Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, alle Landesregelungen, insbesondere auch das Landesnaturschutzgesetz, auf den Prüfstand zu stellen, um Entbürokratisierung und Deregulierung voranzutreiben und dafür zu sorgen, dass europäisches Recht bei uns eins zu eins und nicht darüber hinaus umgesetzt wird.
Das steht zwar nicht in einem Satz, aber an verschiedenen Stellen. Von daher gilt es natürlich auch für das Landesnaturschutzgesetz. Einem entsprechenden Gesetzentwurf aus dem Ministerium sehen wir daher mit großer Gelassenheit entgegen. Bis dahin, lieber Kollege Hildebrand, überweisen wir Ihren Antrag an den Umwelt- und Agrarausschuss.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Nabel und rufe nun für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im November letzten Jahres fand der 3. Weltnaturschutzkongress in Bangkok statt. Die Bilanz der Weltnaturschutzunion IUCN war erschütternd. Das Artensterben hat sich weltweit beschleunigt.
- Das ist nicht zum Lachen. Besonders dramatisch ist die Situation in Europa. 43 % aller Vogelarten in Europa und 36 % in Deutschland gelten als bedroht.
Dabei haben die Naturschutzmaßnahmen durchaus bereits zu Verbesserungen geführt. SchleswigHolstein ist es gelungen, fast ausgerottete Arten wie den Biber, den Seeadler, den Fischotter und den Uhu wieder heimisch zu machen. Das Hauptproblem ist weiterhin die intensive Landwirtschaft. Ohne einen engagierten Naturschutz, wie er durch die NATURA 2000 eingeleitet wurde, wird eine Kehrtwende nicht möglich sein. Es ist keineswegs so, dass man im Naturschutz zurückrudern könnte und dass dort Spielräume bestünden, sondern es ist weiterhin so, dass akuter Handlungsbedarf besteht.
Wenn ich die Sonntagsreden höre, dann sind wir uns alle einig, dass wir unser unwiederbringbares Naturerbe erhalten und schützen wollen. Ich bin überzeugt davon, dass dies möglich ist, ohne die wirtschaftliche Entwicklung oder die Landwirtschaft zu behindern. Wie kommt es dazu, das die FDP hier ein Gesetz vorlegt, dass eine weitgehende Deregulierung des Naturschutzes bedeutet und noch deutlich über den Entwurf des CDU-Gesetzes von 2002 hinausgeht? Es ist doch klar, dass wir Spielregeln brauchen, wenn wir die Natur erhalten wollen, Spielregeln, die auch eingehalten werden müssen.
Was im Straßenverkehr selbstverständlich ist, gilt im Naturschutz offenbar nicht ohne weiteres. Wenn im Naturschutz Regeln missachtet werden und die Behörden einschreiten, gibt es oft große Aufregung und es wird gesagt: Die Naturschützer behindern die Wirtschaft und sind schuld am Verlust von Arbeitsplätzen. So etwas haben wir in Schleswig-Holstein erlebt: Es hieß die Kranich-Affäre. In Bremen hieß es die Piepmatz-Affäre, in Nordrhein-Westfalen die Hamster-Affäre und so weiter. So etwas läuft immer nach dem gleichen Muster.
Am Flughafen Lübeck wurden seit Jahren die Auflagen der unteren Naturschutzbehörde - also nicht des Landes, sondern der Stadt - immer wieder missachtet. Bäume im angrenzenden NATURA 2000-Gebiet wurden ohne Genehmigung gefällt, Teiche zuplaniert und trockengelegt, ohne die vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen zu beachten. Die Behörden haben zwar gemahnt, aber sie hatten keine Rückendeckung bei Bürgermeister und Senat, wie wir das in vielen Kreisen des Landes ständig erleben. Wenn dann aber ein Anwohner oder ein Verband klagt, weil das Gesetz nicht beachtet worden ist, dann beginnt eine öffentliche Kampagne, dass der Naturschutz dem Ausbau des Flughafens im Wege stehe. Ich glaube, wenn man sich an das Gesetz hält und wenn sie sich an das Gesetz gehalten hätten, dann wären auch keine Probleme entstanden.
Was macht aber die FDP? Die FDP legt kein Gesetz vor, das die Regeln präzisiert und die Durchsetzung verbessert. Nein, sie legt ein Gesetz vor, das nicht einmal Bundes- und EU-Recht sauber umsetzt und so unpräzise ist, dass es zu Missbrauch geradezu einlädt. Die Folgen werden sein: Unklarheiten, Missbrauch und Prozesse, Prozesse bis hin zum EuGH. Verdienen werden die Rechtsanwälte. Schaden nehmen wird erstens die Natur, zweitens der Steuerzahler, der für die Kosten der Gerichte aufkommen muss, und drittens die Wirtschaft, die durch jahrelange Prozesse bei Planungsvorhaben bestraft und behindert wird.
Nun zum Gesetzentwurf! Erstens. Das Gesetz ist praktisch nicht lesbar. Während das jetzt gültige Gesetz Teile des Bundes- und EU-Rechts wiederholt - wie es üblich ist -, strotzt dieses Gesetz vor Verweisen, die eine Lektüre für den Laien unmöglich machen, wenn er nicht die gesamte Umweltgesetzgebung aller Ebenen parat daneben liegen hat.
