Protocol of the Session on November 18, 2009

Deshalb ist dieser Aufbruch wirtschaftspolitisch eigentlich ein Steckenbleiben im Sumpf aus Vorurteilen und alten Ideologismen. Herr von Boetticher, Sie haben gesagt, Sie wollten es so machen wie Baden-Württemberg und Bayern in den 70er- und 80er-Jahren. - Das wäre falsch und das Schlimmste, was wir tun können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn damit - das ist Regierungshandeln - rühren Sie den gleichen alten Brei aus Beton und Asphalt an, der angeblich neue Arbeitsplätze schafft. Das tut er vielleicht auch - in Malmö, in Hamburg, in Kopenhagen oder in Cuxhaven. Statt SchleswigHolstein zum Transitland zu machen, wäre es jetzt an der Zeit gewesen, endlich die Binnenstrukturen hier im Land in Ordnung zu bringen. Kluge Wirtschaftspolitik, die auf der Höhe der Zeit ist, investiert in Klimaschutz, Bildung und Gerechtigkeit und nicht in Beton, Benzin und Lohndumping.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Solche Politik als ökologische Marktwirtschaft zu bezeichnen, ist reines Etikettenkleben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das waren die Richtigstellungen. Jetzt zur Regierungserklärung.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben drei Regierungserklärungen gehört, die von Herrn Car

stensen, die von Herrn von Boetticher und die von Herrn Kubicki. Drei Anläufe, uns zu erklären, was die Landesregierung eigentlich will. Je länger das alles dauerte, desto größer sind meine Zweifel geworden, dass sie es selbst überhaupt weiß. Es gab viele Widersprüche in den Reden. Auf einige werde ich zu sprechen kommen. Einige waren produktiv, die zwischen alt und modern, Herrn von Boetticher, andere, die zwischen Land und Bund, sind überhaupt nicht aufgeklärt worden. Drei Ankündigungsreden. Zweieinhalb Stunden ohne inhaltliche Festlegungen. Konkret ist diese Regierung bis jetzt nur darin, Standards zu senken, getarnt unter den Modeworten Freiheit und Eigenverantwortung, und in dem Verweis auf die Familie.

Jedes dritte Kind in Kiel lebt in Armut. Jedes dritte Kind lebt in Armut, aber Wohlfahrt kann auch erdrücken. Das ist billig, das ist destruktiv, und das ist letztlich auch kurzatmig, denn der Abbau der Arbeit der Verbände wird dazu führen, dass wir später dafür zahlen müssen, dass Sie die Finanzierung jetzt nicht sicherstellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Glauben Sie nicht, dass Sie den Haushalt sanieren können, indem Sie Umwelt-, Sport-, und Sozialverbänden die Mittel kürzen! Ist das das „näher am Menschen“, von dem Herr Carstensen immer spricht? Wenn es das ist, verstehe ich zum ersten Mal, warum der Landesverdienstorden angeschafft wurde, nämlich weil man offensichtlich symbolische statt materieller Förderung betreiben will. Hier ein Orden, da einen Strauß roter Nelken, und dafür kulturelles Hungerleiden und geschlossene Bildungseinrichtungen! Na, schönen Dank, Genosse Carstensen!

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Jedes Jahr werden Vereine und Verbände nun einen neuen Antrag stellen, Herr Kubicki. Das müssen sie tun, wenn die Umstellung auf Projektförderung durchgezogen wird. Das scheint mir der sicherste Weg zu sein, Bürokratien aufzublähen. Es ist die Uneinsichtigkeit im Kleinen, in das, was uns die Finanzkrise im Großen gelehrt hat: Ein Weniger an Standards ist eben nicht automatisch ein Mehr an Ertrag. Und so atmet diese ganze Regierungserklärung, dieser ganze Koalitionsvertrag, diese ganze Debatte den Muff der Vergangenheit.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

(Dr. Robert Habeck)

Die gleiche Regierungserklärung, den gleichen Koalitionsvertrag hätten wir auch 1986 oder 1997 halten und schließen können.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Sie hätten den schließen können!

(Ursula Sassen [CDU]: Hätten wir die Regie- rung damals schon gestellt! - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Sie haben „wir“ gesagt!)

