Protocol of the Session on May 16, 2019

Wir sind jetzt sehr tief in die Debatte eingestiegen, aber das war mir die Sache noch einmal wert, weil es nicht so leicht und so schwarz-weiß ist, wie Sie es darzustellen versuchen.

(Zuruf des Abg. Gerd Schreiner, CDU)

Vorhin wurde auch noch behauptet – – –

(Abg. Alexander Licht, CDU: Dann brauchen Sie doch keine Angst vor der Gesetzesfolgenabschätzung zu haben!)

Wir haben auch keine Angst vor der Gesetzesfolgenabschätzung. Die Diskussionen, die Sie im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung führen wollen, sind alle bereits im Vorfeld geführt worden. Sie sind alle in der Gesetzesbegründung, in den Konnexitätsgesprächen und -ergebnissen enthalten.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glocke des Präsidenten)

Außerdem steht die Evaluation im Gesetz. Also, was wollen Sie noch mehr? Das ist alles da.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr gut, Bettina!)

Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Frisch.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Die CDU hat jetzt schon drei Redner verschlissen. Wer wird der vierte? – Unruhe im Hause – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Frisch, fangen Sie mit Ihrer Rede an. Das wird sich geben.

(Heiterkeit bei der CDU)

Sie sind optimistisch, Herr Präsident.

(Vizepräsident Hans-Josef Bracht übernimmt den Vorsitz)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Nach monatelangen Auseinandersetzungen über einen Referentenentwurf dürfen wir uns heute endlich mit der finalen Gesetzesvorlage der Landesregierung zur Neustrukturierung der Kindertagesbetreuung in Rheinland-Pfalz beschäftigen.

Aufgrund der heftigen Kritik von Erzieherinnen und Eltern, Einrichtungsträgern und Verbänden hat sich die Bildungsministerin am Ende doch noch bewegt. Nach dem katastrophalen Erstaufschlag, der von völliger Ignoranz gegenüber der Realität in den Kitas geprägt war, hat sie zumindest in einigen Punkten nachgebessert.

Es ist allerdings fast schon zynisch und dürfte beim Wettbewerb um den Euphemismus des Jahres durchaus preisverdächtig sein, dass Frau Hubig diesen Prozess jetzt als moderne Dialogpolitik feiert.

(Beifall der AfD)

Nimmt man die Landesregierung beim Wort, soll das nun vorgelegte KiTa-Zukunftsgesetz auf keinen Fall Verschlechterungen, dafür jedoch zahlreiche Fortschritte mit sich bringen: mehr Geld, mehr Personal, ein besseres und kostenloses Betreuungsangebot. In diesem Sinne war die Ministerin zuletzt sichtlich bemüht, alle verbliebenen Bedenken zu zerstreuen. Die Kita der Zukunft sei beitragsfrei, gerecht und gut. Meine Damen und Herren, uns hat sie damit nicht überzeugt.

In der Tat plant die Landesregierung, in Zukunft noch einmal deutlich mehr Geld in die Hand zu nehmen als bisher: 80 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr für Personal und Sozialraumbudget. Die Ministerin beteuert, das werde zu einem deutlichen Stellenaufbau in 40 von 41 Jugendamtsbezirken führen. Wie sie zu dieser Annahme gelangt, bleibt ihr Geheimnis.

(Ministerpräsidentin Malu Dreyer: Nein!)

Wie konkrete Modellrechnungen verschiedener Kreise zeigen, ist eher zu erwarten, dass viele Einrichtungen am Ende sowohl finanziell als auch personell auf keinen Fall besser, einige sogar deutlich schlechter gestellt sein werden, was nicht zuletzt mit der Umstellung von einer gruppenauf eine platzbezogene Personalbemessung zusammenhängt. Selbst wenn sich die genauen Auswirkungen erst in der Praxis zeigen würden, ist zu befürchten, dass insbesondere kleinere Kitas darunter leiden könnten.

Auch die auf dem eigens eingerichteten Informationsportal zum KiTa-Zukunftsgesetz Rheinland-Pfalz aufgestellte Behauptung, dass insgesamt bis zu 3.000 neue Personalstellen geschaffen werden „könnten“, ist irreführend. Wie der Konjunktiv bereits andeutet, geht es hier nicht um Realitäten, sondern um Optionen; denn ob diese Stellen tatsächlich entstehen, ist mehr als fraglich, müssen doch die Träger einen erheblichen Eigenanteil von bis zu 55 % selbst beisteuern.

Wie aber sollen jetzt schon finanziell völlig überstrapazierte Kommunen solche Mehrkosten für weitere Erzieherinnen, Sprach- und Integrationsfachkräfte aufbringen, wenn sich an ihrer grundsätzlichen Finanzausstattung nichts verbessert? Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, dass

in Zeiten leerer Kommunalkassen und fehlender Fachkräfte der angekündigte Personalaufwuchs weitgehend ausbleiben wird, zulasten unserer Erzieherinnen und unserer Kinder.

