Wir sind uns der Schnittstellenproblematik bewusst und haben deshalb vor Kurzem eine Bestandsaufnahme und eine Analyse in Auftrag gegeben. Ziel ist es, eine bessere Identifizierung der Kooperation und damit Synergiepotenziale zwischen Frühförderung und frühen Hilfen erreichen zu können. Zugleich müssen wir aber auch Strukturen und Verfahren identifizieren, die als Hemmschwellen für zielgerichtete und effektive Kinderschutzarbeit wirken. Dazu gehört - eine Bemerkung, die Sie mir bitte am Rande gestatten - das sensible und schwierige Thema „sexueller Missbrauch“, das die Öffentlichkeit derzeit bewegt.
Wir haben im April mit einem öffentlichen Fachgespräch von Sozial-, Bildungs- und Justizministerium begonnen, die Schutzmechanismen auf ihre Wirksamkeit hin zu beleuchten. Wir werden das fortführen und werden auch hinterfragen, ob die Instrumente und Verfahren im Kinderschutzgesetz bestmöglich geeignet sind, in Schulen, Vereinen, Kindertagesstätten und Einrichtungen der Jugendhilfe präventiv sexuellem Missbrauch entgegenzuwirken.
Zusammenfassend darf man sicherlich feststellen, dass Schleswig-Holstein auf einem guten Weg in Sachen Kinderschutz ist. Ich wünsche mir, dass wir diesen Weg im Interesse der Kinder und Jugendlichen bei allen unterschiedlichen Auffassungen, bei allem politischen Streit, den es auch in Zukunft geben wird, im Land weiter gemeinsam gehen werden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion hat der Herr Abgeordnete Mark-Oliver Potzahr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das im April 2008 in Kraft getretene Kinderschutzgesetz hat bundesweit Beachtung gefunden. Mit dem ersten Kinderschutzbericht können wir heute zwei Jahre später feststellen: zu Recht.
Bei fünf Minuten für einen detaillierten Bericht zum Stand der Umsetzung des Kinderschutzgesetzes bleibt hier im Plenum nur der Blick auf einige Schlaglichter, die wir dann im Ausschuss vertiefen sollten.
Vorab möchte ich auch von der Parlamentarierseite zwei Worte des Dankes sagen. Zum einen bedanke ich mich bei den Autoren dieses Kinderschutzberichtes, die aus vielfältigen Blickwinkeln Bemerkungen gemacht haben, die zur Weiterentwicklung der Regelungen und der gelebten Praxis beitragen können und sollen.
Mein zweiter Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendämter und des Allgemeinen Sozialen Dienstes in den Kreisen und Städten.
Die Jugendämter sind von ihrem Auftrag her die wichtigste Schlüsselstelle zur Feststellung von Kindeswohlgefährdungen. Gleichzeitig stehen die Mitarbeiter immer in Spannungsfeldern und haben deswegen Dank und Rückendeckung verdient. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich alle Akteure in den sozialen Netzwerken und auch in den Kinderschutzzentren ein.
Der vorliegende Bericht ist ein Anfang, wie es die Autoren zutreffend feststellen. Die Bewertungen sind aufgrund der Zeitvorgabe von acht Monaten zwischen Inkrafttreten und Beginn der Berichterstattung angemessen vorsichtig. Da dies eigentlich noch der Bericht für die 16. Wahlperiode ist, haben wir hoffentlich noch die Chance, gegen Ende dieser Legislaturperiode auf breiterer Daten- und Erfahrungsbasis weiter zu diskutieren.
Das erste Herzstück dieses Gesetzes sind die Früherkennungsuntersuchungen im Zusammenhang mit dem verbindlichen Einladungswesen. Der erste benannte Mangel ist die immense Zahl an Fehlmeldungen und Falschmeldungen. Hier sind die auch in Bericht und Stellungnahme erwähnten Maßnahmen schnellstmöglich umzusetzen. Dies muss insbesondere deswegen zeitnah geschehen, weil sonst die nötige Akzeptanz verloren ginge. Ich habe aus einzelnen Kreisen auch durchaus gehört, dass die Anfangsschwierigkeiten nicht überwunden, doch bereits gemildert sind. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass hier ein immenser Aufwand betrieben wird. Deswegen bin ich sehr dankbar für den Vorschlag, auch den effektiven Nutzen für die Kindergesundheit zu evaluieren.
