Protocol of the Session on December 16, 2010

Für die CDU-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Sicherheitsbericht attestiert im Kern eine grundsätzlich stabile Sicherheitslage, weist aber auch deutlich auf Probleme hin. Ich will sie kurz skizzieren und eine Bewertung hinzufügen.

Der Anstieg der Zahl jugendlicher Intensivtäter auf etwa 950 ist besorgniserregend. Es gibt eine kleine, aber durchaus vorhandene Gruppe, der man mit den bestehenden Erziehungsmaßnahmen jedenfalls zeitweilig nicht beikommen kann. Das ist eindeutig die Quintessenz der Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss. Dies wird in dem Bericht auch deutlich angesprochen und dargelegt.

Es müssen Wege gefunden werden, um dem zu begegnen. Wie man dies nachher nennt - Beispiel Niedersachsen -, darüber kann man diskutieren. Der Sicherheitsbericht bringt aber deutlich zum Ausdruck, dass dies eine bedeutsame Problemgruppe ist.

Darüber hinaus wird in dem Sicherheitsbericht deutlich, dass der Anteil der Gewaltkriminalität an der Gesamtkriminalität gestiegen ist. Quer durch die Statistiken wird klar, dass es in unserer Gesellschaft einen Prozess des zunehmenden Nicht-Respekts und der Verrohung gibt. Dies wird besonders erkennbar an den Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt, die erheblich angestiegen sind.

In einer demokratischen Gesellschaft gibt es Normen, gegen die man nicht verstößt. Dazu gehört, dass man auf Gewalt verzichtet und dass man in einer Auseinandersetzung das Recht nicht bricht. Dieser Grundkonsens wird von Teilen jedoch infrage gestellt. Darüber müssen wir verstärkt sprechen.

Kollege Harms, Sie haben in einer Debatte vor einigen Wochen das Thema der Gewaltkriminalität bei deutschen und ausländischen Bürgern angesprochen. Die Zahlen beliefen sich auf rund 5.500 beziehungsweise knapp 1.000. In dem Bericht wird Auskunft darüber gegeben, dass der Anteil der Menschen mit anderer Staatsangehörigkeit in Schleswig-Holstein bei 8,9 % liegt. Daraus ergeben sich im Verhältnis der Gewichtung einige Folgerungen. Sie haben in Ihrem Redebeitrag dazu Stellung genommen.

(Silke Hinrichsen)

Der nächste Punkt bezieht sich auf die politisch motivierte Kriminalität. Diese ist in den vergangenen Jahren zum Teil um 200 % bis 300 % gestiegen. Das ist eine ganze Menge. Sowohl im Bereich Linksaußen als auch im Bereich Rechtsaußen haben sich ganz deutliche Anstiege gezeigt. Es muss uns gemeinsam mit Sorge erfüllen, dass politisch motivierte Kriminalität an den Rändern an Bedeutung gewinnt. Es muss unsere gemeinsame Aufgabe sein, dem zu begegnen.

Auch die Terrorgefahr ist angesprochen worden. Es gibt keine akute Gefahr in Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein liegt aber inmitten eines weltweiten Raumes. Auch Schleswig-Holstein ist nicht frei von Gefahren. Entsprechende Anschläge können jederzeit möglich sein. Das muss man klar sehen. Daraus ergeben sich gewisse Folgerungen für die Ernsthaftigkeit der sicherheitspolitischen Lage.

Darüber hinaus wurden die Internetkriminalität und die Möglichkeiten angesprochen, dem zu begegnen. Hierbei zeigt sich eine deutlich angestiegene Gefahr. Dies gilt natürlich nicht nur für Schleswig-Holstein. Ich denke, dass wir uns alle miteinander Gedanken darüber machen müssen, dass die Gefährdungsaufklärung zwingend notwendig ist. Wenn es möglich ist, Gefahren - unabhängig davon, ob sie für die Allgemeinheit oder für den einzelnen Menschen gelten - mit vorhandenen Daten besser zu begegnen oder gar zu verhindern, dann muss es auch möglich sein, darüber tabufrei zu sprechen. Das heißt, wir müssen auch offen über die Vorratsdatenspeicherung sprechen. Hierbei gibt es Gefahrensituationen, die wirklich besorgniserregend sind. Zum Teil können nicht einmal mehr vorhandene Kontakte und Verbindungen nachträglich aufgeklärt werden.

