Protocol of the Session on March 23, 2011

Die Versorgungssicherheit hat nach der Betriebssicherheit für den hoch entwickelten Standort Deutschland höchste Priorität. Ich wünsche mir in Kiel und in Berlin eine Debatte, die das Leid in Japan nicht instrumentalisiert. Regierung und Opposition sind ebenso wie Parteien, Verbände und andere gesellschaftliche Gruppen in der Pflicht, diese Debatte respektvoll zu führen. Die Menschen erwarten von uns Redlichkeit im Umgang miteinander. Dazu gehört auch, dass nicht sofort reflexartig von Wahltaktik gesprochen wird, wenn eine Regierung tut, was ihre Aufgabe ist, nämlich im Angesicht der Katastrophe zu prüfen, ob unser Verständnis von Sicherheit heute noch das gleiche sein kann wie vor zwölf Tagen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Bundesregierung hat mit einem Moratorium reagiert. Die Laufzeitverlängerung wurde ausgesetzt, und die Ministerpräsidenten der Länder, die Verantwortung für Kernkraftwerke tragen, haben im Gespräch mit der Kanzlerin verabredet, die sieben ältesten Meiler vorerst vom Netz zu nehmen. Auch nach Ende des Moratoriums werden wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Das unterstreicht: Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst. Die in dieser Verkettung von niemandem

vorauszusehenden Ereignisse in Japan zwingen zur Reaktion, zur Überlegung. Das gilt zu jeder Zeit, völlig unabhängig von Wahlkämpfen.

Wer der Bundesregierung hier Wahltaktik unterstellt, entlarvt sich als der eigentliche Wahlkämpfer. Das ist übrigens auch deshalb unredlich, weil die Sicherheitslage zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt keine andere wäre, wenn noch der rot-grüne Ausstiegsbeschluss gelten würde. Gar nicht zu reden von der Endlagerfrage; die kann Rot-Grün in seinem Ausstiegsszenario nicht einfach ausklammern. Das ist nicht gerade ein Beitrag zur energiepolitischen Glaubwürdigkeit.

(Bernd Heinemann [SPD]: Das hat ja lange gedauert, bis wir dahin gekommen sind!)

Die Debatte, die wir jetzt führen müssen, ist vielmehr eine nationale Aufgabe. Wir wollen sie mit dem Ziel führen, einen Konsens herzustellen über den weiteren und noch schnelleren Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung hat klare Vorstellungen, wie dieser Weg in Schleswig-Holstein aussehen kann. Wir stehen für eine Energiepolitik, die verantwortlich und nachhaltig ist.

Erstens. Sicherheit ist die Maßgabe unseres Handelns. Das ist sie bisher gewesen, und das ist sie heute. So war immer klar, jedes Kernkraftwerk, das in Schleswig-Holstein am Netz ist, muss sicher sein. Die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger ist das höchste Gut. Das habe ich seinerzeit dem Chef von Vattenfall sehr deutlich gemacht, als ich ihm gesagt habe: Ich muss den Betrieb von Brunsbüttel und Krümmel vor den Menschen verantworten können. Und gibt es auch nur den geringsten Zweifel an der Sicherheit der Anlagen, dann gehen diese nicht ans Netz. Entsprechend haben wir gehandelt. Diese auf höchste Sicherheit bedachte Politik hat auch zu einem klaren Ergebnis geführt: Zwei von drei schleswig-holsteinischen Kernkraftwerken sind seit fast vier Jahren abgeschaltet.

Meine Damen und Herren, ich möchte, dass das auch so bleibt.

(Beifall der Abgeordneten Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])

Ich werde in der nächsten Woche entsprechende Gespräche mit den Betreibern führen. Ich werde Vattenfall und E.ON in die Verantwortung nehmen und unmissverständlich darauf drängen, dass sie auf

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

ein Wiederanfahren von Krümmel und Brunsbüttel verzichten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Übrigens: Die atomaufsichtliche Zuverlässigkeitsprüfung dauert nach wie vor an. Noch immer hat Vattenfall nicht alle Unterlagen vorgelegt, die zur atomaufsichtlichen Beurteilung der Zuverlässigkeit erforderlich sind.

