Meine Damen und Herren, ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie sehr herzlich. Erkrankt sind die Abgeordneten Monika Schwalm, Sandra Redmann, Konrad Nabel und Ulrike Rodust. Ebenfalls erkrankt und heute nicht anwesend ist der Abgeordnete Manfred Ritzek, der gestern auf dem Heimweg in sein Hotel von einer Veranstaltung, auf der viele von uns waren, niedergeschlagen worden ist. Er ist im Krankenhaus, aber nicht in Lebensgefahr. Das ist schon eine besondere Situation.
Auf der Besuchertribüne darf ich herzlich begrüßen Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrkräfte von der Hans-Brüggemann-Realschule aus Bordesholm und von der Städtischen Handelslehranstalt aus Flensburg. - Seien Sie uns sehr herzlich willkommen!
Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1819 (neu)
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für den ersten Antragsteller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen im Interesse der betroffenen Menschen die Ursachen für die gehäuften Krebserkrankungen in der Elbmarsch im Raum Geesthacht aufklären. Das ist nicht einfach. Wir stellen uns dieser Aufgabe trotz der Schwierigkeiten, auf die ich in meiner Rede eingehen werde. Ich gehe davon aus, dass das immer noch konsensual im ganzen Haus gesehen wird, auch wenn wir es jetzt mit zwei Anträgen, einen von der Opposition
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines vorwegschicken: Ich finde es unglücklich, dass diese Debatte immer im Zusammenhang mit der Frage behandelt wird, ob wir unsere Energiebereitstellung mit Atomkraft machen sollen.
Dieser Aspekt spielt zwar fachlich eine Rolle, aber er gehört in diesem Zusammenhang hinten an. Ich brauche das auch nicht, um meine Forderung nach dem Atomausstieg zu begründen. Ich mache darauf aufmerksam, dass ich das seit 1996 sage. Das ist auch die Sichtweise der Fraktion, obwohl wir in diesem Zusammenhang die neue Studie über die Leukämiehäufung im Umfeld von atomtechnischen Anlagen nicht außer Acht lassen wollen. Aber lassen Sie uns das unabhängig von der atompolitischen Energiedebatte miteinander diskutieren.
Zwischen Dezember 1989 und Mai 1991 erkrankten in der näheren Umgebung des Atomkraftwerkes Krümmel auffällig viele Kinder an Leukämie. Neun Fälle wurden damals gemeldet. Seitdem kamen weitere Fälle dazu. Wir haben es hier objektiv mit einem sogenannten Cluster, einer Häufung von Leukämien, zu tun, wie es so weltweit an anderer Stelle nicht zu beobachten ist.
Es wurden umfangreiche Untersuchungen eingeleitet, um die Ursachen zu klären. Expertenkommissionen wurden eingesetzt, sowohl von der niedersächsischen Landesregierung als auch von der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Aufgabe der Expertenkommissionen war es, Empfehlungen für die Durchführung von Maßnahmen, Untersuchungen, von Bodenproben, Messungen, demografische Studien, und so weiter zu formulieren. Es handelte sich um Expertenkreise, die die Landesregierung und Ministerien beraten. Die Untersuchungen wurden nach Erteilung eines Auftrages durch das verantwortliche Ministerium von einem externen Institut durchgeführt.
Die Expertenkommissionen haben ihre Ergebnisse in einem jahrelangen Prozess vorgelegt. - Ich überspringe hier einmal einiges. - Ende November 2004 beendete die Expertenkommission Leukämie Schleswig-Holstein ihre Arbeit. In ihrem Abschlussbericht heißt es: Wir haben das Vertrauen in die Landesregierung verloren.
Es gab einen Konflikt. Die Experten meinten, noch weitere Ursachen erforschen zu müssen. Das Ergebnis war jedenfalls widersprüchlich. Dasselbe
Diese widersprüchlichen Ergebnisse wurden zunächst einmal beiseite gelegt, bis wieder neue Fälle in dem Gebiet auftauchten, die uns dann Anlass gaben, noch einmal in eine Betrachtung einzusteigen. Es gab einen Bericht unserer Landesregierung, es gab einen ähnlichen Bericht in Niedersachsen und es gab noch einmal eine zweitägige Expertenanhörung im Niedersächsischen Landtag, an der alle Kollegen teilgenommen haben, die im Sozialausschuss beziehungsweise in ihren Fraktionen mit der Befassung dieses Themas beauftragt waren. Wir haben das Ergebnis auch hier im Hause noch einmal diskutiert.
