Protocol of the Session on September 17, 2009

Die Bundeswissenschaftsministerin Schavan hat sogar eine Studie erstellen lassen - wie gestern bekannt wurde - mit dem Ziel, den Neubau von Atomkraftwerken wieder zuzulassen.

(Zuruf: Hört! Hört! - Weitere Zurufe)

Die Betreiber und Lieferanten von Atomkraftwerken wittern Morgenluft und hoffen, im Zuge der Klimakrise mit ihrer angeblich CO2-freien Kernkraft wieder mehr Akzeptanz zu erreichen. Dazu haben sie Millionen Euro in massive Werbekampagnen investiert.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Hä?)

An der Börse gab es schon Aktienhöhenflüge für Atomkonzerne, denn es winken milliardenschwere Extraprofite.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Dafür sollen CDU und FDP - nach Berichten der „Financial Times Deutschland“ - Parteispenden in sechsstelliger Höhe von den Atomkonzernen bekommen haben.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Hört! Hört! - Wei- tere Zurufe)

Aber der Plan droht nun zu scheitern. Der Grund dafür hat einen Namen, und der Name heißt Krümmel. Zum Entsetzen der gesamten Atomgemeinde hat Vattenfall alles falsch gemacht, was falsch zu machen war.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Neben den Ban- ken!)

Ein Gutachten der SCEE zeigt gnadenlos auf, welche beispiellose Pannenserie sich innerhalb der 18 Tage zwischen dem Wiederanfahren am 16. Juni 2009 und der Schnellabschaltung am 4. Juli 2009 abgespielt hat.

(Zuruf des Abgeordneten Frank Sauter [CDU])

Es gab ein Leck am Turbinenkondensator, Fehler eines Turbinenstellventils, es gab einen Arbeitsunfall.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Es gab eine Turbinenschnellabschaltung, es gab Fehler an der Speisewasserpumpe, die Reaktorschnellabschaltung, Anormalitäten bei dieser Abschaltung und am Schluss das verspätete Informieren der Atomaufsicht. Das alles innerhalb von zwei Wochen.

Das ist nicht das erste Mal passiert. Es war bereits das vierte Mal, dass wir so etwas erleben mussten. Danach blieb auch Ministerpräsident Carstensen nichts anderes übrig, als sich von Vattenfall zu distanzieren. Nun will unser Ministerpräsident Vattenfall - wie er wiederum erklärt hat - allerdings noch eine Chance geben.

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen: Sie haben eine Chance!)

Aber zum Glück entscheidet nicht er darüber, sondern die Atomaufsicht. Krümmel darf aber auf keinen Fall wieder angefahren werden, bevor die Prüfung der Zuverlässigkeit abgeschlossen ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Dr. Heiner Garg [FDP]: Das will doch sowieso niemand!)

Wenn aber die Unzuverlässigkeit des Betreibers Vattenfall festgestellt wird, dann darf es keine politischen Rücksichtnahmen geben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ministerpräsident Peter Harry Carstensen: Völlig richtig! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Es gibt Gesetze, Herr Hentschel!)

Dann muss die Betriebserlaubnis entzogen werden. Das wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit das endgültige Aus für Krümmel,

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das entschei- den Behörden und nicht Sie! - Weitere Zuru- fe)

da Krümmel nach dem heutigen Stand der Technik keine neue Zulassung mehr bekommen würde.

Für die Zukunft wollen wir aber -

(Zurufe)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre wirklich erstrebenswert, auch in der letzten Plenarsitzung noch eine sachgerechte Debatte hinzubekommen. - Herr Kubicki, jeder darf sich zu einem Dreiminutenbeitrag melden. Warten wir es ab.

Herr Kubicki, ich verstehe die Aufregung. Das ist eine schwierige Debatte, und es ist auch für Sie eine schwierige Situation.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Wolfgang Ku- (Karl-Martin Hentschel)

Für uns ist das überhaupt nicht schwierig!)

