Protocol of the Session on November 30, 2006

Wir haben etwa 33.000 Schulabgänger. Etwa ein Drittel geht ins Studium, etwa zwei Drittel gehen in die Lehre. Das heißt, wir decken nominal das ab, was nicht ins Studium geht. Deswegen kann sich die Lücke gar nicht ergeben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Eine andere Situation ergibt sich, wenn man sieht, dass es tatsächlich eine große Zahl von arbeitslosen Jugendlichen gibt - aus unterschiedlichen Gründen. Einige sind noch nicht erreicht worden. Einige wollen auch nicht. Gucken Sie sich manchen Marktplatz an. Gucken Sie sich junge Leute dort an. Sie bekommen vielleicht nicht die genügende Unterstützung, sie werden nicht geschoben, sodass Sie wollen. Aber eine Zahl - selbst wenn ich alle Marktplätze in Schleswig-Holstein zusammennehme - die etwa die Größenordnung erreicht, die Sie hier genannt haben, ist völlig absurd. Die Zahl ist deutlich niedriger, als Sie gesagt haben.

Ich bitte Sie, sich - auch wenn man den Zahlen in unseren Statistiken nicht glaubt - wenigstens auf die Zahlen zu beziehen, die die Kammern veröffentlichen. Die Kammern haben zusammengetragen, wer alles ausgebildet hat. Das sind in diesem Jahr 20.000 neue Ausbildungsverträge gewesen.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich gibt es den einen oder anderen, der hinausgeht und sagt: Der Lehrvertrag hat mir nicht ge

fallen, der Lehrherr oder die Lehrfrau hat mir nicht gefallen. Aber in der Summe heißt es: Das vorhandene Potenzial wird ausgeschöpft. Wir zeigen qualifizierte Angebote. Wir sind allen denjenigen, die dazu beigetragen haben, dankbar. Bitte lassen Sie das mit den Horrorzahlen. Das hilft Ihnen nicht und das hilft den jungen Leuten auch nicht.

(Beifall bei CDU und SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich stelle fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 16/1057 (neu) durch die Berichterstattung erledigt ist. Ich empfehle, den mündlichen Bericht zur abschließenden Beratung an den Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Wer dem folgen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist so passiert.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 41 auf:

Migrationssozialberatung bedarfsgerecht gestalten

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/1073

Ich erteile dem Innenminister, Herrn Dr. Ralf Stegner, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Vor um und bei zwei Wochen war ich anlässlich des ersten Zwischenberichts der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Frau Böhmer, über den nationalen Integrationsplan im Bundeskanzleramt. Dieser Austausch unter den für Integrationsfragen zuständigen Landesministern hat aufgezeigt, wie wichtig es ist, den Migrationsprozess von Migrantinnen und Migranten aktiv zu begleiten - ein Weg übrigens, den Schleswig-Holstein mit dem Integrationskonzept 2002 und mit den Leitlinien, die ich im Frühjahr vorgelegt habe und die Gegenstand einer einstimmigen Entschließung des Bundesrates waren, längst eingeschlagen hat.

Dass dabei der Migrationssozialberatung eine wichtige Rolle zukommt, ist klar. Übrigens dokumentiert nicht zuletzt dieser Tagesordnungspunkt aufgrund eines interfraktionellen Berichtsantrags die Bedeutung dieser Angelegenheit.

(Minister Dietrich Austermann)

Bedarfsgerecht hat für das Innenministerium zwei Seiten, nämlich qualitative und quantitative Bedarfsgerechtigkeit.

Zur Quantität gehört vor allen Dingen die Höhe der Haushaltsmittel. In den letzten Jahren hat sich das Fördervolumen der Migrationssozialberatung kontinuierlich nach oben entwickelt. 1999 ging es mit gut 0,5 Millionen € los. Seit 2003 beträgt das Fördervolumen gut 1,7 Millionen €. Nur 2005 gab es eine einmalige Erhöhung, um in besonders unterversorgten Regionen ein Angebot aufzubauen. Damals ging es übrigens darum, dass wir zu Dingen, die der Bund gemacht hat, zusätzliche Mittel hatten. Der damalige Finanzminister, den ich persönlich gut kenne, hat das dem Innenminister sozusagen nicht weggenommen, sondern gesagt: Nehmt das dafür und schreibt hinein, dass das eine einmalige Anschubfinanzierung ist. Alle wussten spätestens seit November dieses Jahres, dass das Fördervolumen 2006 wieder auf das übliche Maß, das schon höher war als früher, wieder heruntergefahren wurde.

Deutlich kommuniziert wurde dabei auch, dass es bei der Landesförderung nicht um den Erhalt historisch gewachsener Standorte und erst recht nicht primär um die Befriedigung reiner Trägerinteressen gehen kann. So sehr ich die Arbeit dort natürlich respektiere. Aber es muss darum gehen, den konkret betroffenen Menschen eine wohnortnahe, im ganzen Land und qualitativ hochwertige Beratung zu bieten, wobei Bundesförderung Vorrang vor Landesförderung hat.

