Protocol of the Session on September 8, 2010

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Habeck.

Herr Kubicki, stellen Sie das doch bitte einmal als Frage, sonst komme ich mit meiner Redezeit nicht hin, wenn ich darauf eingehe. Ich würde mich aber freuen, wenn Sie mir diese Frage am Mikrofon stellen würden, dann läuft nämlich die Uhr nicht weiter.

(Christopher Vogt [FDP]: Nein, wir wollen Sie nicht noch länger ertragen!)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir - jedenfalls wir Grünen - haben frühzeitig angeboten, in der Haushaltsstrukturkommission mitzuarbeiten. Auch das haben Sie abgelehnt.

(Zurufe von der CDU)

- Sie verstehen das nicht? - Ich habe doch die ganze Zeit versucht, so etwas wie analytische Klarheit zu schaffen. Ich weiß gar nicht, woher die Aufregung kommt. Ich frage mich noch einmal: Wie dumm kann man sein, was kann eigentlich einer Regierung Besseres passieren, als dass die Opposition anbietet, sich angreifbar zu machen und Verantwortung zu übernehmen? - Und wieder waren es Arroganz und Hochnäsigkeit, die das Schiff SchleswigHolstein in diese Schieflage gebracht haben. Indem Sie unser Angebot ausgeschlagen haben, haben Sie sich für einen einseitigen, unsozialen und letztlich unpolitischen Kurs entschieden. Denn darüber reden wir hier doch. Wir haben die „I-have-a-dreamRede“ von Herrn von Boetticher, aber letztlich machen wir doch heute nicht Politik, wir machen Buchhalterei. Und das erleben wir als einmalige Vorstellung, weil es so weit gekommen ist, dass wir nicht gestalten, sondern blind zusammensparen, auf den falschen Grundlagen. Deshalb ist die Einbringung des Haushalts gleichzeitig die Abschiedsrede dieser Regierung - ein einmaliger Vorgang.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und SSW)

Wenn man ein Lehrbuch schreiben will, wie man es schafft, ein ganzes Land vor den Kopf zu stoßen und gegen sich aufzubringen, muss man nur die Bi

lanz dieser Regierung auf den Kopierer legen. Das Glücksspielmonopol - wir brauchen es gar nicht mehr, die FDP hat es doch schon längst gepachtet. Sie zockt mit den Existenzängsten der Menschen. Und wo ich gerade dabei bin: Vielleicht verraten Sie mir einmal, Herr Kubicki und Herr von Boetticher, wer eigentlich das Honorar von Boris Becker und Rainer Callmund bezahlt hat, als sie für Ihren Gesetzentwurf hier Häppchen gegessen haben. Nicht, dass die privaten Glücksspielanbieter auch noch ein „Champagner-Gesetz“ sponserten, von dem sie selbst profitieren.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

- Ja, Herr von Boetticher. Das ist doch eine klare Frage. Wer hat Boris Becker bezahlt? Ist er für lau gekommen? Die Presse ist da, erklären Sie es einfach. Damit würde allen geholfen werden. Das ist ein Satz. Sagen Sie es!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber immer dieses Rumgenuschel und dieses „Das stimmt doch alles gar nicht“! Das ist wirklich anstrengend zu ertragen. Ich stelle doch konkrete Fragen und rede hier nicht gegen Bäume. Dann stehen Sie doch bitte auf und antworten darauf! Wenn die Antworten falsch sind, ist das auch keine Schande, aber immer nur keine Antworten zu geben, ist wirklich anstrengend.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Wir sind hier nicht im Theater!)

Ihr müsst einfach raus aus eurer Scheinwelt aus Glücksspiel und Eliten. Das Letzte - das kann ich wohl sagen -, was dieses Land braucht, sind noch mehr „Champagner-Boys“.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, wir haben turbulente Tage hinter uns. Es ist die Frage aufgeworfen - und sie schwingt mit -, ob der Landtag noch legitimiert ist, diesen Haushalt zu verabschieden. Nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts, des höchsten Gerichts, das wir im Land haben, ist der Landtag - ich zitiere - „in verfassungswidriger Weise zusammengesetzt“.

(Zurufe des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kubicki, nun warten Sie doch einmal ab! Diese Ungeduld ist wirklich manchmal schwer zu ertragen. Die Frage ist: Ist ein in verfassungswidriger Weise zusammengesetzter Landtag verfas

sungswidrig? - Jeder vernünftige Mensch würde wohl sagen: Ja, das scheint wohl so zu sein. Juristisch aber geht das eine aus dem anderen nicht hervor. Wir haben also eine schwierige Situation. Ich sage ,,wir", denn da bin ich mit dem Präsidenten ganz einer Meinung, weil hier die Interessen des Landes insgesamt berührt sind. Denn Politik, die nicht mehr als legitim betrachtet wird, besitzt keine Autorität mehr. Früher brachen in solchen Situationen Revolutionen aus. Und heute findet nur noch der Rückzug aus Öffentlichkeit und Wahlbeteiligung statt.

(Zurufe von der CDU)

Aber so oder so, das Land Schleswig-Holstein braucht früher oder später einen Haushalt. Deshalb stellen wir uns der Debatte vollumfänglich. Es wäre wirklich hilfreich, wenn sich die Regierung dieser Debatte auch einmal stellen würde. Politikverweigerung hilft nämlich keinem weiter.