Nun war es so, dass die dortigen Ergebnisse, obwohl sie von einem hohem Niveau und - wie ich fand - von dem großen Bemühen auf allen Seiten um eine neutrale Annäherung an dieses komplexe Thema geprägt waren, trotzdem voller Widersprüche waren. Letztlich sind wir Volksvertreter und haben nur uns in begrenztem Umfang in radiologische Feinmessungsmethoden einzuarbeiten. Es wurde dort eine Methodendebatte geführt.
Sodann wurde von der grünen Fraktion im Niedersächsischen Landtag ein Antrag eingebracht und von allen Fraktionen im Niedersächsischen Landtag mitgetragen und das Bundesamt für Strahlenschutz gebeten, einen externen Fachfragenkatalog zur Evaluierung der Anhörungsergebnisse zu erarbeiten und mit den Experten im Nachgang aufzuarbeiten.
Diesen Schritt finden wir logisch. Daher schlagen wir dem Hohen Haus vor, unserem Antrag zuzustimmen und der Arbeitslogik des Niedersächsischen Landtages zu folgen. - Ich weiche - Sie merken das - von meiner vorbereiteten Rede auch aus dem Grunde ab, weil wir es auch mit einem Antrag der Koalition zu tun haben, auf den ich im Folgenden eingehen möchte.
Meine Damen und Herren, ganz verstehen kann ich es nicht. Ich fände es sinnvoll, die widersprüchlichen Ergebnisse der Expertenanhörung durch einen extern erarbeiteten und fachlichen Fragenkatalog zu überprüfen. Insofern wundern wir uns, dass die Große Koalition mit einem eigenen Antrag kommt und nicht das Gespräch zugunsten eines gemeinsamen Antrags gesucht hat.
Ich möchte auf diesen Antrag eingehen. - Es steht dort, im Rahmen der Anhörung - gemeint ist die Expertenanhörung am 11. und 12. April im Sozialausschuss des Niedersächsischen Landtages - wurde gefordert, dass weitere Untersuchungen erforderlich sind. Erst einmal möchte ich anmerken, dass es sprachlich eine wagemutige Formulierung ist, aber davon abgesehen ist das - so glaube ich - nicht das Ergebnis der Anhörung im Niedersächsischen Landtag gewesen.
Es bestand vielmehr eine gewisse Ratlosigkeit aufseiten der Experten. In den Reihen der Abgeordneten der CDU saß immerhin ein Atomphysiker und darüber war ich ganz glücklich, weil er sehr gute Fragen gestellt hat.
Aus meiner Sicht ist das nicht das Ergebnis der Expertenanhörung im Niedersächsischen Landtag. Vielmehr wollen wir mit dem Fragenkatalog des BfS den weiteren Untersuchungsbedarf fachlich sauber erarbeiten. Sie antizipieren hier, dass dieser Untersuchungsbedarf besteht. Des Weiteren schreiben Sie, dass weitere Bodenbeprobungen und deren Untersuchungen mit der Landesregierung von Niedersachsen abzustimmen sind. Mir ist nicht bekannt, dass die niedersächsische Landesregierung plant, solche Bodenbeprobungen vorzunehmen, die dann abzustimmen seien.
In Ihrem Antrag findet sich nicht wieder, ob die Große Koalition weitere Bodenbeprobungen will. Es ist vielmehr ein etwas schwammiger Antrag in der Formulierung. Ich wäre dankbar, wenn Sie das klarstellen könnten.
Damit ist auch die Frage der Kosten verbunden. Das heißt: Welches Ministerium oder welche Behörde ist in der Begleitung dieser Untersuchung verantwortlich? Offensichtlich gibt die Große Koalition darauf eine Antwort. Denn in Ihrem Antrag steht: Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine Modellregion zur Aufklärung der Zusammenhänge zu bestimmen. - Ich vermute also, dass die Kosten nicht vom Landeshaushalt getragen werden sollen. Also, wenn wir weitermachen wollen, müssen die nächsten Untersuchungsschritte hart begründet sein. Dies sage ich auch in Verantwortung für den öffentlichen Haushalt, der diese Untersuchungen finanziell zu tragen hat.
Ich bin dafür - das will ich noch einmal für meine Fraktion erklären -, dass wir weitermachen. Dies muss allerdings mit der nötigen Qualität in der Erarbeitung weiterer Schritte erfolgen.