Das zweite Herzstück sind die lokalen Netzwerke. Die Zusammenarbeit der Beteiligten vor Ort zu institutionalisieren, ist immens wichtig für die Qualität des Kinderschutzes. Der Bericht lobt das große
Engagement aller Beteiligten auf lokaler und regionaler Ebene, verschweigt aber auch nicht, dass es Potenziale zur Verbesserung gibt, die auch umgesetzt werden sollten.
Aufgrund des Gesetzes haben in den letzten Jahren fast alle Jugendämter eine qualifizierte Telefonbereitschaft eingerichtet. Das ist ein Beitrag zu mehr Qualität im Kinderschutz. Gleichzeitig sollte man aber auch auf den Punkt hinweisen, wo nach einstimmiger Meinung aller Beteiligter das Gesetz gerade nicht umgesetzt werden soll: bei der Einführung einer einheitlichen Rufnummer als Kinderschutztelefon. Ich teile durchaus die Haltung der Kommission und auch der Landesregierung, dass der Schwerpunkt auf der Kommunikation der örtlichen Telefonnummern liegen sollte. Dauerhaft kann ein Parlament aber nicht hinnehmen, dass verabschiedete Gesetze nicht ausgeführt werden.
Daher schlage ich als Erstes vor, dass wir im Ausschuss sagen, dass wir dies aus fachlichen Erwägungen billigen, und - da ich das ohnehin für wichtig halte - nach der nächsten Berichterstattung noch einmal intensiv diskutieren über Nachsteuerung, Umsteuerung und auch Weiterentwicklung des Gesetzes, um dann in diesem Zusammenhang diese Vorschrift gegebenenfalls zu streichen.
Nicht zuletzt die gestiegene Aufmerksamkeit der Bevölkerung für Kinderschutz trägt deutliche Früchte, auch wenn diese Aufmerksamkeit leider bezahlt ist mit tragischen Einzelfällen. Noch immer steigen die Meldungen von Kindeswohlgefährdungen bei den Jugendämtern an, teilweise in hohen zweistelligen Prozentzahlen. In meinem Heimatkreis Stormarn gab es im letzten Jahr allein 1.250 Meldungen potenzieller Kindeswohlgefährdung. Fast jeder dieser Anrufe macht deutlich, dass sich Menschen Sorgen um Kinder machen. Das ist gut. In fast allen Fällen ist es eben kein Anschwärzen, sondern die Möglichkeit zur Überprüfung und zum Angebot von Hilfe.
Mit der Beschlussfassung des Kinderschutzgesetzes ist der Kinderschutz in Schleswig-Holstein nicht neu erfunden worden. Durch das Gesetz und die daraus resultierende Berichterstattung, dem heute vorliegenden Bericht, wurden den bereits bestehenden Bemühungen ein landesweiter Rahmen und neue Impulse gegeben.
Im Fachdeutsch soll Kinderschutz professionsübergreifend und interdisziplinär bearbeitet werden. Übersetzt heißt dies: Nicht nur Jugendämter und Erzieher sind zuständig für Kinderschutz, sondern
Wir als CDU-Fraktion werden an der Verbesserung des Gesetzes und der Rahmenbedingungen weiterarbeiten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Landeskinderschutzgesetz in Schleswig-Holstein ist ein großer Erfolg. Es ist ein Gesetz, das bundesweit Beachtung findet und als erstes neue und innovative Wege im Kinderschutz aufgezeigt hat. Ich möchte, auch im Namen meiner Fraktion, den Mitgliedern der Kommission zur Erstellung des ersten Landeskinderschutzberichts danken. Dieser Bericht bietet eine hervorragende Aufarbeitung der Wirkungsweise des Kinderschutzgesetzes in den Regionen Schleswig-Holsteins, zeigt Weiterentwicklungsmöglichkeiten auf, zeugt von gelungener Kooperation der Akteure und befördert die fachliche Diskussion.
