Protocol of the Session on September 8, 2010

Ich weise noch darauf hin, dass nach § 51 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist.

Wer die Dringlichkeit bejaht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.

(Dr. Robert Habeck)

Ich lasse nun über den Dringlichkeitsantrag der Fraktionen von CDU und FDP, Drucksache 17/850, abstimmen.

Auch hier gilt das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Wer die Dringlichkeit bejaht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.

Wir setzen nun die Haushaltsdebatte zu den Tagesordnungspunkten 4, 6, 7, 41 und 48 fort.

Gemeinsame Beratung

a) Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/590

Bericht und Beschlussempfehlung des Finanzausschusses Drucksache 17/825

b) Erste Lesung des Entwurfs eines Haushaltsgesetzes zum Haushaltsplan 2011/2012

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/740

c) Erste Lesung des Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes zum Haushaltsplan 2011/2012

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/741

d) Zukunft finanzieren - Steuereinnahmen steigern

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/588 (neu)

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/647

Bericht und Beschlussempfehlung des Finanzausschusses Drucksache 17/826

e) Finanzplan des Landes Schleswig-Holstein 2010 bis 2014

Bericht der Landesregierung Drucksache 17/803

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Abgeordneter Ulrich Schippels.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Danke für das Mikrofon. In Schleswig-Holstein gibt es pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner 25,9 Staatsdienerinnen und Staatsdiener. Damit arbeiten bei uns im Land proportional im Vergleich zu allen anderen Bundesländern am wenigsten Menschen in den Verwaltungen. Im bundesweitem Durchschnitt liegt der Anteil bei 29,4 %.

Ich wundere mich nicht, dass Sie, Herr Wiegard, diesen Tatbestand einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Sie als Mitglied einer Übergangsregierung und Ihre Stichwortgeber vom Landesrechnungshof zeichnen ja ein anderes Bild. Sie sagen, die Verwaltungen seien aufgebläht. Wir haben es heute wieder von Ihnen, Herr Minister Wiegard, gehört. Sie sagten, die Verwaltungen seien ineffektiv. Wir müssten verschlanken, wir müssten Aufgaben reduzieren, und die Arbeitskosten müssten weiter gesenkt werden.

5.300 Stellen - 10 % - sollen gestrichen werden. Es ist fast ein Viertel aller aus dem Beschäftigungsverhältnis Ausscheidenden, die nicht ersetzt werden. Die Zahl der Auszubildenden und die Zahl der Übernahmen werden entsprechend angepasst. 1985 wurden noch 1.305 Ausbildungsverträge im öffentlichen Dienst in Schleswig-Holstein abgeschlossen. 2008 waren es nur noch 426 - Tendenz weiter stark fallend. Den Personalräten die Sitzungsgelder zu streichen und nur noch auf 300 statt zuvor auf 200 Mitarbeiter einen Personalrat freizustellen und die Schulungs- und Fortbildungsmöglichkeiten zurückzunehmen, all das ist eine Politik, mit der der öffentliche Dienst politisch herabgewürdigt wird.

Mehrarbeit für Lehrerinnen und Lehrer, Verlängerung der Lebensarbeitszeit für Polizistinnen und Polizisten, Erhöhung der Zuzahlung bei Krankheit für alle Beamten, Streichung der Jubiläumsgratifikation - das alles passt in Ihr ideologisches Konzept: privat gut, öffentlich schlecht.

(Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht)

Was glauben Sie denn, Herr Minister, was mit einer solchen Sicht auf die Verwaltung erreicht wird? Steigt etwa die Arbeitsmotivation bei den Beschäftigten, oder sinkt sie nicht vielmehr eher? Führt dies zu effektiverem Arbeiten, oder führt dies nicht eher zu einer Egal-Haltung?

Was glauben Sie denn, wie die Menschen in den Verwaltungen reagieren, wenn dann auch noch Neu- und Umstrukturierungen ins Haus stehen? Jede Veränderung in der Verwaltung steht und fällt mit der Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, den Prozess der Neuorganisation auch positiv zu begleiten und Anregungen zu geben sprich: den Prozess mitzugestalten. Was glauben Sie, was in Schleswig-Holstein passiert unter den jetzigen Bedingungen? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen dicht, weil sie sich nicht selbst ihren Arbeitsplatz wegrationalisieren wollen. Sie unterstützen die - bisweilen auch notwendige - Diskussion über Umstrukturierungen nicht, weil sie wissen, dass das immer auf ihre Kosten geht. Das ganze Projekt läuft damit zwangsläufig gegen die Wand.

Veränderungen lassen sich nur mit den Menschen durchsetzen, nicht gegen sie. Vielleicht vergisst man ja diese Erkenntnis, wenn man zu lange hier im Landtag sitzt. Fragen Sie einmal bei Ihrer Basis nach! Sie wird es Ihnen erzählen. Begreifen Sie endlich: Die Beschäftigten des Landes kosten nicht nur Geld, sie sind auch eine Chance. Begreifen Sie endlich, dass die Menschen in diesem Land auf eine gute Verwaltung, auf motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung, angewiesen sind, und zwar überall, in den Katasterämtern und bei der Polizei, in den Finanzämtern und in den Krankenhäusern.

(Beifall bei der LINKEN)

Gut ausgebildete Angestellte, gut ausgebildete Beamte brauchen auch regelmäßige Fortbildung. Einsparungen in diesem Bereich - davon gibt es in Ihrem Entwurf offensichtlich viele - sind kontraproduktiv. Sie kosten letztlich mehr, als sie einbringen.

