Protocol of the Session on February 20, 2004

wohlgemerkt. Mit Eurozeichen in den Augen hat die Bundesregierung den möglichen Erfolg als sicher vorausgesetzt.

(Glocke des Präsidenten)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Beran?

Frau AschmoneitLücke, verstehe ich Ihre Rede dahin gehend richtig, dass Sie heute im Gegensatz zu früher auch einer Maut-Gebühr zustimmen würden oder lehnen Sie sie nach wie vor als nicht guten Wirtschaftsfaktor ab?

- Herr Kollege Beran, ich weiß, dass Sie Sozialpolitiker sind und ich schätze Sie sehr im sozialpolitischen Fach. Aber für die Verkehrspolitik auch unserer Fraktion haben Sie sich in der Vergangenheit offensichtlich nicht so sehr interessiert.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD)

Ich habe an dieser Stelle immer schon gesagt - und die Antwort bekommt der Kollege -, dass wir eine nutzerfinanzierte - -

(Günter Neugebauer [SPD]: Die FDP hat das doch abgelehnt!)

- Herr Neugebauer, hören Sie mir doch einmal zu. Was die FDP im Bund macht, haben wir häufig genug kritisiert. Ich habe hier an dieser Stelle immer gesagt, dass wir für eine Nutzerfinanzierung der Verkehrsprojekte sind.

(Beifall bei der FDP)

Das ist hoffentlich eine Antwort, die Sie auch erwartet haben. Ich hoffe, das ist eine Antwort.

Also, meine Damen und Herren: Das Fell des Bären wurde verkauft, bevor der Bär erlegt war, ja bevor man überhaupt wusste, wann es und ob es einen Bären im Jagdgebiet überhaupt geben könnte. Die erhofften Maut-Einnahmen wurden bis auf dem letzten Cent verplant - ohne jeden Risikoabschlag. Das ist typisch für eine Spekulationsblase.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Dann kam der Gau: Das Risiko wurde Wirklichkeit. Toll Collect kann nicht liefern, die Einnahmen fließen nicht und deshalb gingen die spekulativen Finanz

planungen der Bundesregierung daneben. Jetzt muss die rot-grüne Verkehrspolitik Konkurs anmelden und es wird Zeit für den Offenbarungseid. Und spätestens bei einem Offenbarungseid muss man oder sollte man die Wahrheit sagen.

Viele der angekündigten Verkehrsprojekte in Schleswig-Holstein sind tatsächlich gefährdet. Vorgestern sagte übrigens der Verkehrsminister auf NDR 4, sogar die A 20 westlich Lübecks sei in Gefahr. Ich habe das heute Gott sei Dank nicht gehört. Es zeigt sich: Auch die angeblich so vorausschauende Verkehrspolitik der Landesregierung beruht auf nicht abgesicherten Wetten. Auch und gerade der Verkehrsminister Rohwer hat immer wieder die zukunftsträchtigen Finanzierungsmodelle des Anti-Stau-Programms gepriesen - keine Bemerkungen zu den Risiken.

Wenn die von den Maut-Einnahmen abhängigen Projekte jetzt so wie geplant verwirklicht werden sollen, dann ginge das nur mit neuen Schulden. Das hat der Minister gesagt und wir haben im Prinzip auch alle zugestimmt, anders geht es nicht. Aber woraus sollen diese neuen Schulden eigentlich finanziert werden? Denn auch die Schulden sind wieder zu finanzieren. Wir wissen alle, dass das ein Riesenproblem ist.

Treffend beschrieben hat die Lage Marcel ReichRanitzki - ich zitiere:

„Und so sehen wir betroffen: Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

(Dr. Henning Höppner [SPD]: Auch kein Verkehrsexperte!)

- Aber ein Experte auf vielen Gebieten, Herr Kollege!

Zwei Bemerkungen zum Schluss. Erstens. Verkehrsminister Rohwer beschwert sich neuerdings - ich war neulich bei ihm im Ministerium -, er wolle zwar immer so gute Politik machen, er würde aber ständig von außen daran gehindert - von außen in Berlin. Das finde ich außerordentlich interessant.

(Beifall bei der FDP)

Herr Minister, sagen Sie mir doch bitte, ob Sie Ihren Noch-Parteivorsitzenden als Linksaußen oder Rechtsaußen der Störenfriede betrachten. Von Fußball war heute ja schon mehrfach die Rede.

Zweitens müssten dem Maut-Debakel personelle Konsequenzen folgen. Darauf haben Sie jetzt gewartet. Verkehrsminister Stolpe hat völlig versagt. Er müsste zugunsten des vierten Verkehrsministers unter Kanzler Schröder abgelöst werden. Aber das geht

(Christel Aschmoneit-Lücke)

nicht, denn Schröder pfeift ja selbst aus dem letzten Loch.

(Heiterkeit bei FDP und CDU)

Nachdem der Kanzler schon den SPD-Vorsitzenden wegen Versagens im Amt gefeuert hat, kann er sich keine weiteren Kündigungen leisten. Und so werden in Berlin weiterhin rot-grüne Amateure die Verkehrspolitik bestimmen und eine wichtige Grundlage des deutschen Wohlstandes verspekulieren. Es gibt überhaupt keinen Anlass, sich hier zu freuen. Wir hoffen mit Ihnen und dem Minister dieses Landes, dass er es hinbekommt, die Projekte, die hier in SchleswigHolstein verwirklicht werden sollen, auch zu verwirklichen. Wir werden das sorgfältig beobachten. Wir wünschen Ihnen viel Glück dabei, aber wir werden Sie dabei - wie gesagt - auch nicht aus der Pflicht lassen.

(Beifall bei FDP und CDU - Zuruf des Ab- geordneten Dr. Henning Höppner [SPD])

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine interessante Angelegenheit, dass zwei Weltkonzerne wie Mercedes und die Deutsche Telekom ein solches System entwickeln lassen und Hunderte von Millionen in die Entwicklung dieses System stecken - das sind Kosten, die sie erst einmal tragen mussten, das sind keine Kosten, die der Steuerzahler hat tragen müssen, sondern das haben die Konzerne gezahlt -, offensichtlich nur mit dem Zweck, das Projekt scheitern zu lassen und damit die rot-grüne Regierung vorzuführen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Heiterkeit bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das glauben Sie doch selber nicht.

Das heißt, nach menschlichem Ermessen gehe ich nicht davon aus, dass zwei Weltkonzerne, die hier offensichtlich von ungeheuer technisch erfahrenen Prominenten aus der Opposition als Amateure bezeichnet werden,

(Christel Aschmoneit-Lücke [FDP]: Ich habe die Bundesregierung als Amateure bezeich- net! - Martin Kayenburg [CDU]: Sie waren schon mal sicherer in Ihrer Rede, Herr Hent- schel!)

bewusst ein Projekt in den Sand setzen. Das ist Ihre Logik: Die haben bewusst dieses technische Projekt in den Sand gesetzt. Tatsache ist, das dieses Projekt in den Sand gesetzt worden ist. Es ist in den Sand gesetzt worden, obwohl Hunderte von Experten, Spezialisten, Fachleute, Wissenschaftlern und so weiter bei Toll Collect an diesem Projekt gearbeitet haben. Sie haben sich in der Einschätzung dessen, was technisch möglich ist, vertan.

Das passiert auch bei kleineren Dingen. Ich erinnere nur an den A1 von Mercedes, dessen Bau sich um zwei Jahres verzögert hat, oder an das letzte GolfModell. Das sind nicht so komplizierte Projekte wie Toll Collect. Ich erinnere mich auch an die S-Bahn in Hamburg und die neue Computerzentrale mit automatischer Steuerung, deren Einführung sich damals um ein Jahr verzögert hat. Neue technische Systeme unterliegen nicht der Logik von Managern und Politikern. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Bei neuen technischen Systemen, die einen hohen Komplexitätsgrad haben, die neu entwickelt werden und bei denen man nicht auf ein bestehendes System zurückgreift, ist es in der Regel nicht vorhersehbar, ob, wie und in welchem Zeitraum die Probleme zu lösen sind.

(Zurufe von CDU und FDP)

Das ist das Entscheidende! Nun wird hier behauptet, die Bundesregierung hätte das vorhersehen müssen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Na klar!)

Ich gehe davon aus, dass diejenigen, die vonseiten der Wirtschaft die Zusagen gemacht haben, und die mit mehreren hundert Millionen ein hohes Risiko eingegangen sind, sich sehr sicher waren, dass das Ganze erfolgreich wird. So ist das nun einmal mit solchen Entscheidungen. Die Leute, die das auf der Seite der Wirtschaft von Mercedes und Telekom entschieden haben, waren mit Sicherheit ganz sicher, dass das Projekt erfolgreich wird. Sonst hätten sie nicht hunderte von Millionen Euro in den Sand gesetzt. Man muss sich einfach einmal überlegen, dass das so ist.

Herr Kayenburg, Sie haben sicherlich auch schon einmal solche Verträge verhandelt. Ich habe solche Verträge verhandelt. Wir wissen, wovon wir reden. Wenn Sie solche Verträge verhandeln: Was passiert in dem Fall, wenn ein technisches System nicht funktioniert? In der Regel ist es bei solchen Verträgen so: Wenn ich einen Auftrag vergebe und das System anschließend nicht funktioniert, dann ist klar, dass alle angefallenen Kosten von der Firma getragen

(Karl-Martin Hentschel)

werden, die das Projekt angeboten hat. Das heißt, als Kunde bin ich von allen Kosten frei. Weiterhin ist es in der Regel so, dass die Kosten, die mir als Auftraggeber während der Laufzeit des Projektes angefallen sind, von demjenigen, der das verursacht hat, zu ersetzen sind.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Warum ist das hier nicht so?)

- So ist es! Es ist nicht üblich und steht in keinem normalen Vertrag drin, dass die Folgekosten, die entstehen, weil das System nicht funktioniert, anschließend von dem Auftragnehmer zu vergüten sind. Das ist unüblich bei solchen Projekten; das müssen Sie sehen! Bei allen EDV-Projekten, die ich in der Wirtschaft kenne, ist das immer so gewesen. Es hat nie einen anderen Vertrag gegeben, den ich kennen würde. Sie müssten mir das einmal zeigen. Das ist ganz normales Geschäftsgebaren!

Man kann darüber reden, ob man in Zukunft so vorgeht und sagt: Bei solchen Projekten müssen alle Folgekosten, die möglicherweise eintreten, im Vertrag durch den Auftragnehmer abgesichert werden. Das wäre natürlich ein sehr großes Verlangen. Das bedeutete auch, dass deren Risiko wesentlich höher wäre. Man kann so argumentieren. Sie müssen nur nicht so tun, als sei das selbstverständlich. Das wäre ein völlig neues Geschäftsgebaren - auch in der privaten Wirtschaft.

(Glocke des Präsidenten)