Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße alle ganz herzlich. Erkrankt sind die Abgeordneten Monika Schwalm, Susanne Herold und Dr. Heiner Garg. Wir wünschen ihnen von dieser Stelle aus nochmals gute Besserung.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie noch einmal daran erinnern, dass es heute aufgrund mehrerer Veranstaltungen im Haus im Casino keine Essensausgabe für Parlamentarier und Gäste gibt.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich der Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ute Erdsiek-Rave, das Wort.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im 21. Jahrhundert hat das Fach Religion an unseren Schulen in SchleswigHolstein seinen festen Platz. Das sage ich nicht, weil das Thema heute auf der Tagesordnung steht. Wenn Sie meine Stellungnahmen dazu in den vergangenen Jahren verfolgt haben, dann wissen Sie, dass dies für mich ein wichtiges Thema ist und dass es mir am Herzen liegt. Wir brauchen das Fach Religion, um den Schülerinnen und Schülern das zu vermitteln, was viele Erwachsene heute nicht mehr haben, nämlich ein Verständnis dafür, wie sehr unser gesamtes tägliches Leben vom Christentum ge
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Weiß das Herr Neugebauer auch? - Günter Neugebauer [SPD]: Ich wollte mal Pastor werden!)
- Dieses Thema kann durchaus Humor vertragen. Ich habe damit kein Problem. Ich glaube, Johannes Rau meinte mit diesem Ausspruch, man müsse die Bibel kennen, um die Zeitung zu verstehen, die Selbstverständlichkeit, mit der religiöse Bilder, Vokabeln und Motive unsere Sprache prägen. Dabei meine ich nicht nur den Ausspruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.
- Herr Neugebauer, ich habe von der Bibel gesprochen, nicht vom Neuen oder vom Alten Testament. Es ist viel mehr als das. Wenn man biblische Motive, die Symbole, die grundlegenden Texte, die Gleichnisse, die Bergpredigt, die Zehn Gebote und die Psalmen nicht kennt, dann bleibt sehr vieles von unserer abendländischen Kunst, unserer Musik und Literatur unverständlich. Das gilt übrigens auch für das Verständnis anderer Kulturen und Religionen, das im Religionsunterricht auch gelernt werden soll.
Das zu vermitteln, wäre schon viel. Es würde den Auftrag des Religionsunterrichts jedoch nur unzureichend beschreiben, denn es geht um mehr. Es geht um die Orientierung junger Menschen. Es geht um Welterklärung und es geht um Grenzfragen, um existentielle Fragen von Leben und Tod. Religionsunterricht ist damit ein unverzichtbarer Teil der Werteerziehung in unseren Schulen, und zwar in einer Dimension, die von keinem anderen Fach geleistet werden kann und soll. Ich will damit nicht sagen, dass die Werteerziehung, die die Schule heute leisten muss, auf dieses Fach beschränkt werden kann. Im Gegenteil, der Geist von Nächstenliebe, von Humanität und Menschenliebe ist ein Geist, der jede Schule prägen sollte.
Natürlich hat sich die Schule insgesamt neutral zu verhalten. So steht es im Grundgesetz und auch im Schulgesetz. Das Thema interreligiöse Toleranz hat mit der Zuwanderung und der Integration einen ganz anderen, nämlich einen hohen Stellenwert erhalten. Aktuell bewegt das Verhältnis zwischen christlicher und islamischer Religion nicht nur die Erwachsenen. Auch Kinder und Jugendliche setzen sich ganz zwangsläufig sehr früh damit auseinander, wenn zum Beispiel die Freundin mit dem Kopftuch in den Kindergarten oder in die Schule
kommt. Umso nötiger brauchen wir das Ersetzen von Halbwissen durch Aufklärung, durch Wissen und durch das Stärken interreligiöser Toleranz im Unterricht. Ohne einen qualitativ guten Religionsunterricht geht es also nicht. Anders als in anderen Bundesländern haben wir uns in Schleswig-Holstein mit einem Ersatz - etwa durch ein Fach wie LER, Lebensgestaltung, Ethik, Religion - nicht auseinandergesetzt. Allen Ansätzen, die, wenn ich mich recht erinnere, Herr Hentschel, von Ihnen kamen, bin ich immer entschieden entgegengetreten. Das wird auch so bleiben.