Meine Damen und Herren von der schwarz-gelben Übergangsregierung, zumindest dieses Einmaleins der Privatwirtschaft, die nämlich in die Fortbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investiert, sollten Sie sich zu Herzen nehmen. Sprechen Sie doch einmal mit den Vertretern der Arbeitgeberverbände darüber. Sie treffen sich ja oft genug.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Wiegard, den Vogel schießen Sie ab, wenn Sie - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus dem Finanzplan, Seite 58 - eine „deregulierte schlanke Verwaltung“ anstreben. Eine deregulierte, schlanke Verwaltung? Was soll das, bitte schön, sein? Verwaltung ist da, um zu regulieren und nicht um zu deregulieren. Wenn die Verwaltung dereguliert wird, so ist das keine Verwaltung, sondern ein Minimalstaat mit freier Wirtschaft, und das bedeutet für die Mehrheit der Bevölkerung einen erbärmlich niedrigen Lebensstandard. Akzeptieren Sie doch einmal: In Schleswig-Holstein arbeitet die Verwaltung effektiv und trotz aller Nackenschläge der Vergangenheit vonseiten der Politik - Stichwort Weihnachtsgeld, Stichwort Arbeitsverdichtung auch immer noch motiviert.

Erheben Sie sich doch einmal von den gemütlichen Sesseln hier im Landtag und schauen Sie sich den Alltag einer Krankenschwester in der Uniklinik Kiel an. Arbeitsverdichtung und Arbeitsplatzabbau, Unterbesetzung, Hetzen von einem Patienten zum nächsten, eine hohe psychische Belastung durch den Arbeitsdruck. Es bleibt kaum noch Zeit für eine menschenwürdige Pflege der Kranken. Dazu Wochenendschichten, Überstunden, schlechte Bezahlung. Das ist der Alltag in unseren Krankenhäusern. Dort arbeiten die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger unseres Landes, nicht in den Vorstandsetagen der HSH Nordbank und auch nicht hier in unserer Runde.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Apropos Krankenhäuser: Wo ist denn der Aufschrei dagegen geblieben, dass Schleswig-Holstein beim Basisfallwert jetzt weiter benachteiligt werden soll, weiterhin Schlusslicht bleiben soll? Das UK S-H, das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, weist zu Recht immer wieder darauf hin, dass es Gewinne machte, würde es nicht durch die niedrigen Basisfallwerte diskriminiert. In allen anderen Ländern wird pro Krankem mehr bezahlt. Wenn Sie einmal etwas Sinnvolles für Schleswig-Holstein tun wollen - Herr Carstensen, viel Zeit haben Sie und Ihre schwarz-gelbe Übergangsregierung ja nicht mehr -, dann sorgen Sie dafür, dass dieser Unfug in Berlin endlich ein Ende findet.

(Beifall bei der LINKEN)

Also Hände weg vom UK S-H. Privatisierungen führen zu weiterem Arbeitsplatzabbau und zu Arbeitsverdichtung, führen zu schlechteren Löhnen und schlechterer Motivation.

(Ulrich Schippels)

Eine falsche Gesundheitspolitik trifft übrigens nicht Sie auf der Regierungsbank, trifft nicht uns. Ihre falschen Entscheidungen haben vor allem für die gesetzlich Versicherten, für die Kranken, verheerende Folgen. Gesundheit ist keine Ware, Gesundheit ist und bleibt ein Menschenrecht, und zwar für alle und nicht nur für Privatpatienten. Dafür treten wir ohne Wenn und Aber ein.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie auf der Regierungsbank haben meiner Meinung nach nicht das Recht, jetzt das soziale Netz von Vereinen, Verbänden und Initiativen mit der Abrissbirne zu zertrümmern. Sie haben kein Recht dazu, weil Sie keine Mehrheit haben.

(Vereinzelter Beifall bei der LINKEN)

Wir befinden uns in einer Staatskrise. Das Landesverfassungsgericht hat uns bestätigt, dass wir alle auf Abruf hier sind. Wir sind aufgrund eines verfassungswidrigen Landeswahlgesetzes hier. Nach dem Debakel um Husum 3 - auch das war völlig unnötig -, nach der verkorksten und verkürzten letzten Legislaturperiode nun auch noch das! Nehmen Sie auch in den Haushaltsberatungen endlich zur Kenntnis, dass Sie nicht die Mehrheit der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner vertreten. Sie hatten schon am 27. September 2009 keine Mehrheit für Ihre Politik, und jetzt haben Sie sie schon gar nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie, meine Damen und Herren der regierungstragenden Fraktionen, haben vielleicht das juristische Recht, den Sozialstaat in Schleswig-Holstein mit der Keule zu zertrümmern, Sie haben aber nicht das ethische, Sie haben nicht das moralische Recht dazu.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies werden Sie heute nicht nur von mir und von der übrigen Opposition hören, sondern auch auf der Straße, vor dem Landtag. Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Attac und viele Initiativen sagen Nein zu Ihren Kürzungsvorhaben. Wenn Sie so weitermachen, garantiere ich Ihnen: Die heutigen Proteste sind erst der Anfang.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Erklären Sie uns doch bitte schön, warum Sie dem Landesfrauenrat 33.000 € streichen. Was hat das