Protocol of the Session on June 19, 2008

Ich eröffne die Sitzung. Erkrankt sind von der CDU die Frau Abgeordnete Monika Schwalm und von der SPD der Herr Abgeordnete Olaf Schulze. - Wir wünschen beiden von hier aus weiter gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt sind von der CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Niclas Herbst und von der Landesregierung die Minister Uwe Döring, Lothar Hay und Rainer Wiegard.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler und die sie begleitenden Lehrkräfte der Jacob-Struwe-Realschule aus Horst. - Seien Sie uns sehr herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Zentrale SPNV-Projekte in Schleswig-Holstein

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/2097

Ich erteile dafür dem Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr, Herrn Dietrich Austermann, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin der FDP dankbar dafür, dass sie den Antrag gestellt hat, weil uns das Gelegenheit gibt, deutlich zu machen, welche Entwicklung der Schienenpersonennahverkehr in Schleswig-Holstein in den letzten zehn Jahren genommen hat. Ich will das an konkreten Zahlen deutlich machen. Weil gestern über den Haushalt diskutiert worden ist, eine Zahl vorweg: Der Haushalt des Wissenschafts- und Wirtschaftsministeriums hat ein Volumen von etwa 1,1 Milliarden €; davon gehen rund 200 Millionen € in den Schienenpersonennahverkehr.

Der Marktanteil des öffentlichen Personennahverkehrs in Schleswig-Holstein betrug im Jahr 2007 6 %. Das war wenig, aber es waren immerhin 10 % mehr als in den zwei Jahren davor, in denen der Anteil 5,4 % betrug. Der ÖPNV ist nicht nur mit dem Markt gewachsen, sondern deutlich überproportional, und das ist sehr erfreulich. Daran hat der Schienenpersonennahverkehr einen wesentlichen

Anteil, er ist gewissermaßen das Rückgrat des ÖPNV, natürlich auch kostenmäßig, wie ich eben deutlich gemacht habe.

Im Jahr 2006 - neuere Zahlen haben wir leider noch nicht - sind im Schienenpersonennahverkehr 1,43 Milliarden Personenkilometer gefahren worden, 12,5 % mehr als im Jahr 2000. Stärkste Strecke war die Strecke Hamburg-Lübeck mit gut 22.000 Fahrgästen pro Tag. Das waren 3 % mehr als 2005. Ich gehe davon aus, dass sich die Zahl inzwischen deutlich erhöht hat und, wenn Ende des Jahres die Elektrifizierung fertig sein wird, durch ein besseres Zugangebot weiter kräftig steigen wird.

An zweiter Stelle kommt die Strecke Hamburg-Kiel mit rund 21.000 Fahrgästen pro Tag und einem Plus von 6 %, also einem doppelt so starken Zuwachs. Ich rechne in diesem Jahr mit einem weiteren Zuwachs, insbesondere auch wegen der Energiepreisentwicklung.

Zum Fahrplanwechsel im Dezember hat sich das Angebot abermals verbessert. Auch dies dürfe deutlich dazu beitragen, dass der Schienenpersonennahverkehr stärker genutzt wird. Ich möchte ein paar Beispiele anführen.

In Kiel-Hassee/Citti-Park wurde ein neuer wichtiger Haltepunkt auf der Pendelstrecke Kiel-Eckernförde eingerichtet. Wir haben Wochenend-Nachtschwärmer-Züge zwischen Hamburg und Lübeck eingesetzt, nachdem sich ein solches Angebot zwischen Hamburg und Kiel als erfolgreich erwiesen hat. Wir haben den Schleswig-Holstein-Express zwischen Pattburg und Hamburg-Hauptbahnhof durch technische Aufrüstung schneller gemacht.

Es sind weitere Fortschritte erkennbar. Ich habe im Frühjahr mit der Deutschen Bahn den Vertrag über die weitere Modernisierung der Bahnhöfe in Schleswig-Holstein unterzeichnet. Wir haben in den letzten fünf Jahren 100 Millionen € mit der Bahn gemeinsam investiert. Bis 2012 werden wir in jedem Jahr 10 Millionen € investieren, um Bahnsteige, Bahnstationen nutzerfreundlicher, schöner und insgesamt attraktiver zu machen. Im Mai ist der neue Haltepunkt Lübeck Flughafen in Betrieb genommen worden.

