Protocol of the Session on October 22, 2019

Sie sind kein Mittel politischer Auseinandersetzung, sondern sie sind der Nährboden für Gewalt bis hin zum Mord. Es geht also jetzt um nichts weniger als um die Zukunft der demokratischen Kultur in unserem Land. Dazu sage ich in aller Deutlichkeit: Die Ideologie einer reinen deutschen Volksgemeinschaft tötet. Sie ist ausgrenzend und menschenverachtend. Das ist unsere deutsche Erfahrung.

Deshalb – auch an Sie, meine Herren und Damen Abgeordnete der AfD –: Die permanente Hetze gegen Muslime und Migranten

(Abg. Michael Frisch, AfD: Frechheit!)

macht Sie nicht zu einem Freund von Juden und Jüdinnen und bringt den Antisemitismus in den Reihen der AfD nicht zum Verschwinden. Auch wenn Sie das bestreiten mögen,

(Abg. Michael Frisch, AfD: Unverschämtheit!)

in Ihrer Partei werden judenfeindliche Positionen vertreten.

(Anhaltend starker Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe bei der AfD)

Ich will gerne einen Satz hinzufügen, wenn ich Sie so höre. Wenn einem Abgeordneten Ihrer Partei, der den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags leitet,

(Abg. Dr. Adolf Weiland, CDU: Aber wirklich!)

zu den Taten von Halle nichts anderes einfällt, als ein Bild von Michel Friedman mit dem Satz zu überschreiben – ich zitiere –: „Jede Sendeminute dieses deutschen Michel treibt uns neue Anhänger in Scharen zu – weiter so!“,

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Was hat das denn damit zu tun?)

dann bedient er damit primitivste antisemitische Muster und zeigt

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Das ist einer Ministerpräsidentin unwürdig! Unwürdig!)

auch Ihr Zwischenruf jetzt –, wes Geistes Kind Ihre Partei ist.

(Anhaltend starker Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Unwürdig sind Sie!)

Es ist kalt, es ist schamlos und perfide. Herr Fraktionsvorsitzender Junge, ich will Ihnen auch noch einmal sagen: Sie sind gemeinsam mit Herrn Höcke aufgetreten. Sie haben sich damit öffentlich an die Seite eines Mannes gestellt, der das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als Schande bezeichnet

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Unglaublich! – Abg. Michael Frisch, AfD: Es ist auch eine Schande!)

und eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad gefordert hat.

(Zuruf des Abg. Dr. Timo Böhme, AfD)

Dann sagen Sie mir bitte nicht, dass es in der AfD keine Menschen gibt, die Judenfeinde sind.

(Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Alarmstufe Roth! Alarmstufe Roth!)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, Taten wie in Halle können wir letztendlich nur verhindern, wenn es gelingt, den Hass aus den Köpfen und Herzen der Menschen zu vertreiben,

(Abg. Damian Lohr, AfD: Dann fangen Sie einmal bei sich an! – Zuruf der Abg. Giorgina Kazungu-Haß, SPD)

wenn es gelingt, auf die Gefühle von Ohnmacht und Wut andere, konstruktive Antworten zu finden. Ich danke deshalb allen, die sich mit ganz großem Engagement gegen Antisemitismus, gegen Hass und gegen Fremdenfeindlichkeit einsetzen. Ich danke allen, die sich für ein offenes, ein demokratisches und ein tolerantes Rheinland-Pfalz engagieren.

Wir brauchen eine starke Allianz aller demokratischer Kräfte gegen den Hass. Ich bin noch immer optimistisch, dass wir das auch schaffen, weil ich weiß, wie wichtig den Rheinland-Pfälzern und Rheinland-Pfälzerinnen ein guter Zusammenhalt ist. Ich setze auf die große Mehrheit der Menschen in unserem Land, die den Rechtsextremismus ablehnt, den Antisemitismus verurteilt, die sich für ein vielfältiges und ein lebendiges, ein lebenswertes Rheinland-Pfalz für alle Rheinland-Pfälzer und RheinlandPfälzerinnen engagiert.

Vielen Dank.

(Anhaltend starker Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat deren Vorsitzender, Herr Baldauf, das Wort.

(Abg. Christian Baldauf, CDU, gibt Ministerpräsidentin Malu Dreyer die Hand.)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Jüdisches Leben gehört zu Deutschland. Diesen Satz haben wir seit den schrecklichen Vorfällen in Halle von allen Seiten in den letzten Tagen immer wieder gehört.

Unser gemeinsames Mitgefühl gehört den unschuldigen Opfern und deren Angehörigen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Die Opfer sind alle unschuldig!)

Jüdisches Leben gehört zu Rheinland-Pfalz. Wenn ich diese Worte hier ausspreche, ist das für mich kein Lippenbekenntnis. Das Judentum ist mit der deutschen Geschichte in einer einmaligen Art und Weise verwoben. Dies gilt für die dunkelsten Stunden, aber auch für hellere Stunden.

Nicht nur in Israel haben sich Juden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit immenser Leistung einen eigenen Staat aufgebaut. Auch in Deutschland wurden Gemeinden wiederbelebt, wieder aufgebaut und jüdischer Geist neu belebt. Im Jahr 2014 sprach Bundespräsident Joachim Gauck davon, dass zum Glück das jüdische Leben in Deutschland wieder pulsiere, und ja, heute ist jüdisches Leben in Deutschland wieder vielfältig, aktiv und lebendig. Auch in Rheinland-Pfalz wird in fünf jüdischen Gemeinden tagtäglich jüdisches Leben gelebt.

Dennoch haben wir gravierende Probleme. Antisemitismus ist nicht nur ein Problem für die in Deutschland lebenden Juden. Antisemitismus ist ein Problem für alle Menschen hier im Lande. Jüdische Mitbürger trauen sich vielerorts nicht mehr mit der Kippa auf die Straße. Alte Ängste kriechen hoch.

Wenn Menschen nun fragen, ob man denn als Jude in Deutschland noch sicher leben kann, dann ist die Angst, die dieser Frage zugrunde liegt, durchaus verständlich und

schockierend zugleich. Darum sage ich es deutlich: Niemals wieder dürfen jüdische Mitbürger ängstlich auf einer deutschen Straße gehen.

(Beifall im Hause)

Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen von Hass und Aggression. Weder Juden noch Muslime, die unsere Werte teilen, noch Christen dürfen in Furcht leben. Daran müssen wir immer wieder neu arbeiten, auch in Rheinland-Pfalz.

Die Zahl, die das Landeskriminalamt dieser Tage vorlegte, gibt Anlass zur Besorgnis. Die Zahl der antisemitischen Straftaten im Land ist bereits jetzt schon fast so hoch wie im ganzen letzten Jahr. Es geht um Volksverhetzungen, rassistische Schmierereien auf Häuserwänden und Synagogen sowie um Hassbotschaften im Internet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dem müssen wir uns konsequent entgegenstellen. Es ist extrem wichtig, dass in einer demokratischen Gesellschaft rote Linien gezogen werden.

Nach den Ereignissen in Halle habe ich mich am folgenden Tag mit dem Mainzer Rabbiner getroffen. Er hat bestätigt: Es ist keineswegs so, dass die jüdische Gemeinde frei von Sorgen und Angst im Alltag wäre. Wir leben heute in einer Zeit, in der das Wort „Jude“ auf so manchem Schulhof wieder als Schimpfwort gebraucht und vor Synagogen ausgespuckt wird. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns ernste Gedanken machen müssen, wie unsere Gesellschaft und unsere Politik mit dem Thema „Antisemitismus“ umgehen.

Die Lösung liegt aber nicht allein im Ruf nach Regeln für dies oder jenes, mehr Polizei oder mehr Bewachung; die Herausforderung ist vor allem auch gesellschaftspolitischer Natur.

Vorgestern las ich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Alle sind Halle, und keiner ist Antisemit.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sehen das Problem erst, wenn ein Bewaffneter vor einer Synagoge steht. Wo stecken diejenigen, die an den Tagen Antisemitisches denken und aussprechen, an denen wir nicht in Halle sind? Was denken und was tun wir an diesen Tagen?

Wenn jetzt vereinzelt in der öffentlichen Diskussion die Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts gefordert wird, dann muss ich dem entgegenhalten: Wo lernen junge Menschen denn die wesentlichen Dinge über historische, kulturelle und interreligiöse Zusammenhänge? Wo lernen wir denn die Normen und Werte, die das Grundgerüst für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen und Religionen ermöglichen?

Gerade im Religionsunterricht werden solche Werte vermittelt. Es ist mir persönlich tausendmal lieber, dass dies in unseren Schulen geschieht als sonst wo.

(Beifall der CDU und der FDP sowie bei SPD und AfD)

Da wir beim Thema „Schule“ sind: Vor 240 Jahren veröffentliche Gotthold Ephraim Lessing „Nathan der Weise“.

Was Millionen Schüler in Deutschland gelesen haben, darf auch heute jeder Erwachsene gerne noch einmal aus dem Regal holen; denn die Geschichte von Nathan dem Weisen ist die brillante Versinnbildlichung dessen, wie die großen Religionen und Kulturen zusammengehören und dass Gemeinsamkeiten und nicht Unterschiede uns prägen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen in der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, unsere Werte stets aufs Neue zu leben und zu verteidigen, niemals nachlassen. Deutschland bleibt ein Land der Freiheit, der Gleichheit, der Toleranz. Genau das gilt für Rheinland-Pfalz. Rheinland-Pfalz ist heute – und wird es auch künftig sein – eine Heimat für jeden, der hier lebt, unabhängig von Herkunft oder Glauben, egal ob Christ, Jude oder Muslim. In einem demokratischen, freien Land müssen wir unseren Glauben friedlich leben können, ohne Angriffe oder gar Anschläge befürchten zu müssen.