Protocol of the Session on May 28, 2015

Vergleiche ich – das muss ich jetzt selbst tun, weil es der Bericht nicht leistet, aber ich halte es für wichtig, uns mit den anderen Bundesländern zu vergleichen, nicht mit Afrika, Asien und wem auch immer – Rheinland-Pfalz mit den westdeutschen Bundesländern ohne Berlin, liegt der Abstand 2012 statt bei den genannten 2.850 Euro – Abstand zum deutschen Durchschnitt – bei insgesamt 4.813 Euro pro Kopf unserer Einwohner. Das ist ein sehr großer Unterschied von fast 2.000 Euro pro Kopf, meine Damen und Herren.

(Dr. Adolf Weiland, CDU: Hört, hört!)

Da Arbeitslosigkeit ein sehr hohes Armutsrisiko darstellt, ist eine starke Wirtschaft mit einem differenzierten und florierenden Arbeitsmarkt die wichtigste Voraussetzung zur Vermeidung von Armut.

Die vergleichsweise schlechte Wirtschaftskraft unseres Landes führt auch zu schlechteren Löhnen in unserem Land. Der Bericht sagt hierzu – ich zitiere –: „Seit Mitte der 90er-Jahre wachsen die Bruttolöhne und Gehälter im Bund mit wachsendem Abstand stärker als im Land.“

Hier verdiente man 2012 im Schnitt 22,62 Euro brutto je Stunde, im Bundesschnitt 23,17 Euro. Auf den ersten Blick ist das ein kleiner Abstand. Bei näherer Betrachtung – hier wieder nur der westdeutschen Flächenländer, was der Bericht leider wieder nicht bietet – liegt Rheinland-Pfalz an sechster und damit drittletzter Stelle. Nur in Niedersachsen und Schleswig-Holstein verdiente man in Westdeutschland noch weniger. Der westdeutsche Schnitt lag bei 23,71 Euro die Stunde, also einen guten Euro in der Stunde oder gut 160 Euro im Monat höher als in Rheinland-Pfalz.

Passend hierzu stellt der Bericht fest – ich zitiere –: „Mit 2.879 Euro liegt das monatliche Bruttoarbeitsentgelt je sozialversicherungspflichtigem Vollzeitbeschäftigten 2012 im Land deutlich unter dem westdeutschen Median (3.022 Euro).“

Niedrige Einkommen erhöhen natürlich das Armutsrisiko,

sehr geehrte Damen und Herren.

Kommen wir zur Zahl der Erwerbstätigen im Land, deren Zahl – das wurde eben auch richtig dargestellt – stärker gestiegen ist – um 15 % – als in Westdeutschland und nochmals stärker als im gesamtdeutschen Durchschnitt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist positiv und gut so. Das will ich hier ausdrücklich benennen. Allerdings ist es auch wieder nur ein Teil der Wahrheit. Immer, wenn die Landesregierung nur Steigerungsraten lobt, ist man gut beraten, sich die zugrunde liegenden absoluten Zahlen genau anzusehen.

Rechne ich – der Bericht tut es leider nicht – die Zahl der Erwerbstätigen auf die Einwohner in den Bundesländern um und vergleiche, ist die Situation von Rheinland-Pfalz überhaupt nicht mehr rosig. In den alten Ländern ohne Berlin sind von 1.000 Einwohnern 532 erwerbstätig, in Rheinland-Pfalz gerade einmal 487.

Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sieht es noch schlechter aus: Rheinland-Pfalz 321 pro 1.000 Einwohner, alte Bundesländer – also westdeutsche ohne Berlin – 368 – sehr deutlich mehr –, und sogar die Betrachtung nur der neuen Länder bringt mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte pro 1.000 Einwohner, nämlich 342.

Sehr geehrte Damen und Herren der Landesregierung, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, wer wie Sie – sie ist leider im Moment nicht anwesend – durch Weglassen und unzureichende Vergleiche die tatsächliche Situation unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger im Land derart vernebelt, verliert die tatsächliche Realität in unserem Land aus den Augen. Und das ist schlecht für Ihre Politik und für die Menschen im Land.

(Beifall der CDU)

Wichtige Erkenntnisse bietet Kapitel 6 zur Armut in soziodemografischer Differenzierung – so lautet die Überschrift.

Arbeitslosigkeit erhöht das Armutsrisiko für Betroffene und für Familienangehörige. Die Armutsrisikoquote Erwerbstätiger liegt im Land höher als in Westdeutschland und in Deutschland. Bildungsarmut erhöht ebenfalls das Risiko von Einkommensarmut. In Rheinland-Pfalz liegt 2012 die Armutsrisikoquote der über 25-Jährigen – darauf ist die Kollegin eben eingegangen – mit niedrigem Bildungsstand mit 30,4 % – das ist eine erhebliche Zahl, das ist fast jeder Dritte – fast sechsmal so hoch wie bei Personen mit hohem Bildungsstand.