Im Grundgesetz und im Staatskirchenvertrag mit der Nordelbischen Kirche gibt es für diesen Unterricht stabile Fundamente. Für die katholische Kirche ist vorgesehen, in einem eigenen Staatskirchenvertrag analoge Regelungen aufzunehmen. Sie werden de facto bisher auch schon angewandt. Eine Sonderrolle nimmt der in diesem Jahr neu eingeführte Islamunterricht für ausgewählte Grundschulen in Schleswig-Holstein ein. Es muss betont werden, dass er - anders als das ordentliche Lehrfach Religion - nicht auf Artikel 7 des Grundgesetzes gründet. Es handelt sich um ein gesondertes Unterrichtsangebot, das bisher sehr gut angelaufen ist. Genaueres kann man darüber aber erst sagen, wenn die Erfahrungen des ersten Jahres vorliegen. Wir sind jetzt dabei, weitere Lehrkräfte für diesen Unterricht fortzubilden.
Was nun die Befunde der Antwort auf die Große Anfrage betrifft, so habe ich wirklich Verständnis dafür, wenn sich die Antragsteller ausführlichere Auskünfte gewünscht hätten, Frau Todsen-Reese. Wir haben aber seit 1993 einen Landtagsbeschluss, nach dem in der Schulstatistik keine fachbezogenen Daten zu erheben sind. Ausgenommen ist dabei die gymnasiale Oberstufe. Ich hoffe, dass Sie Verständnis dafür haben, dass wir diesen statistischen Aufwand auch nicht in Einzelfällen und auch nicht für eine Große Anfrage betreiben und betreiben können. Wir haben das auch im Fall des Musikunterrichts nicht leisten können, denn das hieße nach dem Grundsatz gleiches Recht für alle, dass wir auch für die anderen Fächer bei entsprechenden Anfragen solche Daten jeweils selbst erheben müssten.
Von unserem Ziel, Bürokratie auch in den Schulen abzubauen und das Ausmaß der zu führenden Statistiken abzubauen, würden wir uns dadurch deutlich entfernen. Denn das wäre auch nicht mit einem bis zwei Mausklicks einfach zu erledigen. Dazu gehören Menschen in über 1.000 Schulen, die die Daten
Die zur Verfügung stehenden Befunde stimmen mich allerdings zuversichtlich, was die zukünftige Rolle des evangelischen und katholischen Religionsunterrichtes angeht. Ich glaube, das hat etwas mit einer zunehmenden Nachfrage bei jungen Menschen, aber auch bei Erwachsenen, nach Orientierung, nach Wertvermittlung, nach den Antworten auf die Fragen, die ihnen wichtig sind, zu tun. Im Vergleich zu Großen Anfragen von 2003 ist die Teilnahme am Religionsunterricht nicht mehr rückläufig. Sie kann als stabil, gewiss auch manchmal schwankend, bezeichnet werden. Eine Tendenz nach oben können wir zudem an den Studierendenzahlen ablesen. Wie auch 2003 stehen uns ausreichend Fachlehrer zur Verfügung, um den Bedarf zu decken. Für uns sind dabei, wie bei den anderen Fächern, die Anforderungen der Schulen ausschlaggebend.
Damit Religion ein gewichtiges Fach in den Schulen bleiben kann, haben wir mit den aktuellen bildungspolitischen Weichenstellungen gute Grundlagen für die Absicherung geschaffen. Damit meine ich in erster Linie die Kontingentstundentafel, die es den Schulen erlaubt, ihren Unterricht flexibler zu organisieren. Für diese Stundentafel gibt es eine Vorgabe von der KMK, nämlich dass es Mindeststundenzahlen für die Kernfächer geben muss, die nicht unterschritten werden dürfen. Religion ist das einzige Fach außerhalb der Kernfächer, für das wir freiwillig in der Kontingentstundentafel Mindeststundenzahlen angesetzt haben, um diesen Unterricht wirklich sicherzustellen. In einem Gespräch, das ich vor wenigen Wochen mit den Bischöfen Dr. Knuth und Dr. Jaschke und weiteren Vertretern der beiden christlichen Kirchen geführt habe, ist diese Regelung von allen Seiten begrüßt worden.
Das Fach Religion wird dem gesellschaftswissenschaftlichen Bereich zugeordnet. Auch dies wird von den Kirchen nicht nur akzeptiert, sondern begrüßt. Das bietet uns neue Chancen für die Verknüpfung der Inhalte mit anderen Fächern wie Geschichte oder Wirtschaft und Politik. Diese Verknüpfung ist auch notwendig.
Das gilt in ähnlicher Weise für die gymnasiale Oberstufe. Hier lässt sich Religion sehr gut in die Profile einbetten. Zudem kann Religion auch durch die Erweiterung der Abiturprüfungsfächer häufiger als bisher zum Prüfungsfach werden.
gesamt natürlich das Interesse an diesem Fach frei sein muss von staatlichem Einfluss. Das müssen die Eltern, das müssen die Schülerinnen und Schüler selbst mitbringen. Das tun sie auch, und das ist auch der Garant für das weitere Fortbestehen.
Dazu braucht man als Gegenüber natürlich gute und glaubwürdige Lehrkräfte, die sich übrigens in einem sehr gut organisierten Verband zusammengeschlossen haben. Deswegen wünsche ich mir für die Debatte, dass darin auch eine Wertschätzung für die anspruchsvolle Arbeit für ein anspruchsvolles Fach zum Ausdruck kommt. Denn das ist doch wohl unbestritten: Diese Lehrer vermitteln Wissen, sie vermitteln Aufklärung, sie vermitteln Werte, die für die Gesellschaft unverzichtbar sind. Ich würde mich freuen, wenn von dieser Debatte heute ein solches positives Signal ausgehen würde.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der Besuchertribüne sehr herzlich begrüßen Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrkräfte der Grundund Hauptschule in Rickling und der Beruflichen Schulen am Schützenpark, Kiel. - Seien Sie uns herzlich willkommen!
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion hat die Frau Abgeordnete Herlich Marie Todsen-Reese.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, zunächst einmal herzlichen Dank für Ihr klares Bekenntnis zum Religionsunterricht. Mit dem ersten Teil Ihrer Rede war ich sehr einverstanden. Zu ein paar Kritikpunkten komme ich später.
Ein herzliches Dankeschön auch dafür, dass Sie sich bei der Diskussion um die Kontingentstundentafel für den Religionsunterricht sehr stark gemacht haben. Zunächst drohte uns hier eine massive Kürzung. Sie haben sich dort persönlich eingebracht. Aber ein Dank gilt auch den Vertretern der Nordelbischen Kirche und der katholischen Kirche, die vehement dafür gekämpft haben, und das mit einem Erfolg, den man als ordentlich bezeichnen kann.
Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben sich einige gefragt: Warum wieder das Thema Religionsunterricht? Ausgerechnet das Fach, das uns allen, glaube ich, als Nebenfach aus unserer Schulzeit bekannt ist, wie Musik, Sport und Kunst. Wenn es mal knapp wurde mit Lehrern und mit der Zeit, war das immer das erste Fach, das ausfiel. Daran hat sich, wie auch heute noch oft beklagt wird, nicht so viel geändert, und das ist schlecht.
Religion, aber auch Musik, Kunst und Sport dürfen kein Schattendasein führen. Sie sind Grundlagenfächer zur Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsfindung von Kindern und Jugendlichen. Ich will das gern im Folgenden begründen und ein paar grundsätzliche Anmerkungen zur Bedeutung des Religionsunterrichts machen.
Im August 2006 hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland zehn Thesen zum Religionsunterricht veröffentlicht. Im Vorwort schreibt der Vorsitzende Bischof Dr. Wolfgang Huber:
„Religion ist ein Großthema des 21. Jahrhunderts. Die Vorstellung, dass religiöse Fragen an Bedeutung verlieren und deshalb auch an der Schule unwichtig werden, hat sich als unzutreffend erwiesen. Der Gedanke, dass gesellschaftliche Modernisierung automatisch eine Säkularisierung der Gesellschaft und damit ein Verschwinden religiöser Fragen zur Folge habe, führt in die Irre. Religion ist und bleibt vielmehr eine wichtige Dimension menschlichen Lebens und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dementsprechend wächst die Bedeutung des Religionsunterrichts an den Schulen.“
Religionsunterricht bietet eine Plattform für Wissensvermittlung und Diskussion über die eigene Religion, über andere Religionen und Weltanschauungen, über die eigenen Wurzeln im christlichen Abendland wie über das Woher und Wohin ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auf der Suche nach ihrem Platz in der Mitte unserer Gesellschaft sind.
Kulturelle und religiöse Vielfalt machen das Leben von Kindern und Jugendlichen aber auch komplizierter. Bei ihrer Identitätsentwicklung gerade im Blick auf Religion und Glauben werden junge Menschen zunehmend alleingelassen. Weil dafür die Familie als Lernort oft ausfällt, gewinnt Religionsunterricht zumindest an Bedeutung. Er gibt Hilfestellung für jeden Einzelnen bei der Entwicklung und Ausgestaltung eines eigenen Wertefundaments. Und er ist, so Bischoff Huber, ein unentbehrlicher
Beitrag dazu, dass Schülerinnen und Schüler von ihrer Religionsfreiheit einen eigenständigen Gebrauch machen können.
Ein anderer Gedanke: Lange Zeit wurde Religion nur noch als Privatsache begriffen. Spätestens mit dem 11. September 2001 wurde die Relevanz von Religion für das gesellschaftliche Leben und für weltweite Prozesse wiedererkannt.