Vernachlässigt werden auch die Mehrbelastungen, die auf Erzieherinnen und Einrichtungsträger mit der deutlichen Ausweitung des Betreuungsumfangs auf sieben Stunden am Stück inklusive Mittagessen unweigerlich zukommen werden. Sie sind im vorliegenden Gesetzentwurf bestenfalls ansatzweise eingepreist. Die Kreise rechnen allein für den Ausbau von Küchen, Ess- und Ruheräumen mit Investitionsbedarfen in dreistelliger Millionenhöhe. Da erscheinen die knapp 14 Millionen Euro, die die Regierung dafür zur Verfügung stellen möchte, wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Vor allem aber setzt die Landesregierung trotz massiver Kritik die Zweijährigen bei der Personalbemessung immer noch mit den Sechsjährigen gleich.

(Staatsministerin Dr. Stefanie Hubig: Nein!)

Meine Damen und Herren, das ist nicht nur absolut realitätsfremd, das ist kindeswohlgefährdend; denn im Alter von zwei Jahren benötigt ein Kind wesentlich mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung als ein vergleichsweise selbstständiges fünf- oder sechsjähriges Kind. Das beginnt mit Hilfestellungen beim Mittagessen und beim Ankleiden, geht über die Begleitung des Toilettengangs und einen sehr individuellen Schlafrhythmus bis hin zu besonderen emotionalen Bedürfnissen. Wie soll eine einzelne Erzieherin auf solche Anforderungen angemessen eingehen, wenn sie sich um bis zu zehn Kinder gleichzeitig kümmern soll? Wie viel Liebe bleibt da noch für ein einzelnes Kind?

Der jetzt angesetzte Personalschlüssel ist nach unserer Ansicht vollkommen unzureichend. Er führt nicht nur zu einer Überlastung der Betreuungskräfte,

(Zuruf der Abg. Dr. Tanja Machalet, SPD)

er widerspricht vor allem auch dem, was Kinderärzte und Kinderpsychologen für eine gesunde Entwicklung innerhalb der ersten Lebensjahre fordern. Die Landesregierung ignoriert in fahrlässiger Weise gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse und nimmt dabei in Kauf, dass gerade den Kleinsten möglicherweise irreparable Schäden zugefügt werden.

Offensichtlich geht es angesichts stark gestiegener Zahlen im U3-Bereich in erster Linie um das versteckte Reduzieren eines wachsenden Kostenfaktors. Beitragsfreiheit und durchgehender Betreuungsanspruch bezahlen sich nicht von selbst. Doch dafür das Wohl unserer Jüngsten in die Waagschale zu werfen, ist mehr als unverantwortlich. Wir als AfD-Fraktion werden das definitiv nicht mittragen.

(Beifall der AfD)

Auch bei der Frage der Gerechtigkeit teilen wir die Euphorie der Bildungsministerin nicht. Zwar wird die außerfamiliäre Betreuung in Kindergärten und Krippen zukünftig ab zwei Jahren generell kostenfrei gestellt, aber die vielen Eltern, die ihre Kinder in den ersten Lebensjahren zu Hause

betreuen und dafür auch bereit sind, auf Lohneinkünfte zu verzichten, lässt man nach wie vor finanziell im Regen stehen.

(Abg. Jutta Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahlfreiheit!)

Wer seine Kinder nicht von Anfang an fremdbetreuen lässt, geht vollständig leer aus. Das ist weder gerecht noch gut, weil es selbsterziehende Eltern diskriminiert und Familien faktisch ihrer Wahlfreiheit beraubt.

(Beifall der AfD)

Auch hier werden wir den Finger immer wieder in die Wunde legen – ob es Ihnen gefällt oder nicht –, damit aus den Worten „gerecht“ und „gut“ mehr wird als wohlklingende Gesetzeslyrik.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Schluss noch ein kurzes Wort zum CDU-Antrag für eine Gesetzesfolgenabschätzung. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, was dagegen sprechen soll. Gerade wenn wir einen Dissens bezüglich der Zahlen haben, wäre es doch naheliegend, diesen Dissens um strittige, richtige oder falsche Zahlen aufklären zu lassen. Ich finde es schon bemerkenswert, mit welcher Arroganz hier auf der linken Seite

(Abg. Martin Haller, SPD: Na, na, na!)

auf eine solche vernünftige Forderung reagiert wird. Offensichtlich trauen Sie Ihren eigenen Zahlen doch nicht; denn ansonsten hätten Sie diesem Antrag zustimmen können, was Sie – wie wir eben gehört haben – wahrscheinlich nicht tun werden.

(Zuruf des Abg. Martin Haller, SPD)

Wenn sich Frau Brück hinstellt und sagt, wir machen irgendwann eine Evaluation, ist das wieder das typische Verfahren, das wir von der Landesregierung kennen:

(Staatsministerin Dr. Stefanie Hubig: Steht im Gesetzentwurf!)

Anstatt vorher vernünftig zu überlegen, ob eine Maßnahme sinnvoll ist und welche Folgen sie hat, führen Sie die Maßnahme durch, um nachher zu evaluieren und möglicherweise die Scherben aufzukehren, die Sie vorher selbst verursacht haben.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Die nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP die Abgeordnete Lerch.