Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich.
Erkrankt sind die Abgeordneten Monika Schwalm, Bernd Schröder und Olaf Schulze. Ich wünsche der Kollegin und den Kollegen von dieser Stelle aus gute Besserung.
Beurlaubt sind die Abgeordneten Frauke Tengler, Dr. Henning Höppner, Klaus Klinckhamer und Claus Ehlers. Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und die Landesminister Dr. Ralf Stegner und Rainer Wiegard beurlaubt.
Auf der Tribüne begrüße ich ganz herzlich Schülerinnen und Schüler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums mit ihren Lehrkräften aus Preetz und die des Immanuel-Kant-Gymnasiums aus Neumünster. Seien Sie uns herzlich willkommen!
Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich dem Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Herrn Uwe Döring, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Schleswig-Holstein stehen mehr als 44.000 Menschen unter Betreuung. Staat und Gesellschaft übernehmen für diese große Zahl von Menschen eine ganz besondere Verantwortung, nicht um sie zu entmündigen oder zu bevormunden, sondern um sie in Lebensbereichen zu unterstützen, in denen sie sich nicht mehr allein zurechtfinden. Wer betreut wird, meine Damen und Herren, verliert damit nicht sein Selbstbestimmungsrecht. Auch der Betreute hat Anspruch auf die Achtung seiner Würde und
die bestmögliche Respektierung seiner verbliebenen Selbstbestimmungsfähigkeiten. Deshalb müssen individuelle Wünsche und Interessen vom Betreuer so weit wie möglich akzeptiert werden.
Das Betreuungsrecht ist jetzt seit 15 Jahren in Kraft. Die erste Große Anfrage zur Betreuung in Schleswig-Holstein ist eine gute Gelegenheit - ich darf mich bei der FDP bedanken -, Bilanz zu ziehen und die Herausforderungen der Betreuung zu benennen. Das Betreuungsrecht hat sich bewährt und vieles verbessert, aber das Betreuungsrecht ist dennoch von Beginn an immer wieder Gegenstand von Reformdebatten geblieben und ist bereits zweimal reformiert worden.
Die Antwort auf die Große Anfrage zeichnet die Entwicklung des Betreuungsrechts nach und liefert eine Fülle von Zahlen und Statistiken; das ist so üblich. Aber es wird deutlich: Das Betreuungsrecht hat sich zu einem komplexen und weit verästelten Rechtsgebiet entwickelt. Das liegt zum Teil in der Natur der Sache, weil die Betreuung in wichtige Grundrechte eingreift und unser aller Leben immer komplizierter wird, was am Betreuungsrecht nicht spurlos vorübergehen kann.
Ich glaube allerdings, dass am Beispiel des Betreuungsrechts auch die Grenzen dessen deutlich werden, was rechtsstaatlich regelbar und politisch gestaltbar ist. Ich warne davor, Betreuer, Betreute und Vormundschaftsgerichte mit immer komplexeren Regelungen zu überfrachten. Denn ein zu kompliziertes und überbürokratisiertes Betreuungsrecht liefe in der Praxis leer und wäre nicht mehr in der Lage, seinen Zweck zu erfüllen. Diese Gefahr müssen wir bei allen zukünftigen Reformdiskussionen im Auge behalten.
Deshalb stehe ich zum Beispiel der Forderung skeptisch gegenüber, als sozusagen dritte neutrale Instanz Ombudsleute oder Mediatoren rechtlich in das Betreuungsverfahren einzubinden. Nicht alles, was gut gemeint ist, ist in der Praxis auch wirklich gut.
Deshalb sollten wir hier der Versuchung widerstehen, noch komplexere Regelungen auf den Weg zu bringen.
Meine Damen und Herren, wir haben seit Jahren kontinuierlich steigende Betreuungszahlen in Schleswig-Holstein. Das hat natürlich mit der steigenden Lebenserwartung zu tun, die in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen wird. Schon heute ist jeder Vierte älter als 60 Jahre, 2030 wird es bereits jeder Dritte sein. In einer Gesellschaft, in
der Alzheimer und Demenz Massenphänomene sind, werden gute Pflege, gute medizinische Versorgung und eben auch gute rechtliche Strukturen wichtiger, um Menschen zu helfen, die sich selbst nicht mehr helfen können.
Dies gilt ganz besonders für Schleswig-Holstein, denn Schleswig-Holstein versteht sich als wichtiger Gesundheitsstandort. In den Krankenhäusern und Pflegeheimen spielt Betreuung eine besondere Rolle. Außerdem sagen alle demografischen Prognosen voraus, dass sich in Schleswig-Holstein zukünftig überdurchschnittlich viele Menschen in ihren alten Tagen niederlassen werden, um hier ihren Lebensabend zu verbringen.
