Protocol of the Session on April 30, 2004

- Ich wäre Ihnen dankbar - damit meine ich gerade die Herren von der CDU -, wenn Sie nicht immer nur lachen und sich bei dem Thema zurücklehnen würden.

(Klaus Schlie [CDU]: Bei dem, was Sie sa- gen, kann man sich nur zurücklehnen!)

Es wäre vielmehr hilfreich, wenn auch Sie sich weiterhin dafür einsetzen würden, dass wir in SchleswigHolstein Ausbildungsplätze schaffen. Ihr Geschrei hilft uns dabei bestimmt nicht weiter.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie hätten einmal die Journalisten sprechen sollen, wie sich diese gestern über Ihre Debattenbeiträge über Ihren Perspektivplan für die Steuerpolitik 2020 lustig gemacht haben. Da hat sich gezeigt, auf welchem Niveau Sie hier diskutieren.

Tragen Sie etwas dazu bei, dass wir im Bündnis für Ausbildung nach vorn kommen! Reden Sie nicht immer nur auf Bundesebene, sondern versuchen Sie, Lösungen für Schleswig-Holstein zu finden!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zunächst möchte ich unsere Besucher der KätheKollwitz-Schule, Kiel, auf der Tribüne begrüßen. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer wieder beeindruckend, wie der Wirtschaftsminister dieses Landes mit nichts sagenden Erklärungen herumeiert.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Minister, ich empfehle Ihnen, nicht die Journalisten, sondern die Menschen dieses Landes zu fragen - soweit diese Sie überhaupt kennen -, was sie von Ihnen halten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Dann wird Ihnen möglicherweise ein anderer Eindruck vermittelt als der, den Sie gegenwärtig von sich selbst haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzte Woche wurde Edelgard Bulmahn, die Bundesbildungsministerin, interviewt. Die Journalisten der „Frankfurter Rundschau“ fragten sie nach dem stärksten Argument für die Ausbildungsplatzabgabe. Die Ministerin antwortete, es gebe zwei starke Argumente:

Erstens brauche Deutschland auch zukünftig genügend Fachkräfte und zweitens sei nichts schlimmer für Jugendliche, als ohne Ausbildung ins Leben starten zu müssen.

An dieser ministeriellen Antwort können wir das große Problem der Diskussion um die Ausbildungssteuer erkennen. Einerseits hat die Ministerin wahr gesprochen: Selbstverständlich braucht Deutschland auch zukünftig gut ausgebildete Fachfrauen und Fachmänner. Selbstverständlich gibt es wenig Schlimmeres für junge Menschen, als keinen Beruf zu erlernen. Selbstverständlich sind eine gute Bildung und eine gute Berufsausbildung die besten Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Altersarmut. - All das hat nie jemand bestritten.

Jedoch hat die Ministerin die Frage nicht beantwortet. Die Frage lautete, was das stärkste Argument für die Ausbildungsplatzabgabe sei. Antwort? - Fehlanzeige.

Die Ministerin verlor kein Wort darüber, wie eine Steuer auf Ausbildung helfen könnte, den Fachkräftemangel zu lindern.

Die Ministerin verlor kein Wort darüber, wie eine Steuer auf Ausbildung mehr ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen helfen könnte, einen Ausbildungsplatz zu finden, mit der Ausbildung zu beginnen, die Ausbildung durchzuhalten und die Ausbildung auch erfolgreich abzuschließen.

Dieses Schweigen ist das stärkste Argument von RotGrün für eine Ausbildungsplatzabgabe. Das rechtfertigt für die Bundesbildungsministerin den unbedingten Zwang, die Steuern in Deutschland zu erhöhen. Das allein zeigt, dass es bei der Ausbildungsplatzabgabe nicht um einen sachlichen und rational begründeten Ansatz geht, mit dem mehr jungen Menschen zu einer Berufsausbildung verholfen werden soll, sondern es geht nur um die platte Befriedigung des alten sozialdemokratischen Grundbedürfnisses nach mehr Staat. Hier soll nur die Seele einer Partei gestreichelt werden, deren Weltbild nicht mehr zur Welt passt und die

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD)

verzweifelt versucht, sich dagegen zu wehren. Hier soll ein wirkliches Monstrum ins Werk gesetzt werden, damit der neue Bundesvorsitzende der SPD angeblich keine Beschädigung erleidet. Dafür darf die Ausbildung insgesamt beschädigt werden.

(Jutta Schümann [SPD]: Quatsch!)

Die Ausbildungsplatzabgabe ist nur ein Feigenblatt, mit dem Rot-Grün die katastrophalen Folgen der rotgrünen Politik verdecken will.

Nach den Angaben der Bundesregierung lag das Verhältnis von angebotenen zu nachgefragten Ausbildungsplätzen in Deutschland Ende September 2003 bei 96,6 %. In Westdeutschland betrug das Verhältnis 98,2 %. In Ostdeutschland lag dieser Wert bei 91,2 %. Um diese 96,6 % auf 100 % zu steigern, will Rot-Grün die Unternehmen höher besteuern. Warum die Unternehmen dann mehr junge Menschen ausbilden sollten, wird ewig ein Geheimnis bleiben. Die Bundesbildungsministerin weiß es auch nicht. Vielleicht aber kann der Kollege Hentschel mit seinem „VW-Friseusen-Theorem“ hier weiterhelfen? Bei einem Zielerreichungsgrad von 96,6 % will Rot-Grün eine Strafsteuer einführen und das bei einer Ausbildungsplatzlücke von 3,4 % und ohne näher zu untersuchen, warum diese Lücke noch besteht!

Nach den Angaben der Kultusministerkonferenz haben 2002 zum Beispiel über 85.000 junge Menschen die Schulen verlassen, ohne mindestens den Haupt

(Wolfgang Kubicki)

schulabschluss erreicht zu haben. 2003 werden es nicht wesentlich weniger sein. Damit wäre die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss 2003 mehr als viermal größer als die Zahl derjenigen, die im September 2003 noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hatten.

Wer von den Befürwortern einer Ausbildungsplatzabgabe hier im Saal kann mir sagen, wie viele der erfolglosen Bewerber keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, weil sie nicht gut genug lesen, schreiben oder rechnen konnten? Wer von diesen Befürwortern kann mir erklären, warum jemand wegen einer Ausbildungsplatzabgabe auf einmal besser lesen, schreiben oder rechnen können sollte? Wer kann mir erklären, warum mehr junge Menschen ausgebildet werden, wenn Unternehmen, die keine geeigneten Bewerber finden, das heißt, nur Bewerber finden, die für die Anforderungen in dem betreffenden Beruf nicht gut genug lesen, schreiben oder rechnen können, dafür noch eine Strafsteuer zahlen müssen?

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie werden es mir nicht erklären können, weil die Ausbildungsplatzabgabe völlig ungeeignet ist, die Mängel unseres Schulsystems zu beheben. Die Idee der Ausbildungsplatzabgabe ist auch deshalb unsinnig, weil der Staat niemals rechtzeitig die notwendigen Informationen sammeln, verarbeiten und auswerten kann, die er brauchte, um angemessen beurteilen zu können, welcher Betrieb in welcher Branche in welcher Region Deutschlands angemessen wie viele junge Menschen ausbildet.

Die Ausbildungsplatzabgabe wird die Zahl der Ausbildungsverhältnisse in Deutschland nicht steigern. Das sagen zumindest die Fachleute, zum Beispiel die des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit: Eine Ausbildungsplatzabgabe eignet sich wegen vielfältiger Mängel nicht, um den Nachfrageüberschuss bei Ausbildungsplätzen zu verringern, denn gesamtwirtschaftlich betrachtet steigt die Abgabenlast der Unternehmen, weil sie an anderer Stelle nicht entlastet werden.

