Protocol of the Session on July 23, 2009

Viertens: Sind die Ursachen für die Risse in den Armaturen geklärt, und warum wurden die Armaturen nicht komplett ausgewechselt? - Ursache waren chloridhaltige Dichtungen und konstruktionsbedingte Konzentrationen von Chloriden. Der komplette Austausch der Armaturen aus Gründen der Sicherheit war nicht erforderlich. Die Betreiberin hatte sich für den Weg der Sanierung entschieden. Sie hat dabei aber den Aufwand für die umfängliche notwendige Qualifizierung der Sanierungsmaßnahmen und Prüfmethoden erheblich unterschätzt.

Fünftens: Wie werden die Tätigkeiten in der Leitzentrale dokumentiert beziehungsweise aufgezeichnet? - Die Tätigkeiten werden unter anderem über Schichtbuch und Rechner erfasst, aufgezeichnet und dokumentiert.

Herr Minister, erlauben Sie die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthiessen?

Gern.

Herr Minister, hat die Reaktoraufsicht denn den Einbau neuer Armaturen verlangt?

- Das kann ich Ihnen zu der jetzigen Zeit natürlich nicht sagen, aber die Antwort reiche ich gern nach. Sie wissen, wir befinden uns gerade in der Übergabe des Ministeriums, und darum wird eine entsprechende Fragestellung von uns natürlich in Kürze entsprechend beantwortet werden.

Sechstens: Gibt es eine der Blackbox im Flugverkehr vergleichbare Aufzeichnung in der Leitzentrale? - Nein, noch nicht, denn die bereits geforderte Audioaufzeichnung ist beantragt und wird zurzeit hinsichtlich der Eignung geprüft. Der Betrieb ist darüber hinaus noch streitig und wird vom Betreiber und vom Betriebsrat abgelehnt.

Siebtens: Werden auch weitere Orte außerhalb der Leitstelle überwacht? - Ja, hierzu gibt es unterschiedliche Überwachungssysteme.

Achtens: Wie beurteilt die Landesregierung die Sicherheit des Reaktorgebäudes und des Zwischenlagers gegen terroristische Einwirkungen beziehungsweise Sabotagen? - Zur Sicherheit von kerntechnischen Anlagen vor terroristischen Anschlägen ist die Position der Landesregierung im November letzten Jahres im Landtag verdeutlicht worden. Damals ging es um den Antrag der Grünen, das KKW Brunsbüttel wegen fehlenden Schutzes gegen Terrorattacken stillzulegen. Insbesondere ältere Anlagen bieten einen schwächeren Schutz gegen terroristische Bedrohungen als jüngere. So ist Krümmel bereits gegen einen Flugzeugabsturz ausgelegt, aber nicht gegen einen terroristisch gezielten Flugzeugabsturz. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministeriums haben daher im Bund-Länder-Arbeitsgremium eine Initiative gestartet, diese Problematik bundeseinheitlich zu behandeln und erneut zu beraten.

Zur Forderung, alle rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen und zu nutzen, um wegen der fortgesetzten Ereignisse eine endgültige Stilllegung des Reaktors

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

in Krümmel zu erreichen, stelle ich an dieser Stelle Folgendes fest: Die Landesregierung wird wie bisher auch die Atomaufsicht gesetzeskonform ausüben. Wenn die Voraussetzungen für den Entzug der Betriebserlaubnis vorliegen, dann muss und wird sie auch entzogen werden. Frau Kollegin Trauernicht, diese Verknüpfung aber zu prüfen, der hätten Sie sich als Ministerin immer aktiv widersetzt, weil Sie genau wissen, dass die Prüfung einer Aufsichtsbehörde niemals politisch motiviert sein darf, sondern fachneutral nach Recht und Gesetz erfolgen muss.

Das ist auch der Grund dafür, dass ich Probleme mit dem zweiten Absatz habe, nicht mit der Frage, was geprüft werden muss, nicht, dass wir in aller Härte prüfen. Wenn wir aber eine politische Vorgabe machen, wie das Ergebnis sein muss, dann beeinflussen wir die Verwaltung, die nur an Recht und Gesetz orientiert ist. Auch die Abgeordneten dieses Hauses stehen nicht über Recht und Gesetz. Sie können Recht und Gesetz verändern, aber sie müssen sich auch an das Recht und Gesetz halten, das geschaffen worden ist.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen?

Gern.

