Es wurde eine Grundredezeit von zehn Minuten vereinbart. Für die Landesregierung erteile ich Frau Staatsministerin Bätzing-Lichtenthäler das Wort.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zum fünften Mal den Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung. In der Öffentlichkeit gibt es zeitweise immer wieder Debatten darüber, ob Menschen in Deutschland im Vergleich zu Menschen in Afrika oder Asien wirklich arm sind oder ob wir, wie es so schön heißt, auf hohem Niveau jammern.
Sicher leben Kinder in unserem Partnerland Ruanda unter anderen Bedingungen als Kinder in unseren rheinlandpfälzischen Städten und Dörfern. Die Gesundheitsversorgung bei uns ist unstreitig besser. Gerade Kinder aus armen Familien leiden bei uns eher unter einer Fehlernährung, als dass sie unter Hunger leiden. Von daher stimmt es: Im Vergleich zu den Ärmsten der Armen ist die Existenz der Menschen, die bei uns in Armut leben, nicht gefährdet. – Aber ich frage Sie: Kann das wirklich der Maßstab sein, an dem wir die Wirkung von Armut messen? – Nein.
Ein Kind, das bei uns in Armut aufwächst, vergleicht sich nicht mit einem ihm unbekannten Kind in Ruanda, in Biafra oder in Costa Rica, sondern es vergleicht sich mit dem Kind, das mit ihm im Kindergarten spielt oder neben ihm in der Schule sitzt. Zwei Punkte werden an diesem Beispiel offenkundig:
dung in unserer Gesellschaft entstehen durch den Vergleich. Die Schere zwischen Reichtum und Armut wird in unserer Gesellschaft zunehmend größer.
2. Kinder aus armen und armutsgefährdeten Familien haben deutlich schlechtere Teilhabechancen als Kinder aus Familien, deren Einkommen gesichert ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland gehört zu den Ländern, in denen sich die Schere zwischen Arm und Reich in den letzten 20 Jahren stärker geöffnet hat als in anderen Ländern, beispielsweise in den skandinavischen Ländern. Nur am Rande sei daher erwähnt, dass es aufgrund der mangelnden Datenlage nicht wirklich einfach ist, den Reichtum in Deutschland gut zu beschreiben; denn unsere Statistiken erfassen den wirklichen Reichtum – und damit meine ich die wirklich großen Einkommen deutlich über einer Grenze von 1 Million Euro und die wirklich großen Vermögen – nicht. Deswegen appelliere ich an Sie alle und bitte Sie eindringlich: Lassen Sie uns in der Diskussion dieses 5. Armuts- und Reichtumsberichts gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir dieser Unwissenheit der Statistiken begegnen können; denn wir brauchen doch ein klares gemeinsames Verständnis davon, was wir unter Reichtum verstehen. Dabei habe ich eben nicht die Menschen im Blick, die 5.000 oder 10.000 Euro im Monat verdienen, sondern eher diejenigen, deren Vermögen täglich um diese Summen oder mehr wächst; doch hierzu bleiben die Statistiken vage.
Aber zurück zu unseren Kindern aus armen oder aus armutsgefährdeten Familien. Das von mir skizzierte Beispiel macht deutlich: Wenn sich die Kinder mit anderen Kindern vergleichen, dann haben sie schlechtere Teilhabechancen. Die Kinder werden das nicht so nennen, sondern sie werden feststellen, dass sie schnell eine Außenseiterposition einnehmen, weil sie eben nicht die richtigen Klamotten tragen oder weil sie in der Schule eben nicht noch Aktivitäten im Sport, in Musik oder im Jugendverein wahrnehmen. Sie bleiben außen vor.
Deshalb ist es in ihrer Logik verständlich, wenn sie versuchen, mit den wenigen Mitteln, die sie haben, den Abstand zwischen sich und den anderen beispielsweise durch das neueste Smartphone zu verkleinern. Ich finde, wir müssen diese Logiken der Menschen verstehen, wenn wir ihnen helfen wollen, dieser Armutsfalle zu entkommen.
1. Es gibt Menschen in Rheinland-Pfalz und in Deutschland, die im Vergleich zu den gesellschaftlichen Möglichkeiten in Armut leben oder von Armut bedroht sind.
