Protocol of the Session on June 16, 2005

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Müller, vielleicht verbinden Sie mit Ihrem Antrag die Hoffnung, die beiden jetzigen Koalitionspartner CDU und SPD gegeneinander auszuspielen. Dies kann allein schon deshalb nicht klappen, weil wir uns im Koalitionsvertrag auf eigenständige Initiativen der Partner in der Steuerpolitik geeinigt haben. Ich darf dazu den Koalitionsvertrag zitieren; es ist eine lesenwerte Schrift:

„In Fragen der Steuerpolitik ist sich die Koalition darüber einig, auf Bundesebene darauf hinzuwirken, Ausnahmetatbestände, Finanzhilfen und Subventionen zu verringern oder ganz abzuschaffen und Mehreinnahmen zu generieren.“

Und weiter heißt es:

„Bei dem notwendigen Umbau des Steuersystems werden die Kriterien Aufkommensneutralität, soziale Gerechtigkeit und Impulse für beschäftigungs- und familienfreundlichere Strukturen angelegt.“

Hinsichtlich des Kerns Ihres Antrages, nämlich der Erhöhung der Mehrwertsteuer, gibt es meiner Auffassung nach auch hier eine breite inhaltliche Übereinstimmung; ich sehe einmal von der kleinen Fraktion der Liberalen ab, die sich vielerorts für Steuersenkungen ausspricht, ohne nachher die Frage zu beantworten, wie denn die notwendigen Einnahmen für staatliche Ausgaben aufgebracht werden sollen.

(Beifall bei der SPD)

Dazu wird der Kollege Kubicki etwas sagen.

Unser Vorschlag für ein sozial gerechtes und einfaches Steuersystem wäre aus meiner Sicht ein Licht

blick für die große Mehrheit der Steuerzahler - nicht nur in Schleswig-Holstein -,

(Minister Rainer Wiegard unterhält sich mit einem Vertreter der Presse)

ein Lichtblick für die Einnahmesituation von Ländern und Kommunen, ein Lichtblick auf dem Weg zur Verringerung der Sozialabgaben -

Entschuldigung, Herr Kollege Hay. - Ich möchte die Presse bitten, den Plenarsaal zu verlassen.

(Beifall)

- und ein Lichtblick für alle, die immer wieder - ich sagte es vorher schon - eine Vereinfachung unseres Steuersystems gefordert haben.

Bereits im letzten Jahr waren sich die Finanzminister der Länder im Wesentlichen einig, dass das übereinstimmende Ziel der Steuervereinfachung nicht um den Preis weiter sinkender Staatseinnahmen angestrebt werden darf. Hierüber besteht auch Einigkeit in der Koalition.

Die Bürgerinnen und Bürger rufen zu Recht nach ausreichenden Mitteln für Schulen, für Kindergärten, für Straßenbau und viele andere Maßnahmen. Dann müssen sie es dem Staat allerdings auch ermöglichen, die finanziellen Mittel dafür bereitzustellen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Klar ist, dass ohne den Abbau von Steuervergünstigungen alle Versuche, zu einem einfachen Steuerrecht zu kommen, zum Scheitern verurteilt sind. Eine Reform, die ein transparentes und gerechtes Steuersystem zum Ziel hat, ist eine Mammutaufgabe; deshalb hatten wir im letzten Jahr unsere zehn Punke vorgelegt.

Wenn die öffentlichen Aufgaben auch zukünftig annähernd gerecht erledigt werden sollen, dann darf es keine weiteren Einnahmeverluste für den Staat geben. Deshalb sind wir als Sozialdemokraten auch der Auffassung, dass eine weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes nicht der richtige Weg ist.

(Beifall bei der SPD)

Subventionen müssen abgebaut und Schlupflöcher gestopft werden. Eine verbreiterte Bemessungsgrundlage, wie auch der Kollege Wadephul sie fordert, ist der richtige Weg, damit wir auch Geringverdienende weiter fördern können. Dies kommt in erster Linie den Familien zugute. Senkungen im Eingangssteuer

(Lothar Hay)

satz können dazu beitragen, Nettoarbeitseinkommen und Sozialleistungen zu vergrößern und beschäftigungs- sowie arbeitsmarktpolitischen Verwerfungen des Sozialsystems entgegenzutreten.

