Protocol of the Session on March 17, 2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Ich sehe auf der Tribüne sehr viele bekannte Gesichter und möchte unter den Gästen ganz besonders den Altlandtagspräsidenten, Herrn Heinz-Werner Arens, begrüßen.

(Beifall)

Ich begrüße auch den Präsidenten der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Herrn Röder.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der konstituierenden Sitzung des Landtages führt der Alterspräsident den Vorsitz, bis durch Wahl über die Besetzung des Präsidentenamtes entschieden worden ist. Alterspräsident ist nach § 1 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung, wer dem Landtag am längsten angehört. Ich gehöre dem Schleswig-Holsteinischen Landtag - und ich sage das mit Bedacht entgegen der immer wieder kursierenden Gerüchte - nicht von Anbeginn an, das heißt 1946, sondern erst seit der 9. Legislaturperiode, die am 29. Mai 1979 begonnen hat, ununterbrochen an. Zu meiner Absicherung und auch zur Prüfung des immer noch intakten Gedächtnisses habe ich einen Blick in das Landtagshandbuch geworfen und festgestellt, dass niemand länger diesem hohen Haus angehört. Dennoch muss ich aus formalen Gründen fragen, ob in diesem Landtag ein Mitglied den Anspruch erhebt, dem Landtag länger als ich angehört zu haben? - Erwartungsgemäß sehe ich keine Wortmeldung. Deshalb übernehme ich mit Ihrer Zustimmung die Aufgaben des Alterspräsidenten.

(Beifall)

Das Wort Alterspräsident ist nicht nur positiv besetzt, wie ich in den letzten Tagen habe feststellen können. Deswegen mache ich zunächst die für mich sehr befriedigende Feststellung, dass ich vermutlich der jüngste Alterspräsident in der Geschichte dieses hohen Hauses bin.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU] - Heiterkeit)

- Kollege Arp, ich überlege gerade, wer heute den ersten Ordnungsruf bekommt.

(Heiterkeit)

Als ich 1979 Mitglied dieses hohen Hauses wurde und als jüngstes Mitglied der SPD-Fraktion und als zweitjüngstes Mitglied dieses hohen Hauses mit der Arbeit begann, war es entgegen der immer wiederhol

(Alterspräsident Günter Neugebauer)

ten Vermutungen nicht mein Lebensziel, meine parlamentarische Arbeit als Alterspräsident abzuschließen. Das Wort Präsident hätte auch genügt.

Zunächst möchte ich Ihnen allen zur Wahl in den Schleswig-Holsteinischen Landtag gratulieren. Wir, die gewählten 69 Abgeordneten, haben die Aufgabe, die 2,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger SchleswigHolsteins in den kommenden fünf Jahren zu repräsentieren und zum Wohle des Landes politische Entscheidungen zu treffen, die möglichst allen Einwohnerinnen und Einwohnern nützen. Dieses Mandat ehrt uns, aber es verpflichtet uns auch. Seien wir uns dessen immer bewusst.

Mein besonderer Gruß gilt den Abgeordneten, die aufgrund freier Entscheidungen oder als Ergebnis des Wählervotums diesem hohen Hause nicht mehr angehören. Einige sehen wir oben auf der Gästetribüne. Es sind Menschen, an die man sich im Laufe des politischen parlamentarischen Lebens gewöhnt hat. Es waren mitunter auch Menschen, denen sich viele, die hier im Saal sitzen, auch weit über Parteigrenzen hinweg persönlich verbunden fühlen. Viele werden wir vermissen. An manche werden wir uns gern erinnern. Ich denke, die ausgeschiedenen Abgeordneten haben unserem Land mit Fleiß und Tatkraft gedient. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank.

(Anhaltender Beifall)

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Eröffnung der Sitzung durch den Alterspräsidenten

Ich eröffne die erste Sitzung des SchleswigHolsteinischen Landtages in der 16. Wahlperiode und stelle formal die ordnungsgemäße Einberufung nach Artikel 13 Abs. 4 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein fest.