Herr Minister, es ist bekannt, dass sich der Ministerpräsident öffentlich geäußert hat, dass er dann, wenn der Betreiber weiterhin solche Mängel zutage treten lasse, eine Stilllegung verfügen werde.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das hat er nicht gesagt! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Ich habe nicht mehr den genauen Wortlaut, aber Sie haben gesagt, Sie würden dafür sorgen, dass dort eine Stilllegung verfügt werde. Würden Sie diese Äußerung - auch in dem Sinne, was Sie eben zurückgewiesen haben als eine politische Willensäußerung zur Beendigung des Betriebs interpretieren? Nichts anderes haben wir mit unserem Antrag intendiert.

- Zu theoretischen und so nicht gemachten Äußerungen nehme ich sicherlich keine Stellung.

Die Landesregierung wird alles daransetzen, das Sicherheitsniveau der Kernkraftwerke im Land auf dem höchstmöglichen Sicherheitsstandard zu betreiben. Sicherheit ist und bleibt auch heute das oberste Gebot. So werden auch die jüngsten Ereignisse in Krümmel am neuesten Stand des kerntechnischen Regelwerkes zu messen sein, womit auch diese Frage sicherlich beantwortet sein dürfte.

Die Atomaufsicht wird Auflagen erlassen und auf weitere Schadensvorsorge drängen. Standards der maximal möglichen und erforderlichen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zur Sicherheit der Bevölkerung sind das oberste Ziel der Landesregierung.

Noch einmal: Das Kraftwerk Krümmel kann nur dann weiterlaufen, wenn alle sicherheitsrelevanten Voraussetzungen des Atomgesetzes erfüllt sind. Die Landesregierung sieht zwar an dieser Stelle die Kernenergie als unverzichtbaren Teil eines ausgewogenen Energiemixes, aber - das habe ich immer wieder deutlich gemacht; gerade ich persönlich - sie ist eine Brückentechnologie, solange keine klimafreundlicheren und kostengünstigeren Alternativen in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen.

Ich betone ausdrücklich: Ein sicherer Kraftwerksbetrieb muss von einem zuverlässigen Betreiber gewährleistet werden. Das gilt auch in SchleswigHolstein und kann nur für Kraftwerke gelten, die nachweislich und zuverlässig die höchsten Sicherheitsstandards erfüllen. Vattenfall wird dies und seine eigene Zuverlässigkeit unter Beweis stellen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Minister für seinen Bericht und teile mit, dass eine zusätzliche Redezeit von zwei Minuten für die Fraktionen entstanden ist.

Ich eröffne die Aussprache und erteile - in Absprache mit den antragstellenden Fraktionen - dem Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht heute um drei Fragen: Erstens.

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

Ist der Betreiber Vattenfall noch zuverlässig? Zweitens. Ist der Reaktor sicher zu betreiben? Drittens. Welche Konsequenzen muss die Regierung daraus ziehen?

Ich beginne mit einer Chronik der letzten Jahre. 2002: Nach unerklärbaren Messergebnissen im Atomkraftwerk Brunsbüttel dauerte es Monate, bis das Ministerium gegenüber dem neuen Betreiber Vattenfall durchsetzen konnte, dass der Reaktor untersucht wurde. Ergebnis: Durch eine Wasserstoffexplosion war eine Rohrleitung geplatzt. Der Reaktor stand daraufhin eineinhalb Jahre still. Damals wurde bereits die Zuverlässigkeit des Betreibers Vattenfall infrage gestellt.

Um die Zuverlässigkeit wiederherzustellen, musste damals das gesamte leitende Personal ausgetauscht werden. Mitarbeiter mussten nachgeschult werden. Abläufe und Dokumentationen wurden überarbeitet, und technische Änderungen wurden vorgenommen.

2003 wurde bei der periodischen Sicherheitsüberprüfung des Atomkraftwerks Brunsbüttel eine Mängelliste von 600 Punkten erstellt. Von diesen waren vier Jahre später 200 Punkte immer noch nicht abgearbeitet. Vattenfall weigerte sich drei Jahre lang, entgegen der Umweltinformationsrichtlinie der EU diese Liste zu veröffentlichen.

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

September 2006: Unfall im Atomkraftwerk Forsmark in Schweden - bis heute der größte Unfall in einem Atomkraftwerk in Westeuropa! Durch einen Kurzschluss im Trafo wurde der Reaktor vom Netz getrennt. Darauf erfolgte eine Schnellabschaltung. Danach versagten Teile der Notstromversorgung, und das Notkühlsystem konnte nicht die volle Leistung bringen. Außerdem fiel die zentrale Reaktorkontrolle aus, sodass die Reaktorkontrolle praktisch blind war. Erst nach 20 Minuten gelang es, per Handschaltung die Notstromdiesel zu starten und den Reaktor wieder unter Kontrolle zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt war nach Aussage des Chefkonstrukteurs Höglund der Reaktor kurz vor der Kernschmelze.

