Protocol of the Session on May 29, 2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich hinzusetzen, damit ich die Sitzung eröffnen kann.

Erkrankt sind Frau Abgeordnete Monika Schwalm und Herr Abgeordneter Jürgen Feddersen. Wir wünschen von dieser Stelle aus nach wie vor gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt sind Herr Abgeordneter Günther Hildebrand von der FDP-Fraktion und für die Landesregierung die Ministerinnen Frau Ute Erdsiek-Rave und Frau Dr. Gitta Trauernicht sowie Herr Finanzminister Rainer Wiegard.

Es gibt eine besonders schöne Nachricht. Wir haben ein Geburtstagskind unter uns. Lieber Herr Hay, ich darf Ihnen als Abgeordneter und als Innenminister, aber auch als Abgeordnetenkollege aus Flensburg sehr herzlich zum Geburtstag gratulieren. Dies verbinden wir mit den besten Wünschen.

(Beifall)

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und eine glückliche Hand. Der Landtag wird Sie dabei gern begleiten.

Auf der Besuchertribüne begrüßen wir Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte des WolfgangBorchert-Gymnasiums, Halstenbek. Ebenso begrüßen wir Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften.

(Beifall)

Ich möchte die Begrüßung mit dem Tagesordnungspunkt verbinden, den ich gleich aufrufen werde. Während der Beratung des Tagesordnungspunkts 10 haben wir hohe Gäste aus dem breit gefächerten Bereich der Kirchen zu Gast. Persönlich möchte ich sehr herzlich für die evangelische Kirche Herrn Bischof Dr. Hans Christian Knuth und die Vizepräsidentin des Nordelbischen Kirchenamtes, Frau Heide Emse, begrüßen.

(Beifall)

Für die katholische Kirche begrüßen wir Dr. Martin Lätzel, den Leiter des Katholischen Büros Kiel.

(Beifall)

Für die Jüdische Gemeinde Schleswig-Holstein begrüßen wir den Vorsitzenden Igor Wolodarski, und für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden

von Schleswig-Holstein begrüßen wir das Vorstandsmitglied Walter Blender.

(Beifall)

Für die islamischen Gemeinschaften begrüßen wir den Vorsitzenden der Schura Schleswig-Holstein, Fatih Mutlu. Ich hoffe, ich habe das richtig ausgesprochen.

(Beifall)

Damit leite ich zum ersten Tagesordnungspunkt über. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Situation der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion der SPD Drucksache 16/1646

Antwort der Landesregierung Drucksache 16/2048

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Für die Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich dem Ministerpräsidenten, Herrn Peter Harry Carstensen, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung legt dem Parlament mit der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion eine Bestandsaufnahme vor, die grundlegende Daten der Arbeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Schleswig-Holstein dokumentiert. Ich sage ausdrücklich, dass ich für diese Fragen sehr dankbar bin, und zwar aus mehreren Gründen. Ich habe schon als Kind gelernt, dass Menschen ihren Glauben auf verschiedene Art und Weise praktizieren können. Wenn man von Nordstrand kommt, dann ist das so. Dort gibt es drei Kirchen; die römischkatholische Kirche, die altkatholische Kirche und die evangelische Kirche. Es gibt auch die religiöse Freistadt Friedrichstadt. Die Glaubensfreiheit besteht auf Nordstrand seit 1651. Sie begann drei Jahre nach dem Ende des 30-jährigen Kriegs. Ich glaube, das bedeutet etwas. All dies sind anschauliche Beispiele für die religiöse Vielfalt und Toleranz in unserem Land.

Dabei heißt Toleranz eben nicht, dass es einem egal ist, was der andere macht oder glaubt. Toleranz ist vielmehr untrennbar mit aufmerksamem Respekt verbunden. So meine ich, dass wir in SchleswigHolstein dem historischen Maßstab und dem Vor

bild gerecht werden, das uns die Geschichte zum Beispiel mit Friedrichstadt gibt.

