Protocol of the Session on May 27, 2004

Ich kann übrigens auch Übereinstimmung mit dem verkehrspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion feststellen, was mich in dieser Frage freut, der genau diese Positionen vertreten hat. Es wundert mich aber außerordentlich, dass in einer Presseerklärung vom 23. April mit Herrn Mehdorn - das ist ja nun gar nicht so lange her - die Spitze der CDU in SchleswigHolstein - Peter Harry Carstensen, Martin Kayenburg und Dietrich Austermann - genau das Gegenteil vertreten hat. Sie hat erstens der Landesregierung vorgeworfen, dass sie Wettbewerbspolitik macht, und hat ihr zweitens sogar Rambo-Mentalität vorgeworfen, wenn sie in den Wettbewerb geht. Ich frage mich, was es mit Rambo-Mentalität zu tun hat, wenn jemand in einer Marktwirtschaft freien Wettbewerb macht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Lesen Sie das doch mal vor!)

Sie sprechen von tölpelhaften Privatisierungsbemühungen und von Millionenschäden.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist es!)

Sie hätten sich einmal mit den Zahlen beschäftigen sollen. Im Verkehrsausschuss haben wir das getan. Sie hätten sich da bei Ihrem verkehrspolitischen Sprecher informieren sollen. Tatsache ist, dass die Vergabe an die FLEX trotz der Pleite dem Land 7 Millionen € gespart hat.

(Beifall beim SSW)

Das Angebot der DB AG zu dem Zeitpunkt, als wir die FLEX gemacht haben, lag fast beim doppelten Preis. Hätten wir das Angebot der DB AG gegeben, hätten wir unter Berücksichtigung aller zusätzlichen

Zahlungen, die wir durch die Pleite gehabt haben, insgesamt 7,6 Millionen € mehr gezahlt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich finde, wenn man so etwas in einer Pressemeldung in die Welt setzt, müsste man sich vorher mit den Zahlen beschäftigen.

Noch erstaunlicher ist es, wenn Sie über die Verweigerung des Bundes bei der Erfüllung der Mittelzulage für Schieneninvestitionen in den nächsten fünf Jahren klagen und sagen, es werde beim Bund zu viel gespart. Sie sagen aber nicht, wer diese Sparbeschlüsse vorgeschlagen und vereinbart hat. Das war das Koch-Steinbrück-Papier im Vermittlungsausschuss. Das heißt, die Kürzungen bei der Bahn sind von der CDU im Vermittlungsausschuss gefordert und durchgesetzt worden.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist doch Un- sinn!)

Was wir erreicht haben, Herr Kayenburg, war, dass wir die Kürzungen bei der Bahn um die Hälfte reduziert haben und die andere Hälfte als Kürzungen im Straßenverkehr aufgebracht haben. Das heißt, wir haben dafür gesorgt, dass die Kürzungen zumindest gleichmäßig auf Schiene und Straße verteilt werden. Das war der grüne Anteil an dieser Geschichte. Die Kürzungen sind von der CDU in den Vermittlungsausschuss eingebracht worden. Deshalb stehlen Sie sich aus der Verantwortung, wenn Sie jetzt hier über die Kürzungen klagen. So geht das nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Noch absurder ist, wenn Sie Mehdorn das Wort reden, dass die Gefahr drohe, dass laufende Vorhaben der Sanierung der Bahnhöfe in Kiel und Lübeck, der Kanalbrücken und der Beseitigung des Problems Owschlag jetzt gestreckt werden müssten.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Diese Mittel werden nicht aus Bundesgeldern finanziert. Das muss man wissen. Diese Maßnahmen werden aus den Trassengebühren, die in SchleswigHolstein gezahlt werden, finanziert. Sie werden aus dem laufenden Betrieb in Schleswig-Holstein gezahlt. 170 Millionen € jährlich an Trassengebühren aus Schleswig-Holstein sollen zur Finanzierung der Wartung, Pflege und des Erhalts der bestehenden Strecken eingesetzt werden. Diese Gelder werden jährlich von der Landesregierung an die DB AG überwiesen. Wenn die DB AG diese Mittel nicht im Netz einsetzt,

(Karl-Martin Hentschel)

ist das ein Verstoß gegen die Pflichten der DB AG. Deshalb ist es richtig, wenn sich der Landtag Schleswig-Holstein dagegen wendet und es ist völlig falsch, wenn Sie als Spitze der CDU auch noch auftreten, sich mit Mehdorn vor die Presse stellen und dem das Wort reden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD] - Zurufe von der CDU)

- Das geht nicht, Herr Kayenburg! Das ist Verrat am Land.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Die Absurdität Ihrer Position - und da kann ich mich auch auf Ihren verkehrspolitischen Sprecher beziehen -, zeigt sich, wenn Sie sagen, die privatwirtschaftliche Ausrichtung der Bahn mit einem baldigen Börsengang wird von der CDU unterstützt. Gegensätzliche Bestrebungen, die das Ziel einer Rückführung zur Staatsbahn zum Gegenstand haben, wurden von den CDU-Vertretern strikt abgelehnt.

Worum geht es? - Es geht um die Frage der Trennung von Schiene und Netz. Es geht also um die Frage, ob der Börsengang mit dem Netz oder ohne das Netz geschieht. Wenn der Börsengang mit dem Netz geschieht, dann heißt das, dass wir eine Gesellschaft als Aktiengesellschaft schaffen, deren sämtliche Neuinvestitionen von zirka 4 Milliarden € im Jahr aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden. Was ist das für eine absurde Vorstellung, eine Gesellschaft als private Aktiengesellschaft zu organisieren, aber zu sagen, dass sämtliche Investitionen über Jahrzehnte hinaus vom Bundeshaushalt finanziert werden. Das ist doch keine private Aktiengesellschaft, das ist Unsinn.

Deshalb ist es richtig, was übrigens alle Parteien im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages jetzt gefordert haben, dass es keinen Börsengang mit dem Netz geben kann, sondern dass es eine Trennung zwischen Schiene und Netz geben muss. Das hat Frau Aschmoneit-Lücke hier auch dargestellt und das ist auch von Herrn Eichelberg glücklicherweise so unterstützt worden. Das Netz muss eine staatliche Infrastruktur wie die Straßen auch sein. Der Fahrbetrieb muss privatisiert werden. Das ist eine völlig klare Logik. Ich freue mich, dass das hier so vorgetragen worden ist. Ich bin aber höchstgradig erstaunt, dass die Spitzen der CDU von Schleswig-Holstein genau das Gegenteil erzählen.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Günter Neugebauer [SPD] und Friedrich-Carl Wo- darz [SPD])

Ich möchte jetzt den Rest meiner Zeit nutzen, um Ihnen die Vorstellung meiner Fraktion - und zwar aller grünen Fraktionen in allen Ländern und im Bundestag - zur Weiterentwicklung der Bahnreform darzulegen.

Der erste Punkt ist schon genannt worden, nämlich wir wollen die Trennung von Schiene und Netz. Die Fernstrecken sollten in einer Bundeseisenbahngesellschaft untergebracht werden und die reinen Regionalstrecken mit reinem Regionalverkehr sollten in Länderverkehrsgesellschaften untergebracht werden, damit die Länder in der Lage sind, schnell und flexibel auf aktuelle Situationen zu reagieren. Das ist die gleiche Organisationsstruktur, wie wir sie im Straßenbau haben: Landesstraßen, Kreisstraßen und Bundesstraßen. Das hat sich bewährt.

Entsprechend - das ist der zweite Punkt - sollten auch die Baumaßnahmen nicht mehr von der Bahn durchgeführt werden, sodass sozusagen die Bahn entscheidet, wie die staatlichen Mittel ausgegeben werden, sondern die Baumaßnahmen sollten in den Ländern - wie beim Bund im Straßenbau auch - von den Straßenbauämtern durchgeführt werden, sodass die Länder selber über den Bau und die Planung der Maßnahmen entscheiden können.

Drittens. Wir wollen eine komplette Privatisierung des rollenden Bahnbetriebes. Das bedeutet, dass alle fahrenden Gesellschaften privatisiert werden. Denn nur so ist eine Ausschreibung möglich, in der sie gleichberechtigt sind. Es geht nicht, wenn staatliche Gesellschaften bei einer Ausschreibung konkurrieren, die im Zweifelsfall - wenn sie nämlich pleite gehen - vom Steuerzahler subventioniert werden müssen.

Viertens. Wir schlagen vor, eine unabhängige Trassenvergabeagentur für das Gesamtnetz zu gründen. Bei der Trassenvergabe handelt es sich nämlich um die Verwaltung eines natürlichen Monopols. Das muss neutral durch eine unabhängige Agentur im Auftrag der verschiedenen Infrastrukturgesellschaften, privaten und öffentlichen, verwaltet werden. Das ist schrittweise schon im Gesetzentwurf des neuen allgemeinen Eisenbahngesetzes vorgesehen. Der erste Schritt ist damit getan, das müsste noch in diese Richtung weiterentwickelt werden.

Fünftens. Wir glauben, dass für den gesamten Bereich Service - Buchungssysteme und Verkauf von Fahrkarten, Herstellung von Fahrkarten, Information und Fahrplanauskunft - eine gemeinsame Gesellschaft der fahrenden Unternehmen eingerichtet werden sollte, wie wir das im Flugverkehr auch haben. Das würde

(Karl-Martin Hentschel)

bedeuten, dass wir herstellerneutrale Buchungssysteme einführen, mit denen ich sämtliche Fahrkarten für die gesamte Bundesrepublik lösen kann, egal ob es sich um eine Privatbahn, um regionale Netze oder staatliche Netze handelt, in denen ich unterwegs bin. Das heißt auch, alle Unternehmen, die informieren, informieren über die gesamten Fahrpläne und das komplette Netz. Es kann nicht sein, dass die DB AG Fahrpläne für sich selber macht und die Fahrkarten anderer Unternehmen als Fahrkarten zweiter Klasse behandelt oder dass man in manchen Bereichen überhaupt keine Fahrkarte von bestimmten Unternehmen bekommt.

Sechstens. Wir brauchen dementsprechend auch ein transparentes Tarifsystem. Meine Vorstellung ist, dass wir in den Regionen jeweils Regionaltarife einführen, das heißt Verkehrsverbünde Hamburg, Schleswig-Holstein und so weiter, Übergangstarife zwischen den Verkehrsverbünden haben und für den Fernverkehr, der eigenwirtschaftlich ist, ein eigenes Tarifsystem eingeführt wird. Das heißt, jede Bahngesellschaft, die fährt, kann ihre eigenen Preise machen, so wie im Flugverkehr auch. Sie muss allerdings garantieren, dass es Übergangstarife gibt, das heißt, jeder muss von Husum nach Dinkelsbüttel oder sonst wo durchbuchen können.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

- Das kennst du gar nicht oder?

(Holger Astrup [SPD]: Das heißt Dinkels- bühl!)

- Das habe ich auch frei erfunden.

Siebtens. Wir wollen die Bahnhöfe kommunalisieren. Denn ich glaube, dass die Bahnhöfe das Tor zur Welt der Kommunen sind. Die Kommunen haben das größte Interesse daran, eine vernünftige Infrastruktur als Zugang zu ihrer Welt zu haben. Das hat sich auch an dem großen Interesse der Kommunen bei den bisherigen Privatisierungsbemühungen gezeigt.

Achtens. Wir glauben, wir brauchen eine Neuordnung der technischen Standards. Denn die technischen Standards sind seit über einhundert Jahren ständig gewachsen, ohne jemals auf ihre betriebswirtschaftliche Rationalität hin überprüft worden zu sein. Ein Triebwagen kostet etwa das Fünffache wie ein vergleichbarer Bus. Das ist aus dem einfachen Grund so, weil die technischen Standards bei der Bahn im Laufe der Geschichte inzwischen so überdimensioniert sind, dass ein Bus, der nach den Bahnstandards gebaut würde, etwa das Fünffache kosten würde. Das muss

man wissen. Auch das ist mittlerweile etwas, das sich historisch überholt hat.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss.

Oh, nur fünf Minuten Zeit, Entschuldigung!

Neuntens. Wir fordern eine gesetzliche Regelung der Fahrgastrechte und zehntens brauchen wir eine engere Zusammenarbeit mit Hamburg.

Schluss: Ich freue mich, dass wir uns in vielen Punkten, die hier die verkehrspolitischen Sprecher der CDU und FDP, natürlich auch der SPD, gesagt haben, einig sind. Ich hoffe, dass die CDU-Spitze in Schleswig-Holstein, die offensichtlich eine völlig andere Bahnpolitik im Auge hat, von ihrer eigenen Partei zur Besinnung gebracht wird. Vielleicht trägt diese Debatte dazu bei. Wir fordern hier von SchleswigHolstein aus eine moderne Bahnpolitik. Wir sind Spitze im ganzen Bundesgebiet. Das weiß jeder, der an den Bahnkonferenzen teilgenommen hat. Wir haben die höchsten Zuwachsraten im Regionalverkehr, Frau Aschmoneit-Lücke, 30 % seit die Grünen mit an der Regierung sind.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, bitte Ihren letzten Satz!

Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, und hoffe, dass die Forderungen an Berlin, die natürlich von uns intensiv vertreten werden, von diesem Parlament auch gemeinsam vertreten werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)