehen von der nötigen Landesbeteiligung - gelingen, wenn ein gemeinschaftlicher Ansatz aller Gedenkstätten für eine zukünftige Vermittlungsarbeit … mindestens auf eine national herausragende/exemplarische Ebene gehoben werden kann.“

Ich entnehme daraus also, dass das bislang nicht gelungen ist. Das ist der politische Kern dieser Diskussion. Warum gelingt es einem Land wie Schleswig-Holstein nicht, eine exemplarische Ebene der Erinnerungskultur zu erarbeiten? Am Gegenstand oder an der Landesgeschichte kann es wohl kaum liegen. Denn eins will ich klar sagen: Die Bedeutung des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus ist keine Frage der Menge. Es wäre pervers, wenn wir die Zahl der Ermordeten zur Grundlage des Anspruchs auf Erinnerung machen würden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und des Abgeordneten Günther Hildebrand [FDP])

Was dieses Land aber und seine Geschichte beispielhaft zeigen kann, ist die enge Verwobenheit zwischen Militärischem und Zivilem, zwischen Verfolgen und Verführen. Kaum ein anderes Bundesland kann die enge aufeinander Angewiesenheit zwischen Versprechens- und Verführungspotenzial des Faschismus so aufzeigen wie Schleswig-Holstein. Und was, wenn nicht das, hat eine nationale Bedeutung?

Ich freue mich, wenn es gelingt, über die Neulandhalle diese Diskussion in Gang zu bringen. Aber es ist trotzdem tragisch, dass es das Land in 60 Jahren nicht geschafft hat, das schon vorweisen zu können. Bei allem Lob für die Bürgerstiftung möchte ich doch aus dem Bericht der Landesregierung noch einmal zitieren, Seite 12:

„Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Vereinzelung der Gedenkstätten seit Gründung der BGSH nicht beseitigt ist, aber dennoch abgenommen hat und dass die Entwicklung eines gemeinsamen Bewusstseins für das Anliegen einer landesweit vernetzten Gedenkstättenarbeit eingesetzt hat.“

Das ist sicherlich nicht nichts, aber es ist doch ziemlich wenig.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Den selbstzufriedenen und selbstgenügsamen Gestus des Berichts teile ich nicht, weder im Ton noch in der Sache. Die Verführung und die Verfolgung des Faschismus - hier in unserem Land ist beides beispielhaft zu besichtigen. Herr Wengler, ich freue mich, dass Sie das U-Boot-Ehrenmal und andere Orte angesprochen haben. Genau daraus könnte eine exemplarische Erinnerungsarbeit für die Bundesrepublik erwachsen, indem man einmal deutlich macht, wie das Militärische und die Vernichtungsprogramme zusammengearbeitet haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD, der LINKEN und SSW)

Voraussetzung dafür ist, dass wir uns das wirklich trauen. Das tut natürlich weh. Das ist genau der Ort, wo es wehtut in Schleswig-Holstein, wenn man einmal hinguckt, wie die Verwobenheit wirklich funktioniert und gearbeitet hat. Wenn wir uns das aber trauen und uns auch zumuten und nicht nur die verschiedenen Orte wie Bunker, U-Boot-Ehrenmal, Gedenkstätten nebeneinander stellen, sondern wirklich fragen, wie das System funktioniert hat, dann können wir hier tatsächlich etwas Lehrhaftes zeigen. Es stünde dem Land gut an, das zu tun.

Ich möchte mit einem Zitat von Pastor Meyer schließen, es lautet:

„Späte Generationen mögen es für übertrieben halten. Das stimmt nicht. Im Gegenteil ist unsere Sprache zu arm, die geschehenen Gräuel nachzuerzählen.“

Die Sprache ist zu arm, sie nachzuerzählen. Das sind die ersten Sätze der Chronik von Pastor Johannes Meyer. Man kann daraus eigentlich nur schließen: Wenn die Sprache zu arm ist, wenn Worte nicht hinreichen, dass wir dann Orte der Erinnerung und ein Konzept brauchen, das diese Orte in eine Logik setzt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Für die Fraktion die LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich danke dem Minister für diesen aus

(Dr. Robert Habeck)

führlichen und engagierten Bericht. Offensichtlich ist das Thema auf der Arbeitsebene ganz vorzüglich vertreten - und das nicht erst seit heute. Wir können feststellen, dass auch schon die vergangenen Landesregierungen in diesem Bereich hervorragend gearbeitet haben.

Wir können uns froh und glücklich schätzen, dass wir in Schleswig-Holstein eine so engagierte Stiftung wie die „Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten“ haben. Diese Stiftung macht eine gute Arbeit, und ich möchte ihr an dieser Stelle meinen Dank dafür aussprechen. Meinen Dank möchte ich auch all jenen aussprechen, die seit vielen Jahren, teils schon seit Jahrzehnten, unermüdlich ehrenamtliche Arbeit in diesem Bereich leisten oder die diese Arbeit durch großzügige Spenden unterstützen.

Gedenkstätten sind Orte des Gedenkens, der Erinnerung und der Mahnung an das, was als unsere Geschichte ein Teil dieses Landes und eines jeden von uns ist. Das Wort „Gedenken“ beinhaltet aber auch das Wort „denken“, und als solches verweist es uns darauf, dass der Blick zurück nur ein Teil der Auseinandersetzung mit der Geschichte sein kann. Auch der Blick nach vorn, in die Zukunft, ist ein wichtiger. So sollen Gedenkstätten Orte der Mahnung, der Erinnerung, aber auch Orte des Denkens und der Zukunftsvorbereitung sein.

Wir alle sind gefordert, das Gedenken und das Denken wach zu halten, es bei jungen Menschen zu fördern und seine Orte, die Gedenkstätten, zu erhalten.

Die Landesregierung hat in ihrem Bericht das Augenmerk auf Orte des Gedenkens an den nationalsozialistischen Terror gelegt. Ich würde mir wünschen, dass auch die Gedenkstättenarbeit im nördlichen Landesteil die Arbeit zur Auseinandersetzung mit der deutsch-dänischen Geschichte zu Grenzkonflikten eine engagierte Unterstützung erhält.

Doch lassen sie mich auf die Gedenkstätten an den Nazi-Terror zurückkommen. Im Bericht wird über die KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund gesagt:

„Die Gräber wurden der Ausgangs- und Mittelpunkt einer langjährigen Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit.“

Dies ist eine gute Begründung für eine engagierte Gedenkstättenarbeit, dies ist aber auch eine eindringliche Mahnung, diese Arbeit niemals allein bürgerschaftlichem Engagement zu überlassen.

Gedenkstättenarbeit muss immer auch Aufgabe aller staatlichen Ebenen bleiben.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Rolf Fischer [SPD])

Wenn man den Bericht liest, so merkt man, dass die Gedenkstättenarbeit ohne privates bürgerschaftliches Engagement Einzelner und die Arbeit der Stiftung unmöglich wäre. So bekommen Schülerinnen und Schüler über ihre Arbeit in einer Gedenkstätte einen anderen Zugang zu dem, was sie im Geschichtsunterricht lernen. Und so bekommen Menschen einer Gemeinde die Gelegenheit, sich zusammenzutun, um gemeinsam gegen Faschismus und für das Gedenken einzustehen. Andererseits sind das Wachhalten des Gedenkens und der Mahnung so wichtige Aufgaben, dass sie auch von allen staatlichen Ebenen und Einrichtungen unterstützt werden müssen.

Aus diesem Grund finde ich es lobenswert, dass der Haushaltsansatz zumindest für 2011 und 2012 ungekürzt bleibt. Wenn die Landesregierung tatsächlich, wie sie es in ihrem Bericht angekündigt hat, die Gedenkstättenlandschaft in Schleswig-Holstein neu gestalten will, dann müssen wir dafür zukünftig sogar mehr Geld in die Hand nehmen.

Im Bereich der Gedenkstätten wäre es besonders schlimm, wenn das, was jetzt als Umstrukturierung beschrieben wird, in Wirklichkeit das Ziel der Einsparung hätte. Die LINKE wird den angekündigten Prozess kritisch begleiten und einschreiten, sollte die Gedenkstättenarbeit in Schleswig-Holstein in Bedrängnis kommen.

