Protocol of the Session on January 25, 2007

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei anderen neuen Programmen müssen, wie in der Vergangenheit, die Erfahrungen abgewartet werden. Grundsätzlich muss es darum gehen, Hemmnisse beim Einstieg in den Arbeitmarkt bei klar definierten Zielgruppen zu überwinden und Mitnahmeeffekte zu vermeiden. Dazu ist, wie in der Vergangenheit, eine laufende Evaluation nötig. Ich denke, das wird regelmäßig Thema in den Ausschüssen sein, und das ist gut so. Danke, Herr Minister. Ich glaube, Sie haben Ihre Arbeit gut gemacht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme jetzt zum Zukunftsprogramm Wirtschaft, das immerhin über die Hälfte des gesamten Zukunftsprogramms Schleswig-Holstein ausmacht. Die Europäische Union hat völlig neue Wege beschritten, um den in der Vergangenheit immer wieder beklagten Fehleinsatz von Fördermitteln zu vermeiden. Ich bin etwas erstaunt darüber, dass meine Vorredner alle so getan haben, als redeten wir von dem, was wir auch schon in der Vergangenheit gemacht haben, und setzten das fort. Das ist in der Tat nicht der Fall. Die Europäische Union hat die Rahmenbedingungen völlig neu gestaltet. Ich meine, es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen.

(Karl-Martin Hentschel)

Im Ergebnis umfasst die Programmstrategie, die das Land im November bei der Europäischen Union eingereicht hat - ich habe sie nur nach langen Mühen gefunden, selbst die Staatskanzlei konnte mir nicht sagen, wo sie steht; ich habe mehrfach angerufen -, 200 Seiten. Sie ist im November im Kabinett verabschiedet worden. Begleitet wurde dies von einer sogenannten Ex-Ante-Evaluierung der Firma Rambøll Management, die allein 94 Seiten umfasst. Eine vollständige Würdigung dieses Prozesses ist deshalb in 20 Minuten nicht möglich.

Ich möchte aber auf einige zentrale Aspekte der Regionalförderung eingehen. Zurzeit wird die neue Strategie der Regionalförderung europaweit in vielen Foren, Symposien und so weiter diskutiert. In Hamburg ist das auch gerade aktuell. Ich meine, es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen.

Grundlage dieser Diskurse ist die Neue Wachstumstheorie, deren bekanntester Theoretiker Professor Richard Florida von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh ist. Für Richard Florida liegt das Geheimrezept des regionalen Wachstums nicht in niedrigen Steuersätzen, nicht in geringen Lohnnebenkosten, nicht in billigen Gewerbegebieten, sondern es liegt in einem Dreiklang, nämlich Technologie, Talent und Toleranz. Technologie steht für gute Universitäten und Forschungsinstitute, Talent steht für einen hohen Bildungsstand und Toleranz steht für ein liberales gesellschaftliches Klima und eine mutige Einwanderungspolitik.

Diese Faktoren sind deshalb entscheidend, weil sie dafür sorgen, dass kreative junge Leute, die für die Gründung von Unternehmen und für Standortentscheidungen von Zukunftsbranchen entscheidend sind, angelockt werden. Übrigens wurde festgestellt, dass mehr als 80 % aller neuen Arbeitsplätze nicht von großen Konzernen geschaffen werden, sondern von kleinen aufstrebenden Firmen. Angelockt werden diese kreativen Leute von der Offenheit von Regionen gegenüber unkonventionellen Leuten und Lebensstilen, von einer lebendigen Musik- und Kunstszene, von Einrichtungen für Freizeitsport und Trendsportarten und einem attraktiven Umland mit viel Kultur und Erholungswert.

