Protocol of the Session on September 8, 2010

(Anhaltende Zurufe des Abgeordneten Wolf- gang Kubicki [FDP])

- Nun einmal ganz ruhig, meine Herren. Das ist ja die Aussage des Pressesprechers des Finanzministeriums in den „Kieler Nachrichten“ vom 4. September dieses Jahres. Danach haben Sie diese 400 Millionen € ab 2013 gar nicht weiter eingerechnet. Ab 2013 nämlich - so der Pressesprecher - nehmen Sie die Senkung der Steuern wieder heraus, aber die Höhe des Defizits bleibt gleich. Mit anderen Worten: Sie bauen Ihre Entschuldung auf einer nicht beschlossenen Steuerrechtsänderung auf. Das, Herr Finanzminister, ist das Gegenteil von Haushaltswahrheit. Es ist eine Haushaltslüge, die uns heute präsentiert wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Lüge lautet -

(Zuruf von Wolfgang Kubicki [FDP])

- Können Sie es bitte laut sagen, Herr Kubicki?

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Jetzt hören Sie bitte zu, was Ihre Strategie ist. Ich versuche, sie zu erklären. Ihre Aussage lautet - das nenne ich Haushaltslüge-: Wenn wir alle in Schleswig-Holstein den Gürtel enger schnallen, mit großem Opferpathos für die Enkel, dann schaffen wir es. Aber wir schaffen es nicht. Die Bilanz geht hinten und vorn nicht auf. Sie wissen, dass sie nicht aufgeht. Wenn Sie lesen können, wissen Sie, dass sie nicht aufgeht.

Wenn gleich der Ministerpräsident redet, dann erwarte ich einmal kein Pathos, sondern die Widerle

(Dr. Robert Habeck)

gung der Analyse oder einen Widerruf und eine Richtigstellung. Sich hier mit Tränen in den Augen hinzustellen und zu sagen, nur Sparen rette unsere Enkel, soll nur den Widerspruch übertünchen. Sie tun nur so, als entwickelten sich die Schulden nach unten. Stattdessen haben wir mit diesem Haushalt eine Maximalverschuldung erreicht. Herr Koch, Herr Kubicki, Herr von Boetticher, die Schuldenbremse einzuhalten, bedeutet, dass wir im Jahr 2020 -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Gerade nicht!)

- Das ist doch alles Konsens. Warum regen Sie sich so auf? Es sind doch nur Ihre Zahlen, die ich hier vortrage. - Die Schuldenbremse einzuhalten, bedeutet eine um 9 Milliarden € höhere Verschuldung als heute. Selbst wenn die Konzepte aufgehen - ich habe beschrieben, wie unwahrscheinlich dieser Fall ist -, so ist das Land ja nicht saniert.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Stimmt!)

Dann haben wir 9 Milliarden € Schulden mehr als heute. Das Land ist 2020 -

(Zurufe von CDU und FDP)

- Ich versuche doch erst einmal so etwas wie eine Grundlage herzustellen. Deswegen will ich doch von Ihnen nur hören: 1,2 Milliarden sind nicht das Stopfen von Steuerlöchern, sondern Steuermehreinnahmen, Steuererhöhungen. Wenn Sie das einmal sagen würden, dann könnten wir uns alle zusammensetzen und den Landeshaushalt vernünftig analysieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Aber Sie stellen sich aus ideologischer Bockigkeit hier hin und tun so, als ob das, was ich erzähle, alles Quatsch ist.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Ist es auch! Es ist alles Quatsch!)

Ich fasse nur Ihre eigene Finanzplanung zusammen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Unruhe)

Herr Kollege, einen Moment bitte. - An Sie, meine sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete der Regierungskoalition: Sie haben nachher Gelegenheit, die Ausführungen des Kollegen Abgeordneten zu kommentieren. Ich bitte Sie jetzt, dem Abgeord

neten Habeck die Gelegenheit zu geben, seine Argumente weiter vorzutragen.