Die Armutsrisikoquote ist für Geringqualifizierte von 2005 bis 2012 – hier wird ein Zeitraum von sieben Jahren sozialdemokratisch geführter Sozialpolitik aufgezeigt – hier in Rheinland-Pfalz deutlich gestiegen. Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, diese Feststellung im Bericht bezieht sich auf Ihre Amtszeit als Sozialministerin. Sie muss bei Ihnen und Ihrer aktuellen Nachfolgerin, aber durchaus auch bei der Bildungsministerin die Alarmglocken schrillen lassen. Wie viele zahllose Projekte zur Förderung, Unterstützung, Qualifizierung, Stabilisierung und was auch immer wurden in diesen Jahren mit Millionen Euro aus

Landes-, Bundes- und EU-Mitteln durchgeführt und finanziert, und was haben sie gebracht? Das Armutsrisiko ist deutlich gestiegen, eine schlechte Bilanz.

(Beifall der CDU)

Kommen wir zur Differenzierung nach Haushaltstypen und Familienstand. Die hier zu findenden Feststellungen, sehr geehrte Damen und Herren der Landesregierung, sind ein vernichtendes Urteil über die Politik der Ministerpräsidentin als frühere Sozialministerin, aber auch über die Politik der gesamten Landesregierung in den vergangenen Jahren.

Auch hier zitiere ich aus dem Bericht: „In der Differenzierung nach dem Haushaltstyp bzw. Familienstand weisen Alleinerziehenden-Haushalte 2012 mit Abstand die höchste Armutsrisikoquote auf (Rheinland-Pfalz: 47,5 %;“ – hier habe ich mir jetzt den Blick rein auf Westdeutschland er- spart – „Bund: 41,9 %).“ Wir liegen schlecht.

„Die zweithöchste Quote verzeichnen Einpersonenhaushalte (Land: 26,6 %; Bund: 25,8 %), gefolgt von Haushalten mit zwei Erwachsenen und drei oder mehr Kindern (Land: 23,5 %; Bund: 24,1 %). Im Vergleich der Jahre 2005 und 2012“ – alles noch Zitat aus dem Bericht – „liegt die Armutsrisikoquote im Land 2012 bei Alleinerziehenden deutlich höher als 2005, ebenso bei Alleinlebenden.“

Wenn das kein schlechtes Urteil über die Wirkungslosigkeit Ihrer bisherigen Politik ist, dann weiß ich nicht, was Sie sich noch ins Stammbuch schreiben lassen wollen.

(Beifall der CDU)

Nach diesen ernüchternden Feststellungen halten wir es für zwingend erforderlich, uns im Sozialausschuss und am besten auch im Bildungs-, im Wissenschafts- und im Wirtschaftsausschuss weiter intensiv mit diesem Bericht zu befassen. Hier haben wir auch die Gelegenheit, die profunden Stellungnahmen der Liga, der Landesarmutskonferenz und des DGB angemessen zu beraten.

Auf die besondere Betroffenheit älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger wird mein Kollege Michael Wäschenbach noch eingehen.

Welche Konsequenzen will nun die Landesregierung aus diesen ernüchternden Feststellungen ziehen? – Leider nur Altbekanntes. Wie dem Vorwort der Ministerin und den langen Aufzählungen zu entnehmen ist, bleibt eigentlich alles beim Alten. Und zur Vernebelung der Realität in unserem Land – gerade, was Wirtschaftskraft und Arbeitsmarkt angeht – passt, dass kein einziger wirtschaftspolitischer oder wissenschaftspolitischer Ansatz dabei ist.

Dabei belegen die Fakten dieses umfangreichen Berichts, dass Ihre bisherige Politik keine befriedigenden Ergebnisse gebracht hat, weder für Alleinerziehende noch für Familien mit mehreren Kindern oder für Seniorinnen und Senioren. Im Gegenteil:

Die Lage vieler Menschen in Rheinland-Pfalz hat sich verschlechtert. Sie sind abgekoppelt von der bundesweiten Entwicklung und oft mehr noch von der Entwicklung in den prosperierenden Bundesländern.

Dies alles ist für uns Anlass genug, in unserem Entschließungsantrag das Versagen dieser bisherigen Politik zu benennen und zielgenauere politische Maßnahmen zu beschreiben. Nur wenn wir möglichst jedem Menschen tragfähige Zukunftsperspektiven in unserem Land bieten, wird es gelingen, Armut und Armutsrisiken zu mindern. Die Menschen in unserem Land haben eine solche Politik verdient. Aber wir haben Zweifel, dass diese rot-grüne Landesregierung tatsächlich die Kraft hierzu hat.

Vielen Dank.

(Anhaltend Beifall der CDU – Julia Klöckner, CDU: Sehr gut!)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Kollege Dr. Konrad.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Thelen! Man muss sich schon entscheiden, ob dieser Bericht vernebelt, wie Sie es an zwei Stellen gesagt haben. Sie sagten: Der Bericht vernebelt die tatsächliche Situation der Menschen, die in RheinlandPfalz leben.

Der nächste Satz, den Sie gesagt haben, stimmt: Kapitel 6 erhält viele Zusammenhänge. – Also, an irgendeiner Stelle muss ich mich schon entscheiden: Wie gehe ich mit diesem Bericht um? Sowohl Sie als auch Frau Machalet haben sehr viele richtige Dinge aus diesem Bericht zitiert. Dann kann er nicht ganz so vernebelnd sein, dass Sie da nicht Ihre Aussagen hätten extrahieren können. So weit.

(Zuruf der Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU)

Ich habe auch Ihren Antrag gelesen und muss sagen: Es ist seit dem Gründungsbeschluss der rheinlandpfälzischen CDU, den ich einmal herausgesucht habe, als die Zweibrücker CDU 60 Jahre alt wurde, doch eines der schönsten Papiere, die ich von Ihnen gelesen habe. Damals haben Sie noch die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien gefordert, heute immerhin sehr viel Richtiges festgestellt, vor allem im ersten Teil. Im ersten Teil Ihres Antrags stellen Sie z. B. fest, – – –

(Staatsminister Roger Lewentz: Das waren noch Zeiten!)

Das waren noch Zeiten. – Ich bin jetzt so alt; ich lese gern nur historische Dinge.

(Zuruf Abg. Julia Klöckner, CDU)

Dort sagen Sie Dinge wie: Die soziale Herkunft soll nicht über die Zukunft entscheiden, Armut beginnt als Bildungsarmut, Arbeit ist die Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe, Arbeitsplatzverlust und längeres Verbleiben in Arbeitslosigkeit dürfen keine zusätzlichen Risiken bedingen. –

Dasselbe gilt für die Übernahme von Verantwortung in der

Familie.

Auch wir sind der Meinung – das ist nun wirklich keine neue Feststellung, leider hat sich dies bundesweit wie auch in Rheinland-Pfalz nicht geändert –, Armut bedeutet Ausschluss von gesellschaftlichen Aktivitäten. Ausschluss von Bildung bedeutet einen schlechteren Gesundheitszustand und bedeutet früheren Tod. Bildung und Gesundheit sind deshalb zentrale Gerechtigkeitsfragen und die Voraussetzung dafür, dass Armut abgebaut wird, und sind auch zentrale Elemente von Armut. Dies gilt ganz besonders im Alter, und es gilt ganz besonders bei Kindern und Jugendlichen.

Bei gleicher Leistungsfähigkeit beispielsweise erhalten Kinder von ihren Lehrern, wenn sie aus einer Familie mit niedrigem Bildungsstand stammen, schlechtere Noten. Das lässt sich feststellen. Woran liegt das? Was assoziieren wir mit einem schlechten Bildungsstand der Eltern, mit einer schlechteren sozialen Situation und heute auch – das muss ich Ihnen nicht erzählen – beispielsweise mit dem Namen von Kindern, der Kindern gegeben wird, weil auch dieser in unterschiedlichen sozialen Schichten bestimmte Tendenzen zeigt, die dann wiederum zu einem Chancenverlust der Kinder führen?

Männer mit weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens – das sind OECD-Daten – sterben zu 30 % bereits vor dem 65. Lebensjahr. Bei Männern, die mehr als 150 % des Durchschnittseinkommens verdienen, sind es nur 13 %. Bei Frauen, die über 150 % des Durchschnittseinkommens verdienen, sind es nur 7 %. Arme Menschen sterben in unserem Land.

Bei Männern unter 60 % des Durchschnittseinkommens beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung, wenn sie das 65. Lebensjahr, also das Rentenalter, erreicht haben, 12,3 Jahre. So lange wäre dann auch der Rentenbezug. Bei Männern, die mehr als 150 % des Durchschnittseinkommens verdienen, sind es 19,7 Jahre. Gemessen an der Zeit, die die Rente dann bezogen wird, erhält also der, der mehr verdient, das über Anderthalbfache an Rente bezogen auf die Beiträge, die er vorher bezahlt hat. Das ist keine Gerechtigkeit. Für Frauen ist es sogar so, dass die noch 22 Jahre Lebens- und Rentenerwartung haben, wenn sie mehr als 150 % des Durchschnittseinkommens verdienen.

(Julia Klöckner, CDU: Das ist gerecht verdient!)

Das führt dazu, dass unser Rentensystem dafür sorgt, dass die Menschen, die Beiträge für niedrige Einkommen bezahlen, vor allem die Beiträge für die bezahlen, die hohe Einkommen hatten und mehr Rente bekommen, weil die viel länger Renten beziehen.

Also gehört zur Armutsvermeidung auch die Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Deshalb haben wir – das begrüßen wir ausdrücklich – nicht mehr nur Armutsberichte, und zwar auf allen Ebenen, sondern Armuts- und Reichtumsberichte. Auch wenn Ihr früherer Koalitionspartner im Bund es sehr schlecht aushalten konnte, dass dazu auch der Reichtumsbericht gehört hat, ist es doch so, dass wir hier offen darüber sprechen. Immer noch ist es jedoch so, dass

die entsprechenden Daten nicht in ausreichender Form erhoben werden und auch nicht vorliegen.