Herr Kollege Weber, Rockerkriminalität hat unser Land in starkem Maße beschäftigt, Sie persönlich natürlich nicht, aber mit Blick auf den Debattenbeitrag.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

- Das passt doch. Dann möchte ich das noch etwas ergänzen. Es bleibt eine hohe Gefahr in diesem Lande. Es kommt darauf an, dass wir den strukturellen Hintergrund angehen, also die Ursachen. Besonders muss in unserer Diskussion beachtet werden, dass hinsichtlich der Abschottung vom Staat eigene Regeln gegeben werden müssen. Dem muss dieser Staat, wie dieser Bericht zutreffend sagt, entschieden entgegentreten.

(Beifall des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

- Wir verstehen uns doch gelegentlich.

Meine Damen und Herren, das Thema der Sicherungsverwahrung entlassener Straftäter ist in dem Bericht genauso angesprochen; ganz aktuell. Dies ist ein ernstes Thema, bei dem Justizministerium, Sozialministerium und Innenministerium im Sicherheitsbericht zusammenwirken müssen. Wir wollen mit Zuversicht hoffen, dass das schwierige Problem ab Januar im Griff bleibt und gut gelöst wird. Die zusammenwirkenden Behörden haben das ihrige getan, um dies zu ermöglichen.

Der Beitrag des Parlaments zum Sicherheitsbericht ist der Etat 2011/2012. Dort haben wir festgelegt: Die Polizei ist weitgehend von Sparmaßnahmen ausgenommen. Die Polizei bleibt sachlich gut ausgestattet, bekommt das Notwendige. Es gibt sogar Beförderungen, vor allen Dingen im unteren Bereich; so haben wir das im Haushaltsbegleitgesetz formuliert. Insofern glaube ich, dass dieses Parlament einen akzeptablen und guten Beitrag in Übereinstimmung mit der Regierung geleistet hat.

Der 125-seitige Bericht ist eine informative, auch eine ansprechende Darstellung und eine Aussage zur Sicherheitslage in Schleswig-Holstein. Ich gehöre nicht zu denen, die die Verwaltung bei jeder Gelegenheit loben, aber ich möchte schon sagen: Es ist gut gewesen, dass der SSW diesen Antrag gestellt hat. Die Beantwortung war genauso ansprechend. In dem Sinne wünsche ich noch einen schönen Tag, falls ich nicht mehr reden sollte.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für einen weiteren Wortbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Kai Dolgner von der SPDFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie der Sicherheitsbericht in seinem Vorwort richtig ausführt, ist die Aussagekraft der reinen polizeilichen Kriminalstatistik begrenzt. Ein kommentierender und interpretierender Sicherheitsbericht ist deshalb auch richtig und notwendig. Der vorgelegte Sicherheitsbericht schwächelt aber genau an dieser Stelle, vor allem wenn vertiefende Erkenntnisse eigentlich schon vorliegen und man sie nur zusammenführen muss.

(Werner Kalinka)

Ich möchte das an dem eben schon diskutierten Beispiel der jugendlichen Intensivtäter deutlich machen. Laut Sicherheitsbericht hat sich in den letzten fünf Jahren die Zahl der jungen Intensivtäter verfünffacht. Nun soll genau diese Gruppe für zwei Drittel aller registrierten Straftaten dieser Altersgruppe verantwortlich sein. Wenn ich diese beiden Informationen jetzt mathematisch zusammenführe, würde das bedeuten, dass sich die Jugendkriminalität im Berichtszeitraum hätte verdreifachen müssen. Das kommt nicht dabei heraus, denn fünf mal zwei Drittel sind Dreieindrittel, um genau zu sein. Nun sind aber die registrierten Straftaten junger Menschen im Berichtszeitraum sogar leicht zurückgegangen. Das kann doch nicht nur mir aufgefallen sein. Auch der Kollege Vogt konnte das mathematisch komplett nachvollziehen.