Allerdings braucht es nicht diesen Haushalt. Und kaum ein Mensch wird kapieren, warum es möglich sein soll, zwei Schuhkartons voller Einzelpläne und schwierigster Materie in dreieinhalb Monaten zu beraten, mit Tausenden von Einzelaspekten, während es beim Wahlgesetz vier Stellschrauben gibt weniger Wahlkreise, vollen Ausgleich, gerechter Zuschnitt, Zählverfahren - und dafür die Beratungen zwei Jahre dauern sollen beziehungsweise Sie so lange brauchen, um den Finger für die Selbstauflösung zu heben. Das, meine Damen und Herren, können Sie keinem Menschen erklären.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Und ich sage Ihnen von der CDU, wenn Sie ernsthaft darangehen, die Verfassung zu ändern und die Zahl der Mandate zu erhöhen, nur weil Sie parteiinterne Probleme haben, dann brauchen Sie zur nächsten Wahl gar nicht erst anzutreten. Alles wird kleiner und abgebaut, aber die CDU sorgt für eine Vergrößerung des politischen Apparats! Das gibt ein richtig schönes Wahlplakat: ,,Nehmen ist seliger als geben, Ihre CDU!“.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Land braucht einen Landtag, der zu ihm passt. Deshalb, liebe SPD, die Zweitstimme abschaffen zu wollen, hilft auch nicht wirklich weiter, jedenfalls können Sie dann alle Sprüche von „Mehr Demokratie wagen“ in die Tonne treten. Und Ihre Umarmungsstrategie gegenüber meiner Partei können Sie gleich mit verschrotten. Denn dann wird kein Grünen-Wähler mehr seine Erststimme anders

(Dr. Robert Habeck)

abgeben. Der SPD wünsche ich viel Spaß beim Auszählen.

(Zurufe von SPD und FDP)

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nutzen Sie diese Situation nicht aus! Vor allem, sitzen Sie diese Situation nicht aus - aus Angst, sich schon im nächsten Jahr den Wählerinnen und Wählern stellen zu müssen -, sondern machen Sie den Weg zu Neuwahlen schnell frei! Nutzen Sie die heutige erste Lesung des Haushalts 2011/2012 für das, was am Anfang der Legislatur hätte stehen müssen, für eine breite, ehrliche Diskussion über die Grundlagen der Finanzpolitik!

Gehen Sie auf die Opposition zu! Stellen Sie sich den Argumenten! Packen Sie die alte Leier von Keiner-kann-Rechnen-außer-mir endlich weg, und stellen Sie so durch Wahrhaftigkeit die politische Autorität dieses Parlaments wieder her!

Was wir für die Haushaltsberatungen brauchen, ist Realismus. Mit geschönten Annahmen von rechts wie von links zu arbeiten, hilft keinem weiter. Wenn Sie das schon eingesehen haben und mit Steuererhöhungen rechnen, dann gehen Sie auch den nächsten Schritt: Geben Sie es zu! Hören Sie auf, der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen! Wenn Sie wissen, dass Sie Steuereinnahmen aus Berlin brauchen, dann fahren Sie zur Bundeskanzlerin, und kämpfen Sie ehrlich und offen für Steuererhöhungen! Wenn Sie wissen, dass sich Schleswig-Holstein nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann, dann holen Sie Ihren Altschuldentilgungsfonds wieder heraus und setzen ihn in der Länderkammer ganz oben auf die politische Agenda!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie wissen, dass unser Land eine Bildungsoffensive braucht, dann fordern Sie die und auch die Zusagen des Bundes ein, statt in der Bund-LänderKammer Bildungsoffensiven aufzukündigen! Wenn Sie wissen, das Überleben Schleswig-Holsteins hängt an der Klimaschutzfrage, dann machen Sie Schleswig-Holstein zum Vorreiter erneuerbarer Energien! Wenn Sie wissen, dass Ihre Finanzplanung nicht ehrlich ist, dann schreiben Sie sie um und machen sie ehrlich! Dieses Land ist nicht Ihr Land. Es ist unser Land, und es hat ein Recht auf Zukunft.

(Anhaltender Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall bei SPD und SSW)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich unterbreche die Sitzung für eine Mittagspause bis 14 Uhr.

(Unterbrechung: 13:11 bis 14:04 Uhr)

Meine Damen und Herren! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich begrüße sehr herzlich auf der Tribüne den Vorstand des Landesblindenvereins. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Bevor wir die Haushaltsdebatte fortsetzen, rufe ich auf:

Schnellstmögliche Neuwahlen

Dringlichkeitsantrag der Fraktionen des SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/843 (neu)

Wahlgesetz zügig und gründlich beraten

Dringlichkeitsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/850

Ich lasse abstimmen über die Dringlichkeit der Ihnen vorliegenden Anträge.

Der Antrag zu TOP 36 a - Landeswahlgesetz -, Drucksache 17/830, wurde von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zurückgezogen.

Zunächst rufe ich als älteren Antrag den Antrag von SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf. Wird das Wort zur Begründung dieses Antrags gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Mit Blick auf den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP frage ich nun, ob hier das Wort zur Begründung gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.

Ich lasse nun zunächst über die Dringlichkeit des Antrags von SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/84 (neu) - 2. Fassung - abstimmen.

Ich weise noch darauf hin, dass nach § 51 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist.