Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit ist dieser Teil der Aktuellen Debatte beendet.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die gegen Schreiben nach Gehör sprechen – Rheinland-Pfalz muss klare Konsequenzen ziehen
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle kennen die Werbespots des Bundesverbands für Alphabetisierung. Mich hat gerade der aktuelle Spot sehr berührt, in dem eine Mutter nicht vorlesen kann, obwohl sie von ihrem kleinen Sohn immer wieder darum gebeten wird. Die Botschaft „Schreib dich nicht ab – Lern lesen und schreiben!“ ist mittlerweile wohl jedem sehr bekannt und richtet sich – man höre und staune – an 7,5 Millionen funktionale Analphabeten, knapp 10 % der deutschen Bevölkerung.
Daher ist es notwendig, ein funktionierendes Bildungssystem zu haben, das von klein auf Bildung vermittelt und nicht zuletzt Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen vermittelt. Es soll dabei auch keiner durchs Raster fallen; denn es herrscht Schulpflicht, und Bildung ist eine der hoheitlichen Aufgaben des Staates. Dabei kommt insbesondere den Grundschulen diese höchst verantwortungsvolle Aufgabe zu, die Grundlagen für eine erfolgreiche Bildungskarriere zu legen.
Meine Damen und Herren, genau deshalb ist es notwendig, dass sie dazu personell, sachlich und natürlich auch methodisch entsprechend ausgestattet sind.
Nun schauen wir uns die aktuellen Ergebnisse der Bildungsstudien an. Im Rahmen der jüngsten VERAVergleichsarbeiten war es ein Drittel der rheinlandpfälzischen Drittklässler, das nicht den Mindeststandard der deutschen Rechtschreibung beherrscht, und nahezu ein Viertel, das nicht über die niedrigste Kompetenzstufe im Bereich Lesen hinauskommt.
Am Ende der vierten Klasse erreicht nach Auskunft der IQB-Studie fast ein Viertel der rheinland-pfälzischen Grundschüler nicht den Mindeststandard bei der Orthografie. Fast 14 % erreichen nicht den Mindeststandard beim Lesen.
denn wer nicht lesen und schreiben kann, dem bleiben viele Bereiche in der Bildung und damit natürlich reale Zukunftschancen verschlossen. Deshalb thematisieren wir seit Jahren diese Geschichten im Landtag.
Wir thematisieren diese drohenden Bildungsdefizite auch in der Rechtschreibfähigkeit der Kinder. Ich habe mir dazu noch einmal einen Antrag aus dem Jahr 2012 herausgesucht. Damals hatten wir ein differenziertes Bild der notwendigen Maßnahmen aufgezeichnet, angefangen von der gezielten unverbindlichen Sprachförderung über die
Doch die SPD-Bildungspolitik mit massiver Unterstützung der Grünen hat damals abgewiegelt. Damals hieß es: Schreibwerkstätten seien prima, „Schreiben nach Gehör“ – oder „Lesen durch Schreiben“, wie es Herr Reichen nennt – wäre eine sehr gute Unterrichtsmethode, die die Schreibfähigkeit und die Motivation der Kinder in neue Höhen fördern würde.
Wer Bedenken äußere, wolle zurück zu einer – ich zitiere, Herr Präsident; jedem, der dabei war, hat es sich eingeprägt – „Pädagogik des Rohrstocks“, wie die damalige Sprecherin der Grünen es nannte.
So hoch differenziert mit diesen Methoden umzugehen, für die heute wissenschaftlich belegt ist, dass sie keine Fortschritte bringt, war damals schon falsch. Heute ist belegt, dass es eben so nicht gehen kann, meine Damen und Herren.
Deshalb ist Ihre bildungspolitische Bruchlandung umso härter. Immer mehr Bundesländer akzeptieren eben diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und verbannen kritische Unterrichtsmethoden aus ihren Grundschulen, aber nicht so in Rheinland-Pfalz. Hier wird immer noch vielfach über Jahre einer vermeintlichen Schreibmotivation der Vortritt vor einer korrekten Rechtschreibung gewährt, mit ausdrücklicher Rückendeckung des Bildungsministerium. Das Fernsehen hat dieser Tage darüber berichtet.
Wir haben jetzt aber schwarz auf weiß, was Bildungsforscher und Kinderpsychologen bereits seit Jahren angemahnt haben: Die Rechtschreibung ist kein natürlicher Prozess, den man sich alleine über Schreibmotivation aneignen kann. Rechtschreibung muss schrittweise geübt werden. Dieser Lernprozess wird blockiert und konterkariert, wenn sich Kinder über Monate und Jahre bereits die falsche Rechtschreibung angewöhnt haben.
Die neue Studie aus Bonn, die auf der Grundlage von 3.000 Schülerleistungen erstellt wurde, hat ein eindeutiges Ergebnis. Alternative offene Methoden des Schreibenlernens wie „Schreiben nach Gehör“ führen dazu, dass die Grundschüler um die Hälfte mehr bis zu doppelt so viele Rechtschreibfehler machen wie die Kinder, die über einen klassischen Fibel-Unterricht das Schreiben lernen.
Man höre und staune, darunter leiden vor allem Kinder aus bildungsfernen Familien und Kinder mit Migrationshintergrund. So bestätigt die Studie unsere langjährigen Warnungen. Wir fragen: Ist das Ihre Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit und gleichen Bildungschancen? Meine Damen und Herren, sicherlich nicht.
Frau Ministerin, mit einem moderaten Umsteuern ist es hier nicht getan. Wir fordern Sie daher heute nochmals
auf, machen Sie Schluss mit Schreiben nach Gehör und anderen experimentellen Wegen des Schreibenlernens in unseren Grundschulen. Setzen Sie auf eine konsequente Sprachförderung,
auf eine Unterrichtsversorgung von mehr als 100 %. Realisieren Sie echte Doppelbesetzungen in den Grundschulklassen, statt nur auf dem Papier.
Ich komme zum Schluss. Unsere Kinder haben ein Anrecht auf bestmögliche Förderung, damit alle ordentlich lesen und schreiben können und wir hoffentlich die Alphabetisierungskurse, die 10 % der Bevölkerung ansprechen sollen, nicht mehr brauchen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Alter Wein in neuen Schläuchen! – Genau das fällt mir ein, wenn es heute zum x-ten Mal in der Debatte über das Thema „Schreiben nach Gehör“ geht.
Herr Brandl, ausgelöst durch einen Bericht über eine Studie, die noch keiner gelesen hat, weil sie erst in ein paar Wochen veröffentlicht wird, führen wir heute wieder eine Geisterdebatte.
Ich nenne es deshalb Geisterdebatte, weil suggeriert wird, dass alle Kinder im ganzen Land nach Ihren Aussagen nach der Methode „Lesen durch Schreiben“, wie sie richtig heißt – das haben Sie auch erwähnt – das Schreiben lernen
und das Lernen der Rechtschreibung dabei außen vor bliebe und allein diese eine Methode schuld sei an angeblich schlechten Rechtschreibleistungen von Schülerinnen und Schülern.
Sie haben auch weitere Dinge aufgezählt, dazu komme ich gleich. Es ist auch vollkommen richtig, dass wir alles zur Alphabetisierung und Grundbildung der Bevölkerung unternehmen müssen.
Aber das allein auf diese eine Methode zu schieben, ist nicht richtig und nicht in Ordnung. Das diskreditiert die Arbeit unser engagierten Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer.