Protocol of the Session on September 8, 2010

Erklären Sie uns doch bitte schön, warum Sie dem Landesfrauenrat 33.000 € streichen. Was hat das

denn mit Haushaltssanierung zu tun? 33.000 €! Sie wollen offensichtlich einfach ein Zeichen setzen. Sie setzen das Zeichen, dass Ihnen Frauenpolitik, dass Ihnen Frauenförderung egal ist, dass Ihnen Frauenpolitik sogar ein Dorn im Auge ist. Sie zerschlagen einfach eine Struktur, die Ihnen nicht genehm ist. Pure Ideologie und nichts anderes ist hier am Werk.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie kürzen bei den Frauenberatungsstellen, Sie kürzen bei den Frauenhäusern. Hier wird Ihre Politik konkret. Sie trauern offensichtlich noch immer den Zeiten hinterher, in denen Frauen ohne Einverständnis ihrer Männer keinen Beruf ergreifen konnten.

Ein Rollback in der Frauenpolitik, das ist Ihr Ziel.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir uns die Kürzungen im Landeshaushalt anschauen, so sind fast überall vor allen Dingen Frauen betroffen. Ich spreche jetzt einmal die Frauen der „übergangsregierungstragenden“ Fraktionen an: Das sollten Sie hinterfragen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und Sie, Herr „Übergangsfinanzminister“, bringen es fertig, die Wirtschaftspolitik von Rot-Grün beziehungsweise der Sozialdemokratie für die Finanzmisere verantwortlich zu machen, als wäre Schleswig-Holstein allein mit seiner bedrückenden Schuldenlast. Nein, fast alle anderen Bundesländer sind auch in schwierigen fiskalischen Problemlagen. Die Kommunen sind es erst recht, andere Länder der Europäischen Union und der OECD ebenfalls. Dann sagen Sie auch noch, dass Schleswig-Holstein nach 1990 wirtschaftlich hinter andere Bundesländer zurückgefallen sei. Ich sage Ihnen: Umgekehrt wird ein Schuh daraus.

Nun bin ich ja nicht hier, um die damalige Engholm-Regierung zu verteidigen; aber diese hat uns nach 37 Jahren CDU-Regierung Optionen eröffnet, sie hat die mangelnde Kinderbetreuung zumindest erstmals als Problem begriffen. Sie hat ein zartes ökologisches Pflänzchen gesetzt. Sie hat uns von der CDU-Stagnation unter Barschel befreit. Sie hat zumindest bescheidene Impulse in Richtung Gleichberechtigung gesetzt. Seitdem haben wir wenigstens einige Gesamtschulen, die die Durchlässigkeit des Bildungssystems erhöhen. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, nicht mehr war das, aber

(Ulrich Schippels)

immerhin ein Tropfen und damit schon viel mehr als die Wüste unter Barschel.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Kurskorrektur hat geholfen, Schleswig-Holstein ein wenig menschenfreundlicher zu gestalten. Letztlich hat es damals auch Rot-Grün nicht vermocht zu verhindern, dass Schleswig-Holstein in vielen Bereichen in Westdeutschland immer weiter die rote Laterne trägt. Heide Simonis war einst angetreten, die Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein unter den westdeutschen Durchschnitt zu drücken. Das ist bis heute nicht gelungen. Im Bereich der Kita-Versorgung sind wir weiter Schlusslicht. Im Bildungsbereich liegen wir im Vergleich zu anderen Bundesländern hinten.

Das Institut für Weltwirtschaft, nicht unbedingt mein Haus- und Leibinstitut, fasst die neuere wirtschaftliche Entwicklung des Landes so zusammen - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin, und zwar weil ja die Wirtschaft das Fundament der Finanzen ist -: In Schleswig-Holstein - in stärkerem Maße als im Bundesdurchschnitt und entgegen der Entwicklung in Hamburg - ist

„hochwertige Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe durch relativ geringwertige Beschäftigung in den Dienstleistungsbranchen ersetzt worden … Ein Zuwachs an höherwertigen Dienstleistungen, der den Verlust hochwertiger Industriebeschäftigung hätte auffangen können, hat hier nicht in ausreichendem Maß stattgefunden. Eine gesamtwirtschaftliche Folge dieses Strukturwandels sind daher relative Einkommensverluste und eine Abkopplung von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung in Deutschland. Damit werden für Schleswig-Holstein die knapper gewordenen, hochwertigen Industriearbeitsplätze umso wertvoller. Eine weitergehende Deindustrialisierung des Landes würde nach dem bisherigen Verlauf des Strukturwandels ohne Kompensation durch hochwertige Dienstleistungsbeschäftigung zusätzliche Einkommensverluste nach sich ziehen.“

Soweit das Zitat aus den Kieler Beiträgen des letzten Jahres zur Wirtschaftspolitik.

Diese Fehler, diese hier beschriebene Politik, setzen Sie fort. Sie freuen sich über Call-Center in Flensburg und stellen nicht die notwendigen Mittel für die Werftenhilfe zur Verfügung. So sanieren Sie den Haushalt nicht, so fahren Sie ihn weiter an die Wand.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme jetzt zu einigen Einzelplänen. Zu dem geplanten Personalabbau habe ich schon gesprochen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, wohin die Reise geht. 10 % der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollen weggekürzt werden, übrigens die meisten im Bildungsbereich. Dazu später mehr.

Abgesehen von dem Signal, dass man locker auf so viele Leute verzichten kann, was ja auch heißt, sie arbeiten gar nicht nützlich, fallen hierbei tatsächlich auch Kosten an. Das ist klar. Das Einsparpotenzial liegt bei 352 Millionen €. Dem stehen Kosten durch den Wegfall von Arbeitsplätzen in Höhe von circa 106 Millionen € gegenüber, Kosten eben für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit.

Hinzu kommt der Ausfall bei der Einkommensteuer auf diese Stellen und ein dem Einkommensverlust entsprechender Abbau der Mehrwertsteuereinnahmen. Auch die Kaufkraft sinkt. Dienstleistungen werden nicht mehr in Anspruch genommen. So kommt es zu weiterem Arbeitsplatzabbau und Umsatzeinbußen. Darüber hinaus soll ein eigenes zentrales Personalmanagement eingerichtet werden. Auf Deutsch: Hier entstehen zusätzliche Kosten.

Bei der Finanzverwaltung sollen 300 Stellen gestrichen werden. Das ist unrealistisch. Das wissen Sie selbst. Viele Finanzämter sind weitgehend durchrationalisiert. Bereits jetzt werden Steuererklärungen nur noch dann durchgerechnet, wenn sich auf den ersten Blick grobe Fehler zeigen. Außerdem ist die Finanzverwaltung in Schleswig-Holstein sehr erfolgreich. Auf eine Anfrage meiner Fraktion wurde vor Kurzem geantwortet: In allen Jahren seit 2005 ist die Finanzverwaltung unterbesetzt geblieben. Im Jahr 2006 blieben 211 Planstellen unbesetzt, 2010 immerhin noch 113 Stellen. Die Steuermehrergebnisse aus den Prüfungen stiegen kontinuierlich von 260 Millionen € im Jahr 2005 auf immerhin 368 Millionen € im Jahr 2009. Fast 77 % dieser Mehrergebnisse wurden durch Prüfung von Großbetrieben erbracht. Der Anteil der Gewerbesteuer an den erbrachten Mehrergebnissen - da freuen sich die Kommunen - hat sich kontinuierlich von 18 % auf über 27 % erhöht. Jeder Betriebsprüfer, jede Betriebsprüferin hat 2009 durchschnittlich fast 1 Million € an Mehrergebnis eingebracht, jeder Steuerprüfer, jede Steuerprüferin fast eine halbe Million €.

Und was machen Sie? - Mit der Steuerfahndung zusammen soll nun ein mobiles Sachgebiet aufgebaut werden. Dies wird mit Sicherheit höhere Kosten als bisher erzeugen, und zwar Koordinierungskosten.

(Ulrich Schippels)

Darüber hinaus ist bei der Steuerfahndung bereits ein unheilbares Nachwuchsproblem erzeugt worden. Jahrelang wird die Ausbildung heruntergefahren. Schon jetzt ist klar, dass es für die Altersabgänge in Schleswig-Holstein nicht genug Nachwuchs gibt.

Die Steuerfahndung ist eine wichtige Stellschraube bei der Erreichung von Steuerzielen. Nutzen Sie die Steuerfahndung endlich richtig!

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Lars Harms [SSW])