Ende 2009/2010 soll Burg wieder an das Bahnnetz angeschlossen werden. Das ist gewissermaßen eine Vorleistung für die Entwicklung, die sich auf Fehmarn tut. Im Dezember 2009 kommen neue, hochmoderne Doppelstockfahrzeuge auf der Strecke Hamburg-Lübeck. Die Doppelstockwagen, die dort bisher rollen, werden zwischen Hamburg und Kiel

eingesetzt und machen damit diese zweitwichtigste Verbindung komfortabler.

(Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

- Herr Abgeordneter Nabel, wenn Sie Wert darauf legen, werden Sie zu der ersten Fahrt am 13. Dezember dieses Jahres sicherlich eingeladen werden.

Neben dem Qualitätsmanagementsystem für Pünktlichkeit, Sauberkeit und Sicherheit wollen wir auch Fahrgastrechte stärken. Bei der Nord-OstseeBahn, der Deutschen Bahn AG haben wir bereits ähnlich wie im Fernverkehr einen Entschädigungsanspruch für Fahrgäste, die unter Unpünktlichkeit zu leiden haben, erreicht. Unser Ziel sind landesweit gültige, einheitliche Fahrgastrechte. Das gibt einen zusätzlichen Anreiz zur Zuverlässigkeit bei den Bahnbetreibern.

Der Ihnen vorgelegte Bericht listet die zentralen Vorhaben des Schienenpersonennahverkehrs in Schleswig-Holstein auf. Ich möchte hier vor allem auf die Infrastrukturprojekte eingehen, denn sie sind die Grundlage für neue, attraktive Angebote. Zum einen das Drei-Achsen-Konzept der drei wichtigsten Verkehrsachsen zwischen SchleswigHolstein und Hamburg. So sollen für den Schienenpersonennahverkehr diese Achsen besonders ausgebaut werden, um das vorhandene Nachfragepotenzial stärker zu nutzen. Erste Achse: Hamburg-Bad Oldesloe-Ahrensburg. Richtiger müsste es heißen: Hamburg-Ahrensburg-Bad Oldesloe. Hier soll die S-Bahn bis Ahrensburg Nord, Bad Oldesloe verlängert werden, und zwar auf eigenem Gleis, um den Schienenengpass dort zu beseitigen.

Es geht zweitens um die Achse Hamburg-Elmshorn-Itzehoe. Auch hier herrscht ein besonders starker Engpass im Bereich Elmshorn-Pinneberg, der dringend entschärft werden muss. Das ist im Gespräch mit der DB und im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Ich hoffe, dass wir hier bald eine Einigung erreichen, um den Engpass zu beseitigen und die S-Bahn durch ein eigenes Schienennetz von der Fernbahn zu trennen. Express-S-Bahnzüge können umsteigefreie, schnelle Direktverbindungen schaffen.

Es geht drittens um die Achse Hamburg Hauptbahnhof-Hamburg Flughafen-Norderstedt-Kaltenkirchen. An dieser Achse, die wir weiterentwickeln wollen, gibt es ebenfalls ein erhebliches Fahrgastpotenzial. Der Ausbau wird die Fahrzeiten um bis zu einem Drittel verkürzen, und der Hamburger Flughafen wird eine Schienenanbindung nach Norden erhalten.

(Minister Dietrich Austermann)

Das ist keine Alternative zu dem hier immer wieder gewünschten Schienenflieger oder Metrorapid. Wir haben ja lange über die Frage diskutiert, was sich rechnet, was wirtschaftlich vernünftig und vertretbar ist. Wenn im Dezember über den Hauptbahnhof der Hamburger Flughafen per Bahn aus Schleswig-Holstein erreicht werden kann, ist das ein wesentlicher Fortschritt. Wenn es dann noch gelingt, die Anbindung des Flughafens nach Norden und Süden zu verbessern, ist dies ein wichtiger Schritt nach vorn.

