und glaube, dass ich persönlich davon auch ein Stück weit profitiere. Insofern bedanke ich mich herzlich bei der FDP.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe immer schon gesagt, dass der Landtag auch ein wenig Volkshochschule ist.
Harmonisierung ist nur dann ein Fortschritt, so meinen wir, wenn die Beschuldigtenrechte gewahrt bleiben. Die Grünen, Herr Geißler, haben immer schon davor gewarnt, Europol vor Eurojus zu entwickeln, haben immer schon davor gewarnt, polizeiliche Ermittlungsbefugnisse vor einer Harmonisierung des justitiellen Rahmens zu entwickeln. Das halte ich nach wie vor für ein riskantes Unternehmen und ich finde es auch richtig, dass uns der Kollege Kubicki
darauf aufmerksam macht. Wir wollen sehen. Vielleicht kommen wir im Ausschuss doch noch zu einer Möglichkeit, uns zumindest stellungnehmend in diesen Prozess einzuklinken. Vielleicht hat ja auch die Ministerin noch Erhellendes dazu zu sagen.
Seit 1999 wird im Europäischen Rat die Forderung erhoben, gerichtliche Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union gegenseitig anzuerkennen. Im Juni 2002 ist ein Beschluss des Rates über den europäischen Haftbefehl verfasst worden. Dieser war von den Nationalstaaten bis zum 31. Dezember 2003 umzusetzen. Mehrere Mitgliedstaaten sind mit der Umsetzung allerdings noch im Verzug. Ich halte das eher für ein positives Zeichen von Nachdenklichkeit gegenüber dieser, wie wir immer noch finden, eher beschleunigten Ausweitung polizeilicher Befugnisse vor richterlichen und an dieser Stelle auch vor rechtsanwaltlichen Befugnissen.
Kritisch wurde bei diesem Beschluss vor allem die so genannte Positivliste gesehen. Sie wurde hier schon erörtert. Diese umfasst einen Katalog von Straftaten, die ohne Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit zur Auslieferung führen sollen. Dies kann tatsächlich im schlimmsten Fall dazu führen, dass ein Deutscher wegen eines Verhaltens ausgeliefert werden muss, das in Deutschland selbst nicht unter Strafe gestellt ist. Das wäre dann in der Tat ein Skandal. Darum müssen wir uns kümmern.
Wir müssen allerdings erkennen, dass die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verpflichtet ist, die innerstaatlichen Voraussetzungen zu schaffen, das im Beschluss des Rates vorgegebene Ziel auch zu erreichen. Allerdings müssen wir ebenfalls sehen, dass die europäischen Rahmenbeschlüsse nur hinsichtlich des Ziels verbindlich sind. Das schließt nicht aus, dass über die Wahl der Mittel noch Verbesserungen möglich sind. Insofern sehe ich es auch nicht ganz so pessimistisch wie Herr Kubicki und wie Sie soeben auch.
Grüne Position war und ist immer: Die europäische Harmonisierung im Bereich der justitiellen Zusammenarbeit kann nur dann einen Fortschritt darstellen, wenn dabei die Verteidiger- und Beschuldigtenrechte nicht unter die Räder kommen. Ich sagte es bereits. Während der Bundestagsberatungen des Gesetzes zur nationalen Umsetzung werden wir daher auf Ergänzungen drängen, die im Rahmen der Vereinbarungen die Verteidiger- und damit die Beschuldigtenrechte stärken. Es ist auch gründlich zu prüfen, wann im Einzelfall allgemeine Rechtsgrundsätze eine Auslieferung trotz Straftatsbestands aus der Positivliste unzulässig machen könnten.
Die in dem Antrag aufgestellte Forderung nach Boykottierung des völkerrechtlich verbindlichen Beschlusses bringt uns allerdings weder in der bundespolitischen noch in der europäischen Debatte weiter, Herr Kubicki. Wir schlagen also zusammen mit den Sozialdemokraten Ausschussüberweisung vor, damit wir uns im Ausschuss weiter schlau machen können, bilden können und, wie ich schon sagte, ausloten können, was wir eventuell doch noch tun können.
Last but not least will ich sagen: Auch die begeistertsten Europäer und Europäerinnen müssen zudem wissen, dass sie sich im europäischen Ausland an die dort jeweils geltenden Gesetze halten müssen. Das ist nun einmal Fakt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute konnten wir in der Zeitung „Flensborg Avis“ lesen, dass in Dänemark die regierungstragende dänische Volkspartei ein DNA-Profil von jeder Dänin und jedem Dänen speichern möchte. Damit sollen zukünftig Straftaten aufgeklärt werden. Als Argument für die lückenlose Erfassung führt Dansk Folkeparti an, dass schließlich niemand diskriminiert werde, denn es würden ja alle erfasst.
Auch wenn dieses Beispiel nicht direkt in Zusammenhang mit dem vorliegenden Antrag steht, macht es eines deutlich: Die Auffassung darüber, was Rechtsstaatlichkeit bedeutet, geht auch innerhalb der viel beschworenen europäischen Wertegemeinschaft weit auseinander.
Deshalb kann es niemanden verwundern, dass es alles andere als leicht ist, eine gemeinsame Strafverfolgung innerhalb der EU zu etablieren. Dennoch wird der Versuch gewagt. Mit einem europäischen Haftbefehl sollen Auslieferungsverfahren innerhalb der EU beschleunigt werden. Wenn Richter in einem Land einen Haftbefehl ausstellen, soll dieser zukünftig auch durch die Behörden in anderen Ländern vollstreckt und die Gesuchten sollen ausgeliefert werden können.
Die Bundesregierung hat im Sommer 2003 einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der diesen Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union umsetzen soll. Ein Teil der Mitgliedstaaten der EU hat bereits entsprechende Umsetzungsbeschlüsse gefasst. Denn die Frist lief, wie die Kollegen schon gesagt haben, bis zum 31. Dezember 2003.
Gerade aber weil es innerhalb Europas große Unterschiede darin gibt, was für Recht und Ordnung gehalten wird oder nicht, kam es im Januar 2004 prompt zu den ersten Problemen. Denn was in einem Land als strafwürdig gilt, kann in einem anderen Land durchaus als weniger schwere Tat durchgehen. Dieses wird aber vom europäischen Haftbefehl nicht berücksichtigt.
Die Kritik an diesem Verfahren geht im Kern darum, dass ohne Prüfung des Einzelfalles immer unterstellt wird, dass die Justizentscheidungen anderer EUStaaten rechtsstaatlich unbedenklich sind und dass es so faktisch zur gegenseitigen Anerkennung von Justizakten kommt. Wenn die Bundesrepublik beschuldigte oder verurteilte Straftäter ausliefert, obwohl das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht in dem Empfängerland ein anderes sein können als hierzulande, dann nehmen wir dieses andere Recht faktisch für uns an. Ein Beschuldigter kann nur noch Verfahrensrechte aus dem möglicherweise niedrigeren Niveau des Landes in Anspruch nehmen, in das er ausgeliefert werden muss. Der Kollege Kubicki hatte vorhin schon ein Beispiel genannt.
Über diese Ungleichheit der Rechtssysteme hatten sich schon die Mütter und Väter des Grundgesetzes ihre Gedanken gemacht. Deshalb schrieben sie in Artikel 16 Abs. 2 alter Fassung, dass kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf. Hintergrund war und ist, dass es nicht sicher ist, ob andere Staaten einem Beschuldigten dieselben Rechte zubilligen, wie sie hier gelten. Dieses Prinzip ist jetzt eingeschränkt worden. Der Staat, der ausliefern soll, hat nicht das Recht, den Fall nach eigenen Rechtsmaßstäben selbst zu prüfen. Aus diesem Grunde wies der Strafrechtsausschuss des deutschen Anwaltsvereins darauf hin, dass der Vollstreckungsstaat grundsätzlich dazu verpflichtet sein sollte, den Haftbefehl aus dem anderen Land trotzdem an nationalen oder internationalen ordre public der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechte-Charta zu messen.
Der RAV, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, forderte, dass sowohl im Vollstreckungsstaat als auch im anfordernden Staat ein Verteidiger in Anspruch genommen werden kann, der
auch Akteneinsicht erhält. Diese Rechte sind im Moment aufgrund des Rahmenbeschlusses überhaupt nicht vorgesehen.
Schon aus diesen Gründen wäre es sinnvoll abzuwarten. Der Prozess um die Angleichung des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts ist zwar begonnen, aber lange noch nicht abgeschlossen. Bevor hier keine Einigung zustande kommt, sollte auch kein derartiges Gesetz verabschiedet werden.
Ich möchte gerne darauf hinweisen: Es ist natürlich schwierig. Wir haben alle unterschiedliche Strafrechte und Strafverfahrensrechte, die im Laufe der Zeit durch die eigene Staatenbildung entstanden sind. Deshalb wird eine derartige Harmonisierung sehr schwierig sein. Ich möchte aber betonen, dass ich es begrüßen würde, dass eine Harmonisierung, wenn sie stattfindet, auf möglichst hohem und nicht auf dem niedrigsten Niveau erfolgt.
Mir liegt noch eine Wortmeldung zu einem Kurzbeitrag vor. Nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der hervorragende Beitrag des Kollegen Geißler - er hat viel gelesen und lesen bildet ja - veranlasst mich, Thorsten, doch noch einige Worte an dich zu richten. Es geht nicht um die Vollstreckung eines Urteils im Rahmen sozusagen des Haftantritts, im Rahmen der Strafvollstreckung, es geht auch nicht um die Frage, ob ein Deutscher in Frankreich, also ein Straftäter, in Frankreich nicht verfolgt werden darf. Das ist selbstverständlich. Es geht schlicht und ergreifend um die Frage, ob Deutschland, ob unser Land, einen Deutschen ausliefern darf aufgrund eines Haftbefehls, der außerhalb Deutschlands ausgestellt ist, ohne dass eine Prüfung stattfindet, ob die Tat bei uns überhaupt strafbar wäre und ob alle Grundsätze, die bei uns für die Ausstellung eines Haftbefehls notwendig wären, eingehalten worden sind. Ich bekomme zwei verschiedene Maßstäbe. Es gibt Länder, da gibt es den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gar nicht, da kannst du für ein einfaches Vergehen in U-Haft genommen werden. In der Schweiz gibt es das. Wollen wir zulassen, dass für eine Verkehrsübertretung, zu schnelles Fahren, das als Straftat klassifiziert ist, ein Deutscher
in Hamburg verhaftet werden muss aufgrund eines Haftbefehls, der zum Beispiel in Palermo ausgestellt worden ist? Wollen wir das zulassen? Das ist die grundsätzliche Frage. Ich sage: Nein, das wollen wir nicht zulassen.
Das Interessante ist doch, dass wir hier wieder zwei Schritte gedanklich vorwegnehmen. Wir glauben, dass die Rechtsordnung in allen anderen Ländern der Europäischen Union genauso gefestigt und von der Kultur bestimmt ist wie hier. Wir glauben, dass alle Kriterien, die in § 112 ff. der Strafprozessordnung für den Haftbefehl festgelegt worden sind, überall in gleicher Weise vorhanden sind. Das ist mitnichten der Fall. Es geht für mich um die Frage, ob ich zulassen kann und will, dass ein Deutscher in seiner Freiheit beschränkt wird, dass ihm seine Freiheit genommen wird aufgrund von Maßnahmen, die bei uns so umgesetzt nicht zulässig wären. Und da sage ich: Nein, das will ich nicht. Bevor ich hier keine Einheitlichkeit hinbekomme, will ich das nicht. Dass übrigens deine Parteifreunde, Thorsten Geißler, das auch nicht wollen, haben sie mittlerweile erkannt. Abgesehen davon wissen wir, auch im deutschen Strafrecht gilt das Weltrechtsprinzip. Das heißt, belgische Richter könnten auf die Idee kommen, wie es übrigens spanische Richter auch machen, Straftaten in anderen Ländern, die keinen Bezug haben zu Spanien oder Belgien, zu verfolgen. Beispiel Sharon in Belgien, Beispiel Südamerikaner in Spanien.
Deine Kollegen im Deutschen Bundestag sind aufgewacht und merkten, dass in der Umsetzung des europäischen Haftbefehls Immunitätsregeln fehlen. Warum fehlen Immunitätsregeln? Weil es nicht in allen Ländern der Europäischen Union Immunitätsregeln für Abgeordnete gibt. Also ist der Immunitätsausschuss auf die Idee gekommen, da muss jetzt hineingeschrieben werden: Es gilt für alle, nur nicht für Parlamentarier. Das finde ich granatenmäßig. Hier haben die Leute festgestellt, dass sie auf Rechte, die in unserer Rechtskultur gewachsen sind, nicht verzichten wollen, gleichzeitig wollen sie aber Rechte, die in unserer Rechtskultur gewachsen sind, für andere Deutsche preisgeben. Das kann doch wohl nicht der richtige Ansatz sein.
Das bedeutet, dass wir doch nicht die Hand dazu reichen dürfen und wollen, dass, wer auch immer in welchem Land der Europäischen Union welche Verfolgung angreifen will, dieses zu Regeln tut, die in
Deutschland so nicht zulässig wären. Wir müssen hier den gleichen Standard für alle auf gleichem Niveau festschreiben. Das können wir auch erreichen und können es auch in Debatten erreichen, die im Deutschen Bundestag noch geführt werden, die auch im Bundesrat noch geführt werden müssen, um die Standards, die wir geschaffen haben, für alle in gleicher Art zur Geltung zu bringen. Darum bitten wir, um nicht mehr und nicht weniger, Thorsten. Dass wir spät aufgewacht sind, mag ja sein, aber noch ist es nicht zu spät. Zu sagen, wir müssen jetzt etwas, das wir für falsch erkannt haben, auf die Schiene setzen, weil wir uns nicht schnell genug an der Debatte beteiligt haben, ist nach meiner Auffassung der falsche Weg. Wir müssen stoppen, was noch zu stoppen ist, und dem dient unser Antrag.
Mir liegt noch eine Wortmeldung zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 vor. Der Herr Abgeordnete Geißler hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist zutreffend, dass es unterschiedliche Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt. Ich glaube aber doch feststellen zu dürfen: Sämtliche Staaten der Europäischen Union sind demokratisch verfasste, rechtsstaatlich einwandfrei organisierte Staaten. Wenn wir so herangehen, dass wir glauben, alle müssten unsere Maßstäbe deckungsgleich übernehmen,
dann, glaube ich, machen wir einen verhängnisvollen Fehler. Nein, wir müssen auf eine Vereinheitlichung des europäischen Rechtsraumes hinarbeiten. Dazu gehört zunächst einmal dann, wenn rechtsstaatliche Verfahrensgarantien gegeben sind, und die sind gegeben, dass wir justizielle Entscheidungen gegenseitig anerkennen. Das wollen wir tun.
Ich verkenne ja nicht, dass es einen Problembereich gibt, den ich in meinem Redebeitrag auch genannt habe. Andere Beispiele, die genannt werden, auch in der Literatur, sind an den Haaren herbeigezogen. Ich will es noch einmal ganz klar sagen. Da wird das Beispiel Abtreibung in Irland genannt. In Irland haben wir eine sehr restriktive Abtreibungsregelung. Ein deutscher Arzt, der in Irland eine Abtreibung vornimmt, wird es sich gefallen lassen müssen, nach irischem Recht verurteilt zu werden.