Protocol of the Session on October 9, 2002

Ich sage Ihnen auch noch eines zur Therapie: Das hat es alles schon einmal gegeben. Die damalige CDULandesregierung hatte in Lübeck bereits eine Sozialtherapie eingerichtet. Nicht Sie selbst, Frau Justizministerin, aber eine Ihrer Vorgängerregierungen hat sie geschlossen. Jetzt preisen Sie sich dafür, dass Sie sie wieder aufmachen. Das ist alles andere als eine seriöse Politik.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 hat der Herr Abgeordnete Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Geißler, ich verstehe Ihre innere Aufgeregtheit gar nicht, die Sie bei einem Thema empfinden, das sich mit grundlegenden Fragen der deutschen Rechtssystematik - und nicht nur der deutschen Rechtssystematik - beschäftigt. Es wäre viel angemessener, die Argumente mit kühlem Kopf auszutauschen,

(Beifall bei FDP, SPD und SSW - Holger Astrup [SPD]: Allerdings!)

statt ein Denunzierungspotenzial aufzubauen, das darin besteht, dass man dann, wenn man Ihren Gesetzentwurf nicht annimmt, dafür verantwortlich ist, dass künftig in diesem Land Straftaten geschehen.

Ich will Sie an ein grundlegendes Prinzip erinnern. Darüber zu diskutieren und darüber nachzudenken lohnt sich, auch wenn Sie sagen, dass es Mitglieder meiner Partei in anderen Ländern gibt, die anderer Auffassung sind als ich und wir in unserer Bundestagsfraktion. Das eigene Nachdenken muss ja noch erlaubt sein und den eigenen Standpunkt zu vertreten muss auch noch erlaubt sein.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dieses Recht werde ich mir auch in der Bundestagsfraktion meiner Partei nicht streitig machen lassen, weil wir sonst den Parlamentarismus aufgeben und sagen können: Was wenige Leute beschließen, muss

(Wolfgang Kubicki)

flächendeckend, vom Bund bis zu den Kommunen, durchgezogen werden. - Das kann es ja wohl nicht sein.

Das grundlegende Prinzip bezieht sich auf die Frage, ob wir freiheitsentziehende Maßnahmen - dazu gehört nicht nur die Strafvollstreckung, sondern auch die Sicherungsverwahrung - schlicht an einen Verdacht anknüpfen lassen wollen. Ich bin zu diesem Schritt nicht bereit. Sie sagen: Dadurch entstehen Sicherungslücken. - Das mag sein. Ich bin trotzdem nicht zu diesem Schritt bereit. Ich will jetzt nämlich eine weitere Sicherungslücke aufzeigen, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf nicht beherrschen können, die Sie aber als Nächstes beherrschen müssten, wenn Sie Ihr Versprechen einlösen wollen, dass von potenziellen Straftätern keine Straftaten ausgehen sollen. Von den Ersttätern will ich dabei gar nicht reden. Ich frage Sie: Was machen Sie denn eigentlich mit einem Sexualstraftäter, der - das gibt es zwar nicht mehr, aber faktisch ist es so - mangels Beweisen freigesprochen wird, weil der letzte Zweifel bei der erkennenden Kammer nicht schweigt? Sie müssten doch aus Sicherungsgründen sagen: Weil der auffällig geworden ist, weil Polizei und Staatsanwaltschaft glauben, er sei ein Sexualstraftäter

(Thorsten Geißler [CDU]: Nein!)

- doch, doch -, müssen wir ihn in konsequenter Anwendung dessen, was Sie gerade argumentativ vorgetragen haben,

(Thorsten Geißler [CDU]: Das ist doch Un- sinn!)

in Sicherungsverwahrung nehmen,

(Thorsten Geißler [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

um die potenzielle Gefahr, die von diesem möglichen Straftäter ausgeht, zu vermeiden.

Ich konstruiere das gar nicht. Denn das setzt sich auch im Vollzug fort. Ich meine jetzt den Fall, wenn eine Kammer im Erkenntnisprozess den Vorbehalt nicht ausgesprochen hat. Nur darum geht es noch. Ich spreche von der gerichtlichen Entscheidung, wo eine Kammer im Erkenntnisverfahren den Vorbehalt nicht ausgesprochen hat, weil sie die Gefährlichkeit des Täters aufgrund der Sachlage, die sie selbst zur Beurteilung ihres Falls genommen hat, als nicht so gravierend eingeschätzt hat. Dann kommen Sie dazu, dass Sie mit Verdachtsmomenten arbeiten, die Menschen in der JVA entwickeln müssen, die Aufseher, die Mitgefangenen, die möglichen Gutachter.

(Thorsten Geißler [CDU]: Zwei Gutachten sind erforderlich!)

- Das mag ja sein. Aber auch die Gutachter können nur an Verdachtsmomenten anknüpfen, die sich in der Inhaftierung ergeben haben, und nicht an Tatsachen. Es ist kein Unterschied zu dem Fall, in dem ein Angeklagter freigesprochen wird, weil der letzte Zweifel beim Gericht nicht schweigt, obwohl die Staatsanwaltschaft glaubt, dass von ihm eine potenzielle Gefahr ausgeht. Deswegen müssen Sie sagen: Konsequenterweise müsste im Polizei- und Ordnungsrecht die Möglichkeit geschaffen werden, dass in einem solchen Fall eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, weil der Betreffende ja eine potenzielle Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Wenn Sie, Herr Kollege Geißler, dieses Prinzip durchbrechen, kann ich Ihnen sagen, dass Sie Schwierigkeiten bekommen werden, das in weiteren Bereichen aufrechtzuerhalten.

(Thorsten Geißler [CDU]: Das stimmt doch überhaupt nicht, Herr Kollege!)

- Es mag sein, dass Sie das anders sehen, Herr Kollege Geißler. Aber nehmen Sie die Argumente doch einfach einmal hin; Sie müssen sie ja nicht zu Ihren eigenen machen. Aber nehmen Sie sie einfach hin.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich sage Ihnen: Solange ich das entscheiden kann, wird es mit mir keine Verurteilung, keine freiheitsentziehende Maßnahme aufgrund eines Verdachtes geben, sondern nur aufgrund einer konkreten Tat und deren Aburteilung. Ansonsten würden wir verfassungsrechtliche Prinzipien durchbrechen, für die ich hier eintrete.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe damit die Beratung.

Der Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wer dem folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen der Fraktion der CDU abgelehnt.

Ich wünsche Ihnen eine gute Mittagspause.

(Unterbrechung: 13:27 bis 15:01 Uhr)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Nachmittagssitzung und möchte Sie bitten, die Plätze einzunehmen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Wegweiserecht bei häuslicher Gewalt

Landtagsbeschluss vom 21. Juni 2002 Drucksache 15/1931

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/2077

Ich erteile der Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie, Frau Lütkes, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung legt Ihnen heute den Zwischenbericht zum Wegweisungsrecht vor. Ich bin stolz darauf und froh darüber, dass es nach 25 Jahren Frauenhausbewegung gelungen ist, das Thema der Gewalt gegen Frauen und der häuslichen Gewalt verstärkt in das gesellschaftliche Blickfeld und Bewusstsein zu rücken. Das Tabu aus früheren Zeiten ist gebrochen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Mit dem Gewaltschutzgesetz und insbesondere unseren landesrechtlichen Wegweisungen erfolgen qualitative Schritte, die in der Lage sind, der Privatheit der häuslichen Gewalt den Boden zu entziehen. Das Innerste unserer Gesellschaft ist dort, wo die Menschen zu Hause sind: in den Familien. Innere Sicherheit zu gewähren ist unsere Aufgabe. Dies heißt, eine gewaltfreie Privatsphäre für die Menschen in ihrem engsten Bereich zu garantieren.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir müssen davon ausgehen, dass jede dritte bis fünfte Frau in unserer Gesellschaft von Gewalt betroffen ist. Richtig verstandene innere Sicherheit muss diesen häuslichen Bereich unserer Gesellschaft nachhaltig befrieden.

Meine Damen und Herren, es hat sehr lange gedauert, bis der Staat seine Verpflichtung gegenüber den von häuslicher Gewalt Betroffenen akzeptiert hat und seiner staatlichen Aufgabe nachgekommen ist. Mit der Ausführung des Gewaltschutzgesetzes, der Wegweisung, der Organisation von KIK, das ich in diesem hohen Hause nicht erläutern muss, sind wir dabei, diese Verpflichtung zu erfüllen. Wir können auch an scheinbaren Kleinigkeiten erkennen, dass sich etwas bewegt. Vor einiger Zeit war es noch unvorstellbar,

dass in Lokalnachrichten wie selbstverständlich berichtet wird: Schlagender Mann wurde der Wohnung verwiesen. - Daran, dass dies heute gemeldet wird, sieht man, dass es eine Alltäglichkeit zu werden beginnt, dass unsere Botschaft: „Wer schlägt, der geht“, auch ankommt.

(Beifall im ganzen Haus)

Deshalb sage ich an dieser Stelle namens der Landesregierung - ich glaube, Sie sehen es aber auch so - für die Unterstützung der Medien Dank. Wir haben festgestellt, dass unsere Botschaft: „Wer schlägt, der geht“, in den Medien transportiert wird, dass das Wissen um diese Möglichkeit bei den Frauen auch durch praktische Beispiele ankommt, dass das Wissen um die eigenen Rechte gestärkt wird und deshalb die lange geltende Losung: „Schrei leise, man könnte dich hören“, nicht mehr gilt. Für diese Mithilfe sage ich unseren Dank.

(Beifall im ganzen Haus)

Der Zwischenbericht zeigt Ihnen, dass die Wegweisung, die wir landesrechtlich vornehmen, zwei Wirkungen haben soll: erstens die unmittelbare Wirkung der Wegweisung, also die Wirkung auf den Täter und den Schutz der Opfer, zweitens eine langfristige Wirkung auf das Selbstverständnis in der Gesellschaft, auf die Kinder, deren frühe Erfahrungen das spätere Verhalten prägen, wodurch möglicherweise, so hoffen wir, der Gewaltkreislauf durchbrochen wird.

Der Zwischenbericht zeigt aber insbesondere, dass unser Modellversuch „Wegweiserecht bei häuslicher Gewalt“ vom Grundgedanken der Kooperation geprägt ist. In der Landesregierung kooperieren natürlich das Innenministerium und das Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie. Es kooperieren Organisationen und Institutionen in der Gesellschaft, die Staatsanwaltschaften und die Polizei, die Frauenhäuser und die Frauenberatungsstellen, die Notrufe und die Männerberatungsstellen. Mir ist es besonders wichtig, das hohe Engagement der Polizei hervorzuheben. Der engagierte, sehr situationsangemessene Einsatz der Polizistinnen und Polizisten ist ein ganz wesentlicher Bestandteil des erfolgreichen Kampfes gegen die häusliche Gewalt. Deshalb - ich denke, auch im Namen des Innenministers - unser ausdrücklicher Dank auch für diese Arbeit vor Ort, ohne die die polizeiliche Wegweisung in dieser Angemessenheit nicht umsetzbar wäre.

(Beifall im ganzen Haus)

Die genauen Zahlen können Sie dem Zwischenbericht entnehmen.

(Ministerin Anne Lütkes)