Wieder informierte Vattenfall die Öffentlichkeit und die Behörden zum Teil falsch, zu spät und nicht umfassend. Der interne Vattenfall-Bericht hat der Mannschaft des AKW eine völlig unakzeptable Sicherheitskultur bescheinigt. In Deutschland erklärt Vattenfall aber, ein vergleichbares Ereignis sei in Brunsbüttel oder Krümmel angeblich nicht mög

lich. Es dauert Monate, bis Vattenfall einräumen muss, dass diese Aussage nicht stimmte.

Oktober 2006: Im Atomkraftwerk Biblis müssen über 7.000 falsche Dübel ausgetauscht werden. Alle anderen Atomkraftwerke werden auf falsche Dübel untersucht. Die Überprüfung in Krümmel und Brunsbüttel ergibt angeblich keine Hinweise auf falsche Dübel.

Oktober 2006: Im Atomkraftwerk Ringhals in Schweden, ebenfalls von Vattenfall betrieben, brennt ein Trafo und explodiert anschließend.

Dann kam der 28. Juni 2007: Es begann mit einem Kurzschluss in der Schaltanlage des Atomkraftwerks Brunsbüttel. Es erfolgt eine automatische Schnellabschaltung. Außerdem wird ein Brennstab zu langsam eingefahren. Ein Schwelbrand im Bereich der Turbine musste durch Feuerlöscher gelöscht werden. Das sind allein drei unabhängige Fehler an einem Tag in Brunsbüttel.

Zwei Stunden später brennt im Atomkraftwerk Krümmel in einer Trafostation die Kühlflüssigkeit. Fehler Nummer vier an diesem Tag. Ob dieser Brand durch die Netzschwankung infolge der Schnellabschaltung von Brunsbüttel verursacht war, ist bis heute ungeklärt, wie wir heute erfahren haben. Dann drangen Brandgase in den Leitstand des Atomkraftwerks. Fehler Nummer fünf.

Aufgrund eines Bedienungsfehlers wird auch der zweite Trafo von Krümmel ausgeschaltet. Fehler Nummer sechs.

Damit war Krümmel im gleichen Zustand wie das Atomkraftwerk Forsmark vor dem Beinahe-GAU im Jahr 2006. Die automatische Schnellabschaltung des Reaktors wurde gestartet, allerdings funktionierten diesmal die Notstromdiesel. Nun fiel jedoch eine Speisewasserpumpe aus. Der Kühlwasserstand fiel erheblich ab. Fehler Nummer sieben.

Nach sieben Minuten sprang zum Glück das erste automatische Wiedereinspeisesystem an. 14 Minuten später dann Fehler Nummer acht: Ein Mitarbeiter öffnete irrtümlich zwei Ventile von Hand. Der Wasserstand im Reaktor sinkt erneut um 2 m. Das zweite automatische Hochdruckeinspeisesystem springt an und rettet die Situation.

Dann Fehler Nummer neun: Es kommt zu einem kurzfristigen Ausfall der Eigenstromversorgung des Atomkraftwerks, zum Glück nachdem das Wasser wieder auf dem normalen Stand ist. Sonst hätten die das Problem von Forsmark gehabt.

(Karl-Martin Hentschel)

Dann Fehler Nummer zehn: Auch die Datensicherung in der Kontrollwarte fällt aus.

Aber damit nicht genug: Obwohl Dioxin in der Abluft gemessen wurde, wurde weder die Bevölkerung noch die eingesetzte Feuerwehr über die Giftgase informiert. Die zuständigen Katastrophenschutzbehörden wurden, selbst nachdem der Wasserstand im Reaktor gesunken war, nicht informiert, zu keinem Zeitpunkt.

Meine Damen und Herren, wer sich nach all diesen Vorkommnissen hinstellt und eine Verlängerung der Laufzeiten fordert, hat nichts begriffen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Behauptung, solche Anlagen seien hundertprozentig sicher, ist eine fromme Glaubensanmaßung, Herr Carstensen. Früher hätte man das als Gotteslästerung bezeichnet. Als eifriger Wallfahrer sollten Sie wissen, wovon ich rede.