Protocol of the Session on March 22, 2002

Die Forderungen der Landesregierung nach einer vollständigen Klärung des Schadensmechanismus und der Ausschluss einer Wiederholung auch in anderen sicherheitstechnischen Bereichen, die Reparatur sämtlicher Schäden und die Gewährleistung der Funktionssicherheit der beeinflussten Systeme sowie das Ausräumen der entstandenen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Betreiberin sind richtig und angemessen und wurden auch von den Experten der Reaktorsicherheitskommission bestätigt. Dieser Vorfall muss vollständig aufgeklärt werden, um auszuschließen, dass ein ähnlicher Unfall im Kernkraftwerk Brunsbüttel und auch in anderen deutschen Siedewasserreaktoren passieren kann.

Auch nach dem Bericht des Ministers Möller kann über die Ursache des gravierenden Störfalls heute nichts ausgesagt werden. Es kann heute nur spekuliert werden und daran sollten wir uns alle nicht beteiligen. Eine Aufklärung ist umso notwendiger; denn das Vertrauen der Bevölkerung ist nachhaltig beschädigt. Es ist zu begrüßen, dass sich die Betreiberin damit einverstanden erklärt hat, nicht ohne eine ausdrückliche

(Wilhelm-Karl Malerius)

Zustimmung des Energieministeriums das Atomkraftwerk Brunsbüttel wieder anzufahren.

Auch vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Strommärkte muss gewährleistet bleiben, dass die Sicherheit in der Kerntechnik stets Vorrang vor allen anderen Erwägungen haben muss.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Es muss ein geschlossenes, in sich schlüssiges Sicherheitsmanagement vorgelegt und eingerichtet werden.

Verantwortung ist gefragt, um die notwendige Vorsorge zu treffen. Das heißt zu allererst, das Wissen und Können unserer hoch entwickelten Gesellschaft zu mobilisieren, um kreativ neue Technologien zu erdenken, zu bewerten und umzusetzen. Dieser Suchprozess muss breit angelegt sein und über den von den Marktkräften organisierten Suchprozess weit hinausgehen. Dies wird nicht ohne intensive Förderung von Forschung und Wissenschaft und auch nicht ohne staatliche Finanzierung gehen. Wir müssen eine Ressourcen schonende effiziente und zukunftssichere Energieversorgung schaffen. Wir sind heute für den Start in neue Formen der Energieversorgung verantwortlich.

(Beifall der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Lars Harms [SSW])

In dieser Phase geht es um den erforderlichen Anschub, sei es in Forschung und Entwicklung oder sei es in der politisch gestalteten breiten Anwendung und Markteinführung neuer Technologien. Prioritär geht es um die Mobilisierung aller tragfähigen Potenziale rationeller Energieverwendung. Es geht um Energiesparen und Effizienzsteigerung, um das technisch nachgewiesene, aber bisher wenig genutzte Einsparpotenzial von 40 % des heutigen Energieeinsatzes besser zu nutzen. Einsparen ist die wichtigste Energiequelle. Parallel dazu kommt den erneuerbaren Energien eine besondere Bedeutung zu.

Im Szenario einer energetisch vernetzten Republik können und müssen solare Ressourcen - Sonne, Wind, Biomasse - überregional mit fossilen Energieträgern - Kohle, Gas und Öl - symbiotisch zusammenwirken. Es muss Schritt für Schritt gelingen, diese weitgehend umweltharmonischen und klimaneutralen Energien wirtschaftlich zu nutzen. Denn ohne einen Erfolg an dieser Front scheint eine gute Entwicklung von Mensch und Natur für die nächste Generation stark gefährdet.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Happach-Kasan.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Störfälle in Kernkraftwerken sind ernst zu nehmende Vorgänge. Unfälle und Explosionen sind es umso mehr. Deshalb ist es wichtig, dass alle Störungen und auch alle begründeten Verdachtsfälle zeitnah und umfassend untersucht werden. Es gehört in die Eigenverantwortung des Betreibers eines Kernkraftwerkes wie auch jeder anderen größeren technischen Anlage, für einen störungsfreien Betrieb zu sorgen, aufgetretene technische Schwierigkeiten umfassend zu beseitigen und durch gute Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für einen störungsfreien Betrieb zu sorgen.

Die Aufsichtsbehörden kontrollieren den Betreiber und unterstützen ihn im Interesse der Sicherheit der Öffentlichkeit.

Transparenz beim Routinebetrieb wie auch beim Umgang mit Störfällen ist eine unabdingbare Forderung an den Betreiber. Daher ist es nicht in Ordnung, wenn es - wie der „Spiegel“ vom 24. März 2002 berichtet nach Aussagen von Staatssekretär Voigt ein permanentes Ringen um Unterlagen und Analysen gegeben haben soll.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Der Störfall im Kernkraftwerk Brunsbüttel ist durch eine Knallgasexplosion verursacht worden. Es hatte sich Wasserstoff angesammelt, der in Verbindung mit Sauerstoff bei entsprechenden Konzentrationen zu Knallgas wird, ein hochexplosives Gas. Dies war die erste Knallgasexplosion in einem deutschen Kernkraftwerk.

Da während des Betriebs des Kernkraftwerkes Wasserstoff entsteht, stellte sich die Frage, warum keine Vorkehrungen getroffen wurden, die Ansammlung von Wasserstoff zu verhindern.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Frage richtet sich an die Betreiberin, aber in diesem Falle ebenso an die Aufsichtsbehörde. Sie hat in der Vergangenheit erhebliche Nachbesserungen beim Kernkraftwerk Brunsbüttel verlangt, die zu langen Stillstandszeiten geführt haben. Vom 25. August 1992 bis zum 16. Juni 1995 stand das Kernkraftwerk Brunsbüttel still und gerade in diesem Zeitraum ist in den einschlägigen Fachzeitschriften diskutiert worden, wie beispielsweise Wasserstoffansammlungen verhindert werden können und wie damit umgegangen werden kann, damit ein solcher Unfall verhindert wird.

Aber - und das frage ich nun die Landesregierung - hat sich die Aufsichtsbehörde auch mit diesem Problem

(Dr. Christel Happach-Kasan)

beschäftigt? Hat sie auch Nachbesserungen gefordert, die einen solchen Vorfall hätten verhindern können? Sind Nachbesserungen gefordert worden, die wirklich der Sicherheit dienten?

Das Rohr, das explodiert ist, diente beim jährlichen Abfahren der Anlage zur Kühlung des Reaktordruckbehälters. Es hatte während des Normalbetriebs des Reaktors keine Funktion.

Im Zuge der Diskussionen des Unfalls im Kernkraftwerk Brunsbüttel am 14. Dezember 2001 hat Energieminister Möller mögliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Betreiberin angesprochen. Die Zuverlässigkeit der Betreiberin ist eine wesentliche Voraussetzung für den sicheren Betrieb eines Kernkraftwerks und muss geklärt werden.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber - und diese Frage stellt sich auch - wie ist das Verhalten der Aufsichtsbehörden zu bewerten? Ich will eines ganz klar stellen. Die Vorgänge des 14. Dezember 2001 im Kernkraftwerk Brunsbüttel müssen aufgeklärt und bewertet, die Ursachen für den Vorfall geklärt und beseitigt werden, und mögliche Schlussfolgerungen für den sicheren Betrieb des Kraftwerks müssen umgesetzt werden und es muss verhindert werden, dass ein solcher Vorfall noch einmal passieren kann. Erst dann kann das Kraftwerk wieder ans Netz gehen. Dieser Grundsatz sollte bei allen Beteiligten unstrittig sein, denn beim Betrieb von Kernkraftwerken muss der Grundsatz gelten: „Better safe than sorry“.

Bei Energieminister Möller heißt das - ich zitiere aus einer dpa-Meldung vom 5. März 2002 -: „Im Grundsatz geht Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit“.

In den „Lübecker Nachrichten“ vom 9. März 2002 hat er diese Aussage konkretisiert - ich zitiere -:

„Aber der Grundsatz Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit ist nicht nur eine Frage an den Betreiber, auch für den Fiskus darf es keine Abstriche geben. Dieser Grundsatz ist unteilbar."

Und genau an dieser Stelle deuten sich mögliche Zweifel an der Umsetzung des Grundsatzes durch die Landesregierung an. Es ist ja schon bezeichnend, dass der Minister vom Fiskus gesprochen hat, denn mit dem Begriff „Fiskus“ beschreibt man den Staat aus finanzpolitischer Sicht. Aber bei Zweifeln am sicheren Betrieb eines Kernkraftwerkes sollten finanzpolitische Fragen keine Rolle spielen, bis die Sicherheit hergestellt ist. Deshalb wundert mich folgendes:

Erstens. Am Freitag, dem 14. Dezember 2001, ereignete sich die Störung, die damals nicht als Explosion erkannt wurde.

Zweitens. Drei Tage später, am Montag, dem 17. Dezember 2001, meldete die Betreiberin den Vorfall. Dies geschah laut Aussage des Ministers fristgerecht.

Drittens. Weitere zwei Tage später, am 19. Dezember 2001, forderte das Ministerium die Betreiberin auf, eine Explosion in Betracht zu ziehen. So steht es in der Antwort auf die Kleine Anfrage des Kollegen Graf Kerssenbrock.

Viertens. Dann gingen 60 Tage ins Land. Erst am 18. Februar 2002 wurde auf massiven Druck des Ministeriums der Reaktor heruntergefahren und eine Inspektion des Unfallortes durchgeführt.

60 Tage hat es gedauert, bis das Ministerium als Aufsichtsbehörde eine Inspektion wegen einer möglichen Explosion im Sicherheitsbehälter durchgesetzt hat, eine Explosion, von der Staatssekretär Voigt am 5. März 2002 sagte, es handele sich nach Art und Mächtigkeit der Explosion um einen bisher einmaligen Vorfall in einem deutschen Kernkraftwerk. Das passt doch nicht zusammen. Warum dauert es zwei Monate, bis das Ministerium eine Untersuchung vor Ort wegen des Verdachts einer Explosion durchsetzt?

Das Kernkraftwerk Brunsbüttel ist in den letzten Jahren überdurchschnittlich häufig vom Netz genommen worden und es laufen mehrere Rechtsstreitigkeiten über die Notwendigkeit dieser Entscheidungen. Die Formel vom ausstiegsorientierten Vollzug der Gesetze, deren Opfer gerade das Kernkraftwerk Brunsbüttel geworden ist, beschreibt ein Verhalten der Behörden, das sich nicht an der Sicherheit des Betriebs einer Anlage orientiert, sondern an der ideologisch begründeten Wunschvorstellung des Ausstiegs aus der energetischen Nutzung der Kernenergie.

(Zurufe der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Auch dieses ist eine sachliche Feststellung, Kollege Nabel.

Diese Historie der Zusammenarbeit der Betreiberin und der Aufsichtsbehörde könnte bei der Betreiberin zu einem gewissen Misstrauen gegenüber den Vorschlägen der Behörde geführt haben. Und dieses Misstrauen wäre auch nachvollziehbar. Es ist die Aufgabe der Aufsichtsbehörde, bei Zweifeln an der Sicherheit des Betriebes sofort einzugreifen, um

(Dr. Christel Happach-Kasan)

schwerwiegende Folgen möglicher Fehler zu verhindern.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Gerade dann, wenn die Aufsichtsbehörde auch nur die leiseste Vermutung hat, die Betreiber könnten möglicherweise Sicherheitsbedenken hinter Wirtschaftlichkeitsinteressen zurückstellen, ist die Aufsichtsbehörde gefordert. „Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit“, sagt der Minister. War eine mögliche Explosion vielleicht kein ausreichender Grund für Zweifel an der Sicherheit des Betriebs? Auf diese Frage fehlt bisher die Antwort des Ministers.

Ich stelle fest: Der Energieministers einer rot-grünen Landesregierung, die vehement den Ausstieg aus der Kernenergie verfolgt, weil sie angeblich so gefährlich sei, hat bisher nicht schlüssig begründet, warum er in Sicherheitsfragen nicht zeitnah konsequent durchgegriffen hat.

Es entsteht folgender Verdacht: Wenn der Energieminister ein Kernkraftwerk für eine außerordentliche Inspektion herunterfahren lässt, dann können Schadenersatzansprüche gegen das Land entstehen, wenn das Herunterfahren nicht ausreichend begründet war. Diese Schadenersatzforderungen können beträchtliche Ausmaße annehmen; immerhin verursachen Schwankungen in der Auslastung der schleswigholsteinischen Kernkraftwerke in Schleswig-Holstein Konjunkturzyklen. Deshalb hat die Aufsichtsbehörde darauf gedrungen, dass sich die Betreiberin selbst für die sofortige Inspektion entscheidet, und deswegen ist die Anordnung einer solchen Inspektion erst Mitte Februar erfolgt, um möglichen Schadenersatzforderungen aus dem Wege zu gehen.

Solche Schadenersatzforderungen würden den Landeshaushalt erheblich belasten. Da könnte dem zuständigen Finanzminister natürlich schon die Idee kommen abzuwägen, ob die finanziellen Risiken möglicher Schadenersatzansprüche nicht so groß sein könnten, dass man eine außerordentliche Inspektion lieber nicht veranlassen sollte. Und in diesem Fall waren ja außer der vermuteten Explosion keine weiteren Schäden für das Land ersichtlich. Musste man da das Risiko des Schadenersatzes eingehen?

Der Energieminister würde dem widersprechen; der Finanzminister muss dieses abwägen und er hat dies abgewogen. Dieses Verhalten steht in einem gewissen Gegensatz zum Grundsatz „Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit.“

Warum sonst wäre der Betreiberin die Möglichkeit eingeräumt worden, eine nähere Untersuchung des Verdachts auf eine Explosion im Sicherheitsbehälter

eines Kernkraftwerkes 60 Tage hinauszuzögern? Auch der Finanzminister hat abgewogen, was er denn wirklich anordnen soll, weil er die Möglichkeit von Schadenersatzforderungen gesehen hat.