Ich danke den Kirchen und Religionsgemeinschaften für ihre konstruktive Beteiligung an der Beantwortung der Fragen. In unserem Land gibt es eine Vielzahl von Kirchen und Religionsgemeinschaften, die ihre Mitglieder auf ihre Weise von der Geburt bis zum Tod begleiten. Die vorgelegten Zahlen sprechen eine beredte Sprache. Ich bin froh darüber, dass zum Beispiel die Zahl der Austritte aus der evangelischen Kirche deutlich abgenommen hat. Sie sank von mehr als 16.000 im Jahr 1999 auf rund 9.500 im Jahr 2006. Bei der katholischen Kirche sieht die Tendenz ähnlich aus. Ich bin dankbar dafür, dass wir mit der Antwort auf die Große Anfrage unsere Aufmerksamkeit auf die großartigen Leistungen richten können, die gerade die Kirchen in unserem Gemeinwesen erbringen. Vieles davon erfolgt ehrenamtlich und mit großem Einsatz und großem Verantwortungsbewusstsein. Ich begrüße auch sehr herzlich die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die heute zu unserer parlamentarischen Aussprache nach Kiel gekommen sind. Ich sage deutlich, dass ich vor Ihrem Engagement großen Respekt habe. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind prägende Akteure unserer Zivilgesellschaft. Auch dies wird bei unserer Bestandsaufnahme deutlich.

Gerade die diakonische und caritative Arbeit ist eindrucksvoll. Kirchen engagieren sich etwa bei der Hilfe für Suchtkranke und Behinderte, bei der Jugendhilfe und bei der Schuldnerberatung sowie bei der Familien- und Lebensberatung. Von den rund 1.600 Kindertageseinrichtungen in unserem Land sind ein Drittel der Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft. Gerade angesichts dieser eindrucksvollen Zahlen ist es mir wichtig, die Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht nur als eine Art von sozialen Dienstleistern wahrzunehmen. Nein, die Menschen finden seelischen, geistigen und seelsorgerischen Halt in ihrer Kirche und in ihrer Religion. Dies verlangt den staatlichen Stellen besonderen Respekt im Umgang mit ihnen ab.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Grundsätzlich kann man sagen, dass insbesondere das Verhältnis des Landes zu den beiden großen christlichen Kirchen und den jüdischen Landesverbänden freundschaftlich und vertrauensvoll ist. Erst im letzten Jahr haben wir das 50-jährige Bestehen des Staatskirchenvertrages mit der evangelischen Kirche gefeiert, und die Verhandlungen zum Abschluss eines entsprechenden Staatskirchenvertra

ges mit der katholischen Kirche sind regierungsseitig vorerst abgeschlossen. Deshalb will ich heute für die gute Zusammenarbeit im Rahmen dieser Verhandlungen allen Ministerien, auch im Namen des Leiters unserer Verhandlungsdelegation, unseres Staatssekretärs Heinz Maurus, ganz herzlich danken.

(Beifall)

Nach dem Zeitplan, den wir mit der katholischen Kirche abgestimmt haben, soll sich das Kabinett noch vor der Sommerpause mit dem Vertragsentwurf befassen und ihn diesem Haus zuleiten, sodass der Staatsvertrag noch in diesem Jahr ratifiziert werden kann. Die Frage, inwieweit in diesem Zusammenhang oder aufgrund anderer Notwendigkeiten eine Anpassung und Aktualisierung des Staatsvertrages mit der nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche beziehungsweise mit der zukünftigen Nordkirche erforderlich ist, werden wir in gewohnter Weise freundschaftlich und konstruktiv mit der Kirchenleitung besprechen. Bei diesen Gesprächen werden wir selbstverständlich die Hinweise und Vorschläge berücksichtigen, die uns der Finanzausschuss und der Landesrechnungshof in dieser Frage mit auf den Weg gegeben haben, wir werden aber auch sehr sorgfältig prüfen, inwieweit die Umsetzung dieser Vorschläge rechtlich möglich und politisch gewollt ist.

Im Januar 2005 wurde der Vertrag mit den jüdischen Landesverbänden über die Förderung jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein geschlossen. Dieser Vertrag hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Integration der jüdischen Zuwanderer als insgesamt gelungen betrachtet werden darf. Finanziell wird den jüdischen Gemeinden jedoch noch geholfen werden müssen. Ich will hier an die Eröffnung des jüdischen Gemeindezentrums in Bad Segeberg im letzten Jahr erinnern. Die Thorarolle, die nun wieder in der Synagoge steht, war 1932 ins Museum gekommen und hatte dort die Zeit des Nationalsozialismus überdauert. Es war an der Zeit, dieses ehrwürdige Zeugnis jüdischer Kultur und jüdischer Vergangenheit in Schleswig-Holstein aus dem Museum in unsere Gegenwart wieder zurückzuholen. Mich persönlich hat das sehr berührt.

