Protocol of the Session on October 9, 2002

Schleswig-Holstein ist hier vorbildlich. Jedem Sexualstraftäter kann eine Therapie angeboten werden. Ich begrüße es, dass im kommenden Jahr in der JVA Lübeck eine sozialtherapeutische Fachabteilung mit 39 Plätzen eingerichtet wird, um die Chancen einer erfolgreichen Therapie bei Gewalt- und Sexualstraftätern zu vergrößern.

(Thorsten Geißler [CDU]: Die es schon ein- mal zu CDU-Zeiten gegeben hat!)

Allerdings nehmen in Schleswig-Holstein 20 % der Betroffenen dieses Angebot nicht an. Hier muss der Druck, sich einer Therapie zu stellen, vergrößert werden. Das ist mit der Änderung des Gesetzes jetzt gegeben.

Eine letzte Bemerkung zu Herrn Geißler. Herr Geißler, Sie versuchen, wie kann es anders sein, uns zu drohen. Sie sagen: Wenn wir Ihrem Gesetz nicht folgen, dann werden Sie uns künftig für jedes einzelne Opfer verantwortlich machen. Ich sage Ihnen: Das ist schlechter Stil!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Wir machen das im umgekehrten Fall auch nicht. Bei jeder Autobahn, die Sie bauen wollen, bei jeder Geschwindigkeitsbegrenzung, die Sie nicht wollen, könnte auch ich mich hierhin stellen und sagen: Das ist Ihre Verantwortung. Das tue ich wissentlich nicht, weil ich genau weiß, dass wir immer unabhängig von Einzelschicksalen im Sinne des Grundgesetzes und zum Wohl der Allgemeinheit entscheiden müssen. Ich

(Monika Heinold)

bitte Sie herzlich, diese Drohungen und Unterstellungen zu unterlassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Thorsten Geißler [CDU]: Das gibt doch gar keinen Gegensatz!)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich kann ich da anfangen, wo ich bei der ersten Lesung aufgehört habe. Damals habe ich meinen Redebeitrag damit geschlossen: Der nächste Ruf nach weiteren Verschärfungen wird nicht ausbleiben. Die CDU wird weiterhin nach jeder einzelnen Tat nach neuen Gesetzen rufen und den Menschen dadurch vorgaukeln, dass dadurch die Verbrechen verhindert werden. - Eben dieses durften wir auch in den letzten Tagen erleben, als die CDU eine Verbindung zu den aktuellen Mordfällen herstellte. Der Vater der in Neumünster ermordeten Jennifer soll gesagt haben, dass solche Leute auf ewig weggesperrt gehören. Ich kann sehr gut verstehen, dass er dieses sagt, wenn ein Rückfalltäter seine Tochter ermordet hat. Von Politikern erwarte ich allerdings, dass sie sich nicht von persönlicher Betroffenheit und Emotionen leiten lassen. Das kann manchmal verdammt schwer sein, aber ein humaner Rechtsstaat fordert, dass Rechtspolitik mit kühlem Kopf gemacht wird. Wenn wir nur unseren Gefühlen folgen, haben wir bald keinen Rechtsstaat mehr, dafür aber eher die Todesstrafe. In einem Rechtsstaat darf man Menschen nicht einsperren, weil sie zukünftig vielleicht, eventuell, möglicherweise eine Straftat begehen könnten.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wenn wir Ausnahmen von diesem grundlegenden Prinzip machen, dann nur in einer strengen Abwägung von Nachteilen und Vorteilen. Ausnahmen gibt es bereits. Wenn ein potenzieller Täter psychisch krank ist, kann er eingewiesen werden, um ihn gegebenenfalls vor sich selbst oder andere vor ihm zu schützen. Wenn bei nicht psychisch kranken Straftätern erkennbar ist, dass sie rückfällig werden, kann im Gerichtsverfahren eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Im Juni - das haben meine Kolleginnen und Kollegen bereits ausgeführt - wurde zudem beschlossen, dass Gerichte sogar eine Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt aussprechen können. Wir meinen, dass dies genug ist.

Unter Abwägung der verschiedenen Interessen kommen wir deshalb zu dem Schluss, dass wir keine Än

derung brauchen, wie die CDU sie vorgeschlagen hat, denn wir reden hier nicht nur von den wenigen Tätern, die rückfällig geworden sind. Auch wenn jeder einer zu viel ist, bundesweit geht es möglicherweise um circa drei Fälle pro Jahr, die überhaupt für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung infrage kommen könnten. Wir reden ebenso von vielen Menschen, die wirklich lebenslang eingesperrt werden könnten, obwohl sie nie wieder etwas begangen haben. Genau da liegen die Probleme. Zudem zeigen die meist spektakulären Fälle von Rückfalltätern, dass es sich bei den Hochgefährlichen in der Regel gerade nicht um Täter handelt, die vorher mit Folgetaten geprahlt haben oder durch fehlende Anpassung in der Haft aufgefallen sind. Es waren häufig Menschen, die gute Führung zeigten und nicht auffällig waren. Diese erreicht man mit der jetzt geforderten Änderung ohnehin nicht.