Unsere alternde Gesellschaft ist allerdings nicht der einzige Grund für mehr Betreuungsfälle. Betreuung ist kein auf ältere Menschen begrenztes Problem. Weitere Gründe sind die zunehmende Zahl von Einpersonenhaushalten, psychische Erkrankungen gerade auch bei jüngeren Menschen, Personaleinsparungen in Pflegeeinrichtungen und die immer größere Komplexität und Verrechtlichung der Gesellschaft. Man sieht, in dem Rechtsgebiet der Betreuung spiegelt sich die Entwicklung unserer Gesellschaft wieder, im Guten wie im Schlechten.
Meine Damen und Herren, die Justiz wird mit Betreuungsverfahren ganz erheblich belastet. Das bindet Kapazitäten und kostet Geld. 2006 haben wir allein 6 Millionen € für die Personalkosten aufgewendet. Hinzu kommen 21 Millionen € für Verfahrens- und Gutachterkosten. Der größte Teil davon sind die Vergütungen für Berufsbetreuer.
Mit den Betreuungsfällen steigen auch die Kosten stetig an. Auch die vor zwei Jahren im zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz eingeführte Pauschalierung der Betreuervergütung hat daran nichts geändert.
Das Geld, das wir für Betreuung ausgeben, ist sicherlich gut angelegt, aber viel wichtiger als Geld sind mitmenschliche Solidarität und bürgerschaftliches Engagement in der Betreuung.
Eine sehr positive und unverzichtbare Rolle spielen dabei die Betreuungsvereine. Außerdem übernehmen mittlerweile mehr als zwei Drittel der Betreuer diese Aufgabe ehrenamtlich. Oft sind es Familienangehörige, und in jedem zehnten Fall sind es rein Ehrenamtliche, die in ihrer Freizeit diese Aufgabe wahrnehmen, und das ist sehr wichtig. Das zeigt, dass es große Bereitschaft gibt, für die Gesellschaft und seine Mitmenschen Verantwortung zu übernehmen.
Aber diejenigen, die dafür Zeit und Energie einsetzen, dürfen nicht auch noch finanziell draufzahlen.
Das Justizministerium hat deshalb für die ehrenamtlichen Betreuer in Schleswig-Holstein eine Gruppenversicherung abgeschlossen, die aus der Betreuung resultierende Schadenersatzrisiken abdeckt. Das ist nicht unwichtig. Und - darauf bin ich besonders stolz - auf unsere Initiative hat der Bundesrat vor wenigen Wochen beschlossen, den steuerlichen Freibetrag für die pauschalierte Aufwandsvergütung von 256 € auf 2.100 € zu erhöhen, also um das Achtfache.
Ich hoffe sehr, dass der Bundestag diesem Vorschlag folgt. Im Bundestag war dies nicht durchsetzbar, jedenfalls im ersten Schritt nicht. Ich bin sehr froh, dass wir es im Bundesrat hinbekommen haben, dass dies mitgetragen wird. Denn solche kleinen finanziellen Hilfen für ehrenamtliche Betreuer sind wichtiger als alle wohlfeilen Appelle. Wir werden ehrenamtliche Betreuung auch in Zukunft und an einigen Stellen noch besser fördern müssen, um diese wichtige Säule der Betreuung zu stärken.
Meine Damen und Herren, Entscheidungen des Betreuers können nicht nur weitreichende finanzielle Folgen für die Betreuten haben. Wie die derzeitige Diskussion um passive Sterbehilfe und Patientenverfügungen zeigt, geht es manchmal sogar im wahrsten Sinne des Wortes um existenzielle Entscheidungskonflikte, in die ein Betreuer geraten kann. Das Betreuungsrecht muss deshalb für eine hohe Qualität der Betreuer sorgen. Die Vormundschaftsgerichte müssen die Betreuer nicht nur bestellen, sondern auch kontrollieren und Missbrauch verhindern. Ich bin froh, feststellen zu können: In Schleswig-Holstein tun wir sehr viel dafür, damit diese hohen Anforderungen an die Qualifikation von Betreuern in der Praxis auch tatsächlich erfüllt werden.
