Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme allen, die sich hier bisher geäußert haben, dem Kollegen Geißler, der Frau Justizministerin und dem Kollegen Puls, ausdrücklich zu, dass das Thema der Reform des Zivilprozessrechtes, die ja als Jahrhundertwerk angekündigt worden ist, im Plenum und auch in den Ausschüssen weder in fünf noch in zehn Minuten ordnungsgemäß abgehandelt werden kann. Dazu sind die Fragestellungen, die dahinter stehen, viel zu komplex. Herr Kollege Puls, es ist aber Entspannung angesagt. Heute, unmittelbar im Anschluss an die Plenarsitzung, findet um 18 Uhr im „Kieler YachtClub“ auf Einladung der schleswig-holsteinischen Anwaltsvereine eine Podiumsdiskussion statt, an der, was ich besonders betonen möchte, nicht nur ich teilnehmen werde,
sondern auch der Bundestagsabgeordnete Dietrich Austermann für die CDU, der justizpolitische Sprecher Alfred Hartenbach für die SPD, der ehemalige Präsident des Deutschen Anwaltvereins, der Kollege Busse
aus Bonn, für die Rechtsanwaltschaft und die Dezernentin für die ZPO-Reform im Präsidium des Deutschen Richterbundes, Frau Richterin am Landgericht Heidemarie Renk aus Frankfurt, für die Richterschaft. Dann werden all die Bedenken, die schon gegen den Entwurf der Regierungsfraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD geäußert worden sind, noch einmal diskutiert werden.
Rechtzeitig zum Bericht der Landesregierung über die Reform des Zivilprozessrechtes hat Frau DäublerGmelin Anfang des Monats ihre bereits angekündigten Änderungsvorschläge zur Reform in Form eines Gesetzentwurfes präsentiert. Herr Kollege Puls, ich teile die Einschätzung nicht, dass sich vieles von dem, was bisher an den Entwürfen kritisiert worden ist, wesentlich im Sinne der Einwände verändert hätte. Echte Verbesserungen gegenüber dem Entwurf der die Regierung tragenden Fraktionen sind nach meiner Einschätzung nicht festzustellen. Das Versprechen von mehr Bürgernähe, größerer Transparenz und Effizienz im Zivilprozess wird nicht eingelöst.
Ich will hier nur auf wenige wesentliche Punkte eingehen, die der Kollege Geißler, wie ich denke, auch schon angesprochen hat.
Zunächst einmal habe ich mich gewundert, dass in dem Regierungsentwurf darauf Bezug genommen wird, dass das „Recht wieder auf die Seite der Schwächeren“ schwenke. Das ist eine Formulierung, die ich sehr merkwürdig finde, denn ich denke, dass Recht und Rechtsprechung nichts mit den Einkommensverhältnissen zu tun haben, sondern dass das Recht gleichermaßen für Arme und Schwache, Reiche und Starke gilt. Justitia ist zum Glück - und nicht zufällig - blind; sie soll sich gerade von solchen Dingen nicht beeinflussen lassen.
Ich habe auch meine Zweifel, Frau Ministerin - und zwar ganz ernsthafte Zweifel aus 18-jähriger Berufserfahrung - , dass die vorgeschlagene obligatorische Güteverhandlung vor einer streitigen Auseinandersetzung überhaupt etwas bringen kann, abgesehen davon, dass die heutige ZPO die Zivilgerichte bereits anhält, den Versuch zu unternehmen, eine Streitsache im Vergleichswege zu erledigen. Es ist ja nicht die Frage, ob ich dies einführe, sondern wie ich es ausgestalte; das ist eine Frage an die Qualität der Richterinnen und Richter. Ich kenne eine ganze Reihe von Richtern, die nach der heutigen ZPO fast jede streitige Sache zum Vergleich bringen können, und ich kenne eine ganze Reihe von Richtern, denen das - auch wenn Sie es obligatorisch vorsehen - nie gelingen wird. Insofern ist nicht die Frage des Instituts entscheidend, sondern entscheidend sind die Fähigkeiten der Personen, die dort handeln - das ist übrigens auch eine Fra
ge der Ausbildung -, ob sie auf die Interessen, die Gemütslage, das Vorbringen der Parteien wirklich eingehen. Eine Frage dieser Fähigkeiten wird es sein, ob sie einen Streit schlichten, statt ihn streitig entscheiden zu müssen.
