Protocol of the Session on January 28, 2011

Dass sich diese Landesregierung auf den Weg gemacht hat und wir angefangen haben, Finanzen zu konsolidieren, mag nicht jedem gefallen. Das ist für mich aber ein Beweis dafür, dass wir es ernst meinen, junge Menschen ernst zu nehmen und jungen Menschen wieder zuzugestehen, im Zweifel auch ihre eigenen politischen Fehler machen zu dürfen. Das könnten sie nämlich nicht, wenn wir ihnen noch nicht einmal die finanziellen Möglichkeiten dazu lassen würden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich danke Herrn Minister Dr. Garg für den Bericht. Zugleich gebe ich bekannt, dass die Landesregierung die vereinbarte Redezeit um 2 Minuten überzogen hat, die damit jeder Fraktion zur Verfügung stehen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Stellerin des ursprünglichen Berichtsantrags, die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Dr. Robert Habeck, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Minister Garg, danke für Ihren Bericht. Der Gestus war - vielleicht abgesehen von dem Rückfall in alte Schuldzuweisungen sympathisch. Vieles, was Sie gesagt haben, war angenehm zu hören. Zusammengefasst haben Sie gesagt: Die Generation, über die wir reden, die jungen Leute, sind gut davor. Sie stehen vor großen Herausforderungen, und wir als Politikerinnen und Politiker bereiten sie, so gut wir können, darauf vor. Sie verweisen auf die vielen Hilfsfonds, die Patenschaften, die Teilhabebündnisse, die Jugendhilfe, die ressortübergreifende Zusammenarbeit. Das ist alles löblich. Aber ist es ausreichend, und ist es gut? -Das kann man bezweifeln.

Erstens - jetzt muss ich den Gestus erwidern - machen auch Sie als Landesregierung nicht alles richtig, und zweitens haben wir alle in der Politik die Radikalität der Herausforderung, vor der die jungen Leute stehen, noch nicht richtig genug benannt, ge

schweige denn Antworten auf die Herausforderungen gegeben, vor denen die zukünftige Generation steht.

Was die Richtigkeit Ihrer Politik angeht, kann ich nur auf die Tagespolitik und den Widerspruch zur Studie hinweisen, wenn Ihr Bericht das so zusammenfasst:

,,Zum Thema Bildung bestätigt die Studie den bekannten Zusammenhang zwischen Schulerfolg und sozialer Herkunft. Junge Leute ohne Schulabschluss finden seltener eine qualifizierte Arbeit oder eine Ausbildung. Entsprechend pessimistisch blicken Jugendliche, die sich unsicher sind, ihren Schulabschluss zu erreichen, auch in die Zukunft.“

Wie können Sie dann ein Schulgesetz verabschieden, das hinterrücks die Lernmethoden, die den Kindern Zukunft ermöglichen, die anders lernen wollen,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

die etwas anderes brauchen als die Vorgaben, die etwas mehr Zeit brauchen oder die andere Talente haben, wieder hintanstellen? Das wäre auch eine Antwort auf die angesprochenen Warteschleifen vor der Berufsausbildung. Wenn die Studie sagt, dass das Interesse an Politik bei den Jugendlichen steigt, wieso droht dann der Innminister gerade, die Beteiligungsformen von Jugendlichen nach § 47 der Gemeindeordnung wieder zu kassieren?

(Minister Klaus Schlie: Das kann doch nicht angehen! - Weitere Zurufe)

Das Gegenteil dessen wäre doch nötig.

Wenn das Interesse an Politik gerade bei 15- bis 17-Jährigen ansteigt, wie die Studie sagt, wäre dann nicht eine Folgerung, über ein Landtagswahlrecht für 16-Jährige nachzudenken?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Herr Abgeordneter Dr. Habeck, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klaus Schlie zu?

Sehr gern.

(Minister Dr. Heiner Garg)

Herr Abgeordneter, könnten Sie mir vielleicht darlegen, woher Sie Ihre Erkenntnis haben, dass der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen etwas ändern will?

- Herr Abgeordneter Schlie, soweit ich weiß, hat der Innenminister ein Papier veröffentlicht - gefühlte 20 Seiten, dessen Titel ich jetzt gerade nicht im Kopf habe -, in dem das ausdrücklich zusammen mit der Frage, inwieweit es Gleichstellungsbeauftragte geben soll, offen diskutiert wird, und wird dies auch auf den vom Innenminister so gelobten Bürgermeisterversammlungen „Regionalkonferenzen“ genannt - offen vertreten und diskutiert. Daher habe ich das.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zusatzfrage zu?

Herr Abgeordneter, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie falsch informiert sind?

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

- Ich freue mich, wenn ich falsch informiert bin. Wenn die Beteiligungsformen von Jugendlichen bleiben und die Gleichstellungsbeauftragten da sind, freue ich mich über diese Aussage und nehme das gern zur Kenntnis, wenn es so ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe)

Verlassen wir die Tagespolitik und gehen auf die grundsätzlichen Fragen, die die Studie aufwirft, die nämlich weiter zielen, ein. Sie zielen auf den Grundzusammenhalt einer zukünftigen Gesellschaft. - Das war schon das schwarz-gelbe Bashing. Es können sich alle wieder beruhigen. Das tat nicht wirklich weh.