Die Rolle dieser Faktoren wurde von Florida und anderen Wissenschaftlern in Vergleichsstudien über Hunderte von Regionen in Nordamerika und Europa nachgewiesen. Der Ökonom David Birch vom MIT sagt dazu: „Zugang zu talentierten und kreativen Leuten ist für das moderne Unternehmen das, was der Zugang zu Kohle und Eisen einst für die Stahlindustrie war. Er entscheidet, wo Firmen sich ansiedeln wollen und wachsen, und er ändert die Methoden, mit denen Städte konkurrieren.“

Carley Fiorina, Vorstandsvorsitzende des Computer-Konzerns Hewlett-Packard, drückte das in einem Gespräch mit dem Gouverneur so aus. Das ist, glaube ich, etwas, Herr Ministerpräsident, was für Sie ganz interessant ist. Carley Fiorina sagte: „Behalten Sie Ihre Steueranreize und Ihre Autobahnen. Wir werden dahin gehen, wo wir hochgradig ausgebildete Mitarbeiter finden.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Überlegungen haben erhebliche Auswirkungen für das Zukunftsprogramm und haben auch die neue Förderpolitik der Europäischen Union inspiriert. Nicht mehr die Förderung von harter Infrastruktur steht im Zentrum, wie das immer wieder gefordert wird, sondern es geht um die weichen Faktoren wie Bildung, Kultur, Wissenschaftstransfer und Innovationen. Alle diese Faktoren sind neu in das Programm aufgenommen worden.

Man kann es auch so pointiert ausdrücken wie Richard Florida, als er seinem Stadtrat in seiner Heimatstadt Pittsburgh Folgendes sagte: „Sie können noch so viel Geld in Universitäten, Autobahnen und Opernhäuser stecken. Das wird Ihnen alles nichts nützen, wenn Ihre besten jungen Absolventen nach Seattle abhauen, weil dort die Szene tobt.“

Schaut man sich nun daraufhin die Analysen der Stärken und Schwächen der Ex-Ante-Evaluierung des neuen Zukunftsprogramms Wirtschaft in Schleswig-Holstein an, dann entdeckt man eine Reihe von interessanten Punkten, die ich Ihnen nicht vorenthalten will.

Unter „Schwächen und Risiken in Schleswig-Holstein“ findet man: Der Anteil der Hochqualifizierten und das Bildungsniveau an Schulabschlüssen liegen in Schleswig-Holstein immer noch unter dem Bundesdurchschnitt. Frauen sind bei Vollzeitbeschäftigung und Selbstständigkeit unterrepräsentiert. Wir haben eine schlechte Anbindung an den Personenfernverkehr, insbesondere bei ICEs. Für den Trend zu Kurz- und Städtereisen mit deutlichem Kulturbezug fehlen noch geeignete Angebotsstrukturen. Wir haben eine zu starke Abhängigkeit der Stromversorgung von der Kernenergie. Das steht in dem Programm der Landesregierung; das nur als Anmerkung für die Union, die das ja häufig nicht zur Kenntnis nehmen will. Das Risiko von touristischer Übernutzung und Zersiedelung der Landschaft in besonders touristisch geprägten Regionen.

Unter “Stärken und Chancen“ findet man in diesem Papier: Das Land profitiert von der Dynamik und der hochwertigen Infrastruktur der Metropolregion

(Karl-Martin Hentschel)

Hamburg und ist selbst Teil der Metropolregion. Überdurchschnittlich hoher Anteil von Schutzgebietsflächen an der Landesfläche, vor allem im maritimen Bereich. Hört, hört; der überproportional hohe Anteil von Schutzgebietsflächen wird als Wachstumschance benannt!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Etwas für Anke: Interkulturelle und grenzüberschreitende Kompetenz aufgrund von Minderheiten. Positive Entwicklung als Wissenschafts- und Technologiestandort in den letzten Jahren mit einem Netzwerk an Technologietransferstellen und Existenzgründungseinrichtungen, die in den letzten zehn Jahren geschaffen worden sind. Hoher Anteil der regenerativen Energien und wissenschaftliche und wirtschaftliche Kompetenzen mit umwelt- und energierelevantem Bezug. Und als Letztes: Zum Teil attraktive Stadtkerne und reichhaltiges kulturelles Erbe.

Meine Damen und Herren, natürlich ist das nur ein Ausschnitt der Analyse, die ich vorgelesen habe. Ich habe diesen Ausschnitt gewählt, um Ihnen deutlich zu machen, in welche Richtung wir uns bewegen sollten. Vieles davon kann ich als Vertreter einer Partei, die schon lange die Parole „Gehirn statt Beton“ propagiert, mit Freude unterstreichen.

(Zuruf: Wie heißt das?)

- Gehirn statt Beton, falls es jemand noch einmal hören möchte.

