Protocol of the Session on December 16, 2010

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich verweise darauf, dass wir hinsichtlich des Medizinstandortes Lübeck in der vergangenen Woche einen weiteren Schritt nach vorn gekommen sind. Herr Baasch, Sie gucken mich so kritisch an, deshalb möchte ich es einmal erwähnen. Wir haben uns gemeinsam mit der Stadt, mit Herrn Saxe, mit der Kammer und mit den beiden Hochschulen am Standort darauf verständigt, den Medizintechnikund Medizinstandort Lübeck weiterzuentwickeln. Das ist eine logische Fortsetzung dessen, was wir schon immer gemacht haben. Ich verweise weiterhin darauf, dass die Überlegung, die Medizinerausbildung auslaufen zu lassen, immer daran gekoppelt war, gleichzeitig den Medizintechnikstandort Lübeck zu stärken. Dies geschieht durch eine Reihe von Investitionen, die dort erforderlich sind.

Wir werden die jetzige Fraunhofer-Einrichtung EMB zu einem Fraunhofer-Institut aufwerten. Das ist beschlossen und abschließend evaluiert. Es gibt eine Arbeitsgruppe, Fraunhofer MEVIS, dort geht es um Bildgebungstechniken, die für medizinische Operationen von Bedeutung sind. Es gibt - sehr vorbildlich - eine Kooperation zwischen der Uni

(Minister Jost de Jager)

versität und der Fachhochschule in Lübeck, genannt TANDEM, wo es auch darum geht, diese medizintechnischen Aspekte weiter nach vorn zu bringen.

Ich verweise auch darauf, dass während der gesamten Diskussion über die zukünftige Entwicklung der Universität Lübeck, auch immer Gespräche dahin gehend geführt worden sind, dass diese Investitionen weiter erforderlich sind und weiter fortgeführt werden können. Es macht nicht viel Sinn, sich jetzt mit viel Zeit auf eine Debatte zu versteifen, die in der Vergangenheit liegt. Ich greife eher auf die Diskussion zurück, die es gestern im Zusammenhang mit der Haushaltsdebatte und hinsichtlich der Wissenschaftspolitik des Landes Schleswig-Holstein gegeben hat. Ich mache eines deutlich: Das Schlimmste, was einer Wissenschaftslandschaft in einem Land passieren kann, ist, dass sie gerade einmal so ausgestattet ist und sich nicht weiterentwickeln kann. Das wäre das Gefährlichste, weil sie der Forschung auch immer die Möglichkeit geben müssen, eine neue Perspektive aufzubauen.

Deshalb darf man nicht nur in Status-quo-Dimensionen denken. Das ist ein Oppositionsreflex, den ich übrigens noch von früher kenne. Er hängt damit zusammen, dass man als Opposition immer dann angesprochen wird, wenn sich ein Status quo verändern soll. Das Problem ist, diejenigen, die es fortentwickeln wollen, kommen meist zur Regierung. Insofern müssen sie sich immer die Frage stellen, wo sie die finanziellen Handlungsspielräume schaffen, um tatsächlich noch weitermachen zu können.

(Vereinzelter Beifall CDU und FDP - Wolf- gang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Spoorendonk?

Nein, gestatte ich nicht. - Diese Handlungsspielräume schaffen wir dadurch, dass wir sagen: Ja, wir werten die Einrichtung in Lübeck zu einem Fraunhofer-Institut mit einem Investitionsvolumen von knapp 40 Millionen € auf. Ja, wir werden das ISIT in Itzehoe mit einem Investitionsvolumen in Höhe von 30 Millionen € erweitern. Ja, wir werden den Erweiterungsbau für das IFM-GEOMAR - den man fast sehen könnte, wenn es nicht so schneien würde - mit einem Gesamtvolumen in Höhe von 90 Millionen € gegenüber auf dem Ostufer bauen. Ja, dieses Land schafft ein neues Leibniz-Institut,

zumindest in der Beantragung durch das Institut für Baltische Archäologie in Schleswig.

Die signifikante Veränderung zum Zustand von 2005 ist, dass es 2005 keine Weiterentwicklung der Wissenschaftslandschaft in Schleswig-Holstein gab. Die Neugründung von Instituten ist damals erst in Gang gekommen. Insofern geht es bei der Wissenschaftspolitik darum, nicht nur immer den Status quo zu beschreiben, sondern vor allem die Freiräume zu erarbeiten, die man braucht, damit dieses Wissenschaftssystems atmen, sich fortentwickeln und neue Arbeitsfelder aufbauen kann. Das ist die Politik der Landesregierung. Darum fordere ich uns auf, dass wir nach vorn diskutieren und nicht nach hinten blicken.

(Beifall bei CDU und FDP - Hans-Jörn Arp [CDU]: Wunderbar!)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich nunmehr dem Herrn Kollegen Dr. Andreas Tietze das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister de Jager, Sie sind ja immer sehr sachlich, aber mit der Vorbemerkung, die Sie zu dieser Großen Anfrage gemacht haben,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

dass Sie das parlamentarische Instrument einer Großen Anfrage als Kampfinstrument bezeichnen, haben Sie mich ziemlich enttäuscht. Das ist eine Missachtung des Parlaments und der Fraktionen, die dieses Instrument benutzen - egal, ob die Frage, die gestellt wird, aktuell ist oder nicht. Das steht Ihnen nicht an.