Ein modernes Verständnis von Kinderschutz hat die vor allem ordnungspolitische Fürsorge überwunden und orientiert sich an einem sozialpädagogischen Ansatz. Dieser soll das Recht der Kinder auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit dadurch verwirklichen, dass er positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt erhält oder erschafft. Diesem Ansatz sind wir bei der Erarbeitung und Verabschiedung des Kinderschutzgesetzes gefolgt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nun auf eine wenige Aspekte des Kommissionsberichts eingehen. Früherkennungsuntersuchungen dienen vorrangig der Gesundheitsförderung. Das verbindliche Einladungswesen hat - so melden die Kommunen - zu einer deutlich erhöhten Inanspruchnahme geführt. Dies gilt insbesondere auch für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. Auch die Besuchsrate junger oder alleinerziehender Eltern hat durch die zentrale Einladung zugenommen. Bei der technischen Umsetzung bedarf es allerdings noch der
Optimierung. Ich bin dankbar, dass die Vorredner darauf schon hingewiesen haben. Probleme, die auftraten, sind hoffentlich in der langen Zeit zwischen der Erhebung der Daten und der heutigen Debatte aufgearbeitet. Erfreulich ist es, dass nach Angaben der Kommunen nur in extrem wenigen Fällen nach Meldung wegen Nichtteilnahme an den Untersuchungen weitergehende Maßnahmen ergriffen werden mussten.
Betont wird im Kommissionsbericht auch die Notwendigkeit von Aus- und Fortbildung der Fachkräfte, die Einschätzungen von Gefährdungsrisiken bei Kindern vornehmen können und die als Ansprechpartner bei Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung zur Verfügung stehen. Konstatiert wird ein Fortbildungsbedarf im Zuge einer verstärkten Netzwerkarbeit und der erforderlichen Kooperation von Akteurinnen und Akteuren verschiedener Systeme.
Die lokalen Netzwerke funktionieren. Hier zeigt sich, dass wir gut beraten waren, den Kommunen viel Gestaltungsmöglichkeiten und die damit verbundene Möglichkeit zu geben, auf vor Ort bereits existierende Netzwerke zurückzugreifen. Die Kooperationskreise dagegen bedürfen einer weiteren Entwicklung.
Von besonderer Bedeutung eines gelingenden Kinderschutzes sind frühe Hilfen für Eltern und Kinder. Hilfen müssen im Sinne der Prävention frühzeitig einsetzen, damit Gefährdungsrisiken erkannt werden und Schädigungen möglichst nicht eintreten. Positiv werden von der Kommission die Projekte „Schutzengel für Schleswig-Holstein“ und „Willkommen im Leben“ bewertet, Projekte, die ebenso wie Fortbildungsveranstaltungen Geld kosten.
Nun zur Stellungnahme der Landesregierung! Der Kommissionsbericht wurde am 21. September 2009 vorgelegt, die Landesregierung brauchte fast ein halbes Jahr, bis sie dem Parlament Anfang März 2010 eine elfseitige Stellungnahme vorlegte. Die meisten Anregungen der Kommission werden übernommen und begrüßt. Auch die SPD begrüßt, dass die Programme der frühen Hilfen fortgeführt und wie „Schutzengel für Schleswig-Holstein“ - weiterentwickelt werden sollen. Auch die frühere Einbeziehung von Schwangerenberatungsstellen, die angeregte Zusammenarbeit des Kooperations- und Interventionskonzepts bei häuslicher Gewalt mit den Kooperationskreisen und die Betonung der Kompetenz der Kinderschutzzentren finden unsere Zustimmung.
Skeptisch macht allerdings, wenn Haushaltsvorbehalte formuliert werden und wenn die Landesregierung in Bezug auf Kinderschutz bei häuslicher Gewalt gemeinsam mit den Kommunen lediglich erörtern will, inwieweit vorhandene Ansätze ausgeweitet werden können. Ich hoffe doch sehr, dass die Bekenntnisse zum Kinderschutz auch nach den Haushaltsberatungen finanziell ausreichend unterlegt werden.
Freiwillige Leistungen sind nicht a priori entbehrlich. Das Kinderschutzgesetz ist nur so gut, wie das gemeinsame Engagement der vielen Beteiligten auf allen Ebenen auch finanziell abgesichert wird. Das Land darf die Kommunen hier nicht allein lassen. Wir haben ein gutes Kinderschutzgesetz, das Rahmenbedingungen für ein gedeihliches Aufwachsen von Kindern in unserem Land setzt. Das Erinnern an Kevin, Pascal, Lea-Sophie und all die anderen Kinder, die gelitten haben und noch leiden, darf nicht auf wohlfeile Grundsatzreden beschränkt bleiben. Der Lackmustest sind die Haushaltsberatungen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Dr. Garg! Vielen Dank an Sie, an die Kommission für diesen ausführlichen Bericht. Unter dem Aspekt, dass es der erste Landeskinderschutzbericht ist, nehme ich zur Kenntnis, dass von der Kommission vorrangig organisatorische Fragen abgehandelt wurden. Daher ist es auch als hilfreich zu erachten, dass umfangreich Begrifflichkeiten wie zum Beispiel Kindeswohl und Kindesschutz erläutert wurden in Abgrenzung zum Kinder- und Jugendschutz.