Über Pauschalierungen - beispielsweise bei Werbungskosten und Fahrtkosten - soll der Verwaltungsaufwand bei den Steuerzahlern und den Finanzämtern erheblich verringert werden können. Es könnte dann in vielen Fällen sogar auf eine Steuererklärung verzichtet werden. Damit Kinder nicht länger das Armutsrisiko Nummer eins bleiben, wollen wir über eine verfassungskonforme Individualveranlagung und den gleichzeitigen Wegfall des Splittingtarifs über ein erhöhtes Kindergeld Steuermehreinnahmen unmittelbar an die Eltern zurückgeben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen die Erbschaftsteuer reformieren und größere Erbschaften stärker steuerlich heranziehen. Gleichzeitig sollen über Freibeträge das selbstgenutzte Familienhaus gesichert und die Betriebsübernahme - insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen - erleichtert und sichergestellt werden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle muss man auch deutlich machen: Von 1998 bis 2005 hat es für Steuerzahler und Unternehmen insgesamt Steuerentlastungen in einem Umfang von 55 Milliarden € gegeben. Man kann es - zumindest aus sozialdemokratischer Sicht - nicht deutlich genug sagen: Bei der Frage, um die es heute geht, nämlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer, sind wir der Auffassung, dass diese Erhöhung ausschließlich für eine Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden darf und nicht für andere Zwecke der Haushaltskonsolidierung. Wir lehnen das eindeutig ab. Ich hoffe, ich musste das das letzte Mal sagen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heiner Garg [FDP]: Und wer garantiert uns das?)

Es besteht durchaus Einigkeit: Die hohen Lohnnebenkosten wirken wie eine Strafsteuer auf Arbeit. Schwarzarbeit wird begünstigt. Unser Ansatz bedeutet ein klares Ja zu Sozialreformen und einer damit verbundenen größeren Eigenverantwortung, aber ein klares Nein zur Abschaffung des Solidarprinzips in den Sozialversicherungen. Daran halten wir fest, weil das ein wesentliches Merkmal unseres Sozialstaates ist.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Die Umsetzung dieses Konzepts würde den Konsum in Deutschland stärken und über die Entlastung des Faktors Arbeit auch Chancen auf Beschäftigung erheblich steigern. Wenn dann gleichzeitig der ermäßigte Steuersatz für Waren des täglichen Gebrauchs noch reduziert oder an der einen oder anderen Stelle überprüft wird, dann entlastet dies Gering- und Normalverdiener.

Von den verringerten Sozialversicherungsbeiträgen profitieren auch endlich einmal nicht nur Unternehmer, sondern auch direkt die Arbeitnehmer. Wenn Arbeit wieder billiger wird, entstehen mehr Arbeitsplätze und die Kaufkraft steigt insgesamt. Das ist aus unserer Sicht ein Beschäftigungszuwachs, der die Konjunktur und den Konsolidierungskurs auf den richtigen Weg bringt und insgesamt zu einer Stärkung der Sozialversicherungssysteme beitragen kann. Dass dieser Weg von uns nicht neu erfunden werden musste oder erfunden werden muss, kann man feststellen, wenn man nach Skandinavien guckt. Ein Blick nach Norden ist zumindest in diesem Fall der richtige Weg.