2. Diese Menschen haben weniger Teilhabechancen als andere. Deshalb gestalten sie ihr Leben nach ihren Logiken, die für die, die sozial abgesichert leben, auf den ersten Blick nicht immer nachvollziehbar sind.
Ich frage von daher: Wie kann es uns also gemeinsam gelingen, die Armut zu begrenzen und zurückzuführen? – Der
5. Armuts- und Reichtumsbericht, den wir heute diskutieren, liefert interessante Hinweise. Er zeigt, dass RheinlandPfalz bei wichtigen Armutsindikatoren wie der Mindestsicherungsquote, der SGB-II-Quote und auch der Arbeitslosenquote zu den Ländern gehört, die bundesweit vergleichsweise gut positioniert sind. So belegt RheinlandPfalz seit Jahren den drittbesten Platz im Vergleich der Arbeitslosenquote der Länder mit 5,7 %.
Ebenso verhält es sich bei der SGB-II-Quote, die 6,9 % beträgt und damit bundesweit die drittniedrigste Quote ist. Auch bei der Mindestsicherungsquote steht RheinlandPfalz vergleichsweise günstig mit 6,9 % da und weist damit unter den Ländern nach Bayern und Baden-Württemberg die drittniedrigste Quote auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Daten zeigen, dass die Arbeitsmarktpolitik dieser Landesregierung wirkt. An dieser Stelle möchte ich auch auf den Antrag der CDU kurz eingehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Ihre Kritik, dass es keine Evaluierung von Arbeitsmarktmaßnahmen gibt, ist leider schlicht und ergreifend falsch; denn seit vielen Jahren werden unsere arbeitsmarktpolitischen Förderansätze evaluiert und in jährlichen Durchführungsberichten auch dokumentiert. – Schauen Sie einfach einmal hinein. Wir sind mit unserer Arbeitsmarktpolitik auf dem richtigen Weg und werden diesen erfolgreichen Weg auch fortsetzen.
Aber die Landesregierung kann mit ihren doch bescheidenen Mitteln nicht die grundsätzlichen Probleme lösen; denn Armutsbekämpfung – ich glaube, darin sind wir uns alle einig – ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir brauchen mindestens drei Maßnahmen:
1. Wir müssen durch unsere Politik sicherstellen, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können und sie sozial abgesichert sind. Die Menschen, die heute mit ihrer Arbeit nicht genug verdienen, haben auch im Alter keine Chance, eine auskömmliche Rente zu erhalten. An dieser Stelle sind in besonderer Weise auch die Tarifpartner gefordert. Sie müssen es schaffen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch an den wirtschaftlichen Erfolgen partizipieren; denn Armut ist immer zuerst auch eine Frage des Einkommens.
2. Wir müssen die Menschen, die aufgrund struktureller Bedingungen in besonderer Weise armutsgefährdet sind, in den Blick nehmen und gemeinsam mit ihnen Lösungen entwickeln, diese Risiken zu meistern. Ich denke dabei insbesondere an alleinerziehende Frauen, an Familien mit drei oder mehr Kindern sowie an Menschen, die aufgrund eines Migrationshintergrundes in ihren Teilhabechancen beeinträchtigt sind. Auch sind Erwerbslose und Personen mit einem niedrigen Qualifikationsniveau überdurchschnittlich oft von Armut bedroht.
Die dritte Maßnahme lautet: Es bleibt das Problem der verfestigten Armut. Unter den Arbeitslosen liegt beispielsweise der Anteil der Menschen, die langzeitarbeitslos sind und bereits seit vielen Jahren Grundsicherung beziehen, auf einem hohen Niveau. Dies liegt unter anderem einerseits an der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes, aber andererseits häufig auch an mehreren individuellen Vermittlungshemmnissen der Langzeitarbeitslosen selbst.
Unsere Zielsetzung ist es, vor allem diese Menschen in ihrer Situation zu unterstützen. Dabei werden verschiedenste Handlungsfelder in den Blick genommen: Arbeit, Bildung, Familie, Integration, Gesundheit oder auch das soziale Umfeld.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe es ausgeführt, die Arbeitsmarktpolitik bildet einen Schwerpunkt der Strategie der Landesregierung zur Armutsbekämpfung. Erwerbsintegration um jeden Preis wäre jedoch eine zu undifferenzierte Strategie gegen Armut. Es kommt auch auf die Qualität der Arbeit an. Eine erfolgreiche Bekämpfung von Armut erfordert daher die nachhaltige Integration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt, eine Verbesserung der Einkommenssituation und generell die Vermeidung prekärer und atypischer Beschäftigung.
Auch die Verwirklichung des Grundsatzes von gleichem Lohn für gleiche Arbeit und der Abbau geschlechterspezifischer Entgeltungleichheiten sind wichtige Ziele, ganz wichtig natürlich auch – nicht zu vergessen – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die Prävention gegen zukünftige Armutsrisiken ist ein weiterer Schwerpunkt unserer Strategie zur Armutsbekämpfung. Eine wesentliche Voraussetzung, um soziale und ökonomische Teilhabe zu ermöglichen, sind gute Bildungsund Entwicklungchancen für alle Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Dazu gehört auch die Unterstützung von Familien, besonders aus benachteiligten Verhältnissen, zum Beispiel durch den Ausbau einer kinder- und familiengerechten Infrastruktur.
Wir sind als Landesregierung diesen Weg konsequent und erfolgreich gegangen. Wir verzeichnen in Rheinland-Pfalz den Anstieg der Versorgungsquote der unter Dreijährigen in einem rasantem Tempo von 4,8 % auf 39,6 % oder die Errichtung und Einrichtung der Häuser der Familie, der Familienzentren, der Mehrgenerationenhäuser, der lokalen Bündnisse. All diese Angebote unterstützen die Familien durch bedarfsgerechte und niedrigschwellige Angebote. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, von daher greift Ihr Antrag auch an dieser Stelle ins Leere.
Zur Bekämpfung von Armut setzt die Landesregierung also an wichtigen Stellen an, die von Landesseite beeinflusst werden können. Aber ich habe es erwähnt, das Problem Armut kann sie nicht alleine lösen. Ich sagte es, das Problem der Armutsbekämpfung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und sage: Armutsbekämpfung ist eine Frage der Solidarität.
Wie Sie wissen, haben die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege, die Landesarmutskonferenz Rheinland-Pfalz und der Deutsche Gewerkschaftsbund intensiv an der Erstellung dieses 5. Armuts- und Reichtumsberichts mitgewirkt. Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich allen Beteiligten für ihr Engagement und für ihre Mitarbeit danken. Ich plane gemeinsam mit ihnen für den 22. Juni 2015 in der Akademie der Wissenschaften hier in Mainz eine Fachveranstaltung, um die zentralen Ergebnisse des 5. Armutsund Reichtumsberichts öffentlich zu diskutieren und auch Schlussfolgerungen zu ziehen.
dieser Tagung und vor allen Dingen zu dieser Diskussion ein. Ich bin der festen Überzeugung, wir brauchen einen offenen, einen kritischen Diskurs; denn die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung kann nur gelingen, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte dabei mitwirken. Dazu lade ich Sie herzlich ein.
Durch die verlängerte Redezeit der Landesregierung stehen den Fraktionen noch zwei Minuten zusätzliche Redezeit zur Verfügung. Für die SPD-Fraktion hat Frau Dr. Machalet das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Woche, also noch ziemlich aktuell, wurde der Sozialbericht der OECD vorgestellt. Dieser macht einmal mehr deutlich – etwas, was Frau Sozialministerin Bätzing-Lichtenthäler schon angedeutet hat –, dass der materielle Wohlstand in Deutschland deutlich ungleicher verteilt ist als in anderen Industrienationen.
Die ärmsten 60 % kommen demnach lediglich auf 6 % des gesamten Vermögens. Die reichsten 10 % der Deutschen verfügen dagegen laut der Studie über beinahe 60 % des gesamten Nettohaushaltsvermögens.
Laut OECD führt die starke Verteilungsungleichheit dazu, dass Deutschland als Volkswirtschaft seine Wachstumspotenziale nicht ausschöpft. Das heißt, das Wachstum könnte höher ausfallen, wenn es gelingen würde, den Abstand zwischen Arm und Reich zu verringern.
Diese ganz aktuellen, übernationalen Befunde schließen sehr gut an die Ergebnisse des 5. Armuts- und Reichtumsberichtes der Landesregierung an, der vor einigen Wochen vorgelegt wurde. Ich begrüße es sehr, dass wir ihn heute hier in diesem Hause diskutieren. Er ist mit über 600 Seiten ein sicher sehr umfangreiches Werk, das hier nicht in jedem Detail beleuchtet werden kann.