Ich wäre wirklich froh, Sie würden mich widerlegen, wenn Sie mir sagten: Das ist ein belegter Konsolidierungspfad. Ich würde mich wirklich freuen, nicht als Oppositionspolitiker, aber als schleswigholsteinischer Bürger. Aber ich freue mich nicht, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Sie können nicht rechnen; das ist alles Quatsch, ohne zu sagen, worin dieser Quatsch besteht.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Ganz ruhig!)

- Herr Kollege von Boetticher, Sie werden meine Ungeduld verstehen. Seit anderthalb Jahren tun Sie das. Es ist nämlich nicht so, dass ich diese Rede gern halte und dass das ein Grund zur Freude für die Opposition ist. Denn im Umkehrschluss heißt das ja: Auch wenn wir massiv die Steuern erhöhen – stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn eine rot-grüne Regierung diesen Haushalt vorlegen würde, mit 70 Millionen € Steuererhöhungen; da weiß ich aber, wer wie Rumpelstilzchen durchs Land rennen und sagen würde: Skandal, Skandal, Abschaffung des Abendlandes; da fallen mir schon ein paar Leute ein -, wie jetzt vorgelegt, und wenn wir all das täten, was überhaupt nicht belegt ist, könnten wir, die Opposition, nicht bezahlen, wovon wir träumen, was wir wollen und wovon auch Herr von Boetticher träumt. Die Verschuldung, die Hydra unserer Zeit, frisst uns auf. Ja, deswegen müssen wir verzichten, wir müssen aber nicht in Kleinklein denken, wir müssen wirklich einmal Politik anders denken. Wir können uns nicht mehr alles leisten. Die Frage ist nur: Worauf müssen wir verzichten, und worauf wollen wir verzichten?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Jetzt kommt die Antwort!)

Diese Frage ist die politische Wasserscheide. Das Problem ist, dass Sie immer nur nach unten gucken und nicht nach oben. Wenn Sie politischen Ehrgeiz hätten, würden Sie doch nicht nur für SchleswigHolstein, das am Tropf des Bundes hängt, wie es in Ihrem Finanzplan steht, sondern für Deutschland Politik entwerfen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Hören Sie kurz zu! Als wir unsere Bilanz im Frühjahr vorlegten, da rechneten wir für den Lan

(Dr. Robert Habeck)

deshaushalt - das haben wir vorhergesagt - mit einem Defizit bei einem ehrgeizigen Konsolidierungspfad, der übrigens viele Elemente beinhaltete, die Sie nicht mit eingepreist haben in Ihren Haushaltsstrukturkommissionsentwurf, von 1,4 Milliarden €. Damals schon tönte es von Herrn Wiegard: alles falsch. Herr Wiegard hatte recht, er präsentiert uns heute eine Lücke von 1,7 Milliarden €. Diese Lücke entspricht ungefähr den Kosten allein der Hinterlandanbindung der Fehmarnbelt-Querung. Das ist mehr oder weniger präzise die Zahl. 1,7 Milliarden € für Verkehrsaufkommen, für das wir keine einzige Landstraße bauen würden. Der Staatsvertrag hat eine Ausstiegsklausel, einseitig kündbar durch den Bund, wenn die Kosten exorbitant steigen, was passiert. Also wirken Sie auf Berlin, diese Klausel zu ziehen! Das wäre ein ungewöhnlicher Schritt,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

aber es ist eine ungewöhnliche Zeit, die ungewöhnliche Maßnahmen erfordert. Wir brauchen keinen Beton mehr, wenn wir es uns nicht leisten können. Wir brauchen stattdessen Bildung, wir brauchen einen anderen Bundesverkehrswegeplan, einen sparsameren Bundesverkehrswegeplan, und im Umkehrschluss brauchen wir einen Altschuldenfonds, um von der Hydra Staatsverschuldung loszukommen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Herr Kubicki, wenn Sie fragen, wie das gehen soll, und wir über Strukturveränderungen reden, müssen wir an große Strukturveränderungen und nicht nur an kleine Strukturveränderungen herangehen, hier einmal 5.000 € einsammeln, da einmal 2.000 € einsammeln. Das wird das Land nicht sanieren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wenn Sie das nicht tun - das sage ich Ihnen voraus -, wird die Beltquerung in zwei Jahren zu Ihrem „Stuttgart 21“ werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Herr Finanzminister, Sie sagen, mit diesem Haushalt sei die Trendwende für das Land erreicht. Ich attestiere, im Bereich Personalabbau ist tatsächlich ein großer Schritt getan worden. Ich sehe auch, dass Sie keine neuen großen Programme aufgelegt haben. In allen Ministerien werden große Sparbeiträge geleistet.

Aber die Kleckerbeträge, die kleinen Einrichtungen das Genick brechen, ohne einen Beitrag zum großen Ganzen zu leisten und volkswirtschaftlich großen Schaden anrichten, weil Präventionsprojekten, Jugendarbeit und Vorsorge das Wasser abgegraben wird, sind kontraproduktiv. Ich frage mich, wenn Sie kontraproduktiv sind: Warum bestehen Sie auf ihnen?

Das nennt man wohl Politikstrategie. Die Haltung ist leicht zu durchschauen, und es nicht richtig, das Land nur strategisch zu zersparen, sondern man muss es wirklich strukturell angehen. Weil der große Plan nicht aufgeht, geben Sie sich als harte Sparer im Land. Weil die Menschen Angst vor Ihrem Rotstift haben, glauben Sie, dass Sie den Haushalt sanieren. Aber faktisch tun Sie es nicht, nicht wirklich. Ihre Strategie - es ist ein strategisches Sparen - ist: Je mehr Menschen betroffen sind, desto eher glaubt man uns. Sie nehmen Zerstörung als politisches Alibi, und das ist falsch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herr, in der großen Gemeinsamkeit, in der wir die Schuldenbremse beschlossen haben, sollten wir uns nicht auf figelinsche Argumentationen einlassen. Wenn Sie für 2011 mit 2 % Steuerplus und für 2012 gar mit 5,6 % mehr rechnen, dann kann man nicht auf der anderen Seite mit einer konjunkturellen Schwächephase argumentieren. Das hatten wir eben. Herr Wiegard sprach von einer „unteren Sohle“. Aber eine untere Sohle ist etwas anderes, „untere Sohlen“ sind andere Debatten. Was Sie über den Durchschnitt für die Wachstumsphase in den zehn Jahren annehmen, ist nicht „untere Sohle“.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Entweder brechen die Steuereinnahmen weg - dann kann man ein konjunkturelles Minus begründen -, oder sie steigen, und diese Begründung zieht nicht. Herr Kubicki, deswegen ist es nicht schlüssig, heute die Grunderwerbsteuererhöhung für die nächsten Jahre abzulehnen. Sie sagten vorhin bei einer Zwischenfrage, das ziehe nach. Herr Kubicki, da frage ich Sie: Welche Wirtschaft zieht denn nicht nach, welche Wirtschaft zieht bei einem Wachstum der Wirtschaft nicht nach? Faktisch gilt das für jede Branche. Jede Branche hat einen höheren Profit nach einem Wirtschaftswachstum. Mit Ihrer Argumentation machen Sie das, was Liberale immer machen: Sie schieben eine große Rhetorik vor sich her,

(Dr. Robert Habeck)

ohne auf die Fakten einzugehen. Ihre Argumentation hält nicht stand.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Die Erhöhung der Grunderwerbsteuer wäre kein Traumschloss auf Papier wie die ganzen anderen Zahlen in Ihrem Papier. Wir können sie hier im Land umsetzen, wir müssen nicht nach Berlin gehen. Sie, CDU und FDP, können das heute nach dieser Debatte tun. Das wäre einmal ein Signal, dass es beim Sparen auch gerecht zugehen kann und nicht nur das Carstensensche „Wohlfahrt-kannerdrücken“ zum Zuge kommt.