Herr Ministerpräsident und meine Damen und Herren von der Union, ich glaube, dass Ihr Koalitionsbruch und die Neuwahlpläne auch die Flucht vor der Umsetzung dieser Sparvorgaben sind - wissen Sie doch nur zu gut, dass nach den Stellenkürzungen in den personalintensiven Ressorts nun Sie bei den millionenschweren Förderprogrammen im Landwirtschafts- und Wirtschaftsressort hätten Farbe bekennen müssen.
Ich möchte aber auch an den von Uwe Döring und den Sozialdemokraten vorgeschlagenen Beschäftigungspakt erinnern, da wir in der Sicherung und Schaffung von Beschäftigung die aktuell dringendste Aufgabe der Regierung sehen. Hier hätten wir uns die volle Handlungsfähigkeit einer Regierung gewünscht statt der monatelangen Dauerbeschäftigung mit dem Austüfteln parteitaktisch günstig erscheinender Wahltermine.
Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, es hätte Ihnen mehr um die Sicherung der Arbeitsplätze der Menschen in Schleswig-Holstein und weniger um die Sicherung Ihres eigenen Arbeitsplatzes gehen dürfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger hätten es wirklich verdient, dass wir uns um die Beschäftigten in SchleswigHolstein kümmern.
Die Beschäftigten hätten es verdient, dass der geplante, notwendige und einzigartige Personalabbau vernünftig geplant wird und nicht zu ihren Lasten geht. Das wäre Verantwortung zum Wohl unseres Landes, auf die ein Ministerpräsident und die Regierung verpflichtet, ja, sogar vereidigt worden ist.
Die Bürgerinnen und Bürger wissen zudem, dass es die Sozialdemokraten waren, die im Koalitionskompromiss dafür gesorgt haben, dass Mitbestimmung, Gleichstellung, Kita-Standards und der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen Bestand haben. Wer Ihnen heute zugehört hat - Sie haben vorhin ausgeführt, leider hätten Sie all das nicht durchsetzen können, was Sie gern machen möchten -, weiß, dass das nun alles in Gefahr ist. Ich sage den Schleswig-Holsteinerinnen und SchleswigHolsteinern: Nur bei einer sozialdemokratisch geführten Landesregierung wird es bei diesen Zusagen bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Wadephul hat mich am letzten Freitag in seiner Rede vor diesem Hohen Haus unter Verweis auf den Roman von Max Frisch als Brandstifter bezeichnet. Damit wollte er wohl dem amtierenden Ministerpräsidenten die Rolle des Biedermanns zuweisen. Ich erlaube mir dazu ein Zitat aus der am weitesten verbreiteten Interpretation dieses Stücks, Herr Kollege Wadephul. Ich zitiere:
„Herr Biedermann ist ein ehrgeiziger Geschäftsmann, der nach mehr Ansehen und Beliebtheit strebt, und dabei keine Rücksicht nimmt. Er denkt bei allen Katastrophen zuerst daran, wie er sich selbst damit einen Vorteil verschaffen könnte, später will er nichts mehr damit zu tun haben. Er ist im Angesicht unliebsamer und schmerzlicher Erkenntnisse ein Meister der Verdrängung und des Vergessens.“
So weit die gängige Lesart des Stückes von Max Frisch, Herr Kollege Wadephul. Sie als belesener Mensch hatten das sicherlich im Kopf. Das spricht für sich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Hause geht es viel um Schein und Sein. Georg Kreisler hat einmal gesagt: ,,Zerstören Sie einem Menschen seinen Schein, und Sie werden sehen, wie schnell auch das Sein zu Ende ist.“ Vieles war in den letzten Tagen in Kiel mehr Schein als Sein. Lassen Sie mich das an sieben Punkten deutlich machen.
Erstens. Herr Ministerpräsident Carstensen, Sie haben gesagt, die SPD habe Sie zu der Vertrauensfrage gezwungen, schließlich hätte ich Ihnen in der Rede am Freitag, dem 17. Juli, das Vertrauen entzogen. Das ist der Schein.
Wahr ist, dass die Abgeordneten Carstensen, Wadephul und Fraktion mit ihrem Antrag auf Auflösung des Landtags die Koalition bereits am 15. Juli aufgekündigt hatten. Wahr ist, dass Sie das seit Monaten vorbereitet und immer wieder haben durchblicken lassen, zuletzt bei der frei erfundenen Behauptung vor drei Monaten, die SPD selbst wolle Neuwahlen, und mit ständig wiederholten schwarzgelben Verlobungsfeierlichkeiten auf Schloss Gottorf und anderswo.