Es sind Verbesserungen auf der Strecke NiebüllWesterland, Niebüll-Esbjerg sowie der Ausbaustrecke Kiel-Lübeck zu nennen. Einzelheiten dazu entnehmen Sie bitte dem Bericht, insbesondere im Hinblick auf die StadtRegionalBahn, die darin sehr ausführlich dargestellt wird.

Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Prioritäten sagen, denn diese sind je nach regionalem Bezug unter den politischen Akteuren umstritten. Wir prüfen für alle im Bericht genannten Projekte alle Finanzierungsmöglichkeiten. Für das Drei-AchsenProjekt auf der einen Seite beziehungsweise die StadtRegionalBahn auf der anderen Seite gibt es einen Fördertopf, der in Schleswig-Holstein bisher lediglich für den Ausbau der AKN angezapft wurde. Wir wollen diesen Fördertopf auch für andere Förderprojekte in Schleswig-Holstein anzapfen, die ein erhebliches Finanzvolumen haben. Wir prüfen, wie gesagt, beide Vorhaben.

Sollte es im Ergebnis zu einer Konkurrenz zwischen Vorhaben innerhalb des Landes kommen, dann würden wir den Projekten den Vorzug geben, die den größeren Nutzen für den Verkehr und den Klimaschutz haben sowie eine wesentlich größere Zahl von Fahrgästen ansprechen. Aus jetziger Sicht spricht mehr für das Drei-Achsen-Konzept als für die StadtRegionalBahn. Aber wir werden beide Projekte zu Ende denken. Außerdem wird der Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs im Großraum Hamburg mit Sicherheit weiter vorangetrieben werden. Über alles andere müssen wir später entscheiden.

Ein leistungsfähiger öffentlicher Personennahverkehr ist ein Standortfaktor ersten Ranges. Ohne ihn kann die Wirtschaft, ohne ihn kann das ganze Land nicht funktionieren. Ich weiß, dass die meisten hier nur mit dem Auto unterwegs sind und den ÖPNV denjenigen überlassen, die sich kein Auto leisten können oder für die sich die Fahrt mit dem Auto nicht lohnt. Wenn es eine direkte Streckenverbindung gibt, wird der ÖPNV natürlich genutzt. ÖPNV funktioniert allerdings dort am besten, wo

auch Schlipsträger von der Attraktivität des Angebots überzeugt werden und die regionale Wirtschaft den ÖPNV unterstützt, weil sie auf diese attraktive Form der Mobilität nicht verzichten will. Durch regelmäßige Nutzung des Schienenverkehrs sollten wir immer wieder deutlich machen, wie wichtig dieser für unser Land ist; das gilt für alle Bevölkerungsschichten.

Der öffentliche Personennahverkehr wird in Zukunft immer wichtiger werden, wobei der Klimaschutz und steigende Kraftstoffpreise wichtige Faktoren sein werden. Der ÖPNV liefert jedoch nicht nur ein Schlüsselprodukt, sondern ist selbst ein attraktiver Wirtschaftszweig. Inzwischen arbeiten in Schleswig-Holstein sieben Eisenbahnbetriebe. Schienenfahrzeuge fahren in unserem Land nicht nur, sondern sie werden hier auch gewartet. Es werden in zwei Werken Eisenbahnen produziert und in alle Welt geliefert. Außerdem wird Systemtechnik hergestellt sowie viele andere Dinge, die mit dem Schienenverkehr zu tun haben. Deswegen sind wir darum bemüht, die Themen Schienenverkehr und Bau von Lokomotiven so aufzubereiten, dass Sie sich für ein drittes Fraunhofer-Institut in SchleswigHolstein eignen.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen den gesamten Komplex zu einer neuen Leitidee verdichten, die wir gemeinsam vertreten. Schleswig-Holstein hat einen hervorragenden öffentlichen Personenverkehr, insbesondere auf der Schiene. Das bedeutet Lebensqualität, Klimaschutz und Arbeitsplätze. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Erfolgsgeschichte - so wie es bisher geschehen ist - gemeinsam fortschreiben würden.