Höhere Kosten verringern Produktion und Beschäftigung. Deshalb wird die Wirtschaft noch langsamer wachsen, deshalb werden noch weniger Menschen arbeiten und deshalb werden noch weniger junge Menschen ausgebildet werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Damit wird die Ausbildungsplatzabgabe genau das Gegenteil dessen bewirken, was wir alle wollen. Wir alle wollen doch, dass noch mehr ausbildungsfähige

und ausbildungswillige junge Menschen einen Ausbildungsplatz finden. Mit der Ausbildungsplatzabgabe wird Rot-Grün nur erreichen, dass weniger ausbildungsfähige und ausbildungswillige junge Menschen einen Ausbildungsplatz finden. Ich sage noch einmal: Sie werden damit auch erreichen, dass die Beschäftigung weiter sinkt, denn wenn Sie das an der Beschäftigtenzahl festmachen, dann erhöht sich der Druck auf Unternehmen, durch Rationalisierungsmaßnahmen die Beschäftigtenzahl zu verringern, um der Ausbildungsplatzabgabe ausweichen zu können.

(Beifall bei FDP und CDU)

Deshalb ist es geradezu zynisch, wenn zum Beispiel die Ministerpräsidentin erklärt, es läge an den Unternehmen zu verhindern, dass eine solche Abgabe erhoben werden müsse. Niemand zwingt Rot-Grün, Ausbildung zu besteuern. Helfen wird es schon gar nicht. Die Erklärung der Ministerpräsidentin hat noch nicht die gleiche Qualität wie Schutzgelderpressung, aber sie folgt der gleichen Logik.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU] - Zuruf des Abgeord- neten Konrad Nabel [SPD])

- Kollege Nabel, unglaublich ist Folgendes, was ich Ihnen in Ihr Stammbuch sage: Würde die öffentliche Hand überall dort, wo Sozialdemokraten Verantwortung tragen, im Bund, in den Ländern, in den Kreisen und in den Kommunen ebenso wie im Milliardenkonzern SPD entsprechend der künftig geplanten Quote ausbilden, dann hätten wir die Diskussion gar nicht!

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Kollege Nabel, ich sage Ihnen ins Stammbuch: Es ist geradezu zynisch, dass wir hier locker und leicht hinnehmen, dass die Schwesternausbildung in den Unikliniken reduziert wird, obwohl wir wissen, dass wir in den Pflegeberufen künftig mehr Bedarf haben werden, und Sie sich hier hinstellen und sagen, wir brauchen zur Verbesserung der Ausbildungssituation die Abgabe!

(Beifall bei FDP und CDU - Jutta Schümann [SPD]: Schwachsinn!)

- Frau Kollegin Schümann, dann sagen Sie mir doch einmal, was ich von den großen Worten dieses Wirtschaftsministers halten soll, was ich von seinen großen Bündniserklärungen und seinen Verpflichtungen halten soll, wenn ich gleichzeitig lesen muss: Die Ausbildungsplatzabgabe kostet Kiel 1,7 Millionen €. Schleswig-Holsteins rot-grüne Landesregierung befürchtet nach einem Zeitungsbericht im Falle einer Abgabe für ausbildungswillige Firmen drastische finanzielle Folgen für das Land. Bleibt es beim Ge

(Wolfgang Kubicki)

setzentwurf der Bundesregierung, müsste das Land 1,7 Millionen € zahlen, weil es zu wenig ausbildet. Dies berichten die „Lübecker Nachrichten“ in ihrer Mittwochausgabe unter Berufung auf die VizeRegierungssprecherin Anne Nilges. Statt der geforderten Quote von 7 % werden im Norden nur 3,3 % der Quote erreicht. Was für ein Hohn von dieser rotgrünen Regierung, weniger auszubilden und andere bestrafen zu wollen!

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich sage nochmals: Mit der Ausbildungsplatzabgabe wird Rot-Grün nur erreichen, dass weniger ausbildungsfähige und ausbildungswillige junge Menschen einen Ausbildungsplatz finden. Es gibt jede Menge Experten, die dies theoretisch und empirisch einwandfrei belegt haben. Es gibt aber niemanden, dem es gelungen ist, das Gegenteil zu beweisen. Das wird auch niemandem gelingen, genauso wenig wie irgendjemand beweisen kann, dass eins plus eins gleich drei ist. Eine Ausbildungsplatzabgabe ist wirtschaftspolitischer Unsinn, denn wer Ausbildung besteuert, verteuert Ausbildung und vernichtet Ausbildungsplätze.

(Beifall bei FDP und CDU)