Da wir nicht ohne Schriftführer auskommen werden, möchte ich Frau Abgeordnete Franzen von der CDUFraktion und Frau Abgeordnete Poersch von der SPD-Fraktion zu vorläufigen Schriftführerinnen ernennen. Ich bitte Sie, Ihre Plätze hinter mir einzunehmen.

Wenn Sie Platz genommen haben, ist damit das vorläufige Sitzungspräsidium gebildet. Ich hoffe, Sie widersprechen Ihrer Ernennung nicht.

Meine Damen und Herren, der Landeswahlleiter hat die Wahl von 69 Abgeordnete festgestellt. Nach dem Wahlergebnis verteilen sich die Mandate wie folgt: CDU 30, SPD 29, FDP vier, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vier und SSW zwei Sitze. Sie wissen, dass die Wahlprüfung durch den Landtag noch erfolgen

wird. Die vom Landeswahlleiter als gewählt festgestellten Abgeordneten sind zu dieser Sitzung geladen worden. Wie ich feststellen kann, sind sie auch erschienen. Ich kann daher mit Ihrer Zustimmung die Beschlussfähigkeit des hohen Hauses feststellen.

Meine Damen und Herren, einer alten Tradition folgend, möchte ich die Gelegenheit nutzen, vor dem Aufruf des nächsten Tagesordnungspunktes einige grundsätzliche Anmerkungen zu machen. Die Landtagswahl vom 20. Februar hat durch die Bürgerinnen und Bürger ein Wahlergebnis hervorgebracht, das je nach politischer Überzeugung unterschiedlich betrachtet und bewertet wird. Ich möchte zunächst einen Aspekt hervorheben, der uns nach meiner Einschätzung zu einer einheitlichen Bewertung gelangen lässt.

In diesem Jahr begehen wir zum 60. Mal die Beendigung des Zweiten Weltkrieges und damit auch die Befreiung Deutschlands vom nationalsozialistischen Unrecht. Unser Land ist mit den Daten und Verbrechen des Nationalsozialismus in besonders fataler Weise verbunden. Hier hatten die Nazis bereits vor der Machtübernahme 1933 Spitzenergebnisse erzielt. Das Kriegsschiff „Schleswig-Holstein“ hat mit seinen Schüssen auf die Westernplatte bei Danzig den Krieg gegen Polen begonnen und damit den Zweiten Weltkrieg eröffnet. Schließlich hatte sich das letzte Aufgebot in der Regierung der Kriegsverbrecher des Deutschen Reiches in den letzten Tagen vor der Kapitulation in Flensburg festgesetzt. Schleswig-Holstein war damit praktisch die letzte Bastion des Terrors.

Vor diesen historisch schrecklichen Hintergründen können und dürfen wir uns gemeinsam darüber freuen, dass die Wählerinnen und Wähler dieses Landes dafür gesorgt haben, dass keine rechtsextreme Partei in diesem hohen Haus vertreten ist, die noch immer die Verbrechen der Nazis verharmlost oder verdrängt.

(Anhaltender Beifall)

Diesem Landtag ist eine Schande erspart geblieben. Die demokratischen Kräfte dieses Landes - Sie haben es durch Ihren Beifall gezeigt - können das zusammen mit den demokratischen Kräften außerhalb dieses hohen Hauses nur mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen.

Am 29. März, also in zwölf Tagen, jährt sich ein weiteres wichtiges Ereignis, das 50 Jahre lang die politische Kultur und das Zusammenleben der Menschen in Schleswig-Holstein geprägt hat. Ich meine die Bonn-Kopenhagener Erklärungen. Wir haben allen Grund, diesen Anlass feierlich zu begehen. Die BonnKopenhagener Erklärungen mit der Unterschrift des damaligen Bundeskanzlers Adenauer haben den Maßstab des kulturellen Miteinanders von Mehrheit und

(Alterspräsident Günter Neugebauer)

Minderheit geprägt. Sie haben die Einsicht gefördert, dass es auch und gerade die Minderheiten sind, die unserem Land Vielfalt und Gepräge geben. Ich denke, sie sind ein Teil der Identität des Landes SchleswigHolstein.

Ein bekanntes Sprichwort sagt, die Reife einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang der Mehrheit mit der Minderheit. Wir können auf Grundlage der BonnKopenhagener Erklärungen stolz auf das Erreichte sein. Wie wir feststellen können, wird dies auch durch äußere Wahrnehmungen bestätigt. Danach sind die Arbeit und das Zusammenleben in SchleswigHolstein vorbildlich in Europa. Es sind die Kontinuität und die Sensibilität im gegenseitigen Umgang, die uns bis hierhin gebracht haben. Es gilt, diesen Weg weiterzugehen.

Aus aktuellem Anlass möchte ich an die Entscheidungsträger innerhalb dieses hohen Hauses und außerhalb des Parlaments appellieren: Zerstören Sie bitte nicht aus tagespolitischen Gründen, was sich als guter Geist positiv auf das Zusammenleben beider Seiten der deutsch-dänischen Grenze vorbildhaft bewährt hat.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir haben das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen immer als Gewinn für unser Land begriffen und dies mit der Einrichtung vielfältiger Instrumente unterstützt. Lassen Sie uns bitte nicht daran rütteln.

Unter demokratischen Gesichtspunkten gibt es auch Aspekte, die das hohe Haus ungeteilt negativ bewerten muss. Das sind die Felder Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit, die nicht nur, aber eben auch unser Land betreffen. Eine in der vergangenen Woche von der Deutschen Forschungsgemeinschaft veröffentlichte Umfrage hat ergeben, dass die Menschen wenig Zutrauen in die Politik, in die Parteien und auch in das Parlament haben. Die Verantwortung liegt sicherlich immer bei den Handelnden, aber eben nicht nur bei den Handelnden. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.

Zunächst möchte ich an dieser Stelle das Selbstverständnis dieses hohen Hauses ansprechen. Die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger am 20. Februar waren knapp, aber sie sind innerhalb der gesetzten Spielregeln unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung getroffen worden. Die Wahl des heutigen Tages, auf die wir gespannt warten, wird dies präzisieren. Sie wird politische Aufträge an die Fraktionen nach sich ziehen. Im Rahmen der Auftragsbewältigung verlangt das Wahlergebnis, gerade weil die politischen Entscheidungen so knapp sind,

wie sie nun mal sind, die volle Disziplin und die volle Verantwortung aller Abgeordneten dieses hohen Hauses. Ich bin der Auffassung, dass wir sehr wohl aufgerufen sind, auch in Zukunft Politik als Wettbewerb der Ideen und Lösungen für unser Land zu betreiben. Das ist unser Auftrag, das dürfen die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes von uns erwarten. Ich denke, so sollten wir auch handeln.

Wir sind aber auch gleichzeitig dazu aufgerufen, politische Fairness walten zu lassen und konsensuales Zusammengehen hervorzubringen. Ich denke, wir können es uns auch angesichts der Wahlentscheidungen und der Bewertungen in den Medien nicht länger leisten, so zu tun, als ob die politischen Ansätze der politischen Konkurrenz unser Land immer und zwangsläufig in den Abgrund führen würden. Das überragende Interesse aller im Landtag vertretenen Fraktionen und seiner Abgeordneten ist das Wohl dieses Landes und nicht sein Schaden.

Das muss sich nach meiner Ansicht auch in den Regeln der politischen Auseinandersetzung wieder finden, und zwar gerade bei knappen Mehrheiten. Dieser Appell - das wird Sie überraschen - richtet sich gleichermaßen an Oppositions- und Regierungsfraktionen. Wir sägen ansonsten weiter an dem Ast, auf dem wir sitzen. Die Menschen können die seit vielen Jahrzehnten geübte Form der politischen Kultur der Auseinandersetzung, die immer nur auf die politische Konkurrenz eindrischt, aufgrund der immensen Probleme nicht länger verstehen. Ja, ich bin sicher, sie wollen das auch nicht mehr hören. Sie wollen Vertrauen in die Politik und in die Personen, die Politik machen, schöpfen. Die Mittel, die die Politik bisher angewandt hat, beschäftigen sich zu häufig mit der Diffamierung des politischen Gegners als vielmehr mit der Darstellung der eigenen Argumente und der Werbung dafür.

Ich werbe für eine neue Kultur der politischen Auseinandersetzung. Wir brauchen hier Veränderungen. Wir repräsentieren ansonsten Menschen dieses Landes, die sich nicht länger hinter diese Form der Repräsentation stellen, denn unser Auftrag umfasst auch die Form des Umgangs miteinander und damit das Selbstverständnis der politischen Arbeit in diesem hohen Haus.

Hierbei kommt auch den Medien eine erhöhte Form der Verantwortung zu. Denn das eine ist die Form der politischen Auseinandersetzung, das andere ist die Form der Berichterstattung über die politische Auseinandersetzung. Ich möchte das einmal so umschreiben, wie der Eindruck aufgrund der medialen Berichterstattung wirkt: Es ist zweifellos für die Medien einfacher, das Haar in der Suppe zu finden, als über

(Alterspräsident Günter Neugebauer)

die Zubereitung der Suppe zu informieren oder zu urteilen.

Mir fehlt es auch an Verständnis, wenn in manchen Medien der Eindruck erzeugt wird, einzelne Personen, die sich zu politischen Themen dieses Landes interessensgerichtet äußern, sei grundsätzlich mehr inhaltliche Kompetenz beizumessen als diesem hohen Haus. Das ist im Zweifel nicht unbedingt demokratiefördernd.

Sehr geehrte Damen und Herren, in diesem Zusammenhang tun wir sicherlich gut daran, auch die Grenzen unserer politischen Einflussmöglichkeiten darzustellen. Seien wir ehrlich, auch die politischen Problemlösungskompetenzen dieses Hauses und der Regierung sind begrenzt,

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Das ist richtig!)

sei es aufgrund inhaltlicher Kompetenzen, Kollege Klug, oder aufgrund finanzieller Möglichkeiten. Wer allerdings den Anspruch verkündet, dass die Politik alles, einschließlich zum Beispiel der Schaffung von Arbeitsplätzen, erreichen kann, ist mit dafür verantwortlich, wenn die Unmöglichkeit des Erreichens dieser Ziele Enttäuschungen und Frust wachsen lässt.

Natürlich hat die Landespolitik beispielsweise im begrenzten Umfang Einfluss auf Standortfaktoren und das Umfeldklima im Land. Wir können die Rahmenbedingungen verbessern oder verschlechtern. Wir sollten uns aber nicht selbst verantwortlich für Entscheidungen machen, die in Vorstandsetagen von Unternehmen oder bei der Kommission in Brüssel getroffen werden. Dennoch haben wir uns zu überlegen, wie ein nachhaltig positiveres Stimmungsbild im Land erzeugt werden kann, das das Investitionsklima und die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes verbessert. Hierfür gibt es viele Ansätze, die beispielsweise in einem Zusammengehen von Politik, Verbänden, Wirtschaft und Medien liegen könnten, um in gemeinsamer Trägerschaft für Schleswig-Holstein zu wirken.

Ich plädiere dafür, den Gemeinsinn im Land zu stärken und das Gemeinwesen in Schleswig-Holstein zu verbessern. Das ist nicht nur Aufgabe von der Regierung oder den Regierungsfraktionen, das ist Aufgabe aller Kräfte dieses hohen Hauses und außerhalb dieses Parlamentes. Damit soll natürlich nicht einem Ersatzparlament das Wort geredet werden. Das ist und kann nicht das Ziel sein. Das ist aber auch schon bereits deshalb nicht der Fall, weil es sich um eine übergreifende Aufgabe handelt, die über die Leistungsfähigkeit der Politik allein hinausgeht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam in den kommenden fünf Jahren konstruktive Politik für dieses Land und für die Menschen dieses Landes gestalten, sachlich, ideenreich, mutig und auch ruhig mit dem Blick über den politischen Tellerrand. Dann - da bin ich sicher - werden das Vertrauen und das Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger, die der Schleswig-Holsteinische Landtag dringend für seine Politikgestaltung braucht, wieder wachsen. Davon werden wir letztlich alle profitieren.