Protocol of the Session on January 25, 2018

Die Inobhutnahme von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten erfolgt in Rheinland-Pfalz so wie in allen anderen Bundesländern in kommunaler Selbstverwaltung in den Schwerpunktjugendämtern.

In der ersten Stufe erfolgt eine Prüfung der Ausweisdokumente.

In der zweiten Stufe erfolgt eine Begutachtung im Rahmen der Inaugenscheinnahme durch qualifiziertes Personal der Jugendämter.

In der dritten Stufe, wenn das Jugendamt vor Ort weitere Zweifel hat, wird eine medizinische Altersfeststellung durchgeführt.

Das ist die gesetzliche Grundlage für alle Bundesländer seit 2015. Diese Grundlage wird selbstverständlich in Rheinland-Pfalz umgesetzt. Daran besteht kein Zweifel. Da ist es irreführend, wenn seitens der Opposition das Gegenteil behauptet wird. Die Koalition steht hinter der Umsetzung dieser gesetzlichen Regelung. Selbstverständlich verweigern wir uns aber nicht, dass wir uns genau anschauen, wie die kommunale Praxis hier in RheinlandPfalz ist. Deswegen begrüße ich es, dass das Integrationsministerium Zahlen erfragt hat, wie tatsächlich die kommunale Praxis bei der behördlichen Alterseinschätzung in den kommunalen Jugendämtern durchgeführt wird. Die Zahlen liegen inzwischen vor.

Darüber hinaus hat das Integrationsministerium angekündigt, mit den Jugendämtern im Rahmen eines Fachgesprächs über die Altersfeststellung zu sprechen, ob es mehr Handlungssicherheit geben soll. Wir brauchen also hier eine sachliche Diskussion über die Altersfeststellung auf Grundlage von Fakten mit den Jugendämtern und keine Stimmungsmache. Für die Koalitionsfraktionen möchte ich deswegen ganz klar sagen, Ihnen von der AfD-Fraktion geht es nicht um eine sachlich begründete, fundierte Altersfeststellung.

(Abg. Uwe Junge, AfD: Erklären Sie uns nicht, um was es uns geht! Das hat er gerade ausgeführt!)

Ihnen geht es nur darum, alle minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge unter einen Generalverdacht zu stellen. Das ist durchsichtig, und das machen wir nicht mit.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Kessel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das Thema Altersbestimmung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern ist in diesem Hause mehrfach diskutiert worden. Es zeigt sich zweierlei:

1. Die Debatte bedarf einer Versachlichung.

2. Wir dürfen unbequeme Wahrheiten nicht verdrängen.

(Beifall der CDU und vereinzelt bei der AfD)

Eine dieser unbequemen Wahrheiten lautet, Asylsuchende machen bewusst falsche Angaben hinsichtlich ihres Alters; denn nach Erfassung als Minderjähriger kann man nur

schwer abgeschoben werden, und die Unterbringung und Betreuung ist erheblich besser als die bei den Erwachsenen.

Die zweite Wahrheit, ist, die Landesregierung schöpft nicht konsequent alle Möglichkeiten bei der Altersermittlung aus und lässt so den Missbrauch zu. Dabei gibt es eindeutige rechtliche Vorgaben. Laut § 42 f SGB VIII können Jugendämter in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung von Amts wegen veranlassen.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Müssen!)

Auch wenn in Rheinland-Pfalz diese Ermittlungsmethode praktisch überhaupt nicht angewendet wird, gibt es doch gute Gründe, diese im Zweifelsfall anzuwenden.

(Vereinzelt Beifall bei CDU und AfD)

Durch die konsequente Anwendung der medizinischen Alterstests in den zentralen Clearingstellen des Saarlandes wurden in einem Jahreszeitraum 35 % der untersuchten angeblich minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge als Erwachsene identifiziert. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, alle in § 42 f SGB VIII festgestellten Bestimmungen zur Altersermittlung auszuschöpfen, um das wahre Alter zu ermitteln, im Zweifel auch durch eine ärztliche Untersuchung.

Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Diesen Satz hört man in diesem Hause des Öfteren – zu Recht. Warum aber befolgt die Landesregierung dieses Prinzip nicht auch bei der Altersbestimmung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern? In gerade einmal mehr als einer Stunde werden in einer sogenannten qualifizierten Inaugenscheinnahme Asylsuchende als Minderjährige durchgewunken, während sich das Saarland für eine so weitreichende Entscheidung eine Woche lang Zeit nimmt. Durch Ihre grundsätzliche Ablehnung der medizinischen Altersfeststellung gibt die Landesregierung leichtfertig sichere Möglichkeiten aus der Hand, das tatsächliche Alter unbegleiteter Asylsuchender festzustellen.

(Beifall bei CDU und AfD)

Dabei ist ein genaues Hinschauen aus mehreren Gründen geboten. Muss nicht gerade zur Sicherheit des Kindeswohls ausgeschlossen werden, dass sich erwachsene Personen gemeinsam mit schutzbefohlenen Minderjährigen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aufhalten, und ist nicht die ignorante Haltung des Integrationsministeriums in zweierlei Hinsicht gefährlich?

(Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist Ihre Haltung!)

Zum einen untergräbt sie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat.

(Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist Ihre Haltung, Herr Kessel! – Abg. Christian Baldauf, CDU: Deswegen redet ja auch er!)

Zum anderen ist sie Wasser auf die Mühlen derer, die

versuchen, aus der Flüchtlingsproblematik politisches Kapital zu schlagen. Die Menschen im Land quittieren mit Kopfschütteln, wie es sein kann, dass es das Land zulässt, dass Asylsuchende Staat und Gesellschaft mit falschen Angaben hinters Licht führen und das Land dadurch die ungerechtfertigte Ausgabe von Steuergeldern billigend in Kauf nimmt.

(Beifall bei der CDU)

Zudem verwundert, dass anscheinend mit zweierlei Maß gemessen wird. Jeder Hartz-IV-Empfänger wird auf Herz und Nieren geprüft, ob die Angaben zu seiner finanziellen Situation richtig sind, und man muss im Falle falscher Angaben mit Sanktionen rechnen.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Genauso ist es!)

Bei den unbegleiteten minderjährigen Ausländern aber drückt das grün-geführte Integrationsministerium beide Augen zu.

(Abg. Joachim Paul, AfD: Genauso ist es!)

Diese Ungleichbehandlung nährt den Unmut in der Bevölkerung. CDU/CSU und SPD haben in ihren Sondierungsgesprächen eine Neuregelung für die Altersfeststellung von jugendlichen Ausländern vereinbart, die ohne Papiere nach Deutschland einreisen. Danach soll künftig das Alter der Einreisenden nur noch in sogenannten Ankerzentren und nicht länger in den einzelnen Jugendämtern bestimmt werden. Damit wird die unterschiedliche Handhabung der Altersfeststellung vieler Jugendämter beendet.

Wir befürworten nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein abgestuftes Verfahren, an dessen Ende jedoch, wenn nach der Inaugenscheinnahme immer noch Zweifel am Alter des zu Überprüfenden bestehen, die medizinische Untersuchung zur Anwendung kommen muss. Eine generelle medizinische Untersuchung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern, wie es von der AfD gefordert wird, lehnen wir ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Für die Landesregierung spricht Staatsministerin Spiegel.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede drei Punkte unmissverständlich klarstellen, und zwar:

1. Es ist das Interesse der gesamten Landesregierung – und ich kann das sicherlich auch für die Kommunen sagen –, dass nur Minderjährige durch das Jugendamt in Obhut genommen werden.

2. Bezüglich der Altersfeststellung gibt es eine ganz eindeutige bundesgesetzliche Regelung nach SGB VIII, und

diese bundesgesetzliche Regelung setzen wir hier in Rheinland-Pfalz um. Diese bundesgesetzliche Regelung macht ganz dezidierte Vorgaben. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Diese und nichts anderes legen wir hier in Rheinland-Pfalz zugrunde.

3. Lassen Sie mich auch das klarstellen, es gibt keine 100 %ig verlässliche Methode zur punktgenauen Altersfeststellung.

(Abg. Uwe Junge, AfD: Das ist doch gar nicht gefordert!)

Ich wollte das nur klarstellen, weil es schwingt in so manchen Debatten mit, meine Damen und Herren. Ich glaube, Klarstellung ist nie etwas Falsches.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So ist es!)

Meine Damen und Herren, unsere Gesetze sehen vor, dass es dieses bundesweit klar geregelte Verfahren zur Altersfeststellung gibt. § 42 f im SGB VIII legt eine dreistufige Regelung fest, deren erste Stufe die Altersfeststellung durch die Einsichtnahme in Dokumente ist. In der zweiten Stufe, wenn keine oder keine geeigneten oder keine ausreichenden Papiere vorliegen, führt das Jugendamt eine sogenannte qualifizierte Inaugenscheinnahme durch.

Meine Damen und Herren, das ist ein strukturiertes Verfahren und kein bloßes In-die-Augen-schauen. Es handelt sich um ausführliche Gespräche durch Expertinnen und Experten, die mehrere Stunden dauern können. Dabei fragen die Fachleute die Jugendlichen unter anderem nach der Schulbiografie und überprüfen die Plausibilität der Angaben.

In der dritten Stufe, wenn das Jugendamt dann Zweifel hat, hat es eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. Der Gesetzgeber ist hier eindeutig. Es heißt nicht „kann veranlasst werden“, sondern eine ärztliche Untersuchung muss veranlasst werden. Genau nach diesem vom Gesetzgeber vorgesehenen System gehen wir in Rheinland-Pfalz vor, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)