In diesem Sinne könnte die nachträgliche Sicherungsverwahrung zwar Stimmungen beruhigen, die Politiker und Medien vorher selbst geschürt haben, aber in der Sache würden sie kaum mehr als eine Scheinsicherheit bringen. Absolute Sicherheit gibt es nämlich nicht. Wer dies den Leuten vorgaukelt, schafft selbst immer neue Sicherheitsbedürfnisse. Genau deshalb kommen wir bei der Abwägung zu dem Ergebnis, dass die von der CDU vorgeschlagene Änderung auf Landesebene viel schaden und gar nichts nützen würde.

(Beifall bei SSW, SPD und FDP)

Ich möchte zunächst in der Loge die Vorsitzende des Landesfrauenrates, Frau Östergard, begrüßen.

(Beifall)

Das Wort hat Frau Ministerin Lütkes.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu laufenden Ermittlungsverfahren werde ich mich hier in diesem hohen Hause nicht äußern.

Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein gesetzliches rechtsstaatliches Regelwerk geschaffen, das die Aufgabe der vorsorgenden Sicherheit aufgreift. 1998 wurden die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung erweitert. § 66 Abs. 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches lässt heute für Verbrechen und Sexualstraftaten die Sicherungsverwahrung auch dann zu, wenn es sich um eine Erstverurteilung handelt, bei der mehrere Straftaten eine Strafe verwirkt

(Ministerin Anne Lütkes)

haben. Der sexuelle Missbrauch an Kindern, ein zeitliches „Dauerdelikt“, ist eine solche Strafen erwirkende Tat und fällt unter diese Möglichkeit. Damals im Jahre 1998 wurden die auch heute geltenden weiteren rechtsstaatlichen verfassungsrechtlichen Grenzen erkannt. In diesem Jahr wurden die verfassungskonformen Voraussetzungen für eine vorbehaltende Sicherungsverwahrung geschaffen, die nunmehr Gesetz ist, unter direkter Formulierungshilfe aus Schleswig-Holstein. Wir haben weiter das PsychKG, das zur Anwendung steht.

Meine Damen und Herren, es ist heute hier schon ausgeführt worden, und ich schließe mich diesen Ausführungen an: Landesrechtliche Ergänzungen dieser Bundesregelung sind nicht verfassungskonform. Sie widersprechen dem Artikel 74 Abs. 1 des Grundgesetzes, und sie verstoßen gegen Artikel 103 Abs. 2 des Grundgesetzes. Wir haben ein Doppelbestrafungsverbot und wir haben ein Rückwirkungsverbot. Auch die vorgeschlagene Altfallregelung vom Vorsitzenden des Richterbundes - nicht vom Richterbund in Gänze; das, denke ich, ist an dieser Stelle doch erwähnenswert - wird am Tatunrecht anzuknüpfen haben und ist deshalb eine strafrechtliche Sanktion und keine polizeirechtliche; sie ist somit bundesrechtlicher Regelung vorbehalten. Die Regelungen der Länder, zum Beispiel Baden-Württembergs, setzen sich über diese Bedenken hinweg. Nach meinen Informationen sind auch die Fälle der Anwendung nicht sehr zahlreich oder gar nicht vorhanden. Auch die jetzige Offensive aus Bayern setzt sich über diese ganz grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken hinweg.

Meine Damen und Herren, der bessere Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftaten ist eine anerkannte Aufgabe auch dieser Landesregierung. Die Einrichtung für Sexualtherapie in Lübeck ist eine der Maßnahmen, die wir ergriffen haben.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Erkenntnis der verfassungsrechtlichen Grenzen und der Verantwortung der Justiz und der Vollstreckungsbehörden werden wir alle zulässigen Veränderungen ausschöpfen. Wir, die Landesregierung, werden vorschlagen, die §§ 63 ff. des Strafgesetzbuches derart zu ändern, dass eine unvorbereitete und unbegleitende Entlassung aus dem Vollzug einer Maßregel zukünftig verhindert wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden das unstreitig stumpfe Schwert der Führungsaufsicht verbessern. Dazu gehört auch eine Verschärfung des § 145 a Strafgesetzbuch. Und, meine

Damen und Herren, selbstverständlich sind immer die Möglichkeiten des PsychKG gegeben und müssen geprüft werden.

Sie haben zu dieser Frage hier umfassend diskutiert, deshalb gestatten Sie mir eine etwas persönliche Schlussbemerkung. Das Grundgesetz bekennt sich in seiner Präambel zu der Verantwortung vor Gott und den Menschen. Ich habe hier den Amtseid geleistet unter Bezugnahme auf die religiöse Beteuerungsformel. Die Erkenntnis der Verantwortung vor Gott und den Menschen bedeutet, dass das Handeln der Menschen endlich ist, dass das Handeln der Menschen begrenzt ist und dass diese Grenzen der vorsorgenden Sicherheit sehr schmerzlich sind. Aber, meine Damen und Herren, das Verständnis und auch die persönlich mitempfundene Trauer und auch Wut gerade über begangene Sexualstraftaten rechtfertigen nicht, die Grenzen der Verfassung zu überschreiten. Wir dürfen die Grundlage dieses Gesellschaftsvertrages nicht brechen.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 hat der Herr Abgeordnete Geißler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Heinold, wenn Sie uns schlechten Stil vorwerfen, kann ich nur sagen, Ihre Argumentation war alles andere als ein Ausdruck guten Stils. Es kann doch überhaupt kein Zweifel darüber bestehen, dass wir gemeinsam in völliger Einigkeit das Ziel verfolgen, Verkehrsunfälle zu vermeiden und die Bilanzen zu verbessern. Wir werden jeden Weg mitgehen - wir haben das in der Vergangenheit auch immer getan -, der nach Abwägung aller dazu heranzuziehenden Argumente, bei Berücksichtigung aller Aspekte dazu beiträgt, dass die Verkehrssicherheit im Lande erhöht wird. Ich weise es daher zurück, als wären wir diejenigen, die rücksichtslosen Rasern auf der Straße die Möglichkeit eröffnen wollten, neue Unfälle zu produzieren. Das ist überhaupt nicht der Fall. Es ist doch einfach ein Popanz, der hier aufgebaut wird; es ist eine unseriöse Argumentation, die mit dem Problem, das wir hier besprechen, auch nicht im Ansatz irgendetwas zu tun hat.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann mich immer nur wundern: Ein angesehener Justizminister, Herr Pfeiffer in Niedersachsen, sagt: Es gibt Defizite in den Bundesländern. In seinem

(Thorsten Geißler)

Bundesland, so sagt er, hat er diese Lücke bereits geschlossen, beziehungsweise will sie schließen. Sie nehmen das nicht zur Kenntnis und führen verfassungsrechtliche Argumente an, die längst widerlegt worden sind. Wir haben die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit doch im Ausschuss sorgfältig geprüft; das müssen Sie doch alles nachlesen können. Die Gesetzgebungskompetenz ist vorhanden, weil der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz nicht ausgeübt hat. Das Verbot der Doppelbestrafung ist überhaupt nicht tangiert, weil bei der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht an Tatsachen angeknüpft werden kann,

(Silke Hinrichsen [SSW]: Es muss eine Ab- wägung stattfinden!)

die bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung bekannt waren. Es gibt also gar keine Doppelbestrafung.

Letztlich ist auch das Rückwirkungsverbot nicht betroffen; es ist überhaupt nicht tangiert, weil natürlich nicht an Tatsachen angeknüpft werden kann, die vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes, das wir heute beschließen können, festgestellt wurden.

Das sind alles Scheinargumente, die davon ablenken sollen, dass Sie nicht willens sind, hier politisch zu handeln, obwohl Sie die Möglichkeit dazu hätten.

(Beifall bei der CDU)

Nicht nur der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, sondern der Deutsche Richterbund selbst hat in einer Presseerklärung dazu eindeutig Stellung genommen. Darin heißt es wörtlich:

„Diese Gefährdungslücke“

- sie haben wir heute ja beschrieben -

„ließe sich, wie in einigen Ländern bereits durch Landesgesetz geschehen, schließen durch ein rechtsstaatlich abgesichertes Verfahren, nach dem die künftige Gefährlichkeit solcher Täter unmittelbar vor der Haftentlassung in jedem Fall und nicht nur bei einer vorzeitigen Entlassung gerichtlich überprüft wird.“

Wir legen Ihnen ein solches rechtsstaatliches Verfahren vor. Unser Gesetzentwurf beinhaltet zahlreiche rechtsstaatliche Sicherungsmaßnahmen, die davor schützen, dass die Balance zwischen kollektiver Sicherheit und individueller Freiheit beschädigt wird. Wir haben wirklich alles getan, um sicherzustellen, dass einerseits die Bevölkerung in der Zukunft vernünftig geschützt wird, dass andererseits wichtige Rechtsgüter unserer Verfassung genauso gewahrt werden. Das sollten Sie anerkennen. Man kann diesen

Weg gehen. Das zeigt sich auch daran, dass andere Bundesländer ihn in großer Einigkeit gegangen sind, auch mit den Stimmen von Sozialdemokraten. Nur in diesem Hause ist es offenbar nicht vorstellbar, dass auch ein Entwurf der Opposition einmal angenommen wird, weil Sie glauben, dass dann eigene Schwachstellen erkannt werden würden.

Ich sage Ihnen auch noch eines zur Therapie: Das hat es alles schon einmal gegeben. Die damalige CDULandesregierung hatte in Lübeck bereits eine Sozialtherapie eingerichtet. Nicht Sie selbst, Frau Justizministerin, aber eine Ihrer Vorgängerregierungen hat sie geschlossen. Jetzt preisen Sie sich dafür, dass Sie sie wieder aufmachen. Das ist alles andere als eine seriöse Politik.