Protocol of the Session on July 23, 2009

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle ganz herzlich.

Wir setzen mit dieser Sitzung die 45. Tagung fort. Gegenstand der heutigen Sitzung ist der Antrag des Ministerpräsidenten, ihm das Vertrauen nach Artikel 36 Abs. 1 der Landesverfassung auszusprechen. Im Anschluss an diesen Tagesordnungspunkt ist eine dreißigminütige Unterbrechung der Sitzung vorgesehen. Fortgesetzt wird die Sitzung dann mit der Regierungserklärung zu den Vorkommnissen im Kernkraftwerk Krümmel sowie dem Antrag zur Wiederinbetriebnahme des Atomkraftwerkes. Daran anschließen werden sich die Debatten zum Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung sowie zum Strukturkonzept des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Zum Tagesordnungspunkt 38 ist eine Aussprache nicht vorgesehen. - Widerspruch sehe ich nicht. Dann werden wir so verfahren.

Auf die Ihnen schriftlich vorliegende Aufstellung über die Reihenfolge der Beratungen verweise ich und teile ergänzend mit, dass die Redezeiten zum Teil überschritten werden. Entgegen der Absprache im Ältestenrat, von 15 Minuten als Richtwert auszugehen, ist jetzt vereinbart, dass circa 30 Minuten als Redezeit gelten sollen.

Erkrankt sind die Kollegen Thomas Stritzl und Holger Astrup. - Beiden von hier aus gute Besserung!

(Beifall)

Beurlaubt ist die Kollegin Regina Poersch.

Auf der Tribüne begrüße ich ganz herzlich alle Gäste. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU] und Peter Sönnichsen [CDU])

Ich darf heute dem Kollegen Konrad Nabel ganz herzlich zu seinem Geburtstag gratulieren. - Viel Glück und alles Gute, vor allem weiter Erfolg!

(Beifall)

Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 38 c) auf:

Vorzeitige Beendigung der Wahlperiode durch den Ministerpräsidenten nach Artikel 36 Abs. 1 der Landesverfassung

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Antrag des Ministerpräsidenten Drucksache 16/2807

Zu den Redezeiten weise ich nochmals vorab darauf hin, dass der Herr Ministerpräsident mir das mitgeteilt hat, was ich auch schriftlich weitergegeben habe, dass seine Redezeit circa 30 Minuten betragen wird. Ich nehme nicht an, dass das Wort zur Begründung gewünscht wird. - Das ist der Fall. Dann erteile ich zunächst Herrn Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.

Peter Harry Carstensen, Ministerpräsident und Minister für Justiz, Arbeit und Europa:

Herr Präsident! Bitte gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung. Es ist mir ein persönliches Bedürfnis, vorweg folgende Erklärung abzugeben. Ich habe mehrfach öffentlich zum Ausdruck gebracht, dass ich die ehemaligen sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder fachlich wie menschlich sehr schätze. Daran hat sich nichts geändert. Dass ich sie gleichwohl entlassen musste, war der Situation geschuldet, dass der Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments an der SPD gescheitert ist und mich die SPD damit zur Stellung der Vertrauensfrage gezwungen hat. Wenn sich die ehemaligen Kabinettsmitglieder durch die Umstände der Entlassung in ihrer Wertschätzung herabgesetzt fühlen, bedauere ich dieses. Dies war nicht meine Absicht.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, zuerst das Land, dann die Koalition! - Das war immer meine Haltung, und weil ich diese Haltung bewahren und standhaft bleiben will, habe ich eine schwierige Entscheidung getroffen. Dieses Bündnis aus CDU und SPD hat keine Zukunft. Deshalb habe ich gemeinsam mit der Fraktion der CDU und den Fraktionen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie dem SSW die vorzeitige Beendigung der 16. Wahlperiode beantragt. Durch die am Montag erfolgte Abstimmung wurde ich zu einem weiteren, unabdingbar notwendigen Schritt gezwungen. Schleswig-Holstein braucht eine stabile, handlungsfähige und verlässliche Regierung. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem dies nicht mehr gewährleistet ist. Wir möchten die Wählerinnen und Wähler um eine neue Legimitation für eine erforderliche handlungsfähige Regierungsmehrheit bitten. So wie bisher kann es nicht mehr weitergehen, denn das Vertrauen zwischen den Koalitionspartnern ist nachhaltig gestört.

Meine Damen und Herren, Sie sehen mich in tiefer Sorge. Dieses Land ist in einer außerordentlich

schwierigen Lage. Wir sind vor vier Jahren angetreten, um in einem großen Bündnis die großen Herausforderungen für Schleswig-Holstein zu bewältigen. Das war mein Anspruch, das muss mein Anspruch sein, und er bleibt es auch in Zukunft.

Handlungsfähigkeit ist gerade in Zeiten der Krise oberstes Gebot. Handeln aber können Regierungspartner nur in gegenseitigem Vertrauen und entschiedener Geschlossenheit.

Ich trage zuerst, zuallererst Verantwortung für das Land. Deshalb sage ich: Ich sehe in dieser Konstellation keine Möglichkeit mehr, das Beste für unser Land zu erreichen. Ich habe vor über vier Jahren meinen Amtseid abgelegt, in dem ich geschworen habe. „Ich werde meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, … seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“. Und ich habe geschworen, dass ich meine Pflichten gewissenhaft erfüllen werde. Ich verstehe es als meine Pflicht, für dieses Land einzustehen. Wie Sie wissen, habe ich alles getan, um die Koalition zu erhalten. Mir ist es immer um die Sache gegangen. Ich wollte Fortschritte für Schleswig-Holstein erzielen und musste immer wieder taktische Manöver erdulden. Dieses permanente Taktieren kann ich nicht mehr akzeptieren.

(Beifall bei der CDU)

Auch persönliche herabsetzende Äußerungen habe ich hingenommen. Immer wieder habe ich die Hand ausgestreckt und bin auf den Koalitionspartner zugegangen. Ich habe nicht taktiert. Ich habe es mir wahrlich nicht leicht gemacht. Ich weiß, dass uns die Bürgerinnen und Bürger einen Auftrag für fünf Jahre erteilt haben. Das nehme ich sehr ernst. Umso mehr können Sie versichert sein, dass dies keine leichtfertige Entscheidung ist. Ich bleibe dabei: Zuerst das Land, dann die Koalition.

Meine Damen und Herren, Misstrauen lähmt, und Lähmung bedeutet Stillstand. Und Stillstand kann sich Schleswig-Holstein nicht leisten. Handlungsfähigkeit herzustellen und sicherzustellen, muss für eine Regierung höchste Priorität haben. Ich will klarstellen, was das bedeutet: Das heißt, gemeinsame Beschlüsse werden in vertrauensvollem Zusammenwirken und ohne Störmanöver umgesetzt. Sie werden in der Regierung und im Parlament, in den Parteien und in der Öffentlichkeit unterstützt, und zwar von beiden Partnern einer Koalition und von Anfang an.

Es geht nicht nur um die Organisation notwendiger Mehrheiten im Parlament, es geht auch darum, dass sich die führenden Vertreter der Koalitionsparteien einhellig und glaubwürdig für gemeinsam beschlos

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(Präsident Martin Kayenburg)

sene Maßnahmen einsetzen. Das gilt insbesondere für schmerzliche und unpopuläre Maßnahmen. Anders kann politische Glaubwürdigkeit und auch Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht erreicht werden.

Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen mir, dass ich nicht auf die Verlässlichkeit einer SPD zählen kann, die von Herrn Dr. Stegner geführt wird. Ich kann mir daher auch nicht sicher sein, dass ich als Ministerpräsident das notwendige Vertrauen der Mehrheit des Landtags habe. So ist es bereits zu gegensätzlichem Abstimmungsverhalten der Koalitionsfraktionen gekommen. Der SPDFraktionsvorsitzende hat für die gesamte SPD sogar meinen Rücktritt gefordert.

Als Ministerpräsident bin ich auf eine kontinuierliche und verlässlich Basis von beiden regierungstragenden Fraktionen angewiesen. Ich bin in besonderem Maße auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit beiden Fraktionsvorsitzenden der die Regierung tragenden Mehrheit im Parlament angewiesen, weil dies die Grundlage für die parlamentarische Mehrheit ist.

Meine Damen und Herren, auch die Menschen im Land müssen erwarten können, dass führende Politiker einer Koalition auf einem eingeschlagenen Weg Kurs halten und ihn nicht im Zickzack behindern. Ich nehme die Beiträge von Herrn Dr. Stegner sehr ernst, denn er spricht nicht nur für sich selbst; er spricht für die Fraktion der SPD in diesem Hohen Haus, und er spricht für die gesamte SPD in Schleswig-Holstein. Wer spricht für die SPD, wenn nicht ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender? Ich muss seine Äußerungen ernst nehmen. Sie gefährden den Gestaltungsanspruch dieser Regierung, ja mehr noch, sie machen das Regieren unberechenbar.

