Protocol of the Session on October 9, 2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung und begrüße auf der Besuchertribüne Vertreter des Bundeswehrverbandes, der Kameradschaft Schleswig sowie Schülerinnen und Schüler der Karl-Sörensen-Realschule aus Pinneberg und die sie begleitenden Lehrkräfte und Mitglieder der Jungen Union aus dem Herzogtum Lauenburg. Seien Sie uns alle herzlich willkommen!

(Beifall)

Erkrankt sind von der SPD-Fraktion die Abgeordneten Regina Poersch und Olaf Schulze und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abgeordnete Karl-Martin Hentschel. Ihnen gelten nach wie vor unsere besten Wünsche.

Beurlaubt sind von der SPD-Fraktion die Abgeordneten Ulrike Rodust und Hans Müller.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:

Umsetzung eines beitragsfreien Kindertagesstättenjahres in Schleswig-Holstein

Mündlicher Bericht der Landesregierung

Ich erteile der Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ute Erdsiek-Rave, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schleswig-Holstein ist ein kleines, aber sehr vielfältiges Land. Das ist nicht immer nur von Vorteil. Wer in Kiel wohnt, zahlt für einen Kindergartenplatz rund 150 €, in Lübeck sind es zwischen 130 € und 174 €, in Steinburg zwischen 105 € und 122 € und so weiter. Zugleich sind die Versorgungsquoten, ist der Anteil der unter Sechsjährigen, die eine Kita besuchen, unterschiedlich hoch. Die Unterschiede sind bei den Dreijährigen, im ersten Jahr, am höchsten; aber auch im letzten Jahr vor der Schule besuchen beispielsweise in Dithmarschen nur 88 %, in Ostholstein sogar nur 85 % der Kinder eine Kita. In Steinburg sind es fast 100 %. In unterschiedlicher Weise investieren übrigens auch Gemeinden und Kreise in Sozialstaffeln oder in eigene Zuschüsse.

Wie auch immer diese Ungleichheiten entstanden und gewachsen sind, sie müssen beseitigt und abge

löst werden durch eine schrittweise Beitragsfreiheit für die Eltern von Lauenbug bis Flensburg.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Aber es geht eben nicht nur um regionale Ungleichheiten und unterschiedliche Beiträge, sondern es geht um Bildungschancen, um Weichenstellungen für einen erfolgreichen Bildungs- und Lebensweg von Anfang an. Auch diese Chancen sind in unserer Gesellschaft ungleich verteilt. Diese Ungleichheit nimmt zu, und niemand darf das bestreiten oder kleinreden, meine Damen und Herren.

Alle Daten und alle Erkenntnisse sprächen also dafür, so intensiv und so umfassend wie möglich möglichst viele, am besten alle Kinder bereits im Alter von drei Jahren zu erreichen. Alles spräche also dafür, von Anfang an jede Hürde, vor allem jede finanzielle Hürde, zu beseitigen und den Besuch einer Kita wie den Besuch der Schule von Anfang an kostenfrei zu machen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Zum anderen muss man sagen: Es ist weder bildungspolitisch noch volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn teure und unzureichende Kinderbetreuung junge Frauen von der Erwerbsarbeit abhält oder noch schlimmer - sie daran hindert, überhaupt Kinder in die Welt zu setzen.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Buder [SPD])

Meine Damen und Herren, ich habe es hier schon einmal gesagt, aber ich wiederhole es: Jeder Euro, der in frühkindliche Bildung investiert wird, zahlt sich in jeder Hinsicht und vielfach wieder aus; die OECD sagt: mindestens sechsfach.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir haben uns angewöhnt, im Zusammenhang mit zurückgehenden Kinder- und Schülerzahlen und Finanzen von einer demografischen Rendite zu sprechen. Das klingt nach Gewinn und Vorteil. In Wahrheit ist es aber doch so, dass wir mehr tun müssen, wenn wir weniger Kinder haben, und dass jeder Bildungs-Euro eine volkswirtschaftliche Rendite abwirft. Nur bildet sich diese Rendite bedauerlicherweise nicht unmittelbar im Haushalt ab.