Wir haben gerade bei der Endlagersuche genug erlebt, wie Gutachten manipuliert worden sind und wie politisch Einfluss genommen wurde. Von daher sind wir in dieser Frage durchaus skeptisch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Zukunft wollen wir das Atomgesetz novellieren. Dass dies nötig ist, ist schon gesagt worden. Wir wollen die Handlungsmöglichkeiten der Atomaufsicht erweitern. Dabei soll auch - und das sehen wir anders als die FDP - die Übertragung von Reststrommengen von Reaktoren, denen die Betriebsgenehmigung entzogen wurde, ausgeschlossen werden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wer hat denn den Konsens mit verabschiedet? Sie wollten so- gar die Übertragung von neuen auf alte!)

Meine Damen und Herren, ein weiterer Grund für die dringende Stilllegung der Atommeiler ist die ungelöste Entsorgung. Weltweit gibt es dafür kein Konzept. Das ist auch allen Fachleuten bekannt. Die Atomkonzerne und ihre politischen Steigbügelhalter schwören auf den Salzstock in Gorleben und wehren sich gegen eine ergebnisoffene Erkundung von Lagerstätten in Granit oder Ton, wie das Gutachten des Bundeswissenschaftsministeriums gerade wieder vorgeschlagen hat.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: So ist es!)

Es ist kein Wunder, dass Sie keine Erkundung von Ton- und Granitlagerstätten wollen. Immerhin liegen die größten Tonlagerstätten dieser Republik in Baden-Württemberg, wo die Ministerin Schavan selber herkommt, und die größten Granitlagerstätten liegen in Bayern. Was ist das für eine Heuchelei,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn Landesregierungen, die sich für eine Verlängerung der Restlaufzeiten massiv einsetzen, anschließend abwinken, wenn es um die Endlagerung des Atommülls auf ihrem Territorium geht?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das passt alles sehr gut in das Gesamtbild der Atomindustrie.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wade- phul [CDU])

Über 250 Milliarden € Subventionen bekam diese Technologie nach aktuellen Berechnungen. Über 250 Milliarden €, das sind eine Viertelbillion €. Gutachten über die Lager Gorleben und Asse wurden zurechtgebogen - ganz vorneweg dabei übrigens auch der damalige Forschungsminister Gerhard Stoltenberg, wie jetzt herausgekommen ist.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen wundert das!)

Der gesamte Unsinn, die Atomindustrie, macht gerade 2 % der Weltenergieversorgung und gerade 6 % der Weltstromversorgung aus. Mehr ist es nicht. Die Vorräte sind schon über die Hälfte verbraucht, und dafür wollen wir die Menschheit Hunderttausende von Jahren mit radioaktivem Abfall belasten. Welch ein Unsinn!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heiner Garg [FDP]: Müssen wir sowieso mit der jetzt schon angefallenen Menge! Tun Sie doch nicht so!)

Bis heute gibt es weltweit kein Endlager für die radioaktiven Abfälle. In Asse lagern 28 kg Plutonium. Ein Gramm Plutonium reicht aus, um jedes Leben in einer Stadt wie Hamburg auszulöschen. Das bedeutet auch: Bis heute hat keines der Atomkraftwerke in Deutschland einen plausiblen Entsorgungsnachweis. Unter diesen Prämissen wäre nicht einmal eine private Güllegrube genehmigt worden.

In dieser Situation sind die energiepolitischen Leitlinien der Landesregierung durchaus interessant. Die energiepolitischen Leitlinien bestehen nämlich aus einer Mischung aus bekannter CDURhetorik und durchaus auch einer vorsichtigen Öffnung, um sich neue Wege zu eröffnen. Kenner wissen: Es wird zwar immer noch von der ideologiefreien Nutzung aller Technologien zur Energieerzeugung gesprochen. Kenner wissen aber auch, was damit gemeint ist: Der Neubau von Kohlekraftwerken und die Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke. Das ist die alte Leier der CDU.

Die große Mehrheit der Deutschen will aber den Atomausstieg, lehnt den Neubau von Kohlekraftwerken ab und setzt auf erneuerbaren Energien, auf Wind, Sonne, Wasserkraft und biogene Reststoffe. 84 % der Schleswig-Holsteiner wollen den weiteren Ausbau der Windenergie im Lande, den die CDU seit vier Jahren blockiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Stimmt doch gar nicht!)

(Karl-Martin Hentschel)