Zweitens. Herr Ministerpräsident Carstensen, Sie haben mit dem Kollegen Dr. Wadephul den Antrag damit begründet, dass die SPD nicht mehr zu den
Wahr ist, dass wir noch am selben Morgen des 15. Juli die gemeinsameVereinbarung eins zu eins in einem gemeinsamen Antrag im Landtag beschlossen haben, die ich im Übrigen in meiner Rede ohne Wenn und Aber unterstützt habe.
Drittens. Herr Ministerpräsident Carstensen, Sie haben unverdrossen und im Chor mit den Kollegen Wadephul und Kubicki behauptet, die SPD habe die Neuwahlentscheidung bis in die Ferienwoche hinein verzögert, weil wir auch nach Ihrem Koalitionsbruch immer noch gegen Neuwahlen seien und an einer gemeinsamen Regierung mit Koalitionsbrechern festhalten wollten. Von Zwangsehe war da die Rede. Dies ist der Schein. Wahr ist jedoch, dass der von Ihnen so lange geplante Antrag für die Auflösung des Landtags verfassungswidrig gewesen wäre und Sie erst nach Hilfestellung durch den klugen Verfassungsminister Lothar Hay Ihre Abstimmung auf den ersten Ferientag verschieben mussten.
Wahr ist auch, dass Sie diese Vertrauensfrage bereits letzte Woche hätten stellen können. Und wahr ist auch, dass ein Rücktritt bereits in der letzten Woche möglich gewesen wäre, nur eben die Ihnen angenehmste Lösung nicht. Wahr ist eben auch, dass ich für die SPD-Fraktion am Freitag erklärt habe, dass wir sehr wohl zu schnellen Neuwahlen bereit sind, nachdem Sie diese Koalition gebrochen haben. Ich habe aber für die SPD hinzugefügt - ich wiederhole es -: Einem ehrlosen Antrag, der die Auflösungsentscheidung mit der angeblich mangelnden Zuverlässigkeit der SPD begründet, können und werden wir niemals zustimmen!
(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das haben die Grünen nicht gemacht und wir auch nicht!)
- Ich habe für die Begründung die Kollegen der CDU in Anspruch genommen. - Sie mögen einen machtpolitischen Sieg erringen, aber Sie werden diese sozialdemokratische Fraktion nicht dazu bringen, für Ministersessel unseren Stolz zu opfern, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wahr ist schließlich, dass ich Ihnen prognostiziert habe, dass wir geschlossen abstimmen werden, was Sie immer bezweifelt haben, was aber genauso gekommen ist. So wird das übrigens in diesem Haus auch bleiben.
Viertens. Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, werden nicht müde zu behaupten, dass die SPDFraktionsspitze und der SPD-Teil der Landesregierung der skandalösen Millionenzahlung an den HSH-Chef Nonnenmacher zugestimmt haben. Das ist der Schein. Wahr ist, dass Ihnen spätestens bei der deutlichen Kritik von Frau Erdsiek-Rave und mir in der Koalitionsrunde am 30. Juni glasklar gewesen sein muss, dass wir diese Entscheidung nicht gutheißen, geschweige denn ihr unsere Zustimmung geben. Das hat Sie nicht daran gehindert, in einem Brief am 10. Juli, zehn Tage später, gegenüber dem Landtag die Unwahrheit zu behaupten, an der Sie dann noch eine Woche lang festgehalten haben.
Fünftens. Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, haben am Montag behauptet, Sie hätten nach unserem Misstrauensantrag keine andere Wahl gehabt, als die Ministerinnen und Minister der SPD zu entlassen. Das ist der Schein. Wahr ist jedoch, dass Sie die Koalition aufgekündigt und diese fingierte Vertrauensfrage gestellt haben und dass Sie das, was Sie kurz zuvor noch öffentlich und gegenüber Frau Erdsiek-Rave explizit ausgeschlossen hatten - in voller Kenntnis über das Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion -, eiskalt vollzogen haben.