Aber bevor ich auf die aus meiner Sicht zentralen Ergebnisse des Berichts eingehe, möchte ich zunächst einmal noch herausstellen, wer entsprechend des Berichts in Rheinland-Pfalz als arm bzw. armutsgefährdet und wer als vermögend gilt. Als relativ arm bzw. relativ von Armut bedroht gilt, wer über weniger als 60 % des Medians des Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens bzw. des Pro-KopfHaushaltsnettovermögens verfügt. Relativ reich ist, wer über mehr als 200 % desselben verfügt.
Jetzt kann man sich sicher über diese technischen Definitionen in den Details und die Grenzziehungen streiten. Nicht streiten werden wir uns aber sicherlich darüber, was Armut für den Einzelnen bedeutet. Armut bedeutet vor allem Ausgeschlossensein, nicht an der Gesellschaft teilhaben zu können. Armut bedeutet permanenten Stress,
permanente Angst, irgendwie über die Runden kommen zu können. Armut bedeutet ein erhöhtes Risiko, krank zu werden, und wirkt sich letztlich auch negativ auf die Lebenserwartung aus. Das können wir in der Politik nicht hinnehmen.
Der Bericht bietet eine sehr gute Grundlage dafür, zu schauen, ob das, was wir tun und in der Vergangenheit getan haben, ausreichend ist, daraus weitere Maßnahmen abzuleiten und sie dann gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Akteuren umzusetzen; denn Armut – das hat die Ministerin auch betont – kann nur wirkungsvoll bekämpft werden, wenn dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird und sich an der Stelle nicht die Ebenen gegenseitig die Schuld für irgendetwas in die Schuhe schieben.
Was sind denn nun die zentralen Ergebnisse für RheinlandPfalz? Zunächst stellt der Bericht fest, dass es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eine zunehmend positive Entwicklung der ökonomischen Rahmenbedingungen im Land gegeben hat. Zwischen 1991 und 2012 ist die Zahl der Erwerbstätigen mit plus 15 % stärker gestiegen als in Gesamtdeutschland. Auch das Arbeitsvolumen ist stärker gestiegen als im Bund. Die Arbeitslosenquote – das ist bekannt – ist schon seit vielen Jahren die drittniedrigste in Deutschland.
Allerdings weist der Bericht auch auf die starken regionalen Unterschiede hin, ebenso darauf, dass die Bruttolöhne und -gehälter niedriger liegen als im Bundesdurchschnitt. Aber auch das hat sicherlich seine Ursachen in der Wirtschaftsstruktur der vergangenen Jahre.
Erfreulich ist, dass die Verteilung der privaten Haus-, Grund- und Geldvermögen in Rheinland-Pfalz deutlich gleichmäßiger ist als in Deutschland insgesamt, was vor allem auf die höhere Wohneigentümerquote zurückzuführen ist, die in Rheinland-Pfalz bei ungefähr zwei Dritteln liegt. Deutschlandweit liegt sie bei 60 %.
Dennoch – damit sind wir in Rheinland-Pfalz nicht allein – ist die einkommensbezogene Armutsrisikoquote seit 2006 schwach gestiegen. Derzeit liegen wir etwas höher als der Bundesdurchschnitt.
Die Ursachen für Armut sind vielfältig, sehr komplex und lassen sich – das habe ich auch schon gesagt – nicht auf einer Ebene lösen. Schaut man sich die Armuts- und Reichtumsverteilung genauer an, müssen jedoch einige spezielle Risikogruppen besonders hervorgehoben werden, wobei mir bewusst ist, dass es natürlich in den unterschiedlichen Gruppen durchaus auch Überschneidungen gibt.
1. Es sind – ich denke, das ist auch das Schwerwiegendste, die Frau Ministerin hat es sehr ausführlich dargestellt – immer noch viel zu viele Kinder und Jugendliche arm oder von Armut bedroht.
2. Armut ist weiblich, Reichtum ist männlich. Dies wird deutlich, wenn man sich die Armutsrisikoquote insbesondere
bei den in den meisten Fällen weiblichen Alleinerziehenden anschaut. Sie weisen mit 47,5 % in Rheinland-Pfalz die höchste Quote auf. Sie liegt damit deutlich höher als 2005.