Zweitens. Das Gesetz setzt Bundes- und EuropaRecht nicht vollständig um beziehungsweise widerspricht dem sogar. Beispiele sind die Regelungen des Biotopverbundes, der § 15a-Flächen, des Artenschutzes. Die komplette Freistellung der Landwirtschaft von der Ausgleichsregelung ist nach Bundesrecht gar nicht zulässig. Die Umsetzung von EU-Richtlinien durch Verordnungsermächtigung ist durch die EU nicht zulässig und führt in jedem Anwendungsfall zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
Drittens. Das Gesetz verletzt mehrfach das Bestimmtheitsgebot und ist damit nicht vollziehbar oder lädt geradezu zu Rechtsstreitigkeiten ein. Beispiele sind dafür die Liste der Biotoptypen nach § 30 BNatSchG, die Verordnungsermächtigung für Entschädigungen, die nicht die Mindestanforderungen nach Artikel 80 Grundgesetz erfüllen, und die fehlende Aufzählung von Eingriffstatbeständen.
Viertens. Das Gesetz führt zu Millionen zusätzlicher Kosten. Denn in dem Bestreben, ja keine einklagbaren Schutztatbestände zu formulieren, verlangt das Gesetz doch tatsächlich eine flächendeckende Kartierung aller Biotope in Schleswig-Holstein: ein gigantisches, unbezahlbares und sinnloses Mammutprojekt!
Fünftens. Der größte Klopper in dem Gesetz ist die Formulierung zum Vorrang des Vertragsnaturschutzes. Die unklare Formulierung der CDU hatte damals selbst Herr Hildebrandt mit beißendem Spott bedacht. Jetzt formuliert die FDP nicht nur noch unklarer, sondern sie formuliert auch noch einen unbedingten Vorrang für Vertragsnaturschutz. Nach dem Gesetz könnte jeder Grundbesitzer, wenn seine Fläche in eine Schutzkategorie kommt, vom Land verlangen, was er will. Naturschutz würde zu einer Lizenz zum Gelddrucken für Eigentümer.
Sechstens. Das Gesetz ist nicht exekutierbar. So sind die Ordnungswidrigkeiten im Gesetz ganz bewusst so geregelt, dass es in der Praxis stets zur Einstellung der Verfahren kommen muss. Außerdem hat die FDP auch noch das Betretungsrecht und das Aktenprüfungsrecht für Naturschutzbehörden gestrichen, sodass ein Nachweis von Ordnungswidrigkeiten sowieso nur noch auf staatlichen Flächen möglich ist.
Zufall. Sie sind Ergebnis einer Ideologie, die lautet: Deregulieren und das private Eigentum stärken.
Außerdem wollte die CDU unbedingt das Gesetz auf die Hälfte zusammenkürzen. Ziel ist: Immer dann, wenn es zum Konflikt kommt, wenn ein Gesetz gebraucht wird - man macht ja keine Gesetze für Fälle, in denen kein Konflikt existiert -, soll eine Durchsetzung von Recht gegen die Eigentümer, also in der Regel ein Unternehmen oder Landwirt, nicht möglich sein, damit es nicht zur Behinderung kommt.
Das ganze Gerede der CDU von mehr Verantwortung vor Ort, freiwilligem Naturschutz und Ehrenamt erweist sich in diesem Gesetzentwurf konsequent als Lüge.
Das Gesetz beseitigt mit den Landschaftsschutzgebieten - jetzt hören Sie zu! - doch tatsächlich die einzige Schutzkategorie, die von den kommunalen Behörden vor Ort ausgewiesen werden kann. Immerhin handelt es sich um 24 % der Landesfläche, die sollen einfach weg.
Das Gesetz beseitigt die Beteiligung des ehrenamtlichen Naturschutzes an allen Entscheidungsprozessen. Was haben wir hier Lamentos über Beteiligung gehört! Ich erinnere nur an Eiderstedt. Hier wird die Beteiligung völlig ausradiert.
Der ehrenamtliche Stiftungsrat der Stiftung Naturschutz - weg damit, der stört doch nur! Der ehrenamtliche Landesnaturschutzbeauftragte - weg damit, er stört doch nur! Seine hochgelobte Arbeit ist doch völlig überflüssig!
Die Beiräte in den Kreisen und die Kreisnaturschutzbeauftragten - weg damit! Warum haben sie auch die CDU-Landräte immer nur so geärgert! Der ehrenamtliche Naturschutzdienst, der die Behörden sachkundig unterstützt und geschützte Gebiete betreut - weg damit nach Auffassung der FDP!
Und die landesweit anerkannte Umweltakademie - auch gleich weg! Auch hier erweist sich das ganze liberal-konservative Geschwätz von Umweltbildung für die Jugend als pure Ideologie.
Jetzt komme ich zur FDP. Frau Todsen-Reese, ich fand übrigens gut, was Sie zum Windhundprinzip bei der FDP gesagt haben; das war nicht schlecht.
1971 beschloss die FDP auf Initiative eines Innenministers Genscher - hört, hört! - die „Freiburger Thesen". Darin hieß es:
„Keine Entscheidung der öffentlichen Hand oder Wirtschaft darf in Zukunft ohne Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte getroffen werden."
Herr Hildebrand, mit diesem Gesetzentwurf haben Sie Ihre eigene Tradition beim Thema Umweltschutz mit Füßen getreten.
Aber auch für die CDU ist dieser Entwurf peinlich, wird sie doch an ein ideologisches Produkt erinnert, das von tiefen Ressentiments gegenüber dem Naturschutz geradezu durchtränkt ist.