Für uns bleibt es dabei: Es darf kein Reaktor ans Netz, dessen Sicherheit nicht zweifelsfrei belegt ist. Es darf keinen Betreiber geben, dessen Zuverlässigkeit nicht klar ist. Das Kernkraftwerk Brokdorf gehört seit Jahren zu den sichersten und produktivsten Kernkraftwerken auf der Welt. Ich habe ebenso wie unsere Atomaufsicht Vertrauen in die Zuverlässigkeit von E.ON als Betreiber. Aber auch Brokdorf wird einer Untersuchung unterzogen werden - erst die alten Anlagen, dann die neueren Anlagen, und dann alle anderen kerntechnischen Anlagen, die wir sonst noch haben.

Zweitens. Kernkraft wird in Deutschland auch weiterhin als Brückentechnologie gebraucht werden. Die Brücke muss dabei so sicher wie möglich gemacht werden. Deshalb ist nicht die schnellste Entscheidung die beste, sondern die sorgfältigste.

(Beifall bei CDU und FDP)

Der Deutsche Bundestag hat im vergangenen Jahr Gesetzesänderungen beschlossen, mit der die Sicherheit unserer Kernkraftwerke weiter erhöht wurde. Jetzt müssen wir schauen, wie sich die zugrunde gelegten Risikoannahmen, Einrichtungen und Maßnahmen weiterentwickeln lassen. Auf Initiative der schleswig-holsteinischen Landesregierung haben sich die fünf Bundesländer, die Standorte von Kernkraftwerken sind, am Freitag im Bundesrat unserer Position angeschlossen.

Schleswig-Holstein begrüßt ausdrücklich die von der Bundesregierung vorgesehene Einrichtung einer unabhängigen Expertenkommission. Diese Fachleute machen sich während des Moratoriums an eine umfassende Risikoanalyse aller deutscher Kernkraftwerke. Das Moratorium wird genutzt, um die Erkenntnisse aus Japan mit in die Sicherheitsüberlegungen aufzunehmen. Wir müssen die Ursachen des Unglücks genau analysieren und mögliche technische Schwachstellen an unseren Anlagen beseitigen. Es wird darum gehen, Notkühlung und Notstromversorgung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Auch die Sicherheitsmaßnahmen auf den Kraftwerksgeländen müssen noch weiter dezentralisiert werden, damit im Unglücksfall nicht

mehrere Versorgungsstränge gleichzeitig ausfallen können.

Meine Damen und Herren, ich halte nichts davon, während des Moratoriums eine Klage gegen die Laufzeitverlängerung auf den Weg zu bringen - so, wie es die Grünen mit ihrem Antrag fordern. Diese Klage brauchen wir nicht.

Auch den Antrag von SPD und SSW brauchen wir nicht. Wir sind schon viel weiter, weil wir Krümmel und Brunsbüttel erst gar nicht wieder ans Netz lassen wollen.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Ansonsten zeichnet sich doch schon jetzt ab: Nach dem Moratorium wird über Laufzeiten ganz neu geredet werden müssen. Nach den drei Monaten wird es keine Ausflucht geben. Auch das ist ein Gebot der Redlichkeit.

Auf EU-Ebene begrüßen wir den einheitlichen Stresstest, den EU-Kommissar Oettinger bis Ende 2011 für alle europäischen Kernkraftwerke anstrebt. Wir brauchen höchste einheitliche Sicherheitsstandards in ganz Europa. Denn auch wenn Deutschland Vorreiter beim Atomausstieg ist, damit wir sicher leben können, müssen die Anlagen unserer Nachbarn so sicher sein wie die deutschen. Ich darf an dieser Stelle sagen, meine Damen und Herren: Das wird nicht ganz so einfach sein, weil in anderen Ländern unterschiedliche Philosophien und Auffassungen bestehen. Die Reaktionen, die ich aus Großbritannien, aus Polen, insbesondere aus Osteuropa, aber auch aus Frankreich höre - die dabei noch sehr moderat sind -, lassen diese Aufgabe doch als sehr schwer erscheinen. Aber trotzdem geht es darum, nicht nur bei uns etwas zu tun, sondern die Sicherheit überall zu verbessern.