Besonders problembehaftet finde ich tatsächlich den Versuch, einen Rechtsstreit möglichst in erster Instanz endgültig zu erledigen, und zwar so, wie es jetzt auch durch den Regierungsentwurf konstruiert worden ist. Das führt zu zwei ganz merkwürdigen Konflikten. Ich will jetzt gar nicht darauf eingehen, dass Anwälte gar nicht wissen können, welche Tatsachengrundlage ein mögliches Rechtsmittelgericht, das ja über den rechtlichen Fehler auf einer ermittelten Tatsachengrundlage entscheiden soll, zum Maßstab seiner Entscheidung machen wird. Es wird wirklich vorgetragen werden müssen, was möglicherweise gar nicht notwendig ist, was der erstinstanzliche Richter möglicherweise für nicht notwendig erachtet, was aber für den Rechtsstreit unter Umständen in der zweiten Instanz zur Entscheidung über eine falsche Rechtsanwendung notwendig ist. Dies zwingt dazu, dass Anwälte vortragen müssen, was bisher nicht vorgetragen worden ist.
Es zwingt übrigens auch bei der Prozessleitung den Richter bei den Hinweispflichten an die Parteien, umfassend - was übrigens heute ebenfalls schon vorgeschrieben ist - und erschöpfend alle Tatsachen rechtzeitig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vorzutragen, dazu, dass er im Zweifel auch Partei nehmen muss für diejenige Partei, die bisher nach seiner Auffassung nicht ordentlich vorgetragen hat. Das wird die Zahl der Befangenheitsanträge - das garantiere ich Ihnen - exorbitant nach oben schnellen lassen mit der Folge, dass die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens erheblich zunehmen wird und der Beschleunigungsund Befriedungsgrundsatz eher kontraproduktiv gegenüber dem behandelt wird, was wir im Moment haben.
Besonders absurd finde ich den Hinweis darauf, dass man künftig bei den Rechtsmittelgerichten nur noch die Rechtsfehlerüberprüfung zulassen will.
- Nur die Rechtsfehlerüberprüfung, keine Tatsachenerhebung mehr! - Da Sie Rechtsfolgenaussprüche immer nur auf bestimmter Tatsachengrundlage überprüfen können, zwingen Sie bei der Behauptung, dass eine Rechtsfolge falsch ausgesprochen worden ist, die Anwälte, die diese Berufungen führen müssen, darauf hinzuweisen, dass die Tatsachenerhebung in erster
Instanz nicht vollständig oder nicht umfangreich erfolgt ist oder dass sie nicht richtig erfolgt ist oder nicht richtig protokolliert worden ist mit der Folge, dass Sie die Berufungsinstanz wiederum konsequenterweise zwingen, eine Überprüfung darauf hin vorzunehmen, ob die Tatsachen ordnungsgemäß vorgetragen worden sind, ordnungsgemäß protokolliert worden sind und erschöpfend vorgetragen worden sind. Das heißt, Sie haben auch in der Berufungsinstanz erneut eine inzidente Tatsachenprüfung, die Sie gar nicht haben wollen, mit der Konsequenz einer Verlängerung des Verfahrens.
Wenn die Argumentation - dies ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin -, die Oberlandesgerichte hätten bisher bei Streitwertsummen zwischen 10.000 DM und 60.000 DM die Revision nur sehr unzureichend zugelassen, deshalb müsse man die Streitwerte beseitigen, zutreffend sein sollte, dann spricht dies vollständig gegen Ihre Zulassungsberufungen, den Ausspruch der Zulassung einer Berufung in der ersten Instanz für die zweite Instanz. Denn wenn wir heute bereits den Fakt haben, dass Gerichte von einer gesetzlichen Möglichkeit nach unserer Auffassung nur unzureichend Gebrauch machen, ist der Gedanke, sie würden künftig, wenn das umfassender gelte als heute, davon mehr Gebrauch machen und damit den Bürgerschutz und die Rechtsnähe mehr gewährleisten, mit Sicherheit auch falsch und kontraproduktiv. Genau das Gegenteil wird eintreten.
Das wissen Sie auch. Deshalb sage ich: Es führt zu weniger Rechtssicherheit und zu weniger Bürgernähe und zu weniger Rechtsstaatlichkeit als gegenwärtig. Es gibt einige positive Aspekte. Ich denke, wir werden uns im Innen- und Rechtsausschuss über diese Fragen noch unterhalten können. Aber der bisherige Entwurf, wie er vorgelegt worden ist - sowohl von den Regierungsfraktionen wie auch von der Regierung -, verdient jedenfalls keine Unterstützung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Irgendwie kommt es mir vor, als hätten wir hier so eine Mischung zwischen Ausschussveranstaltung und Kolloquium, auf jeden Fall aber nicht normale Parlamentsarbeit. So erscheint es mir jedenfalls. Es geht ja doch sehr speziell zu. Aber das kommt wahrscheinlich dabei heraus, wenn es darum geht, eine Debatte zu führen, die im Grunde ursprünglich einmal dazu gedacht war, eine neue Ministerin kennen zu lernen und
ihr ein bisschen auf den Zahn zu fühlen. Das ist ja sicherlich die geschichtliche Herkunft dieser beiden Anträge.
Seit Mai dieses Jahres haben wir uns hier nacheinander mit der Juristenausbildung und der Reform der Zivilprozessordnung befasst. Wir haben die Themen von Termin zu Termin verschoben - mit welchem Erfolg auch immer. Die Zeit und auch die Überlegungen in Berlin sind darüber hingegangen.
Aber beide Themen verbindet natürlich in ihrer Unterschiedlichkeit auch ein Anliegen: das Bestreben, eine transparente und bürgerfreundliche Justiz zu schaffen.
Es lässt sich auch einiges tun, um die allgemeine Akzeptanz justiziellen Handelns zu verbessern. Hier ist ganz sicher die Politik in unterschiedlichen Bereichen gefragt und ganz gewiss auch der Landtag. Insofern ist es völlig legitim, das Thema hier zu diskutieren. Das wollte ich auch nicht in Abrede stellen.
Vieles ist durch die Reform der Zivilprozessordnung in Angriff genommen worden. Einiges wird durch eine gute Juristenausbildung zu lösen sein und einiges fällt in den Bereich der Gerichtsorganisation oder der Richterwahl und damit in die originäre Zuständigkeit des Landes.
Auch die Frage, wie wir die obligatorische vorgerichtliche Streitbeilegung ausgestalten wollen, damit sich daraus eine Entlastung der Justiz ergibt, werden wir in diesem Hause zu klären haben.
Für die Akzeptanz der Zivilgerichtsbarkeit ist es sicherlich förderlich, wenn die umfassende Neustrukturierung von der Politik und von den beteiligten Berufsgruppen breit getragen wird. Ich habe schon in der Mai-Tagung des Landtages erwähnt und wiederhole es: Die Debatte um das Für und Wider der einzelnen Neuerungen, die entweder in dem Referentenentwurf oder dem Fraktionsentwurf vorgesehen waren oder sind, wurde und wird nach meiner Erfahrung jenseits der traditionellen politischen Lager geführt; es ist eher ein Streit der Berufsgruppen untereinander als ein Streit unter den Parteien.
So habe ich es jedenfalls wahrgenommen. Ich habe Gespräche mit Richtern geführt, ich habe immer wieder mit Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen zu tun, und da nehme ich das so wahr. Das können Sie mir als Nichtjuristin vielleicht einfach einmal so abnehmen.
Wir sollten uns daher bemühen, eine nüchterne und auf Konsens gerichtete Debatte zu führen. Es geht mir nicht darum, schwierige Punkte unter den Teppich zu kehren - darum ging es auch vorgestern in der Unterausschusssitzung des Bundesrates ganz gewiss nicht -, sondern es geht darum, in einer solchen Debatte mit gutem Beispiel voranzugehen. Vermutlich stimmen wir ja mit unseren Anforderungen an die Reform - jedenfalls habe ich den Kollegen Kubicki so verstanden - in den wesentlichen Punkten überein.
Erstens: Ein Hinwirken auf die regelmäßige Erledigung in der ersten Instanz ist zu begrüßen. Gleichzeitig darf die Einzelfallgerechtigkeit nicht unter die Räder kommen. Rechtsschutz gegen fehlerhafte Urteile muss umfassend gewährleistet sein. Ich denke, durch die nun erweiterten Hinweispflichten und insbesondere auch durch die wieder geschaffene Möglichkeit der Tatsachenfeststellung in zweiter Instanz
Aber lassen Sie uns das im Ausschuss noch einmal debattieren; Sie haben es ja umfassend vorgetragen. Sie haben natürlich eine andere Praxiserfahrung als ich. Ich kann nur das Papier angucken, kann nur mit Fachleuten darüber diskutieren und zu einer politischen Entscheidung kommen. Aber dafür haben wir ja den Ausschuss.
Zweitens: Der Instanzenzug muss übersichtlich und auch für den Laien wenigstens in groben Zügen nachvollziehbar sein.
Drittens: Die Frage der Entscheidung durch eine Zivilkammer oder durch eine Einzelrichterin oder einen Einzelrichter ist keine grundsätzliche Frage, sondern sie sollte im Sinne einer zügigen und gleichzeitig gründlichen Bearbeitung des Rechtsstreits sinnvoll differenzierend beantwortet werden. Das ist nach unserer Auffassung in dem Entwurf der Fraktionen geschehen. Deswegen lohnt es sich auch, daran weiterzuarbeiten.
Viertens: Für die Akzeptanz der Justiz ist es nicht förderlich, wenn der Eindruck entsteht, es solle letztlich nur Geld gespart werden, indem man die rechtsuchenden Bürger mit Schnellverfahren abspeist.
Fünftens: Die beste Gerichtsverhandlung ist die, die gar nicht stattfindet. Das soll heißen: Jede Möglichkeit, zu einer Einigung zu kommen, ist zu begrüßen.
Nach meiner Meinung erfüllt der Entwurf, den die Regierungsfraktionen in Berlin erarbeitet haben, alle diese Voraussetzungen, so gut es eben gehen mag. Unsere Landesjustizministerin hat sehr früh den Finger in die Wunde gelegt und auf schwierige Punkte im Entwurf des Ministeriums hingewiesen. Ich denke, niemand braucht sie aufzufordern, nicht einzuknicken oder Zivilcourage zu zeigen. Die hat sie bereits gezeigt und eingeknickt ist sie auch nicht.
Sie hat vielmehr standgehalten und hat ihre Meinung auch gegen die Obrigkeit in Berlin durchgesetzt. Das finde ich immer gut.
Ich danke ihr für ihr Engagement in dieser Sache, auch wenn sich der vorgelegte Bericht durch die Ereignisse natürlich ein bisschen überholt hat. Für mich steht die Frage der Klärung und Straffung des materiellen Rechts allerdings in engem Zusammenhang mit der Frage der Bürgerfreundlichkeit der Justiz. Insofern begrüße ich, dass zurzeit das Mietrecht und das Schuldrecht in Arbeit sind und beides ins BGB eingearbeitet wird, was sicherlich eine Jahrhundertarbeit ist.