Protocol of the Session on March 27, 2019

felsfrei Personen gibt, die diese Entscheidungsfähigkeit nicht besitzen?

Meine Damen und Herren, das alles sind nur zu berechtigte Bedenken, die eigentlich eine differenzierte Lösung verlangen. Wenn wir der vorliegenden Regelung dennoch zustimmen, dann deshalb, weil sie schlichtweg die bessere von zwei mit Mängeln behafteten Alternativen ist; denn letztlich stehen wir vor einem unlösbaren Dilemma. Selbst wenn wir nur einen Teil der umfassend Betreuten vom Wahlrecht ausschließen,

(Glocke der Präsidentin)

dann verweigern wir einer mehr oder weniger großen Anzahl von Menschen zu Unrecht ein elementares staatsbürgerliches Recht. Trotz aller Sorgfalt nämlich wird es kaum möglich sein, trennscharfe Kriterien für eine Art Wahlreifeprüfung zu formulieren.

Gewähren wir hingegen ohne jede Prüfung jedem das Wahlrecht – – –

(Glocke der Präsidentin)

Ich habe doch 6 Minuten Redezeit.

Entschuldigung, jetzt war ich hier durch den Wechsel etwas irritiert. Entschuldigen Sie bitte, Herr Abgeordneter.

Okay. Ich beginne den Satz noch einmal. Selbst wenn wir nur einen Teil der umfassend Betreuten vom Wahlrecht ausschließen, dann verweigern wir einer mehr oder weniger großen Zahl von Menschen zu Unrecht ein elementares staatsbürgerliches Recht. Trotz aller Sorgfalt wird es nämlich kaum möglich sein, trennscharfe Kriterien für eine Art Wahlreifeprüfung zu formulieren. Gewähren wir hingegen ohne jede Prüfung jedem das Wahlrecht, dann werden zwangsläufig manche wählen, die aufgrund fehlender Entscheidungsfähigkeit die Voraussetzungen dafür nicht mitbringen. Es wird sicherlich auch zu Manipulationsfällen kommen.

Weil es aber letztlich besser ist, offensichtlich vermeidbares Unrecht in Kauf zu nehmen, als selbst Unrecht zu begehen, müssen wir uns vernünftigerweise für die erste Lösung entscheiden;

(Glocke der Präsidenten)

denn nur so stellen wir sicher, dass auch Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf politische Teilhabe im Rahmen von Wahlen wahrnehmen können. Das ist am Ende das, worauf es ankommt.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Becker das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute zu beratende Gesetzentwurf – darauf wurde bereits mehrfach hingewiesen – ist Ergebnis einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes für verfassungswidrig erklärt worden sind.

Beanstandet wurde aus Karlsruhe insbesondere, dass Menschen, die in allen Angelegenheiten unter Betreuung, also unter Vollbetreuung, stehen, pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen wurden, und zwar unabhängig davon, ob sie im konkreten Einzelfall die notwendigen Fähigkeiten hatten und haben, um am politischen Diskurs teilzunehmen und eine verantwortungsvolle Wahlentscheidung zu treffen oder nicht.

Auch wenn sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf unser rheinland-pfälzisches Kommunalwahlgesetz bezog und daher zunächst kein unmittelbarer Handlungszwang für uns als Landesgesetzgeber besteht, ist es doch absolut zu begrüßen, dass sich die Fraktionen des Landtags rechtzeitig vor den anstehenden Kommunalwahlen auf eine Änderung des Gesetzes verständigt haben; denn angesichts des gleichlautenden Wortlauts der Bestimmungen im Kommunalwahlgesetz wäre es nicht auszuschließen gewesen, dass es nach den Wahlen zu Anfechtungen der Wahlergebnisse vor den Gerichten gekommen wäre. Eine wochen- oder gar monatelange Unsicherheit über den Bestand der Wahl wäre für unsere ehrenamtlichen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger in den Kommunen die nicht hinnehmbare Folge gewesen. Meine Damen und Herren, deshalb ist es selbstverständlich, diesem Gesetz zuzustimmen.

Erlauben Sie mir aber dennoch zur Klarstellung und zum formalen Verständnis, auf ein bzw. zwei Aspekte hinzuweisen. So heißt es in der Gesetzesbegründung – wie übrigens sehr häufig in Gesetzesbegründungen –: „C. Alternativen: Keine.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies scheint mir bei Beachtung der Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls kein zwingender Schluss zu sein. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade nicht entschieden, dass ausnahmslos jedem Volljährigen das Wahlrecht zuzubilligen sei. Vielmehr hat es festgestellt, dass es Aufgabe des Gesetzgebers sei, den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl mit kollidierenden Verfassungsbelangen zum Ausgleich zu bringen. Ausdrücklich heißt es in der Entscheidung insoweit – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl unterliegt keinem absoluten Differenzierungsverbot.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Sehr richtig!)

Die Festlegung des Wahlalters in Artikel 38 Abs. 2 GG rechtfertigt nicht den Gegenschluss, dass der Gesetzge

ber in Wahrnehmung seiner Regelungsbefugnis gemäß Artikel 38 Abs. 3 GG nicht weitere Bestimmungen über die Zulassung zur Wahl treffen dürfte. (...) Differenzierungen hinsichtlich der aktiven oder passiven Wahlberechtigung bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets besonderer Gründe, die durch die Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der Wahl sind (...).“

Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht kann – so das Gericht weiter – insbesondere dann „gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht,“ beispielsweise bei Menschen, die seit langer Zeit im Koma liegen oder unter einer fortgeschrittenen Demenz leiden.

Meine Damen und Herren, es könnte daher unter Umständen lohnend sein, der Intention des Bundesverfassungsgerichts zu folgen und zu prüfen, inwieweit die Umfänglichkeit des Wahlrechts bei diesen eng umgrenzten Personengruppen verfassungsrechtlich geboten ist und wo Missbrauch des Wahlrechts zu dessen Einschränkung führen kann.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Sehr gut!)

Zugegebenermaßen ist dies eine sehr formale Betrachtung, die mir aber wichtig ist, weil sie bei einem solch zentralen demokratischen Recht wie dem Wahlrecht nicht unberücksichtigt bleiben sollte.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der FDP, der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der AfD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Abgeordneten Pia Schellhammer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Diese Woche ist eine gute Woche für die Menschen mit Behinderungen; denn der Landtag wird in dieser Woche ein deutliches Zeichen setzen und endlich den Wahlrechtsausschluss für Menschen mit Behinderungen in permanenter Betreuung streichen. Endlich ziehen wir in Rheinland-Pfalz nach und leben damit Demokratie, Teilhabe und Inklusion.

Bei der kommenden Kommunalwahl am 26. Mai werden weitere rund 2.190 Bürgerinnen und Bürger ihr Wahlrecht haben. Menschen mit Behinderungen können ihre Stimme abgeben, unabhängig davon, ob sie in allen Angelegenheiten betreut werden oder nicht. Das volle Wahlrecht für in allen Angelegenheiten Betreute haben wir seit Jahren gefordert. Bereits in der letzten Legislaturperiode stellte der Landtag mit Mehrheit fest, dass der Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Behinderungen in permanenter Betreuung ihnen eines ihrer elementarsten Grundrechte in der Demokratie entzieht, nämlich das Mitbestimmungs

und Mitgestaltungsrecht. Das haben wir damals auch mit Mehrheit beschlossen.

Wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind davon überzeugt, dass der bisherige Wahlrechtsausschluss konträr zur UN-Behindertenrechtskonvention steht. Als rechtlich bindender völkerrechtlicher Vertrag schreibt die UNBehindertenrechtskonvention vor, Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am politischen Leben zu garantieren. Dazu gehört, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt an Wahlen teilnehmen und sie nicht aufgrund von Zufälligkeiten ausgeschlossen werden können.

Pünktlich zum 10. Jubiläum der UN-Behindertenrechtskonvention, die am 26. März 2009 in Kraft getreten ist, kommen wir unserer Verpflichtung nach und schaffen die rechtlichen Voraussetzungen für politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in permanenter Betreuung.

Dass dies vor der Kommunalwahl im Mai geschieht, ist wichtig und richtig; denn zu lange blieb den betroffenen Menschen dieses Recht verwehrt.

Die lang erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2019 hat uns Rechtssicherheit gebracht. Mit aller Deutlichkeit hat das Gericht festgestellt, dass der Wahlrechtsausschluss aufgrund einer Betreuung in allen Angelegenheiten nicht nur eine Verletzung der Allgemeinheit der Wahl darstellt, sondern auch gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung verstößt.

Mit der vorliegenden Änderung – ich freue mich sehr, dass es gemeinsam mit der CDU möglich war, die Änderung einzubringen – werden die Betroffenen mit dem aktiven und dem passiven Wahlrecht ausgestattet. Damit sind wir das sechste Bundesland, das diesen Weg beschreitet.

Dass das Europawahlgesetz auf Bundesebene nicht vor der Europawahl am 26. Mai geändert wird, ist sehr bedauerlich. Ich möchte das an dieser Stelle ausdrücklich kritisieren. Die Große Koalition hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, die Wahlrechtsausschlüsse zu streichen, wenn die Rechtssicherheit vorliegt. Das Versprechen wird leider nicht erfüllt.

Lassen Sie mich an der Stelle die Freude meiner Fraktion ausdrücken, dass wir diesen richtigen Schritt nun gehen können. Mit diesem Schritt werden Menschen mit Behinderungen bei der Kommunalwahl wählen können, unabhängig davon, ob sie sich in Betreuung befinden oder nicht.

Damit sind wir aber noch lange nicht am Ende angelangt. Wir werden diese Diskussion im Hinblick auf unser Landeswahlgesetz führen, weil in diesem ein vergleichbarer Passus enthalten ist.

Darüber hinaus müssen wir uns alle gemeinsam bemühen, Menschen mit Behinderungen auch als Wählerinnen und Wähler zu sehen. Publikationen in Leichter Sprache sind dabei nur ein Baustein. Dass der Landtag heute bei der Orientierungsdebatte im Hinblick auf die Barrierefreiheit mit einer Simultanuntertitelung und dem Bemühen, das Protokoll in leichte Sprache zu übersetzen, wieder einen Schritt weitergegangen ist, ist ein gutes Si

gnal gerade in der Woche, in der wir zehn Jahre UNBehindertenrechtskonvention feiern können.

Ich möchte an dieser Stelle bei der Diskussion zu dem Gesetzentwurf auch die Gelegenheit nutzen, denjenigen Danke zu sagen, die sich wirklich unermüdlich dafür eingesetzt haben, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen in unserer politischen Diskussion eine Stimme haben. Das sind die Menschen, die sich in Verbänden oder außerhalb von Verbänden für die Belange von Menschen mit Behinderungen engagieren.

Persönlich möchte ich an dieser Stelle – alle, die ihn im Zusammenhang mit dem Wahlrechtsausschluss erlebt haben, wissen, wie hartnäckig er ist – unserem Landesbeauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen danken. Matthias Rösch hat sich immer wieder dafür eingesetzt, dass wir endlich diesen Wahlrechtsausschluss abschaffen. Deswegen möchte ich ihm explizit Danke sagen. Ich glaube, es ist auch eine gute Woche für unseren Landesbeauftragten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Für die Landesregierung erteile ich Staatssekretärin Steingaß das Wort.

(Beifall der SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Es fängt schon gut an!)