(Beifall bei der CDU)

Um hier der Legendenbildung vorzubeugen, sage ich: Es ist nicht etwa ein persönlicher Streit zweier gegensätzlicher Charaktere, der hier zum Bruch führt; nein, es ist eine Auseinandersetzung zwischen Parteien und Fraktionen von CDU und SPD. Es ist eine Auseinandersetzung über verschiedene Konzepte, über eine Grundhaltung. Es ist eine Auseinandersetzung über Verantwortung. Gegen einen fairen und umsichtigen Wettbewerb der Programme ist nicht nur nichts einzuwenden; er ist in der Demokratie lebensnotwendig.

Aber diese Auseinandersetzung ist über den Fraktionsvorsitzenden und Landesvorsitzenden der SPD zum Dauerkonflikt mit Winkelzügen und Hintertür

chen ausgeartet. Dieser Dauerkonflikt ist nicht nur schlecht für eine seriöse und zielgerichtete Regierungsarbeit, seine Wirkung reicht noch viel weiter: Dieser Dauerkonflikt schadet Schleswig-Holstein.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Herr Dr. Stegner war Mitglied meines Kabinetts. Ein Mannschaftsspieler war er nicht. Deshalb musste er gehen. Leider ist dieses Signal ohne Wirkung geblieben. Auch in seiner neuen Rolle hat er die Regierungsarbeit untergraben. Deshalb muss ich die Konsequenz ziehen, eine Politik zum Wohl des Landes ist in diesem Bündnis nicht mehr möglich. Zu viel haben wir in den vergangenen Jahren an Unaufrichtigkeiten und schlechten Inszenierungen erleben müssen. Das ist uns auch noch zu gut in Erinnerung, als dass ich das hier detailliert aufführen müsste. Ich werfe nur Schlaglichter.

Die Regierung hat die Kürzung der Sonderzuwendungen für die Beamten im öffentlichen Dienst vereinbart. Der seinerzeitige Innenminister von der SPD schlug dann ein halbes Jahr später öffentlich vor, Steuereinnahmen zur Kompensation der Kürzungen einzusetzen.

(Konrad Nabel [SPD]: Sehr gut!)

Die Regierung hatte sich auf einen Stufenplan für beitragsfreie Kindergartenjahre geeinigt. Verfassungsgemäße Haushalte haben wir gemeinsam als Bedingung definiert, und der SPD-Fraktionsvorsitzende stellte kurze Zeit später drei beitragsfreie Kita-Jahre in Aussicht, und das ohne Rücksicht auf die Landesfinanzen.

Die Regierung hat sich auf Einsparmaßnahmen im Verwaltungsapparat der Polizei geeinigt. Hierzu sind konkrete Maßnahmen zum Aufgabenverzicht oder zur Aufgabenreduzierung notwendig. Diese hat das Innenministerium aber nicht vorgelegt. Stattdessen unterstellte der SPD-Fraktionsvorsitzende, die CDU habe im Vollzug sparen wollen, was nicht der Wahrheit entspricht. Es ist vielmehr von der CDU ausdrücklich ausgeschlossen worden.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Genau! So ist es!)

Nachdem sich der Rechtssausschuss einstimmig, also auch mit den Stimmen von CDU und SPD, auf einen Finanzgerichtspräsidenten geeinigt hatte, hat die SPD diese Personalie gestoppt. Das Finanzgericht wartet weiter auf seinen Präsidenten.

Meine Damen und Herren, die Regierung hat auch einen Kurs in der Frage des Atomkraftwerks Krüm

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(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

mel. Da hat es eklatante Versäumnisse des Betreibers gegeben. Ich habe mit dem Vorstandsvorsitzenden des Betreibers gesprochen und deutliche Worte gefunden. Die SPD will das aktuelle Problem nutzen, um hier eine ideologische Debatte zu führen.

Was die Vergütung des Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank angeht, will ich sagen: Herr Kollege Hay saß nicht als Innenminister im Aufsichtsrat der HSH; nein, der Minister saß darin als Vertreter des Koalitionspartners SPD. In dieser Funktion war er vor der Sitzung des Präsidialausschusses informiert worden. Er hat das Einvernehmen bekundet. Er war also informiert, bevor der Beschluss im Präsidialausschuss gefasst wurde. Protest gab es vonseiten der SPD nicht.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist ja alles wunderbar!)

Als Aufsichtsratsmitglied der SPD ist er auch gebeten worden, die Kabinettsmitglieder aus der SPD und den Fraktionsvorsitzenden der SPD zu unterrichten. Er hat dies auch getan beziehungsweise tun lassen. Das können Sie in seiner persönlichen Erklärung hier im Landtag nachlesen. Da kann die SPD doch nicht so tun, als sei sie nicht informiert gewesen.