Grundlage der Förderung 2006 war daher eine auf Basis der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel regionalisierte Bedarfsermittlung. Darauf aufbauend haben wir allen Kreisen und kreisfreien Städten Bewilligungen im bedarfsgerechten Umfang ausgesprochen. In neun der 15 Kreise und kreisfreien Städte haben wir alle Anträge so bewilligt, wie sie gestellt worden sind.

Über 63 Vollzeitstellen stehen auch nach der vorgenommenen Stellenreduzierung landesweit als migrationsspezifisches Beratungsangebot zur Verfügung - praktisch flächendeckend. Das Land fördert hiervon fast 34 Vollzeitstellen. Von einem Kahlschlag, wie ich das in der Kritik gelegentlich gelesen habe, kann also wirklich mitnichten die Rede sein, übrigens erst recht nicht, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht. So viel zur Quantität.

Aber auch qualitativ wird die Migrationssozialberatung optimiert. 2005 ist damit begonnen worden, die landesfinanzierte Migrationssozialberatung entsprechend der Intention des Zuwanderungsge

setzes zu einer strukturierten Integrationsbegleitung auszubauen. Das Rahmenkonzept ist im Januar 2006 in Kraft getreten. Es beschreibt zwei Schwerpunkte, nämlich erstens die Migrationsbegleitung von Migrantinnen und Migranten mit Daueraufenthalt. Das Ziel ist eine strukturierte Integrationsbegleitung im Sinne eines Zuwanderungsintegrationsmanagements. Wir wollen die Migrantinnen und Migranten fit machen, ihr Leben eigenständig zu meistern und ihre Probleme selbst zu lösen. Zweitens geht es darum, die Beratung von Migrantinnen und Migranten mit vorübergehendem Aufenthalt darzustellen für die Krisensituationen, die damit verbunden sind. Da geht es auch um die Entwicklung konkreter Rückkehrperspektiven rückkehrwilliger Migrantinnen und Migranten und einen darauf spezialisierten Beratungsdienst.

Manch einer von Ihnen kennt vielleicht noch - vielleicht Herr Geerdts - das damals populäre Dr.-Sommer-Team einer bekannten Jugendzeitschrift,

(Heiterkeit)

bei der sich Jugendliche in jugendspezifischen Fragen Rat geholt haben. Doch irgendwann sind alle jugendspezifischen Probleme gelöst. Man holt sich nicht länger Rat von diesem Beraterteam. Insofern ist die Migrationssozialberatung ein Stück damit vergleichbar. Hier sollen Migrantinnen und Migranten in migrationsspezifischen Fragestellungen Hilfe zur Selbsthilfe bekommen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Nun weiß ich, wo- her Sie Ihre soziale Kompetenz haben!)

- Ein bisschen mehr Humor, Herr Kollege Garg! Ich glaube, dass die Proteste im Zusammenhang mit den Stellenreduzierungen zeigen, dass die Träger die neue Aufgabenstellung noch nicht in allen Regionen verinnerlicht haben. Die Migrationssozialberatung ist kein landesfinanzierter Dolmetscherdienst. Das soll sie auch nicht sein. Migranten nach Jahren Aufenthalten immer noch Bescheide erklären zu wollen, ist nicht das Ziel. Vielmehr brauchen und haben wir eine quantitativ wie qualitativ bedarfsgerechte Migrationssozialberatung. Wir haben sehr engagierte Beraterinnen und Berater, die diese Arbeit leisten. Mit diesem Rahmenkonzept und der damit verbundenen Controllingaufgabe wollen wir sicherstellen, dass das, was wir fördern wollen, tatsächlich gefördert wird.

Sie sehen: Wir sind nicht nur mit den Instrumenten anwendungsorientiert, sondern wir gehen auch angemessen mit den Steuergeldern um. Insofern hoffe ich, dass wir nicht Scheindebatten führen, sondern wirklich über die Lage reden.

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen. Gerade wenn Sie Schleswig-Holstein mit den anderen Länder vergleichen, werden Sie immer wieder finden, dass wir im Umgang mit Migrantinnen und Migranten geradezu ein Vorposten progressiver Politik sind, und das werden wir auch bleiben, unabhängig von diesen Haushaltsfragen.

(Beifall bei SPD und SSW - Torsten Geerdts [CDU]: Jetzt wissen wir, was Sie so lesen!)

Ich danke dem Herrn Innenminister. - Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als antragstellende Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich danke der Landesregierung für ihren Bericht zur Migrationssozialberatung. Natürlich geht es ums Geld. Wer Migranten und Migrantinnen und Flüchtlinge schnell und erfolgreich integrieren will, muss die erforderlichen Mittel bereitstellen. Aber es geht noch um etwas anderes. Wieder einmal geht es um die schlichte Tatsache, dass wir ein Einwanderungsland sind und dass wir uns schwer damit tun, dieser Realität ins Auge zu blicken.