(Beifall bei CDU und SPD)

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der Besuchertribüne unseren ehemaligen Abgeordnetenkollegen, Herrn Joachim Behm, ganz herzlich begrüßen. - Seien Sie ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die antragstellende FDP-Fraktion hat der Herr Kollege Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Austermann, ich finde, dass das, was Sie eben hier abgeliefert haben,

(Minister Dietrich Austermann)

schon an Arbeitsverweigerung grenzt. Wir haben einen Bericht zu sechs konkreten Punkten angefordert. Von diesen sechs Punkten haben Sie maximal einen halben Punkt tatsächlich beantwortet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben davon gesprochen, dass der SPNV immer wichtiger würde, auch für sogenannte Schlipsträger; ich nehme an, dass Sie damit auch einige von uns meinen. Es war aber nie die Rede von einem konkreten Finanzierungskonzept. Haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, irgendetwas von der konkreten Finanzierung der einzelnen Projekte gehört? - Ich nicht. Haben Sie irgendetwas von der Prioritätenliste, die wir explizit angefordert hatten, gehört? - Abgesehen davon, dass der Minister das Drei-Achsen-Konzept über die StadtRegionalBahn stellt, habe ich dazu nichts gehört. Ich finde es inakzeptabel, dass die Landesregierung einen Berichtsauftrag in dieser Art und Weise erfüllt.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dringend erforderlich - dabei nehmen wir die Landesregierung beim Wort - sind natürlich Lösungen, die in dem gegebenen finanziellen Rahmen ein Maximum an Nutzen generieren. Nur ein Gesamtkonzept unter Abwägung der verkehrspolitischen Erfordernisse und der finanziellen Möglichkeiten kann diese Maßgabe erfüllen. Ein Gesamtkonzept, Herr Austermann, haben Sie heute aber nicht vorgelegt.

Sie tingeln durch das Land und versprechen überall den zügigen Ausbau und Neubau von Bahnstrecken, die Schaffung neuer S-Bahn-Trassen oder sonstige Schienenprojekte. In Kiel versprechen Sie den Bau der StadtRegionalBahn, im südlichen Schleswig-Holstein die schnellere Anbindung an Hamburg durch ein Drei-Achsen-Konzept und im Landesteil Schleswig den zügigen Ausbau des grenzüberschreitenden SPNV zwischen Schleswig und Dänemark. Allerdings scheinen Sie, Herr Minister Austermann, zu vergessen, dass man jeden Euro nur einmal ausgeben kann. Um ihn aber ausgeben zu können, muss man ihn erst einmal in der Tasche haben. Bislang, Herr Minister, fehlt jedes Finanzierungskonzept zu Ihren Ankündigungen!

(Beifall bei FDP und SSW)

Außerdem fehlt eine Prioritätenliste in Bezug auf Ihre Vorhaben. Der vorliegende Bericht beinhaltet weder eine Prioritätensetzung noch eine verbindliche Aussage zur Finanzierung. Das ist - milde ausgedrückt - bei Weitem nicht ausreichend. Lassen

Sie mich auf einzelne Vorhaben, die in diesem Bericht genannt werden, eingehen. Da wäre zunächst das sogenannte Drei-Achsen-Konzept, bei dem es um die verkehrliche Anbindung des Hamburger Speckgürtels an den Hamburger Hauptbahnhof geht. Bereits am 21. Februar hat der Verkehrsminister dieses wegweisende Projekt in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert. Der Inhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die am stärksten genutzten Schienenverkehrsverbindungen in Schleswig-Holstein sollen bis 2015 ausgebaut werden.

Das war schon damals keine Neuigkeit, da dies bereits im Bundesverkehrswegeplan abgesichert ist. Für einen Teil der Strecke sollen Zwei-System-SBahnen benutzt werden. Auch das ist nicht revolutionär. Die AKN setzt diese auf ihrer derzeitigen Strecke zumindest im Abend- und Nachtbetrieb bereits ein. Es wäre ein Leichtes, dies auch tagsüber zu gewährleisten. Sie, Herr Minister, müssten es nur genehmigen. Die Kosten des Drei-AchsenKonzepts betragen rund 500 Millionen €. Die Finanzierung ist allerdings ungeklärt. Auch im heute vorliegenden Bericht der Landesregierung sind leider keinerlei neue Entwicklungen zu erkennen, kein Konzept, keine Finanzierung.