Besonderes Augenmerk legen wir auf die vermögensrechtlich schwierigen Betreuungen. Denn hier bedarf es einerseits besonderen Geschicks des Betreuers, andererseits - auch das muss man offen sagen - wächst die Missbrauchsgefahr mit der Höhe der Beträge, um die es geht. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Verhinderung krimineller Machenschaften - diese kann es natürlich auch geben -, aber es muss verhindert werden, dass ein Betreuer von seiner Aufgabe überfordert wird oder dass ein Berufsbetreuer zu viele Menschen betreut, um dem Einzelnen noch gerecht werden zu können.
Das Betreuungsrecht wird auch in Zukunft in Bewegung bleiben, weil es sich wieder an neue gesellschaftliche Entwicklungen anpassen muss. Aber eines ist schon heute klar: Ohne die ehrenamtlichen Betreuer, die Betreuungsvereine und die Vernetzung der örtlichen Arbeitsgemeinschaften könnte Schleswig-Holstein die 44.000 betreuten Menschen nicht so, nicht so menschlich und nicht so professionell betreuen, wie es derzeit geschieht.
Der Rechtsstaat kann zwar für gute rechtliche Rahmenbedingungen sorgen, der Sozialstaat kann für die notwendige finanzielle Unterstützung sorgen, doch das alles ist nichts ohne das Engagement der Zehntausende Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein, die Tag für Tag für eine menschliche Betreuung einstehen. Davon lebt unsere Gesellschaft.
Für diesen Einsatz gebührt den professionell und ehrenamtlich Engagierten unser Respekt, unser Dank und unsere Anerkennung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Fraktion der FDP der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Justizminister, zunächst danke ich Ihnen im Namen meiner Fraktion für die Antwort auf die Große Anfrage sowie auch Ihren Mitarbeitern. Die Antworten geben 17 Jahre nach Inkrafttreten des Betreuungsrecht eine ordentliche Grundlage, die Probleme in Schleswig-Holstein weiter zu diskutieren. Ich sage ausdrücklich, dass die Anfrage auch durch einen bestimmten Einzelfall angestoßen wurde, von dem alle wissen. Aber, ich glaube, es war insgesamt nötig, nach so langer Zeit das Betreuungsrecht wirklich unter die Lupe zu nehmen. Herzlichen Dank dafür!
Ob durch einen Unfall mit schweren Folgen, einen Schlaganfall oder das lange verdrängte Abgleiten des Partners in die Demenz - es gibt viele Anlässe, bei denen festgestellt werden muss, dass ein Mensch nicht mehr in der Lage ist, rechtswirksame Entscheidungen selbst zu treffen. In dieser Situation wird den Betroffenen im Wege der Betreuung jemand an die Seite gestellt, der ihm hilft. Oftmals ist dieser Betreuer jemand aus dem Familien
kreis, der im günstigsten Fall vorher im Rahmen einer Vorsorgevollmacht hierzu bestimmt worden ist. Aber was ist, wenn es nicht einmal mehr Angehörige gibt, die sich für den Betroffenen einsetzen können oder wollen? Was ist, wenn fremde Menschen über die Lebensumstände eines ihnen unbekannten Menschen entscheiden sollen?
Noch immer gibt es in der Bevölkerung Ängste und Vorbehalte, wenn es um das Instrument der Betreuung geht. Dass dies so ist, hat sicherlich seinen Ursprung auch darin, dass das bis 1992 geltende Recht der Vormundschaft und der Pflegschaft über Volljährige sehr weit ging. Nach der alten Rechtslage gab es nämlich nur das System „alles oder nichts“. Genau dieses Problem ist durch das einheitliche Rechtsinstitut der Betreuung endlich gelöst worden.
Anstatt die Betroffenen zu bevormunden, werden sie jetzt betreut. In den Mittelpunkt des Betreuungsrechts sind das Wohl und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen gerückt. Das bedeutet gegenüber dem früheren Vormundschaftsrecht eine erhebliche Verbesserung der Rechtsstellung volljähriger, psychisch kranker oder körperlich, geistig oder seelisch behinderter Menschen.
Das dies so ist, wird aus der sehr ausführlichen und sorgfältigen Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zur Betreuung deutlich. Die Antworten zeigen aber auch, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Praxis oftmals noch mit Leben erfüllt werden müssen, auch 17 Jahre nach Inkrafttreten der grundsätzlichen Neuregelungen.
Denn bei der konkreten Umsetzung werden Betreute mit ihren Angehörigen, Gerichte und Betreuer oftmals zu sehr alleingelassen. Das ist nicht so sehr ein Problem des Rechts, sondern insbesondere ein Problem des Umgangs damit in der Praxis aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen.