Protocol of the Session on February 21, 2019

Wir dürfen ganz besondere Gäste begrüßen. Es ist ein sehr buntes, wunderschönes Bild. Es freut uns, dass die Große Koblenzer Karnevalsgesellschaft mit dem Prinzenpaar Hubertus und Confluentia Sabine bei uns ist. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Dass es heute ausnahmsweise einmal zwei Minuten später losging, haben wir der Tatsache zu verdanken, dass dankenswerterweise die Ministerpräsidentin, die Bildungsministerin und meine Wenigkeit, die wir uns hoch geehrt fühlen, den Orden von Ihnen erhalten haben.

(Beifall der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Oh!)

Wir haben zudem einen weiteren besonderen Gast, der auf der Zuschauertribüne sitzt, nämlich die Künstlerin Kirsten Kötter. Sie sehen, sie ist ausgestattet, hervorragende Aquarelle von der heutigen Plenarsitzung zu fertigen. Es wird heute also festgehalten, wie Sie sich benehmen. Das wird sich in Bildern wiederfinden, und wir werden sicherlich Gelegenheit haben, diese Werke eines Tages hier im Landtag zu zeigen. Auch Ihnen ein herzliches Willkommen, Frau Kötter!

(Beifall im Hause)

Damit kommen wir zur Tagesordnung. Wir beginnen mit Punkt 6:

Fragestunde – Drucksache 17/8372 –

Ich rufe die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp, Dr. Tanja Machalet und Sven Teu

ber (SPD), Neue Konzeption zur Vermeidung von Armut – Nummer 1 der Drucksache 17/8372 – betreffend, auf.

Wer trägt vor? – Herr Teuber, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie viele Kinder sind in Rheinland-Pfalz Armutsrisiken ausgesetzt? Welche spezifischen Probleme haben Kinder in Armut?

2. Wie schätzt die Landesregierung unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung von Kinderarmut die Änderungen des Kinderzuschlags und des Bildungsund Teilhabepakets durch die Bundesregierung ein?

3. Was sind aus Sicht der Landesregierung notwendige Voraussetzungen und geeignete sozialpolitische Eckpunkte für einen verbesserten Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Armut?

Für die Landesregierung antwortet Staatsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Kathrin Anklam-Trapp, Dr. Tanja Machalet und Sven Teuber beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: In Deutschland und in Rheinland-Pfalz haben rund 20,5 % der Kinder und Jugendlichen das Risiko, von Armut betroffen zu sein. Dieser Wert ist um fünf Prozentpunkte höher als das durchschnittliche Armutsrisiko der Gesamtbevölkerung.

Je länger Kinder in Armut leben, desto negativer sind meist die Folgen für ihre Entwicklung und ihre Bildungschancen. Verglichen mit Kindern in gesicherten Einkommensverhältnissen sind arme Kinder häufiger sozial isoliert, gesundheitlich beeinträchtigt, und ihre gesamte Bildungsbiografie ist deutlich belasteter.

Mein Beteiligungsprozess „Armut begegnen – gemeinsam handeln“ hat darüber hinaus zum einen die weitverbreitete Furcht armer Familien vor Stigmatisierung und zum anderen die nicht unerheblichen Schwierigkeiten bei der Beantragung sozialer Leistungen deutlich gemacht.

In Deutschland besteht ein ausdifferenziertes System an kind- und familienbezogenen Leistungen, die jedoch nicht allen Leistungsberechtigten bekannt sind. Problematisch ist angesichts der Vielzahl an Maßnahmen und Unterstützungsleistungen für Kinder und Jugendliche die hier vorherrschende Intransparenz, die unter anderem zu Ungleichheiten bei der Inanspruchnahme von Leistungen führt. In verschiedenen Rechtssystemen sind unterschiedliche Existenzminima angesetzt. Aufgrund wechselseiti

ger Anrechnungsmechanismen entstehen zudem häufig Schnittstellenprobleme.

Eine Kindergrundsicherung für alle Kinder würde sowohl das Problem der Stigmatisierung als auch die Hürden bei der Inanspruchnahme sozialer Leistungen für Kinder erheblich reduzieren.

Zu Frage 2: Der Kinderzuschlag ist grundsätzlich ein sinnvolles Instrument, um Familien vor dem Abrutschen auf Hartz-IV- bzw. Sozialhilfeniveau zu bewahren. Er ist aber zu komplex und zu bürokratisch. Kritik macht sich vor allem an folgenden Punkten fest: Den Kinderzuschlag bekommen nur die Eltern, deren Einkommen in einem schmalen Korridor liegt, der für jede Familie neu berechnet werden muss. Derzeit liegt die Mindesteinkommensgrenze bei 900 Euro für Eltern sowie 600 Euro für Alleinerziehende.

Für die Berechnung der Höchsteinkommensgrenze müssen Antragsteller auf bis zu neun mehrseitigen Formularen Angaben zum Beispiel zu Miete, Versicherungen, Unterhalt und vielem mehr machen. Am Ende dieser komplexen Berechnung kann 1 Euro mehr oder weniger bei einer der Angaben über den gesamten Anspruch entscheiden bzw. die Rückforderung von bereits gezahlten Leistungen auslösen.

Die notwendige Weiterentwicklung des Kinderzuschlags ist ein erster wichtiger Schritt, bevor die durchaus anspruchsvolle Aufgabe der Einführung der Kindergrundsicherung in Angriff genommen werden kann. Die Weiterentwicklung des Kinderzuschlags im Rahmen des Starke-FamilienGesetzes ist sinnvoll und grundsätzlich zur Reduzierung von Armutsrisiken geeignet.

Positiv hervorzuheben sind insbesondere: In Zukunft wird der Kinderzuschlag verlässlich für sechs Monate gewährt. Deutliche Leistungsverbesserungen sind, dass der Kinderzuschlag von maximal 170 Euro auf 185 Euro erhöht und neu gestaltet wird. Wenn das Einkommen der Eltern steigt, bleibt ihnen mehr vom Kinderzuschlag. Alleinerziehende erhalten den Kinderzuschlag, auch wenn die Kinder Unterhaltszahlungen oder Vorschuss erhalten. Kinder können einen größeren Teil ihres Einkommens behalten. Der Antragsaufwand wird reduziert, und Familien müssen nicht zwischen Kinderzuschlag und Grundsicherung hin und her wechseln, wenn ihr Einkommen etwas schwankt.

Kritisch einzuschätzen ist allerdings, dass trotz der Reform wohl auch künftig mit dieser Leistung nur ein Teil der Anspruchsberechtigten erreicht wird. Mittelfristig muss daher das Ziel der Einführung der Kindergrundsicherung verwirklicht werden.

Sehr erfreulich sind auch die Änderungen beim Bildungsund Teilhabepaket. Mein Beteiligungsprozess „Armut begegnen – gemeinsam handeln“ hat eine Vielzahl von Rückmeldungen zum Bildungs- und Teilhabepaket erbracht. Vieles davon findet sich in den aktuellen Änderungen, für die sich Rheinland-Pfalz eingesetzt hat:

Das Schulstarterpaket wird von 100 Euro auf 150 Euro erhöht. Die ÖPNV-Fahrkarte für Schülerinnen und Schüler wird kostenlos; die Eigenanteile der Eltern für die Schülerbeförderung fallen weg. Lernförderung gibt es auch,

wenn die Versetzung nicht gefährdet ist. Das Schulmittagessen wird kostenlos; die Eigenanteile der Eltern für das gemeinsame Mittagessen in Kita und Schule fallen weg. Es werden Sammelanträge für Schulen ermöglicht und der Bürokratieaufwand für Eltern, Dienstleister und Verwaltung reduziert.

Die vorgesehenen Änderungen sind daher zu begrüßen. Sie müssen aber in jedem Fall, wie durch den Antrag von Rheinland-Pfalz vorgesehen, noch erweitert werden. Ich habe mich dafür starkgemacht, und die Landesregierung hat sich dementsprechend im Bundesrat mit einem Antrag für die Anhebung und Dynamisierung der Teilhabepauschale eingesetzt; denn bislang nicht angepasst wurde die Pauschale für die soziale und kulturelle Teilhabe im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets.

Die Summe von insgesamt 10 Euro monatlich, beispielsweise für Mitgliederbeiträge für den Sportverein oder die Musikschule, erweist sich in vielen Fällen als zu niedrig. Zusätzlich muss eine regelmäßige Erhöhung der Teilhabeleistung erfolgen, weil auch die Preise und Beiträge der Leistungsanbieter steigen. Rheinland-Pfalz setzt sich daher für eine Erhöhung und eine Dynamisierung dieser Pauschale ein. Durch die Ableitung der Pauschale von der Regelbedarfsstufe soll gleichzeitig die notwendige Anpassung an die Preisentwicklung sichergestellt werden.

Zu Frage 3: Kinderarmut ist immer auch die Armut der Familie. Existenzsichernde Löhne, die Vermeidung des Gender Pay Gaps, familienfreundliche Arbeitsbedingungen und bedarfsgerechte Betreuungs- und Infrastrukturangebote sind im Kontext der Förderung der Erwerbstätigkeit und Beschäftigungsfähigkeit der Eltern wichtige sozialpolitische Eckpunkte, die nicht nur den Eltern helfen, sondern auch den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Armut bewirken.

Mit dem ESF-Förderansatz „Perspektiven eröffnen“, der auf die Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit von Langzeitleistungsbeziehern abzielt, haben wir bereits seit dem Jahr 2015 einen Schwerpunkt gesetzt. Darüber hinaus haben wir mit dem seit Jahresbeginn 2018 flächendeckend in Rheinland-Pfalz umgesetzten ESF-Förderansatz „Bedarfsgemeinschaftscoaching“ ein weiteres niedrigschwelliges Angebot für Langzeitleistungsbezieher und deren Familien, bei denen auch in naher Zukunft nicht mit einer Integration in Arbeit zu rechnen ist, geschaffen.

Meine Damen und Herren, Armut ist allerdings ein komplexes Thema, und es gibt nicht nur die eine Lösung, um Armut wirksam und nachhaltig zu bekämpfen. Was wir brauchen, ist ein Policy-Mix, zu dem in Zukunft auch die Kindergrundsicherung gehören muss. Nach unserer Vorstellung muss die Kindergrundsicherung aus zwei Säulen bestehen: Sie muss sich am finanziellen Bedarf eines Kindes orientieren, sie muss darüber hinaus aber auch die Infrastrukturleistungen in Kita, Schule, Ganztagsbetreuung und Teilhabe an Förderangeboten berücksichtigen.

Die beiden Säulen – individuelle Grundsicherung und infrastrukturelle Förderung – müssen die neue Leistung ausmachen. In Rheinland-Pfalz sind wir hier schon weiter als in anderen Ländern. Zur Prävention von Kinderarmut gehört es bei uns, gleiche Bildungs- und Teilhabechancen für alle

Kinder zu schaffen. Armutsbedingter Bildungsbenachteiligung wird in Rheinland-Pfalz mit verschiedenen Maßnahmen entgegengewirkt. Vor allem sind hier der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab einem Jahr, die Beitragsfreiheit für Kindergartenplätze ab zwei Jahren, die Lernmittelfreiheit und die bedarfsgerechte und regional ausgewogene Versorgung mit Ganztagsschulangeboten zu nennen.

Vielen Dank. Bevor wir zu Zusatzfragen kommen, dürften wir weitere Gäste im Landtag begrüßen: Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Realschule plus Mainz, 9. Klasse. Seien Sie herzlich willkommen bei uns!

(Beifall im Hause)

Wir begrüßen den Square Dance Club „The Tower Mice“ aus Bingen. Seien Sie herzlich willkommen Landtag!

(Beifall im Hause)

Und wir begrüßen Teilnehmer des Tagesseminars für Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums im Alfred-GrosserSchulzentrum Bad Bergzabern, denen wir die Ausstellung über die Bad Bergzaberner Republik zu verdanken haben. Herzlich willkommen bei uns im Landtag!

(Beifall im Hause)

Jetzt eine Zusatzfrage des Abgeordneten Teuber.

Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für Ihre Ausführungen und insbesondere für Ihr klares Statement zur Kindergrundsicherung, das ich gerne teile. Ich frage mich: Was würde sich für arme Kinder und Familien mit der Einführung der Kindergrundsicherung verändern?

Vielen Dank für Ihre Frage, Herr Abgeordneter Teuber. Mit der Kindergrundsicherung – das ist, glaube ich, die elementarste Änderung – würden wir alle Kinder erreichen. Die Kindergrundsicherung richtet sich an alle Kinder und wird auch zu einer Besserstellung von allen Kindern führen. Vor allen Dingen – das ist eine Erfahrung, die damit dann abgeschafft wird – wird die Stigmatisierung beendet, die Bittstellerhaftigkeit, den Antrag zu stellen. Dies entfällt. Das ist sicherlich bei der Kindergrundsicherung noch einmal ein ganz wesentlicher Aspekt.

Unser Beteiligungsprozess hat gezeigt, dass es ganz wichtig ist, diese Barrieren abzubauen. Das heißt, wenn wir Leistungen zur Verfügung stellen, müssen diese Leistungen im besten Sinne barrierefrei erreichbar seien. Es darf nicht ein ständiger Kampf sein mit Behörden, mit Antragsformularen, sondern es muss leicht und zugänglich sein,

damit diese Ansprüche auch realisiert werden können. Dieses würde mit der Kindergrundsicherung erfolgen.

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Köbler.