Ich bin der Überzeugung, dass es eine staatliche Aufgabe ist, die Gedenkstätten zu erhalten, zu pflegen, die wissenschaftliche Aufarbeitung zu fördern und pädagogische Konzepte zu entwickeln, die junge Menschen an das würdige Gedenken heranführen.

In diesem Sinne begrüße ich die Pläne, die jetzt schon vorhandene Gedenkstättenlandschaft neu zu gestalten und besser zu vernetzen.

Herr Jezewski, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wengler zu?

Herr Jezewski, beziehen sich Ihre Bedenken hinsichtlich möglicher Kürzungen nur auf Gedenkstätten des Nationalsozialismus, oder sind sie allge

(Heinz-Werner Jezewski)

mein? Ich würde sonst nicht verstehen, wie Sie beziehungsweise die Lübecker Fraktion Ihrer Partei einer Mietzahlung für das Grenzmuseum in Schlutup zustimmen konnte, dem dadurch jetzt die Schließung droht.

- Ich kann nichts zu einer Entscheidung sagen, die die Lübecker Fraktion getroffen hat. Es tut mir leid. Aber das bezieht sich für mich natürlich nicht nur auf die Gedenkstätten des nationalsozialistischen Terrors. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich werde darauf noch kurz eingehen, Herr Wengler, wenn Sie erlauben.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Wir können uns noch darüber unterhalten!)

Ich begrüße die Pläne, die jetzt schon vorhandene Gedenkstättenlandschaft neu zu gestalten und besser zu vernetzen. Zusätzlich wird es aber nötig sein, bisher nicht in die Konzepte eingebundene Gedenkstätten ebenfalls einzubinden. Ich denke da zum Beispiel an die Gedenkstätte Fröslev-Bahnhof in Harrislee, ich denke aber auch an das, was Robert Habeck gerade so trefflich gesagt hat. Man muss sich wirklich klarmachen: Das Marineehrenmal in Laboe symbolisiert den einen Teil des NaziTerrors, und die Vernichtungslager in den anderen Stätten symbolisieren einen anderen Teil des Terrors.

Ich kenne ein drittes Beispiel. Wir haben in Flensburg mit dem Umgang mit dem Trampedach-Barackenlager in der Marineschule in Mürwik kein rühmliches Beispiel erlebt. Da gab es ein Lager - es hätte eine Gedenkstätte werden können -, in dem die Marine Soldaten untergebracht hat, die für den Vernichtungskrieg notwendig waren, in dem die Industrie Arbeiter untergebracht hat, zum Teil Zwangsarbeiter, die für diesen Vernichtungskrieg arbeiten mussten, und in dem später Flüchtlinge aus Schlesien, aus Tschechien, aus Polen untergebracht wurden, die aufgrund dieses Vernichtungskrieges zu Vertriebenen geworden sind. Das wäre ein hervorragendes Beispiel für so eine Gedenkstätte gewesen. Daher glaube ich, dass es möglich wäre, Herr Minister, Mittel des Bundes abzurufen. Das war bundesweit das letzte Lager, das noch vorhanden war. Es ist unter anderem am Geld gescheitert, dass dieses Lager zu einer vernünftigen Gedenkstätte ausgebaut werden konnte. Das ist schade. Wir sollen uns auf solche Beispiele konzentrieren, die zeigen, dass Faschismus und der nationalsozialistische Terror nicht nur das Umbringen von Menschen war. Es gab ganz viele Bedingungen und Voraussetzungen dafür. Die kann man dokumentie

ren und zeigen. Das kann man am besten in Gedenkstätten zeigen.

Es müssen Räume von staatlicher Seite bereitgestellt werden - diese Räume können Orte des Gedenkens werden -, und diese Orte müssen von Freiwilligen, von engagierten Menschen mit Leben gefüllt werden. Das ist die Zusammenarbeit zwischen ehrenamtlichem Engagement und staatlicher Förderung. Der Staat muss die Möglichkeiten schaffen, auch finanziell, dass sich Freiwillige ehrenamtlich engagieren können.

Mit Zukunft und mit lebendigem Gedenken der Vergangenheit gedenken - so stelle ich mir eine lebendige Erinnerungskultur für unser Land vor.

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)