Protocol of the Session on July 23, 2009

Mit dem Antrag Drucksache 16/2752 wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Die Landesregierung hat zu diesem Thema eine Regierungserklärung angemeldet. Ich gehe davon aus, dass die Fragen des Berichtsantrags durch die Regierungserklä

rung ihre Beantwortung finden werden. Ich brauche deshalb nicht über den Berichtsantrag abstimmen zu lassen.

Ich erteile dem zuständigen Minister für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Herrn Dr. Christian von Boetticher, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Freund Uwe Döring ich sage das ganz bewusst, weil ich finde, dass auch in solchen Zeiten persönliche Freundschaften bestehen müssen - hat neulich in der Zeitung gesagt, er hoffe, dass der Wahlkampf jetzt nicht in eine Schlacht ausarte. Ich möchte heute einen Beitrag dazu leisten, dass das nicht geschieht.

Vorab möchte ich meiner ehemaligen Kollegin und Vorgängerin im Amt, Frau Trauernicht, recht herzlich dafür danken, dass sie in all den Jahren gerade bei der Atomaufsicht, also einem sehr sensiblen Bereich, eine sehr unabhängige Arbeit, die stets an Recht und Gesetz orientiert gewesen ist, gemacht hat.

(Beifall bei der CDU sowie der Abgeordne- ten Dr. Henning Höppner [SPD] und Lars Harms [SSW])

Das war nicht immer leicht.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben ja mitbekommen, welcher Druck von Betreibern ausgeübt wird, aber auch welcher parteipolitischer Druck bei solchen Entscheidungen manchmal ausgeübt wird. Sie haben diesen Vorgaben immer widerstanden und Ihre Abteilung die Arbeit so ausführen lassen, wie sich das für eine Behörde gehört. In diesem Sinne sehe ich in diesem Amt eine große Kontinuität. Ich sage Ihnen zu, dass die von Ihnen veranlassten Punkte genauso kontinuierlich in meiner Arbeit fortgesetzt werden. Ich werde darauf im Übrigen noch eingehen.

Wenn man in Hongkong bei einem Glas Bier sitzt Sie erlauben mir diese kurze Eingangsbemerkung und dann informiert wird, dass die Kollegin entlassen werden und man selbst das Gesundheits- und Sozialministerium übernehmen soll, woran deutschlandweit einmalig die Atomaufsicht hängt, dann er

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

innert man sich an seine eigene Formulierung, die man stets gebraucht hat.

Ich war immer einer, der sich zu der langfristigen Nutzung der Kernenergie kritisch geäußert hat, gerade bezogen auf die Endlagerung. Natürlich überlegt man sich dann, was dieses Amt für einen selbst bedeutet und für die Frage, wie gradlinig kann man das vertreten, was man in der Vergangenheit stets vertreten hat. Ich habe das immer getan.

Ich war einer derjenigen, der sich nicht nur in Sonntagsreden für regenerative Energien stark gemacht hat, sondern der ganz konkret in Nordafrika mit dem Chef des Club of Rome unterwegs war, der in Abu Dhabi unterwegs war, um für DESERT zu werben, als manch einer das noch nicht schreiben konnte. Ich bin einer derjenigen gewesen, der immer gesagt hat, dass die -

(Zuruf von der SPD)

- Ich denke mal. Ich habe einiges im Kopf. Ich brauche nicht immer einen Redetext, um zu reden, sondern ich weiß, was ich sagen will.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin auch immer jemand, der die Atomenergie als Übergangstechnologie bezeichnet und für einen langfristigen Atomaustritt plädiert hat - das letzte Mal am 14. Juli noch vor der ganzen Krise im „Spiegel“. ich habe auch meine Partei ermahnt, keine automatischen Laufzeitverlängerungen für alle Kraftwerke zu versprechen.

Ich habe im Übrigen auch nichts dagegen, wenn ich heute von den Zeitungen unterschätzt werde. Vor vier Jahren war ich der Jurist aus der Stadt, der vermeintlich keine Chance bei den Bauern hat, heute werde ich als Bauernminister dargestellt, der keine Atomaufsicht führen kann. Ich bin lieber jemand, der immer unterschätzt wird, als andere hier im Raum, die ständig überschätzt werden.

(Beifall bei der CDU - Dr. Heiner Garg [FDP]: Sie überzeugen sich nur noch selbst!)

Ich möchte zu den Vorkommnissen in Krümmel Stellung nehmen. Am 1. Juli 2009 kam es im Kraftwerk Krümmel zu einer Turbinenschnellabschaltung und am 4. Juli 2009 zu einer Reaktorschnellabschaltung. Die Aufklärung der Ursachenabläufe und Wirkungen dieser Ereignisse wird durch die Atomaufsicht unter Beteiligung von externen Sachverständigen auch noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Nach den derzeitigen Erkenntnissen wurde die Turbinenschnellabschlatung am 1. Juli 2009 durch einen Ausfall der beiden Eigenbedarfstrans

formatoren aufgrund eines geschlossenen Ventils am Transformator verursacht. Der Regler, einer der drei Speisewasserpumpen, funktionierte nicht wie vorgesehen, sodass der Füllstand im Reaktor von Hand geschaltet werden musste. Durch die Trennung des Generators vom Netz wurde die Reaktorleistung reduziert.