Im Justizbereich gehe ich nicht einmal auf die geplante Schließung von Haftanstalten ein. Ich halte die geplante Privatisierung der Gerichtsvollzieher auch juristisch für höchst problematisch. Gerichtsvollzieher verfügen bei Vollstreckung von Gerichtsurteilen über Zwangsmittel, die tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Die Ausübung solcher Zwangsmittel durch Private untergräbt das staatliche Gewaltmonopol. Es geht um verfassungsmäßige Aufgaben, die nicht an Private weitergegeben werden dürfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Rechtsbeihilfe und die Prozesskostenhilfe sollen stark eingeschränkt werden. Ärmere werden dadurch künftig vor Gericht nicht mehr klagen können, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Recht haben und Recht bekommen wird zunehmend eine Frage des Geldbeutels werden. Begründet wird diese Einschränkung damit, dass zu viele Verfahren auflaufen. Gerade die verkorkste Gesetzgebung von Rot-Grün, die Sie weiter verkorksen, hat zu einer Flut von Klagen in Sachen Hartz IV geführt. Jetzt die Prozesskostenhilfe abzusenken, wäre ein weiterer Meilenstein in der Entrechtung großer Teile der Bevölkerung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Landesregierung scheint sich aber derart panisch in die Schuldenfrage verrannt zu haben, dass sie vor nichts, aber auch vor gar nichts zurückschreckt. Das gilt auch für die Einstellung der Übernahme für die Schülerbeförderung. Zu erinnern ist daran, dass man den Eltern die Schließung der Zwergschulen mit dieser Kompensationsmaßnahme schmackhaft gemacht hat. Für 7 Millionen € ist nun alles Schnee von gestern. Minister Klug hat einmal, als er noch nicht Minister war, in diesem Zusammenhang von Schulgeld gesprochen. Recht hat er! Offensichtlich ist es in SchleswigHolstein aber ein ehernes Gesetz, dass die Land

tagsfraktionen mit der Regierungsübernahme wesentliche Positionen wechseln.

Jede Kürzung im Bildungsbereich ist kontraproduktiv. Deutschland hat bedenklich geringe Bildungsausgaben pro Kopf in Europa und lebt bildungspolitisch von der Substanz, Schleswig-Holstein erst recht. Nirgendwo in der Bundesrepublik erhalten Kinder unter sechs Jahren weniger Förderung als in Schleswig-Holstein. Im Jahr 2007 gab das Land nicht einmal 2.000 € pro Kind und Jahr für die Kinderbetreuung aus. Doch statt jetzt in die Zukunft der Kinder und damit des Landes zu investieren, streicht die Landesregierung das kostenfreie dritte Kindergartenjahr, das ist skandalös.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Schulbereich soll ein Großteil der insgesamt 5.300 Landesbediensteten eingespart werden, bis 2020 circa 3.650 Stellen. Diese Einsparmöglichkeit wird als demografischer Gewinn bezeichnet, schließlich gebe es zukünftig weniger Kinder, deshalb könnte hier gespart werden. Was für eine Argumentation! Ihre kinderfeindliche Politik - schon dafür sollten Sie abgewählt werden

(Beifall bei der LINKEN)

sorgt dafür, dass die Geburtenrate auf einen historisch niedrigen Stand abfällt, und dann wird der demografische Gewinn eingefahren, dann wird das Bildungssystem heruntergefahren - was für ein Armutszeugnis!

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen Sie sich doch an, was in den Schulen los ist, wie groß die Klassen sind, wie hoch der Unterrichtsausfall ist, wie genervt die Lehrerinnen und Lehrer angesichts der Überforderung, der politisch verursachten Überforderung sind! Wenn Sie dagegen protestieren, wird der Knüppel herausgeholt, wird der Obrigkeitsstaat herausgeholt. Herr Stegner hat zu Recht das Bild von der Pickelhaube benutzt, Herr Klug.

Die Wahl zwischen G8 und G9 an einer Schule ist ein Schildbürgerstreich. Das wissen Sie selbst. Inzwischen werfen sich die Regierungsfraktionen gegenseitig vor, dafür verantwortlich zu sein. Das Geld dafür wird aber weiter aus den Schulfenstern herausgeworfen.

(Heike Franzen [CDU]: Quatsch!)

Nicht akzeptabel ist die Kürzung der Zuschüsse für die Schulen der dänischen Minderheit auf 85%. Der SSW wird dazu gleich die passenden Worte finden. Kürzen Sie nicht bei der Erwachsenenbil

(Ulrich Schippels)

dung! Lebenslanges Lernen ist angesagt und nicht Kürzung bei den Volkshochschulen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Anke Spoorendonk [SSW])

Schleswig-Holstein - das wissen Sie so gut wie ich - hat keine Rohstoffe, zumindest nicht viele, und die Einnahmen aus den Erdölfeldern gehen auch schon zurück, wie ich den Haushaltsdaten entnehmen konnte. Investieren Sie in das, was uns auszeichnet, investieren Sie endlich in kluge Köpfe!

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen ist auch im Hochschulbereich der Kahlschlag programmiert. Ich möchte hier nichts zur Medizinischen Fakultät in Lübeck sagen. Was für ein Trauerspiel! Jetzt wird sang- und klanglos das Ziel aufgegeben, 9.000 neue Studienplätze in Schleswig-Holstein einzurichten. Das kostet ja Geld. Stattdessen bettelt Schleswig-Holstein bei anderen Bundesländern, sie mögen doch Studienplätze übernehmen. Wie armselig!

(Beifall bei der LINKEN)