Damit bin ich bei dem Problem und der Frage, die uns hier in den letzten Tagen beschäftigt hat und die kontrovers diskutiert wurde. Dieses Land ist reich und vielfältig, habe ich gesagt, aber es ist arm

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an finanziellen Mitteln. Auch wenn es unbequem und oft schwer zu vermitteln ist: Wir müssen immer, ob bei Lehrerstellen oder bei anderen finanziellen Aufwendungen, zwischen dem, was richtig wäre, dem, was wir wollen, und dem, was machbar ist, einen Weg finden.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Dabei setzen uns unsere Verschuldung und unser Haushalt eben Grenzen. Deshalb akzeptieren wir und tragen gemeinsam, dass wir nicht innerhalb kürzester Frist alle drei Kita-Jahre nacheinander und von unten aufwachsend beitragsfrei stellen, sondern dass wir mit dem letzten Jahr vor der Schule beginnen und zugleich klar und unmissverständlich die Stufen benennen, mit denen wir dort ankommen wollen, wo der bildungspolitische und der Gesamtnutzen am höchsten wäre. Das heißt konkret: Im Kindergartenjahr 2013 soll der gesamte Besuch einer Kindertagesstätte kostenfrei sein.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heiner Garg [FDP]: Soll oder wird?)

Das haben wir vereinbart, und dazu stehen wir. Das werden wir Schritt für Schritt auch gesetzlich umsetzen. Im Beschluss des Koalitionsausschusses heißt es dazu: „… die Koalition verständigt sich auf einen Stufenplan zur Regelung der für Eltern gebührenfreien Kita-Plätze für ihre Kinder im dritten Kindergartenjahr ab 2009, für das zweite Kindergartenjahr ab 2011, für die Kinder im ersten Kindergartenjahr ab 2013.“ Für den Mai haben wir auch das Gesetz für die zweite und dritte Stufe vereinbart.

Aber, meine Damen und Herren, die Haushaltslage ist uns natürlich nicht gleichgültig, auch nicht bei diesen Beschlüssen. Darüber haben wir diskutiert. Jedermann weiß, in welcher Lage wir in den nächsten Jahren angesichts der Finanzkrise, angesichts von möglicherweise sinkendem Wirtschaftswachstum und sinkenden Steuereinnahmen unter Umständen sein werden. Aber ich sage auch: Die Große Koalition in Berlin hat gerade vor zwei Tagen angesichts all dieser Fragen eine milliardenschwere Erhöhung des Kindergeldes beschlossen. Dazu haben auch alle gestanden. Ich glaube, es war gerade der Bildungsarbeitskreis der CDU, der gesagt hat, die Bildungsausgaben müssten sich in der Bundesrepublik bis 2015 mindestens weiter verdoppeln. Recht hat er, kann ich nur sagen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bildet sich natürlich nicht nur im Bundeshaushalt ab, sondern das muss auch in den Landeshaushalten seinen Niederschlag finden. Weil wir uns all dessen bewusst waren, haben wir im Koalitionsbeschluss auch festgehalten: „Die Koalition bekräftigt dabei das Ziel verfassungsgemäßer Haushalte und bis 2015 ausgeglichener Haushalte.“

Meine Damen und Herren, wollen wir jetzt wirklich - das frage ich uns alle miteinander - semantische Übungen darüber anstellen, was mit diesem Wörtchen „dabei“ gemeint ist? Das kann und soll doch heißen: Wir werden die Priorität noch klarer und noch stärker auf Bildung und Betreuung setzen müssen und auf anderes verzichten, wenn die Haushaltslage dies erfordert.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heiner Garg [FDP]: Worauf denn? - Günther Hildebrand [FDP]: Das sagen wir schon seit Jahren!)