Die sehr ausführliche Beschreibung zum Aufbau der Netzwerke und damit einhergehend die Sicherstellung von Kommunikation zeigt auf, wie schwierig es ist, die vielen Beteiligten einzubinden. Dass dieses Engagement sinnvoll ist, zeigt sich in der positiven Beurteilung der Netzwerkarbeit durch die Akteure. Nur bei umfassender Kenntnis über Angebote und Strukturen anderer im Kinderschutz aktiv Beteiligten lassen sich schnell und passgenau Hil
fen realisieren. Ob zur Vernetzung der übergreifenden Aufgaben neue Kinderschutzzentren errichtet werden müssen oder sich bereits existierende Einrichtungen dazu fortentwickeln, sollte auch unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit betrachtet werden. Denn nur mit der Einbindung aller gesellschaftlichen Kräfte sowie der Behörden vor Ort kann es gelingen, ein enges Netz zu knüpfen, das Kinder und Jugendliche rechtzeitig auffängt.
Mir persönlich fehlen bei der Abbildung der verschiedenen Angebote die Mehrgenerationenhäuser. Aus meinem Kenntnisstand heraus leisten auch diese gerade im Bereich der frühen Hilfen einen aktiven Beitrag. Über verschiedene Beratungs- und Kinderbetreuungsangebote halten diese oft über viele Jahre hinweg den Kontakt zu den Familien.
Die klassische Familie mit ihrer stützenden Funktion ist in der heutigen Welt nicht mehr garantiert. Großeltern wohnen in der Regel nicht mehr nebenan, getrennt lebende Eltern wohnen oftmals viele Kilometer auseinander. Die Erziehungskompetenz der Eltern ist damit nicht automatisch infrage gestellt, aber jeder, der eigene Kinder hat, weiß, dass es immer wieder diese ganz besonderen Momente gibt, in denen man dankbar ist, wenn einem jemand hilfreich zur Seite steht und sagt: Du hast es richtig gemacht.
In den Fällen, in denen die Erziehungskompetenz der Eltern infrage gestellt werden muss, brauchen wir weniger Bürokratie, aber mehr Zeit für die Betroffenen. Hier ist in den letzten Jahren sicher viel Positives erreicht worden, dennoch ist es zum Schutz der Kinder wichtig, maßvoll, aber frühzeitig Erkenntnisse zu erlangen. Aus diesem Grunde ist das verbindliche Einladungswesen zu den Früherkennungsuntersuchungen weiter zu evaluieren.
Ich schließe mich allerdings auch der im November 2007 geäußerten Kritik meines Kollegen Dr. Ekkehard Klug an, dass erstens der Arzt nicht mehr ausschließlich als Person des Vertrauens gesehen wird und zweitens die Zeiträume bis zur Meldepflicht recht weit gesteckt sind. Insbesondere unter dem Aspekt, dass es regional doch erhebliche Variationen im Bereich der Meldungen gibt, formuliert der Bericht richtig, dass die Gründe und Ursachen hierfür noch weiter zu ermitteln sind. Die Früherkennungsuntersuchung kann sicher nur ein Baustein sein. Begleitende präventive Maßnahmen und Netzwerke müssen ergänzend wirken, um die Gefährdungen von Kindern zu erkennen.
Kinder und minderjährige Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr benötigen einen ganz besonderen Schutz. Die UN-Konvention ist ein breit gefächertes Vertragswerk mit mindestens 17 Einzelpunkten und sichert Kinder zum Beispiel in den Bereichen soziale Sicherheit und Versorgung und bietet Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung und sexueller Gewalt. Aus diesem Grunde begrüßen wir Liberalen, dass die Bundesregierung am 3. Mai dieses Jahres die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 1992 nach 18 Jahren endlich zurückgenommen hat, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Ein jahrelanges fraktionsübergreifendes Anliegen des Bundestages und der dortigen Kinderkommission ist damit umgesetzt worden.