Drittens. Wir wollen die kerntechnische Brücke in das Zeitalter der regenerativen Energien so kurz wir möglich halten - Ihrem Zwischenruf entsprechend. Wir wollen dieses Zeitalter so schnell wie möglich erreichen. Da bin ich mit den Regierungschefs der anderen norddeutschen Länder einig. Wir müssen mit Verstand und Augenmaß vorgehen, und der Weg dahin muss zu Ende gedacht werden. Das Tempo muss so gewählt werden, dass wir den Menschen und der Wirtschaft nicht irgendwann sagen müssen: Jetzt steigen die Energiepreise gewaltig, jetzt haben wir eine höhere Importabhängigkeit beim Strom, jetzt tun wir weniger für den Klimaschutz, weil immer mehr Kohle und Gas verheizt werden.

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Wer immer noch glaubt, das alles sei mit simplen Antworten zu meistern, der wird der Herausforderung nicht gerecht. Der Antrag der LINKEN kennt leider nur solche Antworten, er bringt uns in der Debatte überhaupt nicht weiter.

(Beifall bei CDU und FDP)

Vielmehr müssen wir die Probleme lösen, die wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien immer noch haben. Das bedeutet, wir müssen noch intensiver an die Themen Energieeffizienz, Netzausbau und Speicherkapazitäten ran. Bei diesen Punkten geht es nicht nur um technische Fortschritte, auch hier geht es um mehr Ehrlichkeit und um mehr Offenheit in der Debatte.

Zur Ehrlichkeit gehört, den Menschen zu sagen, wer raus will aus der Kernenergie, der muss wissen, dass sich unser Landschaftsbild verändern wird. Es wird mehr Windräder, vielleicht mehr Biomasseanlagen und sicher mehr Hochspannungsleitungen geben. Das ist die Folge. Und schließlich sollte uns allen klar sein, den schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie gibt es nicht zum Nulltarif, das schließt auch höhere Strompreise mit ein.

Zur Ehrlichkeit gehört auch, den Menschen zu sagen, der einzelne Verbraucher hat mit dem Energiesparen den größten potenzielle Energieverbrauch selbst in der Hand. Energie sparen lässt sich in allen Lebensbereichen, vom Auto über Elektrogeräte bis hin zur Gebäudesanierung. Doch auch das geht einher mit Kosten für die Verbraucher.

Zur Ehrlichkeit gehört auch, den Menschen zu sagen, niemand hat eine Lösung in der Schublade, die sofort greift. Die erneuerbaren Energien müssen wir im großindustriellen Maßstab erst noch grundlastfähig machen. Bis dahin wird es so sein, dass wir auf Gas- und Kohlekraftwerke sowie auch auf Kernkraft angewiesen sind.

Letztlich müssen wir den produzierten Strom dort hinbringen, wo er verbraucht wird. Für SchleswigHolstein bringt das den Bau von zahlreichen neuen Stromautobahnen mit sich. Denn es ist nun einmal so: Wer Ja zu umweltfreundlichen Energien sagt, der muss auch Ja zum Netzausbau sagen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Landesregierung wird dem Landtag nach der Sommerpause ein integriertes Klimaschutz- und Energieprogramm vorlegen. In diesem Konzept bündeln wir alle Maßnahmen, mit denen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien noch weiter beschleunigen können. Das erste wichtige Signal haben wir mit dem Landesentwicklungsplan bereits

gesetzt. Wir werden die Windeignungsfläche hier im Land auf 1,5 % ausweiten. Damit bauen wir unsere Position als Energieexportland weiter aus. Schleswig-Holstein produziert derzeit doppelt so viel Strom wie es verbraucht. Spätestens 2020 wollen wir den schleswig-holsteinischen Strombedarf rechnerisch vollständig aus erneuerbaren Energien decken. Ein Blick auf die Windenergiebilanz lohnt sich schon heute.