Sechstens. Es wird immer wieder kolportiert, hier gehe es um das persönliche Verhältnis zweier Männer. Das ist der Schein. Wahr ist, dass das Verhältnis für Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, nicht zufällig gerade dann nicht mehr tragbar schien, als der nach den Umfragen günstigste Wahltermin durch Koalitionsbruch noch zu erreichen war. Im Übrigen finde ich es auch merkwürdig, angesichts der Aufgaben und der Verantwortung, die wir in diesem Land haben, solche albernen Fragen in den Vordergrund zu stellen. Die Menschen wenden sich von solchen Inszenierungen ab. Ich bedauere ausdrücklich den Anteil, für den ich selbst an diesem Prozess die Verantwortung habe. Schließlich geht es hier um etwas anderes. Ich sage Ihnen allerdings auch, Herr Kollege Wadephul: Auch andere wären gut beraten, einmal einen selbstkritischen Ton hier im Landtag anzuschlagen. Das habe ich am Freitag von anderen vermisst.
Siebtens. Heute handelt es sich scheinbar um eine ehrliche Vertrauensfrage, da Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, in den letzten Tagen auch wirklich alles dafür getan haben, den letzten Rest von Vertrauen in Sie und Ihre Rumpfregierung vollständig zu zerstören. Wahr ist aber dennoch, dass es eine fingierte, eine unehrliche Vertrauensfrage
bleibt, da sie mit der Absicht gestellt wird, sie nicht zu gewinnen, also das Gegenteil zu bewirken, was Sie in Ihrem Antrag formulieren. Aber was bedeuten schon die Absichten der Verfassungsgeber, wenn die Aussicht besteht, angesichts günstig erscheinender Umfrageergebnisse die Macht zu sichern! Sie, Herr Ministerpräsident Carstensen, hatten eine solche unehrliche Vertrauensfrage für sich bisher stets als Trickserei bezeichnet und ausgeschlossen. Das ist sie übrigens auch, weil unsere Verfassung eine fingierte Vertrauensfrage nicht vorsieht, erst recht seit es das Selbstauflösungsrecht des Landtags gibt.
- Ich wusste, dass die Zwischenrufe kommen. Deswegen gilt Ihnen mein nächster Satz: Dies allerdings dient dem Zweck, parteitaktisch günstige Wahltermine zu ermöglichen, was ich noch einmal ausdrücklich an Ihre Adresse sage. Vieles spricht also dafür, dass das nicht verfassungsgemäß ist, was Sie hier treiben.
Ihr Rücktritt, Herr Ministerpräsident Carstensen, wäre der wirklich ehrliche Weg gewesen, wenn Sie eine Koalitionsregierung nicht mehr führen können oder führen wollen.
Selbst die Zeitung „Die Welt“, nicht eben ein sozialdemokratisch gesonnenes Blatt, spricht vom schlüpfrigen Weg einer getürkten Vertrauensabstimmung.
Nein, Herr Ministerpräsident, ich bin der festen Überzeugung, dass Ihre Sorge, den 27. September nicht zu erreichen, so groß war, dass Sie nicht die leiseste Chance offenlassen durften, dass die SPD sich der Vertrauensfrage womöglich noch hätte verweigern können, obwohl das schon eine abenteuerliche Vorstellung ist. Deshalb haben Sie die Leistungsträger dieses Kabinetts entlassen. Was für ein jämmerlicher Grund für einen jämmerlichen Akt!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Tenor, mit dem Herr Carstensen die unehrliche Vertrauensfrage, den stillosen Rausschmiss der SPD-Ministerinnen und -Minister bedauert, erinnert mich an Goethe, der die Leonore in Torquato Tasso sagen lässt:
„Wie jammert mich das edle, schöne Herz! Welch traurig Los, das Ihrer Hoheit fällt! Ach sie verliert - und denkst du zu gewinnen?
Ist’s denn so nötig, dass er sich entfernt? Machst du es nötig, um allein für dich Das Herz und die Talente zu besitzen, Die du bisher mit einer anderen teilst Und ungleich teilst? Ist’s redlich so zu handeln? Bist du nicht reich genug? Was fehlt dir noch?“
Solche Spiele, sehr verehrte Damen und Herren, sind eines Ministerpräsidenten nicht würdig, und das wissen Sie auch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stecken mitten in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise unseres Landes, und Sie entlassen den kompetenten, anerkannten Arbeitsminister Uwe Döring. Das nenne ich verantwortungslos.