Sie zielen auf den Grundzusammenhalt einer zukünftigen Gesellschaft. Hier kehrt sich für uns alle die Beziehung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen um. Denn von deren Optimismus und Visionen kann sich Politik manche Scheibe ab

schneiden. Klar ist, dass die Herausforderungen der Zukunft nicht durch die Frontstellungen der Vergangenheit politischer Gegnerschaft gemeistert werden. Denn wenn, wie der Minister sagt, die Bedeutung der Familie wächst, wie die Studie aufzeigt, und gleichzeitig die Ansprüche an Mobilität, Flexibilität und vor allen Dingen ganz selbstverständlich auch Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zunehmen, dann ist der tumbe Gegensatz zwischen öffentlicher Bildungsinfrastruktur und häuslicher Behütetheit unfruchtbar. Gerade umgekehrt wird ein Schuh draus: Um die Geborgenheit einer Familie zu schützen und zu ermöglichen, braucht es starke öffentliche Einrichtungen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das gilt für den ganzen in der Vergangenheit aufgebauschten Gegensatz zwischen Staat und Freiheit. Er ist falsch. Nur weil es klare staatliche Regeln gibt, können wir leben, lieben und lassen, wen und was wir wollen. Das gilt erst recht für die Zukunft. Heute arbeiten und zahlen in die Sozialsysteme so viele Menschen ein wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Trotzdem reichen wir nicht hin.

Die Schuldenbremse - da haben Sie recht, Herr Minister - erweist sich da einmal mehr als notwendige Antwort - als notwendige Antwort.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU] und Christopher Vogt [FDP])

Aber sie ist nicht hinreichend. Wenn wir alle - die jungen Abgeordneten vielleicht ausgenommen - unsere Altersansprüche einlösen wollen, wird die Generation, über die wir reden, nicht in der Lage sein, diese zu bedienen.

(Vereinzelter Beifall)

Das gilt für die Sozialsysteme und für die Krankenkassen. Ohne eine solidarische und generationengerechte Finanzierung und ein konsequentes Umsteuern zu mehr nachhaltiger Generationengerechtigkeit geht es nicht.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Wohl wahr!)

Unsere Sozialsysteme sind nicht demografiefest.

Unser Bildungssystem ist nicht demografiefest. Wir haben eine Akademikerquote von 20 % im Land. In Skandinavien beträgt sie ungefähr 40 %. Dort umzusteuern, zum Beispiel eine Art Bildungsgrundsicherung zu schaffen, die zum Bildungser

(Dr. Robert Habeck)

werb ermutigt und mit einem Sozialdienst verknüpft wird, das wäre einmal ein großer Wurf.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Raumordnung ist nicht demografiefest. Die Jugend ist optimistisch, aber nicht zahlenstark. Die Konzentration auf die Zentren wird zunehmen, der ländliche Raum wird vor großen Problemen stehen, die wir auch im gerade beschlossenen Landesentwicklungsplan nicht angehen, sondern schlicht ignorieren.

(Christopher Vogt [FDP]: Sie wollen die Ent- wicklungschancen ja nicht!)

Viel zu sehr konzentrieren wir uns bei der Frage der ländlichen Entwicklung der Zukunft auf Wirtschaftsförderung und Neubaugebiete. Den Gemeinden, die ein zukunftsfestes Investitionsprogramm auflegen und zum Beispiel Gemeinschaftsschulen gemacht haben, wurde am Mittwoch der politische Mittelfinger gezeigt.

Im ländlichen Raum droht das ganze Wohlfahrtssystem ins Wanken zu geraten. Nicht nur der Sportverein oder die Freiwillige Feuerwehr, auch die gesetzlichen Ansprüche können nicht eingelöst werden, wenn eine kritische Einwohnergrenze unterschritten wird. Vereine, Kirchen, Jugendzentren, Kitas, die gesamte soziale Infrastruktur wird ausgehöhlt werden, und auch hier wären neue Systeme zu entwickeln, ein neues Anreizmodell, das über richtig gesetzte Impulse zu Ehrenamtsarbeit motiviert.

Schließlich sind unsere Lebensentwürfe nicht demografiefest. Damit meine ich nicht die noch immer skandalöse Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau. Neben der Frage der gleichen Rechte ist es schlicht eine Frage gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Grundsinns, Frauen, die gut ausgebildet sind, nicht von der Arbeitswelt fernzuhalten. Aber darüber hinaus: Wie in einer Rush-Hour ballt sich in der Lebenszeit der noch jüngeren Menschen, aber bald alt seienden Menschen zwischen 25 und 45 alles zusammen: Ausbildung, beruflicher Einstieg, Familiengründung, Karriere, Wohnung, Haus bauen, Haus kaufen, Wohnung mieten. Was die Studie vor allen Dingen deutlich macht, ist, dass wir eine Arbeitszeitpolitik brauchen, um denen, die jung sind, ihren Optimismus, den sie noch haben, zu erhalten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass es Altersteilzeit gab, aber nie eine Elternteilzeit, habe ich nie verstanden.