Das Konzept der Landesregierung stellt einen ausgeklügelten Verteilungsplan dar, nach dem mancherorts eine Beratungsstelle finanziell gestärkt, andernorts Kahlschlag betrieben wird. Dabei wird immer fein säuberlich unterschieden zwischen Menschen, die hierbleiben dürfen, und solchen, die gefälligst wieder verschwinden sollen. Im schönsten Verwaltungsdeutsch wird von „Integrationsbegleitung von Migranten mit Daueraufenthalt“ und „Beratung von Migranten mit vorübergehendem Aufenthalt zur Bewältigung migrationsspezifischer Krisensituationen“ geredet.

Man muss nicht einmal Fachmann in der Sozialberatung von Ausländern sein, um sich vorstellen zu können, dass der „vorübergehende Aufenthalt“ in Deutschland in der Regel höchst unfreiwillig ist, was das „Vorübergehende“ betrifft. Fachleute sprechen von einer Dunkelziffer von bis zu 2 Millionen Menschen, die in Deutschland ohne Papiere leben. Alle diese Menschen würden gemäß einer Migrationssozialberatung, wie sie sich die schleswig-holsteinische Regierung denkt, von deren Integrationsangebot gar nicht erfasst. Sie dürften dort allenfalls mit „migrationsspezifischen Krisensituatio

nen“ auflaufen. Aber ist es nicht das Spezifische an einer Migration, die nicht zur Einbürgerung führt, dass sie für die Betroffenen den Charakter einer permanenten Krisensituation hat?

Meine Gespräche mit den Fachleuten hatten ein ziemlich einheitliches Ergebnis: Der Bericht hat leider mit der Wirklichkeit wenig zu tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

In Wirklichkeit nehmen alle Arten von Migranten und Migrantinnen und Flüchtlingen die Beratungsstellen in Anspruch, unabhängig davon, ob sie hierbleiben dürfen oder nicht, unabhängig davon, ob sie schon drei, sechs oder noch mehr Jahre in Deutschland leben. Hinzu kommt, dass der Status häufig wechselt; denn viele dieser Menschen kämpfen lange um ein Aufenthaltsrecht in Deutschland, manche bauen sogar mit Erfolg eine Existenz auf und sind längst integriert, wenn sie endlich einen legalen Aufenthaltstatus bekommen. Andere resignieren.

Im Übrigen brauchen Migrantinnen und Migranten mit Daueraufenthaltsrecht im Durchschnitt wesentlich weniger staatliche Unterstützung als Menschen mit ungesichertem Status.

Ein Konzept für die Beratungsstellen sollte deshalb unbedingt ein Gesamtkonzept sein, das den unterschiedlichen Lagen der Betroffenen Rechnung trägt. Das willkürliche Hin- und Hershiften von Mitteln, die hier zur Entlassung erfahrener und akzeptierter Berater und Beraterinnen, denen ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht wird, und an anderer Stelle sogar zur Einstellung von unerfahrenen Neuen führt, macht wirklich keinen Sinn.

Meine Fraktion fordert deshalb ein gemeinsames und einheitliches Beratungsangebot, in das die Mittel von Bund, Land, Kommunen und Dritten einfließen, das für alle Migranten und Migrantinnen und Flüchtlinge offen ist. Das würde dem neuen Status Deutschlands als Einwanderungsland wie auch den Anforderungen der Humanität gerecht werden. Denn wie heißt es im Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Komischerweise steht dort „Die Würde des Menschen“, wie schon Heinrich Böll bemerkte, nicht etwa „die Würde des Deutschen“ oder „die Würde des legal Aufenthaltsberechtigten“. Was mögen sich die Väter des Grundgesetzes nach den Erfahrungen der Vergangenheit dabei wohl gedacht haben?

Die grüne Fraktion hat aufgrund dieses Berichtes entschieden, den Haushaltsantrag zu stellen, die Mittel für die Migrationssozialberatung um

(Minister Dr. Ralf Stegner)

900.000 € zu erhöhen. Ich würde mich freuen, wenn die Koalitionsfraktionen ihre Haushaltsanträge noch einmal überprüften und dem zustimmen könnten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hentschel. Für die CDU-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Wilfried Wengler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hentschel, ein Wort vorweg. Die Würde des Menschen, die Sie angesprochen haben, verbietet es, manchen Ihrer Eskapaden in entsprechender Form zu antworten. Ich denke, das ist gestern und heute deutlich geworden.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich keine Gedan- ken um meine Würde!)

Ausgangspunkt der Migrationssozialberatung, so wie wir sie heute kennen, ist das Zuwanderungsgesetz, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Hierdurch wurden in einem breiten Konsens der politischen Kräfte in unserem Land die Weichen für eine zielgerichtete und nachhaltige Integrationspolitik gestellt.