Ich möchte abschließend noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der diese Materie so schwierig macht. Wir können aufgrund der Fallzahlen hervorragend begründen, dass wir es mit einem Cluster zu tun haben, das weltweit einmalig ist. Die Fallzahlen sind einerseits sehr beängstigend und andererseits sehr beeindruckend. Insofern gehört unsere Solidarität den betroffenen Eltern und den Menschen in der Umgebung, die sich selbstverständlich ängstigen. Allerdings - das muss man gleichzeitig sagen - sind die Fallzahlen so klein, dass sie einen kausalen Zusammenhang im Rahmen einer statistischen Betrachtung nicht zulassen. Das ist ein Widerspruch, in dem wir objektiv betrachtet stecken.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns weitermachen. Wir werden unseren Antrag zur Abstimmung stellen. Wir werden uns beim Antrag der Koalition aus den von mir genannten Gründen der Stimme enthalten. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir nicht die Gemeinsamkeit dieses Hohen Hauses in dieser Frage weiterhin anstreben würden.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen und erteile für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Ursula Sassen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Matthiessen, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre einführenden Worte. Denn Sie haben eingangs klargestellt, dass Sie diese Diskussion von der Diskussion über das Atomkraftwerk trennen wollen. Ich hatte nämlich bei Ihrer Pressemitteilung vom 10. Dezember einen anderen Eindruck. Von daher danke ich Ihnen nochmals. Da sind wir uns einig.
Am 11. und 12. April 2007 habe ich mit Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen des SchleswigHolsteinischen Landtages an der Anhörung im Sozialausschuss des Niedersächsischen Landtages teilgenommen. Namhafte Experten und Institute haben über ihre Untersuchungen zur Häufung von Leukämiefällen in der Elbmarsch berichtet. Ich bin der niedersächsischen Landesregierung und auch der Vorsitzenden des Sozialausschusses, Frau Gesi
ne Meißner, an dieser Stelle sehr dankbar dafür, dass sie ein solch emotionales Thema in sachlicher und der Bedeutung angemessener Atmosphäre stattfinden ließen.
Ich habe das Protokoll der Anhörung noch einmal überflogen. Erneut stellte sich bei mir das beklemmende Gefühl der Anhörung wieder ein: So qualifiziert und mit Zahlenmaterial und Formeln unterlegt die Vorträge auch waren, konnten sie bei mir nicht den Eindruck vermitteln, der Ursache des Leukämieclusters in der Elbmarsch wirklich ein Stück näher gekommen zu sein. Dies bestätigen auch die Redebeiträge der Kollegen des Niedersächsischen Landtages vom 12. Dezember 2007, und zwar parteiübergreifend.
Umso richtiger ist die Forderung des Niedersächsischen Landtages: Leukämiefälle in der Elbmarsch müssen geklärt werden. Bürgerinnen und Bürger in der Elbmarsch dürfen nicht alleingelassen werden. Dieser Aussage schließen wir uns gern an.
Der vorliegende Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und des SSW ist eine Kopie des parteiübergreifenden niedersächsischen Antrages, den wir sehr begrüßen. Er fordert mittels eines klar strukturierten Fragenkatalogs unter der Beteiligung des Bundesamtes für Strahlenschutz als Moderator die Aufarbeitung der aus der Anhörung gewonnenen Erkenntnisse und Thesen.
Nach meinem Eindruck mangelte es bei einigen Ergebnissen der in Hannover angehörten Experten an der Vergleichbarkeit der Standards und Methodik, was insbesondere im Zusammenhang mit der Untersuchung der sogenannten PAC-Kügelchen offenkundig wurde.
Das ZDF hatte seinerzeit in sensationeller Weise von Funden angeblich radioaktiver Kügelchen berichtet und mit einer nicht sorgfältig recherchierten Reportage in unverantwortlicher Weise zu noch größerer Verunsicherung der betroffenen Bevölkerung beigetragen.
Die Ergebnisse der von Professor Dr. Mirnov vorgenommenen Untersuchungen wurden von anderen Wissenschaftlern auch wegen der Messmethoden angezweifelt. Die radioaktiven sphärischen Objekte, also klitzekleine Kügelchen, wurden von einem anderen Experten als Flugasche bezeichnet.
Angesichts der widersprüchlichen Auffassungen und Messergebnisse ist die vom Niedersächsischen Landtag beschlossene vertiefte fachliche Bewertung und Aufarbeitung der Anhörung sinnvoll.