(Christopher Vogt [FDP]: Genau!)

Also, das kann doch nicht nur mir aufgefallen sein, dass da irgendwas nicht stimmig ist.

Ich habe mir daraufhin einmal die Antwort auf die Anfrage des Kollegen Lehnert, der jetzt leider nicht da ist, aus dem letzten Jahr angeguckt. Danach ist die Zahl der Intensivtäter in der Polizeidirektion Lübeck mit 274 fast dreimal so hoch wie bei der Polizeidirektion Kiel. Wenn also die Intensivtäter wirklich für zwei Drittel aller Straftaten im Bereich der Jugendkriminalität verantwortlich sein sollten, dann müsste ja die Jugendkriminalität in Lübeck doppelt so hoch sein wie in Kiel.

Was wären die Ursachen dafür? Ist kindlicher Marzipankonsum ein Risikofaktor für eine spätere kriminelle Karriere?

(Christopher Vogt [FDP]: Rot-Rot-Grün! - Heiterkeit)

Als gebürtiger Lübecker macht man sich da schon seine Sorgen.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kalinka?

Aber natürlich.

Herr Kollege, ist Ihnen aus der Anhörung des Innen- und Rechtsausschusses bekannt, dass im Land die Statistiken zum Teil unterschiedlich geführt wurden und daraus die verschiedenen Zahlen resultieren?

- Herr Kollege Kalinka, ich bin Ihnen sogar außerordentlich dankbar für diese Frage. Das ist mir bekannt; ich komme gleich auch noch darauf zu sprechen. Aber Sie haben eben mit dieser Statistik argumentiert, mit den über 900 Intensivtätern, und haben Schlüsse daraus gezogen.

(Werner Kalinka [CDU]: Ist doch logisch!)

Aus der Anhörung des Innen- und Rechtsausschusses kann man feststellen, dass die Statistik schlicht nicht belastbar ist. Hören Sie genau zu. Die Kriminalitätsrate bei Jugendlichen ist in Lübeck nicht höher als in Kiel. Wenn Sie meinen Redebeitrag noch einmal nachlesen, werden Sie feststellen, dass sich diese Informationen eindeutig widersprechen.

Um noch einmal zu dem zurückzukehren, was Sie eben gesagt haben: Wenn sich die Zahl der Intensivtäter in Schleswig-Holstein in den letzten fünf Jahren wirklich verfünffacht hätte und diese wirklich - das steht in demselben Bericht - für zwei Drittel aller Straftaten von Jugendlichen, nicht eingeschränkt auf einen Straftatenbereich, verantwortlich wären, dann müssten wir einen mathematisch signifikanten, dreifachen Anstieg der Tatzahlen haben. Den haben wir aber nicht.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Erst eine intensive Nachfrage meinerseits im Ausschuss brachte es auch ans Licht. Denn weil ich mir diese Überlegungen gemacht habe, musste im Ausschuss zugegeben werden, dass die Erfassungsmodalitäten in Lübeck und Kiel schlicht und ergreifend andere sind, obwohl sie sich auf dieselbe Anordnung des Ministeriums beziehen. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Immerhin werden die Intensivtäterzahlen vielfältig in den Diskussionen um den richtigen Umgang mit der Jugendkriminalität genutzt. Das haben wir eben auch wieder gesehen.