(Minister Jost de Jager: Doch, das steht mir an!)

- Nein. Sie wollen den Blick nicht nach hinten wenden, weil Ihnen klar war, dass in der Situation, in der Sie standen, die Hütte brannte.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Sie wollen nicht daran erinnert werden, Sie wollen sich nicht mit den Tatsachen auseinandersetzen. Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Sie sich mit Ihrer Politik über den heutigen Tag hinaus

(Minister Jost de Jager)

in der Hochschule, in der Wissenschaft und in der Wirtschaft in Lübeck bis auf die Knochen blamiert haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW - Zuruf von Mi- nister Jost de Jager)

Herr Minister, Zwischenrufe sind von der Regierungsbank nicht gestattet.

Die Antworten und Nichtantworten in der Großen Anfragen haben wir mit großem Interesse zur Kenntnis genommen.

Bei der Frage, vor der Sie standen, hat am Ende wahrscheinlich eine Excel-Tabelle der Haushaltsstrukturkommission politische Leitlinien vorgegeben, und Sie haben nicht vor Ort hingeschaut, wie die regionalökonomischen Effekte in Lübeck aussehen, wenn Sie durch die Wegnahme der Medizinstudienplätze in Lübeck die Medizintechnik gefährden. Das ist Wirtschaftsinkompetenz. Sie haben weder zu den Umsatzeffekten noch zur regionalen Wertschöpfung Auskunft gegeben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Der Vorschlag der Haushaltsstrukturkommission, die Medizinerausbildung in Lübeck zu beenden, entstand nach unserer Auffassung und Lesen der Großen Anfrage im völligen regionalökonomischen Blindflug.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Landesregierung und Sie als Minister geben mit der Antwort auf die Große Anfrage zu, dass Sie die Auswirkungen Ihrer Finanzentscheidung überhaupt nicht einschätzen konnten. Ich war gestern mit dem Kollegen Andresen auf der Veranstaltung der Uni Lübeck in der Hermann-EhlersStiftung. Dort konnten Sie sehen, wie die Struktur zwischen Medizintechnik, Medizinstudiengang und Forschung wirkt. Sie haben sehen können, dass gerade bei der minimalinvasiven Bildchirurgie ein Meilenstein in der medizinischen Forschung zu beobachten ist, in der chirurgischen Endoskopie, in der Entwicklung der Optik.

Wir haben zur Kenntnis genommen, dass mit einer Basisinnovationsförderung von 150.000 € für die

Firma, die sich dort engagiert hat, 40 Arbeitsplätze - 30 Doktorandenarbeitsplätze, zehn Technikerarbeitsplätze - in Lübeck entstanden sind und darüber hinaus durch Joint Venture mit Philips und anderen großen Firmen Arbeitsplätze entstehen werden. Das nenne ich wirtschaftliche Wirkung und wirtschaftliche Wertschöpfung in der Region.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im wahren Wirtschaftsleben hätte man spätestens jetzt die verantwortlichen Manager vor die Tür gesetzt, wenn sie sich so wirtschaftsfeindlich verhalten hätten, wie Sie es getan haben.

Sie haben das Vertrauen verspielt, und Sie haben mit dem Feuer gespielt, indem Sie die Hochschulmedizin in Lübeck infrage gestellt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Sich jetzt hinzustellen und zu sagen: „War ja alles nichts so schlimm, ist ja noch einmal gut gegangen“, ist ein Schlag ins Gesicht für die Leute, die das in Lübeck gar nicht witzig fanden.

Sie haben von „Dagegen-Partei“ gesprochen - was wäre denn gewesen, wenn es die Proteste vor der Haustür nicht gegeben hätte? Was wäre denn gewesen, wenn die Lübecker nicht so eindringlich hier vor der Haustür dagegen gewesen wären?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Das will ich mir nicht vorstellen.

Ich möchte zu unser aller Freude aus der Großen Anfrage zitieren. Das kann man in der Antwort auf unsere Große Anfrage zuhauf wiedererkennen. Frau Präsidentin, ich zitiere mit Verlaub:

„Ausreichend fundierte und detaillierte Daten, die hierzu eine tragfähige Aussage gestatten, liegen nicht vor.“

Es ging um direkte Umsatzeffekte. Oder:

„Fundierte Daten zu den indirekten Umsatzeffekten, die von der Universität Lübeck geniert werden, liegen nicht vor.“

Weiter:

„Fundierte Daten zu den Ressourcen von Forschung und Entwicklung für die Region sowie zu wirtschaftlichen Effekten für KMU in der Region liegen nicht in der gewünschten Detailliertheit vor.“

Man fasst sich an den Kopf. Ich kann noch weitermachen.

(Dr. Andreas Tietze)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist eine richtige Freude, aus Ihrem Bericht zu zitieren. Man fragt sich ja: Ist es Arbeitsverweigerung, oder haben Sie die Kompetenz in Ihrem Hause tatsächlich nicht?