- Darauf wiederhole ich gern, was ich gestern hier gesagt habe. Ich kenne die eine und die andere FDP: die eine, die immer auf das Sparen drückt, und die andere, die dann, wenn es passt, immer mehr Geld ausgeben will. Das nehme ich nicht mehr ernst.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage hier auch in vollem Ernst: Herr Wadephul, ich habe große Zweifel, ob man diesen Haushaltsvorbehalt in einem Gesetz normieren kann. Aber eines ist doch klar, und das kann man festhalten und auch erklären, wenn es so weit ist: In einer Haushaltsnotlage, in einer Situation, die wir möglicherweise noch nicht absehen können, kann jede Regierung, kann jede Koalition ein Gesetz aussetzen, verschieben oder auch ändern.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ach!)

- Selbstverständlich. Wir haben auch in der Vergangenheit schon Leistungsgesetze ausgesetzt oder haben sie verschoben. Niemand weiß natürlich, wenn wir im Mai 2009 ein Gesetz beschließen, ob wir im Jahr 2015 ausgeglichene Haushalte haben werden. Das ist doch klar. Dieser Vorbehalt gilt immer. Wenn Sie eines fernen Tages wieder einmal in einer Koalition landen sollten, dann werden Sie die harte Realität solcher Dinge schon erleben.

(Beifall bei der SPD)

Unser Etatentwurf sieht im ersten Schritt 14,6 Millionen € für 2009 und 35 Millionen € für 2010 vor. Die notwendigen gesetzlichen Regelungen für den ersten Schritt sollen im Rahmen des Haushalts

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(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

strukturgesetzes getroffen werden, und dann soll entsprechend dem prozentualen Anteil der in den Kitas betreuten Kindern auf die Kreise und kreisfreien Städte verteilt werden.

Auf der kommunalen Seite werden dabei Mittel frei, nämlich durch den Wegfall der Sozialstaffelermäßigung samt deren Verwaltungskosten.

Mit diesem Einstieg in die beitragsfreie Kita wollen wir den Kommunen zu einem gemeinsamen Pakt für Kinder und Familien die Hand reichen, und wir treten in Vorleistung - das will ich hier deutlich sagen - für ein Projekt, das Schleswig-Holstein ein großes Stück familienfreundlicher machen wird. Damit wird auch die Attraktivität der Städte und Gemeinden erhöht - in jedem Dorf, in jeder Stadt, in jedem Ort.

(Beifall bei der SPD)

Wer junge Familien heute an sich binden will, wer als Wohnort oder als Wirtschaftsstandort im Wettbewerb mit anderen Kommunen in Deutschland bestehen will, der hat mit der kostenfreien Kita ein gewichtiges Argument auf seiner Seite, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Warum machen wir es dann nicht von Anfang an?)

Wir wollen Schleswig-Holstein gemeinsam mit den Kommunen voranbringen, und die Landesregierung sieht es als ihre Aufgabe an, hier Pflöcke einzuschlagen. Das hat der Koalitionsausschuss in der vergangenen Woche getan. Pflöcke einschlagen heißt übrigens nicht, dass wir bestellen und andere bezahlen. Das will ich sehr deutlich an die Adresse der Kommunen sagen. Das heißt, wir bringen das in Bewegung, was im gemeinsamen Interesse der Bürgerinnen und Bürger sowie der Kinder unseres Landes ist, und dies wollen wir im Dialog mit allen Beteiligten umsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Auf diese Weise ist es übrigens in den letzten 20 Jahren gelungen, für die Kinder im Vorschulalter zu großen Fortschritten zu kommen: durch die Steigerung des Landesanteils auf 60 Millionen €, durch den U3-Ausbau, den wir versprochen haben und auch finanzieren werden, sowie durch die vorschulische Sprachförderung. Darüber hinaus hat die Sozialministerin den Kinder- und JugendAktionsplan weiterentwickelt und das Bündnis gegen Kinderarmut auf den Weg gebracht. Alles in allem ist dies eine große Erfolgsgeschichte, und ich kenne niemanden, der daran ernsthaft rütteln wollte. Inso

fern ist der Stufenplan für die Beitragsfreiheit von Kitas die konsequente Fortsetzung dieses Weges.