(Beifall im ganzen Haus)

In Schleswig-Holstein leben rund 70.000 Muslime, die sich üblicherweise nur lose zu Moschee-Vereinen zusammenschließen; feste Strukturen kennt der Islam nicht. Um jedoch auch mit dieser Bevölkerungsgruppe ins Gespräch zu kommen, habe ich im letzten Jahr Kontakte zu Interessenvertretern des Is

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

lam aufgenommen. Die Gespräche sollen in diesem Jahr fortgeführt werden. Ich freue mich darauf, und ich glaube, wir sollten sie etwas intensiver führen. Sie dürfen nicht nur sporadisch sein, sondern sie müssen Struktur bekommen.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, für mich persönlich ist das christliche Menschenbild die Grundlage meiner Politik und bestimmt das Wesen meines Regierungshandelns. Da der Mensch von Gott geschaffen ist und dadurch eine unbedingte Würde hat, fühle ich mich auch verpflichtet, so gut ich es kann, zum Schutze des Lebens der Menschen beizutragen, solidarisch mit den Schwachen in unserer Gesellschaft zu sein und letztlich nach Gerechtigkeit zu streben. Ich finde übrigens, diese gemeinsame Verantwortung, die die Politik und die Kirche für den Nächsten haben, kommt auch auf schöne Weise in dem Begriff „Diakon“ und „Minister“ zum Ausdruck, denn beide bedeuten das Gleiche, beides heißt - das eine auf Griechisch, das andere auf Latein - „Diener“. Selbstverständlich bleibt die Trennung von Kirche und Staat dadurch unberührt.

(Zuruf)

- Das gilt auch für den Innenminister, für den „Innendiener“. - Den Kirchen kommt eine ganz besondere Verantwortung für den Erhalt der christlichen Werte in der Gesellschaft zu. Die Politik hat nach meinem Verständnis die Aufgabe, die christlichen Werte vor politischen und rechtlichen Einschränkungen zu schützen. Zugleich setze ich mich in unserer pluralistischen Gesellschaft für Toleranz gegenüber anderen Religionen und Wertegemeinschaften ein, die sich zu unserer Verfassung bekennen.

Wenn man über das christliche Menschenbild spricht, dann muss man auch darüber sprechen, dass dieses Menschenbild unmittelbare Auswirkungen auf politische Entscheidungen und politische Positionen hat, etwa zur Bioethik, zur Genforschung, zur Familienpolitik, zur Wirtschaftspolitik und zur Sozialpolitik, zur Bildungs- und Erziehungspolitik und zur Bewahrung der Schöpfung und eben auch zur Frage der Überschuldung der öffentlichen Haushalte zulasten kommender Generationen oder auch zu der Frage, wie wir es künftig schaffen, unseren eigenen Energiebedarf zu decken, ohne Nahrungsmittel aus ärmeren Ländern der Welt zu importieren oder den Hungernden Nahrungsmittel vorzuenthalten, indem wir Biosprit daraus herstellen. Brot gehört auf den Teller und nicht in den Tank, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Ich weiß natürlich, dass dies große Ziele und große Worte sind; sie müssen jeweils mit kleinerer oder auch größerer Münze zum Leben erweckt werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir diese Grundsätze und Maßstäbe benötigen, damit das Leben, insbesondere das politische Leben, gelingen kann und damit wir Gutes bewirken können. Gerade auch deshalb sind die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften mir und der ganzen Landesregierung wichtige Gesprächspartner und Ratgeber.

Ich bin dankbar für diese Form des Dialogs. Ich bin dankbar für die Kooperation bei der Beantwortung der parlamentarischen Fragen. Der Schleswig-Holsteinische Landtag setzt mit der heutigen Debatte ein deutliches Zeichen der Anerkennung. Auch dafür bin ich dankbar.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten. Er hat dem Thema ein bisschen mehr Zeit gewidmet, sodass wir die Zeiten der Fraktionen um eineinhalb Minuten verlängern.

Ich eröffne damit die Aussprache und erteile für die Fragestellerin, die SPD-Fraktion, Herrn Abgeordneten Rolf Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung starten. Wir reden in diesem Haus sehr häufig über Einzelaspekte, die die Kirchen und das religiöse Leben betreffen - Stichwort: Religionsunterricht, um nur eines zu nennen -, aber wir reden selten über die allgemeine Situation der Kirchen. Dass wir das heute tun können, ist eine wichtige und notwendige Botschaft an die Kirchen und an die Mitglieder der Kirchen, dass sie erkennen, dass wir hier auch in diesem hohen Haus die Gesamtsituation und den großen Beitrag, den die Menschen und die Kirche als Organisation für unsere Gesellschaft leisten, anerkennen und wertschätzen. Deswegen freue ich mich, dass wir heute darüber reden können.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)