Lassen Sie mich noch zwei Sätze zur Agenda 2010 sagen, weil diese damit im direkten Zusammenhang stehen, wenn wir hier über die Senkung von Lohnnebenkosten diskutieren. Die Agenda 2010 ist sicherlich ein schmerzhafter, aber unausweichlicher Weg, den wir angefangen haben, zu gehen. Dieser Weg muss weitergegangen werden. Er bedarf allerdings an der einen oder anderen Stelle, an der es soziale Verwerfungen gibt, die wir als Sozialdemokraten nicht mittragen können, einer deutlichen Kurskorrektur. Der Kurs muss im Grundsatz aber beibehalten werden, weil die Agenda 2010 alternativlos und richtig ist.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir sind uns mit unserem Finanzminister darin einig, dass eine Verringerung von Lohnnebenkosten durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ein möglicher und sinnvoller Weg ist. Ich freue mich natürlich, dass auch die Grünen diese Position nach wie vor teilen. Ich hatte aber eingangs schon darauf hingewiesen, in welchen Gesamtzusammenhang dieser Antrag zu stellen ist. Es ist der 18. September. Deshalb werden Sozialdemokraten diesen Antrag auch ablehnen. Wir sind hier nicht im Bundestagswahlkampf. Wir haben für das Land genug zu tun. Es gibt wichtigere Dinge.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insbesondere die letzten beiden Sätze klangen sehr staatstragend. Natürlich glaubt sie keiner. Ich frage mich, ob wir bis zum 18. September hier nur noch Wahlkampf machen werden. Das wäre für das Land vielleicht nicht das, was sich manche davon versprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, es wird Sie nicht weiter verwundern, dass ich inhaltlich relativ wenig Sympathie für Ihren Antrag habe. Das habe ich hier schon sehr oft gesagt. Politisch habe ich allerdings sehr viel Sympathie für Ihren Antrag, denn Sie zwingen - nennen wir ihn mal Möchtegern-Kofinanzminister Stegner - dazu, endlich Farbe zu bekennen, denn Herr Stegner hat schon vorsorglich für die Landesregierung beschlossen, dass die Mehrwertsteuererhöhung kommt, wahrscheinlich nach dem 18. September. Ich gehe davon aus, dass er Ihrem Antrag heute zustimmen wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der Herr Stegner, der im Kampf gegen Kopfpauschale, Gesundheitsprämie oder gegen ein prämienfinanziertes System, also im Kampf für eine gerechtere Verteilungspolitik immer gern die Krankenschwester und den Busfahrer auf der einen Seite und sich selbst, also den Minister, und den Chefarzt auf der anderen Seite sieht. Im Ergebnis möchte Herr Stegner, dass in Zukunft die von ihm zitierte Krankenschwester, der Busfahrer, der Chefarzt und der Minister die gleiche schlechte gesundheitliche Versorgung erhalten. Er muss dann aber auch ganz deutlich sagen, dass in Zukunft eine schlechte Versorgung für alle gelten soll. Ich möchte hingegen, dass die Krankenschwester, der Busfahrer, der Chefarzt und auch der Minister eine gleich gute Versorgung in einem modernen Gesundheitssystem erhalten.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte, dass alle Menschen in Zukunft am medizinisch-technischen Fortschritt partizipieren. Herr Stegner möchte das nicht, nämlich in seinem System gibt es keinen medizinischen und keinen medizinischtechnischen Fortschritt mehr. Ich möchte ein modernes, leistungsfähiges und innovatives Gesundheitssystem, das Arbeitsplätze schafft und weltweit führend ist. Herr Stegner will eine drittklassige staatlich organisierte Notfallversorgung für die Krankenschwester, für den Busfahrer, für den Chefarzt und für sich selbst.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Lieber Herr Hentschel, ich bin die ganze Zeit beim Thema, denn Sie waren einer der ersten, die im Zusammenhang mit den Lohnnebenkosten oder den Lohnzusatzkosten von einer Strafsteuer auf Arbeit sprachen. Und an diesem Punkt haben Sie Recht.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Schreien Sie doch nicht so! An diesem Punkt haben Sie völlig Recht. Nehmen wir das Beispiel GKV. Sie sprechen von einer Strafsteuer auf Arbeit. Diese Strafsteuer auf Arbeit gilt bei der GKV für 90 % der Bevölkerung. Herr Hentschel, ich frage mich: Warum um Himmels willen plädieren Sie dafür, diese Strafsteuer auf Arbeit auf 100 % der Bevölkerung auszudehnen, denn nichts anderes ist Ihr Vorschlag einer Bürgerversicherung? Sie wollen alle aus der Bevölkerung in ein solches System zwingen. Sie wollen, dass in Zukunft alle diese Strafsteuer auf Arbeit bezahlen.

Lieber Kollege Hentschel, vor der Frage einer Erhöhung von Steuern und vor einer Umsteuerung in den sozialen Sicherungssystemen sollten wir uns fragen: Was sollen diese Systeme in Zukunft eigentlich leisten? Sollen sie weiterhin Einkommensumverteilungssysteme sein, wie sie es bisher sind? Über die sozialen Sicherungssysteme - sei es die Rentenversicherung, sei es die Krankenversicherung oder die gesetzliche Pflegeversicherung - wird in hohem Maße Einkommen schlichtweg umverteilt, ohne dass tatsächlich eine Sicherungsfunktion erfüllt wird. Oder sollen soziale Sicherungssysteme in Zukunft tatsächlich die Risiken Krankheit, Pflege sowie die Sicherung des Einkommens im Alter absichern? Wenn Sie diese Fragen beantworten, dann bin ich auch bereit, mit Ihnen in eine Diskussion darüber zu treten, wie wir in Zukunft modern gestaltete soziale Sicherungssysteme umbauen wollen.

Vor dem Hintergrund der Frage, was in Anbetracht der demographischen Entwicklung modern in einer Gesellschaft ist, brauche ich keine weiteren Ausführungen zu machen. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, dass es immer weniger junge Erwerbsfähige und immer mehr ältere potenzielle Leistungsempfänger gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Sozialdemokraten, Sie vergessen, dass Sie mit einem System für alle, wie Sie Ihre Bürgerversicherung nennen, nicht nur den mit B10 besoldeten Staatssekretär hineinziehen. Es gibt sehr viel mehr Beamte der Gehaltsstufen A4, A5 und A6, die Sie da mit hineinzwingen und für die sofort ein Leistungsanspruch ausgelöst wird. Insofern belasten