In Niedersachsen sind übrigens nur 92 Intensivtäter registriert. Das sind gerade 10 % von SchleswigHolstein. Auch ohne groß nachzuzählen, kommt man eigentlich darauf, dass die Zahl der Jugendlichen in Niedersachsen erheblich höher ist als hier. Das ist nur ein Beispiel, in dem der Sicherheitsbericht hätte ausführlicher und methodisch sicherer sein können.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Minister Klaus Schlie)

- Herr Minister Schlie, ich gehe jetzt einmal auf den Zwischenruf ein, auch wenn er von der Regierungsbank kam. Es ist ein wenig hilfreicher Zwischenruf und überhaupt kein Sachargument, dass es ein sozi

(Dr. Kai Dolgner)

aldemokratischer Innenminister war, der diese unzureichenden Kriterien aufgestellt hat. Ändert das etwas daran, dass die Kriterien unzureichend sind? Soll es etwa etwas daran ändern, dass ich als Sozialdemokrat das kritisiere, wenn es auffällt? - Okay.

Ein gutes Beispiel dafür, wie es auch gehen kann, findet sich im Jugend-Task-Force-Bericht. So klärt er einen scheinbaren Widerspruch auf, warum die erfassten Gewaltund Rohheitsdelikte an Schulen leicht gestiegen sind, der Anteil an Schülerinnen und Schülern aber, die bei Dunkelfelduntersuchungen angaben, Opfer einer Körperverletzung oder eines Raubes - die klassischen Rohheitsdelikte - geworden zu sein, von 1998 bis 2008 in Kiel spürbar gesunken ist. Das ist ja komisch. Das ist aber nur ein scheinbarer Widerspruch. Blättert man eine Seite weiter, stellt man fest, dass der scheinbare Anstieg der Rohheitsdelikte an der Schule darauf beruht, dass 1998 nur jede fünfte Körperverletzung und 2008 jede vierte Körperverletzung an Kieler Schulen zur Anzeige gebracht worden waren.

Ich möchte es jetzt aber vermeiden, bewusst oder unbewusst missverstanden zu werden. Ich habe diese Beispiele nicht genant, um das Problem verfestigter krimineller Karrieren oder Gewalttätlichkeiten auf den Schulhöfen zu verharmlosen. Die absoluten Zahlen sind immer noch viel zu hoch. Es muss aber jedem, der mit diesen Zahlen umgeht, klar sein, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik halt nur das Hellfeld abbildet und nur einer von vielen Indikatoren für die wahren Verhältnisse sein kann. So kann zum Beispiel schon der massiv vermehrte Einsatz von Fahrkartenkontrolleuren die erfasste Kriminalitätsrate von Jugendlichen massiv steigern, obwohl die Schwarzfahrten real in einem solchen Fall sogar eher zurückgehen dürften, wenn auf einmal jeden Tag die Kontrolleure kommen, was jeder von Ihnen sicherlich auch leicht nachvollziehen kann; außer vielleicht die ganz Hartgesottenen, aber das sind ja nicht so viele, wie ich gerade ausgeführt habe.

Wenn wir uns also Gedanken über mögliche Konsequenzen von Sicherheitsberichten unter anderem im Jugendrecht und in der Sozialpolitik machen, müssen diese Sicherheitsberichte möglichst nahe an der Wirklichkeit sein. Sie sollten, wo immer möglich, plausible Erklärungen für statistisch dokumentierte Veränderungen bieten, damit möglichst wenig Raum für fachlich fragwürdige, politische Interpretationen der Kriminalstatistiken bleibt.

(Beifall bei SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Jens-Uwe Dankert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jugendkriminalität, Rockerkriminalität, Gewalt gegen Polizeibeamte und Sicherungsverwahrung, das waren zentrale Themen der Innenministerkonferenz im vergangenen Monat in Hamburg. Das sind nur einige der zahlreichen Komplexe, die der uns vorgelegte Sicherheitsbericht der Landesregierung für den Zeitraum 2004 bis 2009 aufgreift. Für dieses aktuelle, inhaltsreiche und vor allem praxistaugliche Werk möchte ich Ihnen, Herr Minister Schlie, ausdrücklich danken, auch was die Mitarbeit der anderen Ministerien betrifft. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei FDP und CDU)