Protocol of the Session on April 29, 2002

der Ausschuss auch hier nicht leisten kann, ist die Arbeit der Staatsanwaltschaft, also zu klären, ob es Absprachen und Vorteilsnahme bei der Vergabe von Landesaufträgen gegeben hat. Hier geht es aber unabhängig von juristischen Fragen auch um die politische Verantwortung und die Rolle von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatskanzlei. Hier sind Kernfragen der Demokratie und der politischen Kultur berührt. Es geht darum, wie weit politische Aufsicht und Kontrolle reichen müssen, wie weit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbstständig und kreativ operieren dürfen, was von führenden Beamten ja auch in gewissem Umfang erwartet wird. Es geht auch darum, wie es geschehen konnte, dass ein Mitarbeiter seine Dienstgeschäfte vermutlich systematisch mit eigenen Geschäften zu verbinden begann. Deshalb muss dieser Fall aufgeklärt werden und deshalb stimmen wir dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu.

Ich begrüße, dass die Ministerpräsidentin nach dem Rücktritt des Staatssekretärs mit der Berufung einer neuen Staatssekretärin von außen eine gute Voraussetzung geschaffen hat, dass die Vorgänge nun vorbehaltlos aufgeklärt werden können. Herr Gärtner seinerseits muss jetzt offen erklären, ob er mehr weiß und, wenn ja, was er weiß. Das ist ein Dienst an der Demokratie, den ich von ihm erwarte.

Was die EXPO-Beteiligung Schleswig-Holsteins betrifft, so gehen wir davon aus, dass die Landesregierung ein hohes Eigeninteresse daran hat, alles aufzuklären und transparent zu machen. Das gilt insbesondere auch für die Schlussabrechnung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, immer wieder wurden die Vorgänge auch in Zusammenhang mit den großen Spendenaffären der Union und jetzt der Kölner SPD gebracht. Diesen Zusammenhang kann ich allerdings nicht erkennen. Es geht hier nicht um Parteispenden und es geht nicht um die Organisation von Geld für eine Partei. Es gibt aber einen anderen Zusammenhang. Es geht hier um ein Grundübel von menschlichem Staatswesen: um die Vermischung von privaten Eigeninteressen mit den Aufgaben für das Gemeinwohl, die sich aus dem Amt ergeben. Diesen Sachverhalt bezeichnet man gewöhnlich als Korruption. Korruption ist ein Übel, das in den letzten Jahren zugenommen hat.

Der Generalstaatsanwalt Rex hat diese Entwicklung neulich in erfrischender Klarheit dargestellt und die Entschlossenheit der schleswig-holsteinischen Ermittlungsbehörden, dagegen vorzugehen, deutlich gemacht. Das ist auch notwendig. Denn die öffentliche Debatte hat infolge der Parteispendenskandale einen Umfang angenommen, der an den Nerv der Demokratie geht.

(Karl-Martin Hentschel)

Jede Affäre beschädigt nicht nur die Partei, die betroffen ist, sondern beschädigt auch die Politik überhaupt und damit die Demokratie insgesamt. Es gibt genügend Menschen, die mit Politik nichts mehr zu tun haben wollen.

Es ist, wie ich denke, deshalb richtig, gerade in dieser Stunde darauf hinzuweisen, dass es in unserer Demokratie - und zwar in allen Parteien - viele Menschen gibt, die sich unermüdlich und auch uneigennützig für die Interessen der Menschen, die sie gewählt haben, und für die Demokratie als solche einsetzen. Diejenigen, die korrupt sind und die sich nicht an die Regeln halten, müssen bestraft werden. Aber die vielen Tausende von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Politikerinnen und Politikern in allen Parteien, die sich für das Allgemeinwohl engagieren, müssen in ihrer Arbeit wieder anerkannt und gewürdigt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, gerade deshalb müssen wir uns auch in Erinnerung rufen: Es ist keine Besonderheit der Demokratie, dass es viele Skandale gibt. Menschen machen immer Mist. Das Besondere an der Demokratie ist nicht, dass es Korruption gibt, sondern dass sie aufgedeckt wird. Deshalb sind Demokratien allen anderen Systemen überlegen.

Diktaturen jeglicher Art mögen, oberflächlich betrachtet, effizienter sein und Skandale kommen dort scheinbar kaum vor. Aber in Wirklichkeit hat sich die Demokratie in hochkomplexen Gesellschaften immer wieder als viel effizienter herausgestellt, weil es in ihr keine oder nur zeitweise eine Nomenklatura, eine geschlossene Herrschaftsschicht, gibt.

Gewaltenteilung und Pressefreiheit machen das Regieren sicher komplizierter. Regieren ist mit der Presse und der Gewaltenteilung nicht einfacher. Sie sind aber der Grund dafür, dass in der Demokratie Amtsmissbrauch, Bestechung, Kungelei und Bereicherung eben nicht selbstverständlich, sondern Ausnahmen sind, die immer wieder aufgedeckt werden.

Es ist gerade das Besondere der Demokratie, dass jeder Schritt und Tritt öffentlich beobachtet und kritisiert wird, und jede Aufdeckung eines Skandals ist auch immer ein Beweis dafür, dass die Demokratie funktioniert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren Aspekt bei diesem Thema, über den wir reden müssen. Die Zunahme der Korruption hat auch etwas mit dem veränderten Verständnis von den Aufgaben der öffent

lichen Hand zu tun. Denn ein Großteil der umtriebigen Aktivitäten, bei denen in den Kommunen und Ländern mit Grundstücken, Müllverbrennungsanlagen, Bauaufträgen und Sparkassen Geschäfte gemacht werden, hat auch etwas damit zu tun, dass den Akteuren der Unterschied zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst nicht genügend bewusst ist. In der Privatwirtschaft gelten nun einmal andere Gesetze und das ist auch richtig so. Auch dort müssen Regeln eingehalten werden, Steuern müssen ehrlich gezahlt werden und Betrug ist strafbar.

Die Regeln unterscheiden sich aber erheblich von denen im öffentlichen Sektor. Dort ist niemand an Vergaberecht, faire Ausschreibung und so weiter gebunden. Dort verhandelt man mit dem Geschäftspartner nach eigenen Spielregeln, bei denen vor allem das ökonomische Ergebnis zählt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Aber nicht in die eigene Tasche!)

Wir alle, die Parteien wie auch die Presse, haben in den vergangenen Jahren mehr Flexibilität, mehr privatwirtschaftliche Verhaltensweisen, weniger Beamtentum und Bürokratismus gefordert und haben öffentliche Einrichtungen in Aktiengesellschaften und GmbHs umgewandelt. Mancher Bürgermeister und mancher höhere Beamte betrachtet die Kontrolle durch das Parlament als Hindernis für effizientes Verwaltungshandeln. Wir müssen uns also selbstkritisch fragen, ob wir die unterschiedlichen Aufgaben und Regeln immer genügend beachtet und betont haben.

Haben wir die politischen Kontrollmechanismen auch entsprechend weiterentwickelt? Geht es möglicherweise dem öffentlichen Sektor und der Politik so wie dem Olympischen Komitee, das den olympischen Eid, ein Amateur zu sein, abschaffen musste? Dieser Eid war angesichts des millionenschweren Ansturms von Werbegeldern sozusagen irgendwann zusammengebrochen und wurde dann der Realität angepasst. Müssen wir also unsere Ansprüche korrigieren und der Wirklichkeit anpassen? Hat Stefan Zweig Recht, wenn er sagt: Wahrhaftigkeit und Politik wohnen selten unter demselben Dach? - Ich glaube, an dieser Stelle sind wir an einem Punkt, an dem wir die Ethik und die Prinzipien unseres Tuns grundlegend überprüfen müssen.

Theoretiker der Demokratie wie Max Weber haben die öffentliche politische Sphäre ganz bewusst den anderen Sphären wie der wirtschaftlichen Sphäre und der kulturellen Sphäre gegenübergestellt. In der kulturellen Sphäre war seit ihrer Emanzipation von den Despoten schon immer alles erlaubt. Künstler und Sportler dürfen Millionen verdienen, indem sie die Mächtigen auf die Schippe nehmen, und Satire darf Dinge sagen, die

(Karl-Martin Hentschel)

für andere strafbar wären. In der wirtschaftlichen Sphäre wird es als selbstverständlich angesehen, dass der Erfolg zunächst in Gewinnen und Marktanteilen gemessen wird. Das schließt nicht aus, dass Firmen sich auch um ethische und moralische Maßstäbe bemühen, aber es muss sich rechnen.

Dagegen ist die politische Sphäre zu Recht als eigene Sphäre gegenüber den anderen abgesetzt worden. Die politische Sphäre ist eine Sphäre, in der mit gesellschaftlichem Gemeineigentum und nicht mit Privateigentum gearbeitet wird. Auch wenn der Bürger von der Politik immer mehr wirtschaftliche Effizienz und Unterhaltung erwartet: Ich vertrete den Standpunkt, dass wir uns bewusst sein müssen, dass Schauspieler, Entertainer und Wirtschaftsbosse in dieser Gesellschaft nun einmal eine andere Rolle spielen als Politiker.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie verwalten nicht öffentliches Eigentum. Sie haben die Pflicht, sich an die von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen zu halten, und die Freiheit, sich in diesem Rahmen frei zu bewegen. Es gibt gute Gründe dafür, dass für die Politik ganz andere Regeln gelten. Die Politik setzt den Rahmen, damit soziale Gerechtigkeit, Erhaltung der Natur und Rechtssicherheit für Firmen und Individuen gewährleistet sind. Jedes Handeln der Regierung muss im Zweifelsfall rechtlich überprüfbar sein. Der Staat verwaltet öffentliches Eigentum, das allen Bürgern gehört. Wie oft klagen wir über bürokratische Vorschriften. Wie umständlich sind für jemanden, der in der Privatwirtschaft frei verhandeln kann, die öffentlichen Ausschreibungsverfahren.

Wie kleinlich sind die Vorschriften für die Annahme von Geschenken durch Beamte. Aber gerade in der Stunde der Skandale müssen wir uns darauf besinnen, dass dies alles wichtig ist. Wir haben uns dem Dienst an der Demokratie und dem Dienst an den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet und darauf können wir auch stolz sein. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das bedeutet auch, dass wir als Politikerinnen und Politiker die Politik nicht ständig denunzieren und uns gegenseitig als Menschen diskreditieren dürfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

An dieser Stelle sei mir auch eine Anmerkung an die Opposition erlaubt. Gerade wenn man das Fehlverhalten einer Regierung anprangert, Herr Kayenburg, sollte man sich in Wortwahl, Stil und Inhalt an die Regeln halten.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Wenn eine Oppositionspartei täglich bereits prophylaktisch den Rücktritt der Ministerpräsidentin fordert, sozusagen auf Verdacht, ohne dass Tatsachen vorliegen und ohne dass sie den Untersuchungsausschuss überhaupt beantragt hat, der doch erst klären soll, was vorliegt, dann trägt sie nicht dazu bei, das Vertrauen in die Politik zu stärken.

(Werner Kalinka [CDU]: Sie verwechseln da doch etwas, Junge!)

Und wenn der Fraktionsvorsitzende einer kleinen Partei ununterbrochen herum erzählt, bei allen möglichen Gelegenheiten, was er noch alles wisse,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das erzählen wir doch nicht so einfach, wie Sie das meinen und wollen!)

ohne seine Informationen der Regierung oder dem Parlament zur Verfügung zu stellen, dann macht das nicht den Eindruck, man wolle Klarheit schaffen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das werden Sie schon noch hören! Dann entschuldigen Sie sich!)

- Werden Sie nur nicht übermütig, Herr Kollege, nur weil Sie in Sachsen-Anhalt ein gutes Ergebnis erreicht haben.

(Heiterkeit)

Ich erinnere Sie nur an die unsägliche Rolle Ihrer Partei bei dem Spendenskandal in Hessen. Dort hat Ihre Partei mit allen Mitteln politische Konsequenzen aus der Spendenaffäre verhindert. Und dass ausgerechnet die FDP dazu beigetragen hat, einen Herrn Schill in Hamburg hoffähig zu machen, ist auch kein liberales Ruhmesblatt.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Sagen Sie doch endlich etwas zu der Kieler Affäre!)

- Ich komme gleich darauf.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Hentschel, sagen Sie doch einmal, warum man Sie nicht wollte!)

Wir sind vom Volk gewählt; wir sind nicht vorrangig hier, Unterhaltung zu liefern.

(Zuruf von der FDP: Das machen Sie doch dauernd!)

Wir sind hier, um im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gute Sacharbeit zu leisten, und die ist manchmal trocken und unspektakulär.

Ein leidenschaftlicher Streit um die Sache ist notwendiger denn je zuvor, damit die Bürgerinnen und Bürger

(Karl-Martin Hentschel)

erkennen, welche Alternativen es gibt, und zugleich ist Respekt vor den Personen gefordert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dieser Situation gibt es drei Konsequenzen zu ziehen.