Wie in der Endphase der Kohl-Regierung gilt für diese Regierung offensichtlich: Je weniger sie zu sagen hat, desto länger braucht sie dafür.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Was wir bislang hörten - die Rede von Kubicki schließe ich ausdrücklich ein -, waren eins zu eins die Satzbausteine der letzten Jahre. Wer es nachlesen möchte: Die Regierungserklärung von 2005 liegt vor Marlies Fritzen auf dem Tisch. Sie werden sich wundern. Hätte ich auch eine Stunde Redezeit, hätte ich Ihnen hier eine gemütliche Zeit machen können.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Wie bitte? Ich verstehe Sie so schlecht, Herr Kubicki.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Die waren auch so inhaltsleer. Genauso. - Gesagt wurde, was immer gesagt wurde - ich sagte es ja -, übrigens auch im Bündnis mit der SPD. Für diesen Aufschlag jedenfalls hätte man die Koalition nicht brechen müssen.

Herr Kollege Kubicki, der Unterschied ist - Sie sagten ja: „Geben Sie uns ein bisschen Zeit!“ -, dass beim letzten Mal wenigstens ein 100-Tage-Programm vorgelegt wurde und die Regierung sagen wollte, womit sie anfängt. Diesmal steht gar nichts drin.

Ich habe auch nicht verstanden, ob der Landesentwicklungsplan jetzt überarbeitet oder neu geschrieben wird. Noch nicht einmal da scheint Klarheit zu herrschen. Das Einzige, was da ist, ist das Beteuern, wie gut sich die CDU- und FDP-Männer verstehen und wie nett sie zueinander sind. Das ist natürlich neu. Das scheint auch angenehm zu sein. Aber genau das ist auch das Problem. Es ist nämlich erneut der Rückzug ins Private und somit Spiegelbild einer

überkommenen Politik, die darauf verzichtet, organisierend und strukturierend einzugreifen.

Diese Regierungserklärung ist konsistent nur in einem, in der Aneinanderreihung von lauter Kleinklein, immer nur das Rumschrauben an den kleinen Rädern, nie der Versuch, einmal ein großes Rad zu drehen. Ich muss zugeben: Es bedarf tatsächlich Mut, das hier heute als Aufbruch und als großen Wurf vorzustellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Ich gebe allen recht, Herr Ministerpräsident, Herr von Boetticher, Herr Kubicki: Wir brauchen einen Aufbruch. Nur leider sehe ich ihn nicht. Und ich habe den Koalitionsvertrag gelesen: Kein Aufbruch - nirgends! Der Aufbruch wurde offensichtlich vergessen zu verhandeln. Nur das Gerede davon. Das ist allerorten. Das ist im besten Fall Autosuggestion - die wäre hilfreich -, im schlimmsten Fall Täuschung und im allerschlimmsten Fall - wie ich befürchte - Selbsttäuschung.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn die Worte sich gleichen, so gibt es doch einen Unterschied zwischen dieser und der letzten Regierung. Es ist der Unterschied zwischen Verplantheit und Fadenscheinigkeit.

Denn Kern Ihrer Erklärung, das, woran Sie gemessen werden wollen, ist die Haushaltssanierung. Die Ausführungen dazu machten den Kern der Rede aus.

Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? - „Alles kommt auf den Prüfstand“, hören wir. „Nur noch das wird unterstützt, was dem Land und der Wirtschaft nachhaltig nützt“. Und: „Wir werden Verzicht üben müssen“. Und der erste Beschluss der schwarz-gelben Mehrheit ist die Renovierung der alte Betonstraße an der dänischen Grenze für 28 Millionen €. Eine Straße, die für den Bundesgrenzschutz gebaut wurde. Für eine Grenze, die längst offen ist. Wissen Sie, wie viele gleichrangige Kreuzungen an der L 192 sind? Auf 37 km hat sie eine gleichrangige Kreuzung.

(Zuruf des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Wir werden noch über die Landesmittel für Lübeck-Blankensee debattieren, einem Flughafen, der noch nicht mal einen Investor hat. Gut, wie ich gestern lesen konnte, wenn das Land nicht einsteigt,

(Dr. Robert Habeck)

schlecht, wenn Investitionen - Zitat de Jager - „im Rahmen geltender Richtlinien“ bereitstehen. Gemeint ist offensichtlich der Erlass

(Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

für Investitionen, die über Sicherheitsmaßnahmen hinausgehen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kubicki, wir denken gleich.

Wenn die SPD noch mehr will, macht das die Sache nicht besser.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich zitiere aus Ihrer Rede, Herr Ministerpräsident:

„Nur die Investitionen mit bester Rendite werden wir weiter fördern.“

0451-1220. Das ist die Telefonnummer des Lübecker Rathauses. Rufen Sie doch mal an und fragen Sie, wie super die Rendite des Flughafens ist.

(Heiterkeit und Beifall bei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)