Aber mit einer schönen SWAT-Analyse und einer 190-Seiten-Strategie, die viel Gutes und Schönes enthält, ist es nicht getan, Herr Ministerpräsident. Mir macht das, was hier teilweise von den beiden Rednern der Großen Koalition gesagt worden ist, aber auch das, was Sie gestern in der Zeitung bekannt gegeben und heute gesagt haben, Sorge. Tatsächlich besteht die Gefahr - Herr Kubicki hat darauf hingewiesen -, dass wir das Füllhorn der Direktsubventionen wieder aufmachen. Die schleswigholsteinische „Landeszeitung“ schreibt in ihrem Kommentar berechtigerweise, die Neigung, sich bei der Übergabe von Förderbescheiden für allerlei Wünschbares, aber Nebensächliches ablichten zu lassen, scheine bisher unausrottbar. Beglückungsprogramme für Bürgermeister und Wahlkreisabgeordnete hätten schon zu oft ihr Ziel verfehlt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kritik an den Direktsubventionen, die von Ihnen jetzt wieder „aufgemacht“ worden sind, teile ich. Es gibt einen einzigen Grund, aus dem man Direktsubventionen gewähren darf, nämlich wenn es

um neue Technologien geht und etwas Neues geschaffen wird. Alles andere ist schlicht falsch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Was wir aber brauchen, machen die Diskussionen über die neue Regionalwirtschaftstheorie deutlich. Es reicht nicht aus, etwas Schönes aufs Papier zu schreiben. Vielmehr kommt es darauf an, insgesamt eine Politik zu formulieren und zu tragen, die diese Erkenntnisse im täglichen Handeln ernst nimmt und umsetzt.

Dazu gehört eine Kulturpolitik, die nicht nur auf klassische Hochkultur setzt, sondern auch die Soziokulturen, die Jugendkulturen, das Schräge und das Besondere ernst nimmt und die kreative Szene nach Schleswig-Holstein lockt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört eine Tourismuspolitik, die auf unser kulturelles Erbe setzt und nicht auf Billig-Events und die die Erhaltung der Natur als Schatz und nicht als einen Eingriff in angestammte Eigentumsrechte begreift.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört eine Bildungspolitik, die sich zum Ziel setzt, den Bildungsstand aller Menschen anzuheben.

(Zuruf des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

- Das ist etwas, was wir gemeinsam vertreten. - Dazu gehört eine offenherzige Einwanderungspolitik, die dazu führt, dass sich kreative Menschen aus aller Welt bei uns wohlfühlen und nicht abgeschreckt werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber nur die!)

Dazu gehört eine Wirtschaftspolitik, die aufhört, von Betonpisten zu träumen, und das Gewinnen von kreativen Leistungsträgern in das Zentrum ihrer Anstrengungen stellt.

Dazu gehört die Besinnung darauf, dass Umweltund Energiewirtschaft keine Nischenprojekte sind, sondern Wachstumsbranchen, die zu den Stärken dieses Landes gehören.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Dazu gehört auch ein Ministerpräsident, der vertrauensvoll und kreativ mit den Hochschulen umgeht. Ich erinnere nur an die gestrige Rede des Rektors der CAU. Herr Austermann, das, was er gesagt hat, hatte nichts mit dem zu tun, was Sie hier im

(Karl-Martin Hentschel)

Parlament vorgetragen haben. Sie haben von einem ausgezeichneten Verhältnis gesprochen.

(Zuruf von Minister Dietrich Austermann)

- Ich weiß, Sie werden jetzt verprügelt.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Aber nur mit dem Wattestäbchen!)

Dazu gehört also ein Ministerpräsident, der vertrauensvoll und kreativ mit den Hochschulen umgeht und in die Zukunft blickt und sich nicht ständig nach den 50er-Jahren zurücksehnt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, Herr Ministerpräsident, sind die zentralen Anforderungen an die Landesregierung, damit das Land vorankommt und nicht von dem lebt, was in den vergangen zehn oder 20 Jahren initiiert wurde.

Nehmen Sie Ihren Parteifreund Töpfer ernst! Dieser sagte nämlich neulich, Umweltschutz sei kein Arbeitsplatzkiller, sondern der Arbeitsplatzknüller des 21. Jahrhunderts.