Protocol of the Session on September 27, 2000

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das merkt man!)

Deshalb ist der Investitionsbegriff in der Landes- und der Bundeshaushaltsordnung antiquiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wenn das Land die Werften subventioniert oder Deichbaumaßnahmen finanziert, dann gilt dies nach geltendem Recht als Investition, weil etwas gebaut wird. In ökonomischem Sinne ist das ziemlich zweifelhaft, denn die Werften gehören ja nicht dem Land und die Deiche schützen zwar Menschen, aber sie fahren keine direkten Gewinne ein. Deswegen wäre es sinnvoll, Deichbau als konsumtive Ausgabe einzustufen.

Anders ist es dagegen mit der Ausbildung unserer Kinder. Damit schafft das Land zwar keine Bauwerke, die direkt Gewinn abwerfen; die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen ist aber in der zukünftigen Bildungsgesellschaft die entscheidende Quelle zukünftigen Wohlstands.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Deshalb sind dies Investitionen in unsere Zukunft und sollten so behandelt werden.

Auch zu diesem Bereich muss man ehrlich sagen: Wir alle hätten uns gewünscht, noch weitere Millionen in die Bildungs- und Jugendpolitik stecken zu können. Aber man muss auch anerkennen, was das Land bereits tut. Wir sind stolz darauf, 200 zusätzliche Leh

(Karl-Martin Hentschel)

rerstellen und 100 zusätzliche Referendarstellen geschaffen zu haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wenn man sich nur die reinen Ressortausgaben ansieht - ohne Zinsen und Pensionslasten -, dann stellt man fest, dass das Land bereits 38,6 % seiner Ausgaben in den Bildungssektor steckt. Bei den Personalausgaben sind es bereits 53 % der Personalausgaben des Landes, die in die Hochschulen und Schulen gehen. Am Ende der Legislaturperiode werden es aufgrund der wachsenden Lehrerzahlen und der abnehmenden Stellenzahl in der Verwaltung bereits 56 % der Beschäftigten sein, die sich um Bildung kümmern.

Aber natürlich könnte man noch mehr tun. Wir brauchen unbedingt mehr Ganztagsschulen - da stimme ich den Wünschen des bildungspolitischen Sprechers der CDU in vollem Umfang zu -, wir brauchen Mittagessen an den Schulen und wir wollen die Schulen von reinen Lernorten zu Stadtteilzentren für alle weiterentwickeln. Wir brauchen eine bessere technische Ausstattung der Schulen und wir unternehmen große Anstrengungen, alle Schulen ans Netz zu bringen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang unterstütze ich den Vorschlag, aus dem Kommunalen Investitionsfonds in den nächsten Jahren mehrere 100 Millionen DM für die Schulbausanierung einzusetzen und die Satzung des KIF entsprechend zu ändern.

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren sogar noch weiter gehen müssen. Dazu gehört nicht zuletzt die kostenlose Bereitstellung von Plätzen in den Kindertagesstätten, die von meiner Partei als mittelfristige Forderung im Herbst letzten Jahres vorgeschlagen wurde.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Wie sollen die das denn finanzieren?)

Oh ja, ich weiß, was Sie jetzt sagen werden. Es geht um einen Betrag zwischen 200 Millionen DM und 300 Millionen DM im Jahr - wie soll das ebenfalls noch finanziert werden?

Meine Damen und Herren, in wenigen Jahren sprechen wir uns wieder. Die Gesellschaft hat sich vor ein paar Jahren dazu bekannt, die Altenpflege zu einer Aufgabe der gesamten Gesellschaft zu erklären. Dazu stehe ich. Aber ich kann nicht begreifen, dass die Pflege der Alten als Sache der gesamten Gesellschaft anerkannt worden ist, aber das Großziehen der Kinder immer noch weitgehend Privatsache ist.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Und es soll auch Privatsache bleiben! Das Großziehen der Kinder soll auch Privatsache bleiben, Herr Hentschel!)

Die Ausgaben und Einkommensverluste der Eltern werden für ein Kind mit zirka einer halben Million DM bis eine Million DM berechnet. Das sind ein bis zwei Einfamilienhäuser.

Die Belastung der Eltern hat zur Folge, dass für das Alter diejenigen, die keine Kinder großgezogen haben, genügend private Altersversicherung angespart haben, um viermal im Jahr in Urlaub zu fahren, während die Eltern von Kindern dann auf die gesetzliche Altersversicherung angewiesen sind.

(Zurufe von CDU und F.D.P.)

Im Klartext bedeutet das: Die Kinder derjenigen, die so blöd sind, sich Kinder zu leisten, erwirtschaften dann die gute Altersversorgung derjenigen, die keine Kinder haben.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist doch schlichter Un- sinn! Ich habe auch zwei Kinder!)

- Ich rede von Normalverdienern, Herr Kubicki!

Deswegen bin ich so sicher und überzeugt davon, dass wir die Debatte darüber führen müssen und sie führen werden, dass Kinder ein Schatz für die gesamte Gesellschaft sind, für die wir alle Verantwortung tragen. Wenn es genauso lange dauert wie bei der Pflegeversicherung, dann werden wir vielleicht in zehn Jahren so weit sein, dies zu realisieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Diskussion über den Haushalt 2001 mögen diese Hinweise und vielleicht auch der Hinweis auf die Problematik des Rechtsextremismus ausreichen, um zu begründen, warum die Kürzungen im Jugendhaushalt rückgängig gemacht werden müssen. Darüber herrscht ja glücklicherweise parteiübergreifend Konsens.

Als eine weitere Aufgabe, deren Finanzierung nicht mehr als ausreichend betrachtet werden kann, muss an dieser Stelle auch die Hochschulausbildung genannt werden. Hier möchte ich drei Punkte ansprechen.

Erstens. Wir haben im internationalen Vergleich nicht zu viel, sondern zu wenig ausgebildete Akademiker.

Zweitens. Die Hochschulen müssen endlich der Tatsache gerecht werden, dass für ein Großteil der Studenten das Studium eine Berufsausbildung ist. Nur eine Minderheit wird hinterher im wissenschaftlichen

(Karl-Martin Hentschel)

Umfeld tätig sein. Dies erfordert eine grundlegende Umstrukturierung aller Studiengänge.

Drittens. Das Berufsbild der Professoren wird sich völlig ändern.

Deshalb setzt die Landesregierung zu Recht darauf, dass sich die Hochschulen auf die veränderten Herausforderungen einstellen.

(Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Bei immer we- niger Geld!)

Grundlegende Reformen in den Strukturen der Hochschulen, insbesondere der CAU, sind erforderlich. Zugleich weisen die Hochschulen zu Recht darauf hin, dass es ihnen der Sparkurs äußerst schwer macht, ihren Aufgaben hinreichend gerecht zu werden.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.])

Deshalb müssen wir uns darüber im Klaren sein: Auch wenn der Sparkurs aus Sicht der Landesfinanzen dringend notwendig ist, werden wir ihn in Zukunft so nicht weiter fortsetzen können.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Trotzdem müssen die notwendigen Strukturreformen bereits heute angepackt werden. Meine beruflichen Erfahrungen sagen mir übrigens, dass gerade finanzielle Krisen oft der Anlass dafür sind, endlich Strukturen infrage zu stellen, an die sich vorher niemand herangetraut hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Politik im Interesse unserer Kinder erfordert mehr als die Erhaltung der Natur, eine blühende Wirtschaft und eine gute Ausbildung. Sie erfordert auch Gesellschaftsstrukturen, die von den Menschen akzeptiert und als ihre eigenen empfunden werden können. Nachhaltigkeit erfordert Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Wenn heute grölende Jugendliche durch die Straßen deutscher Städte laufen, um unseren Staat zu verhöhnen und anders denkende und anders aussehende Mitmenschen zu bedrohen, dann macht es vielen von uns erst bewusst, was wir zu verteidigen haben. Deswegen reicht es nicht aus, dass wir einige Gewalttäter hinter Gitter stecken. Die Aufgabe, die sich uns stellt, ist, die Jugend dieses Landes positiv für unsere Gesellschaft zu gewinnen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Die Gesellschaft, die wir alle nach dem Krieg gemeinsam - wenn auch in unterschiedlichen Rollen - in diesem Land gestaltet haben, ist die freiheitlichste Gesell

schaft, die es je auf deutschem Boden gab; sie ist zugleich auch die wohlhabendste Gesellschaft, die es jemals gegeben hat. Trotzdem fühlen sich viele Menschen in diesem Land ungerecht behandelt, trotzdem ist die Politik insgesamt in Misskredit geraten, trotzdem gibt es Menschen, die jeden hassen, der andersartig ist, und am liebsten alles kaputtschlagen möchten.

Wir werden dieser Situation nur erfolgreich begegnen können, wenn wir bei allen notwendigen Schritten deutlich machen, dass wir uns am Leitbild der Gerechtigkeit orientieren. Gerade bei Sparmaßnahmen im Sozialbereich muss immer wieder überprüft werden, ob das, was wir tun, gerecht ist.

(Zuruf von der CDU: Dann werden Sie mal konkret!)

Wir müssen deutlich machen, dass Demokratie und Gerechtigkeit Grundlagen für Freiheit und Wohlstand sind. Diktaturen mögen kurzfristig effektiver sein, auf mittlere Sicht sind sie gescheitert, weil sie Fehler nicht korrigieren können, weil sie wirtschaftlich ineffektiv, ungerecht, unterdrückend sind und kreative Initiative lähmen. Deshalb müssen wir unserer Jugend zurufen: Demokratie lohnt sich! Es lohnt sich, sich für diese Gesellschaft, die wir in den vergangenen 50 Jahren Schritt für Schritt erarbeitet haben, einzusetzen!

Meine Damen und Herren, die Gerechtigkeit unserer Politik wird durchaus von zwei Seiten infrage gestellt: Die einen empfinden die Kürzungen und die Unterschiede zwischen Armen und Reichen ungerecht, die anderen fragen, ob es gerecht ist, wenn der eine für seinen Lebensunterhalt arbeitet, während der andere Geld bekommt, obwohl er nicht arbeitet und dann noch etwas schwarz dazuverdient. Auch hier können wir von Dänemark lernen. Dort sind viele Menschen stolz darauf, dass sie mehr Steuern zahlen als die Menschen in anderen Ländern, weil sie einen gerechten Sozialstaat haben.