Innerhalb von 20 Jahren ist es uns gelungen, in Schleswig-Holstein eine Windleistung von mehr als 3.000 MW aufzubauen. Die erneuerbaren Energien decken rechnerisch schon jetzt die Hälfte unseres Strombedarfs. Die aktuelle Prognose des Wirtschaftsministeriums geht davon aus, dass wir im Zeitraum 2015 bis 2020 die Onshore-Windkapazität auf 9.000 MW erhöhen können. Hinzu kommen noch rund 3.000 MW aus Offshore-Windstrom. Das macht deutlich: Schleswig-Holstein wird seine Stellung als Stromexportland innerhalb Deutschlands festigen und auf die europäischen Nachbarn ausdehnen. Dafür müssen wir entschieden den beschleunigten Ausbau der Netze angehen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir schlagen daher eine Drei-Punkte-Roadmap vor, wie das auf Plattdeutsch so schön heißt. Damit bringen wir in den Ausbauprozess mehr Druck, mehr Dynamik und mehr Geschwindigkeit. Punkt eins: Wir brauchen ein Maßnahmenvorranggesetz. Wer heute eine Leitung bauen will, der muss einen planerischen Vorlauf von bis zu zehn Jahren einkalkulieren. Das ist viel zu lang. Mit einem Maßnahmenvorranggesetz, das so ähnlich aussehen könnte wie Gesetze nach der Wiedervereinigung, können wir Planungen beschleunigen, den Bürger frühzeitig beteiligen, den Rechtsweg verkürzen und so die Projekte schneller verwirklichen.

(Beifall bei der CDU)

Das ist nicht nur energiepolitisch sinnvoll, das fördert auch mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Land.

Punkt zwei: Wir brauchen eine Sprinterprämie für Netzbetreiber. Derjenige Netzbetreiber, der 2012 mit dem Ausbau seines Netzes beginnt, könnte einen Bonus von 2 % auf die Rendite bekommen. Der Bonus könnte anschließend schrittweise verringert werden. Wer ein Jahr später beginnt, für den könnte diese Prämie 1,5 % betragen, und so weiter. So schaffen wir neue Anreize für den Ausbau der Netze. Damit die Stromverbraucher nicht zu stark belastet werden, sollte die Prämie aus dem Fonds der Bundesregierung zur Förderung der erneu

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

erbaren Energien bestritten werden. Wir werden die Sprinterprämie als Vorschlag in die entsprechenden Arbeitsgruppen beim Bundeswirtschaftsminister einbringen, und ich habe sie gestern schon mit in die Diskussion eingebracht.

Dritter Punkt: Wir müssen in der Planung und in der Verwaltung beweglicher werden. Das bedeutet beim Leitungsbau konkret, wenn mehrere Bundesländer betroffen sind, dann reicht eine zuständige Landesplanungsbehörde. Planungen müssen nicht in allen Bundesländern stattfinden, die zum Teil kaum verzahnt sind. Hier müssen wir auf der Verwaltungsebene dazu kommen, dass wir flotter werden können.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

In der Praxis werden wir mit der geplanten Stromautobahn beginnen, die von Brunsbüttel nach Bayern führen soll. Mit dieser sogenannten Gleichstromschiene sollten Offshore- und Land-Windstrom entkoppelt werden. Die neuen Stromerzeugungszentren des Nordens werden dann mit den Verbrauchszentren im Süden verbunden. Wir werden das mit den betroffenen Ländern zügig abstimmen.