Das Kernkraftwerk Krümmel wurde am Abend des gleichen Tages wieder mit dem Netz synchronisiert, blieb zunächst mit verminderter Leistung am Netz und sollte nach der Reparatur am Abend des 3. Juli sukzessive wieder auf volle Leistung gefahren werden. Dieses Vorgehen entsprach den Vorgaben von Betriebshandbuch und Atomgesetz. Rechtlich bestand nach Ansicht der Atomaufsicht keine Handhabe, die Anlage vom Netz zu nehmen.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, schon die Turbinenschnellabschaltung vom 1. Juli hätte natürlich ein Warnschuss für Vattenfall sein müssen. Die Öffentlichkeit reagierte zu Recht irritiert, in Teilen empört, und es gab wiederum Kritik an der Informationspolitik.

Ein selbstkritisches, umsichtig agierendes Unternehmen hätte diese Situation zum Anlass genommen, innezuhalten und weitergehende Prüfungen vorzunehmen, bevor die Anlage wieder hochgefahren wird.

Am 4. Juli 2009, um 12:02 Uhr, kam es dann zur Reaktorschnellabschaltung. Ursache war nach derzeitigen Erkenntnissen ein Kurzschluss und Ölaustritt im Maschinentransformator AT 02, einem mit dem Transformator AT 01 baugleichen Typ, eben dem Transformator Typ, bei dem es im Jahre 2007 zu einem Brand kam. Bei und nach dieser Schnellabschaltung kam es zu weiteren nicht bestimmungsgemäßen Verläufen. Atomaufsicht und Sachverständige gehen zurzeit folgenden offenen Fragen nach:

Erstens. Wie groß ist das Ausmaß der Schäden an den Brennelementen?

Zweitens. Was sind die Ursachen für das Einbringen metallischer Fremdkörper in den Reaktordruckbehälter?

Drittens. Was ist mit den Lichtbogenspuren am zweiten Transformator?

Viertens. Wie stand es um das Controlling für Auflagen und Vereinbarungen bei der Installation von Teilendladungsmessungen, der unabsichtlichen Öffnung des Stromwandlersektorenkreises mit Unfallfolge für einen Mitarbeiter, den unsachgemäßen

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

Spülungen nach Armaturensanierung und der erhöhten Radioaktivität im Reaktor?

Alle diese Fragen werden mit größter Sorgfalt untersucht, und auch unsere Maxime lautet, dabei: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.

Am vergangenen Freitag hat unter Beteiligung von Vattenfall noch der Sozialausschuss sehr ausführlich diese Thesen behandelt. Darüber hinaus wurden der Atomaufsicht nun weitere unbekannte Probleme aus der Stillstandszeit bekannt gemacht. So ist bereits im Sommer des letzten Jahres eine Fehlermeldung am Transformator AT 02 erfolgt, die zu einem zweipoligen Kurzschluss führte. Das könnte eine Vorschädigung in dem betroffenen Transformator ausgelöst haben, über die unbedingt sofort die Aufsicht und die Sachverständigen hätten unterrichtet werden müssen.

Darum bleibt grundsätzlich die Frage: Kann Vattenfall verlässlich das Kernkraftwerk Krümmel betreiben? Um diese Frage zu klären, hat noch meine Vorgängerin die neuerlichen Vorgänge zum Anlass einer weiteren Zuverlässigkeitsprüfung genommen und dazu einen externen Gutachter eingeschaltet. Dieses Gutachten wird auch für mich Entscheidungsgrundlage sein. Wie auch immer das Ergebnis sein wird, Gemeinwohlinteresse muss vor Unternehmensinteresse gehen. Das gilt für Betreiber von Kraftwerken in ganz besonderem Maße.

Eine Reaktorschnellabschaltung - nur, damit Sie das einstufen können - ist zunächst nach den internationalen Regeln der IAEA INES-Kategorie null, also unterhalb von Störung und Störfall, angesiedelt. Nach der Störfallmeldeverordnung handelt es sich um eine Kategorie N, also um ein meldepflichtiges Ereignis, für welches zunächst die Meldezeit fünf Tage beträgt. Dennoch hätte Vattenfall hier unverzüglich an die Atomaufsicht melden müssen, da das Betriebshandbuch eine besondere Verpflichtung bei Ereignissen von öffentlichem Interesse enthält und Vattenfall auch entsprechende Zusage getroffen hatte. Nach den Vorfällen der Vergangenheit ist das, denke ich, unstreitig.

Aber weder sind die Manager von Vattenfall selbst sofort unterrichtet worden noch hat es eine sofortige Kontaktaufnahme mit der Atomaufsicht der Landesregierung gegeben. Erst Ministerpräsident Carstensen hat am 4. Juli den Vorstandsvorsitzenden von Vattenfall Europe, Herrn Hatakka, über den Störfall in seinem Kernkraftwerk Krümmel informieren müssen. Jeder fragt sich zu Recht, warum Vattenfall aus den Ereignissen vom 28. Juni 2007 offenbar so wenig gelernt hat.

(Beifall bei CDU und FDP)

Damit ist nicht nur die Kommunikation gemeint, sondern das gesamte Management. Damit wird auch Vattenfall an dieser Stelle zu einem besonderem Fall.

Nach einer ersten Bewertung der meldepflichtigen Ereignisse vom 4. Juli durch externe Gutachter und Mitarbeiter der Atomaufsicht ist am 5. Juli eine erste weitreichende Konsequenz von Vattenfall gefordert worden, die Maschinentransformatoren sollen erneuert statt repariert werden. Diese Forderung ist und war zunächst nicht unproblematisch, da Transformatoren nicht der Atomaufsicht unterliegen, sondern der Eigenverantwortung des Betreibers. Aber nach der Pannenserie der Vergangenheit gibt es auch für uns keine Alternative. Die Forderung wird nicht zurückgenommen, und Vattenfall hat inzwischen mitgeteilt, dass die Transformatoren vor Wiederinbetriebnahme auch erneuert werden.

In diesem Zusammenhang sollte aber noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Vattenfall die mit der Atomaufsicht verbindlich vereinbarte Messung von Teilentladungen und Transformatoren nicht vorgenommen hat. Warum dies nicht geschehen ist, haben die Vattenfall-Vertreter am Freitag im Sozialausschuss - auch 14 Tage nach dem meldepflichtigen Ereignis - nicht hinreichend aufklären können.

Auch die Presseinformationen von Vattenfall dazu sind völlig unzureichend. So legen die vom TÜVNord beauftragten Gutachter Wert auf die Feststellung, dass - anders als in der Pressemitteilung von Vattenfall am 29. Juli 2009 dargestellt - die Gebrauchsfähigkeit des Transformators AT 02 keineswegs uneingeschränkt bestätigt wurde. Die Teilentladungsmessung soll ja gerade deshalb bei Wiederaufnahme des Leistungsbetriebs vorgenommen werden, um frühzeitig Schäden am Transformator erkennen zu können.

Mit der Entlassung des verantwortlichen Kraftwerksleiters ist es natürlich nicht getan. Das Controlling in dem Kernkraftwerk muss endlich funktionieren. Das gilt umso mehr, weil die Betreiber in den zwei Jahren des Stillstands die Möglichkeiten hatten, bestehende Mängel zu beseitigen.

Vattenfall hatte 2007 eine neue Informations- und Sicherheitskultur angekündigt. Davon war am 4. Juli 2009 leider nichts zu sehen. Nicht gerade vertrauensbildend ist der Widerstand gegen die Auflage der Atomaufsicht zur Audioüberwachung auf der Reaktorwarte zu bewerten. Gegen diese atomaufsichtsrechtliche Auflage klagt Vattenfall

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

derzeit. Die Abgeordneten aller Fraktionen haben im Sozialausschuss ihre Missbilligung zum Ausdruck gebracht, dass die schon vor zwei Jahren zugesagte Audioüberwachung immer noch nicht installiert worden ist. Offensive Sicherheitskultur sieht anders aus.

Nun zu den Fragen des von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Berichtsantrags!

Erstens: Ist die Ursache für den Brand des Hochspannungstransformators geklärt? - Die Ursache im Jahre 2007 konnte nicht mehr ermittelt werden, da der Trafo durch den Brand völlig zerstört worden war. Jetzt besteht die Möglichkeit, bei dem verhältnismäßig intakten Transformator die Ursache festzustellen.

Zweitens: Welche Konsequenzen sind daraus gezogen worden? - Die aus dem meldepflichtigen Ereignis für eine Wiederaufnahme erforderlichen technischen Abhilfe- und Vorsorgemaßnahmen wurden durchgeführt. Es wurde eine Überprüfung der Zuverlässigkeit der zu Vattenfall gehörenden Betreibergesellschaft der Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel eingeleitet und zum Wiederanfahren abgeschlossen.

Drittens: Wie konnte es zu dem Einbau fehlerhafter Dübel kommen? - Es wurde fehlerhaft ein nicht vorgesehener Dübeltyp verbaut. Hier hat ganz offensichtlich die Bauüberwachung versagt. Erschwerend kam hinzu, dass bauliche Änderungsmaßnahmen nicht in der erforderlichen Tiefe geregelt waren. Der Fehler trat an der Schnittstelle zwischen Baurecht und Atomrecht auf.

Viertens: Sind die Ursachen für die Risse in den Armaturen geklärt, und warum wurden die Armaturen nicht komplett ausgewechselt? - Ursache waren chloridhaltige Dichtungen und konstruktionsbedingte Konzentrationen von Chloriden. Der komplette Austausch der Armaturen aus Gründen der Sicherheit war nicht erforderlich. Die Betreiberin hatte sich für den Weg der Sanierung entschieden. Sie hat dabei aber den Aufwand für die umfängliche notwendige Qualifizierung der Sanierungsmaßnahmen und Prüfmethoden erheblich unterschätzt.