Protocol of the Session on July 4, 2013

Wir haben uns in der Bundesrepublik seit einigen Jahren auf den Weg begeben, dass wir diese Problematik ernster nehmen und sie strafrechtlich ahnden. Das ist in 2002 mit dem Gewaltschutzgesetz ein Baustein gewesen, das einen Instrumentenkasten bereithält, wie man Menschen begegnen kann, die gewalttätig werden, insbesondere gegenüber ihren Frauen. Herr Dr. Wilke nannte das „verlassen werden“, „Scheidung“, „Trennung“ und die Auseinandersetzungen, in welcher Unerbittlichkeit sie unter Menschen geführt werden und somit Schutzbedürfnisse bestehen.

Ein zweiter Baustein war, Stalking im Jahr 2007 im Strafgesetzbuch in § 238 aufzunehmen. Das ist sinnvoll und trägt dem Rechnung, dass so etwas im Aufkommen der neuen Medien, sprich Internet und der Verfügbarkeit der persönlichen Daten, die dort vorhanden sind, noch einmal andere Dimensionen angenommen hat. Sie alle kennen das, auch Frau Ministerin Ahnen, von Schulhöfen, wie Kinder sich bei Benutzung des Handys verhalten.

Wir sind im Bereich der Prävention mit vielen Bausteinen unterwegs, aber es ist auch strafrechtlicher Handlungsbedarf gegeben.

Warum hat sich bislang bei aller möglicherweise unterschiedlichen Einschätzung im Detail nichts weiter entwickelt? – Meine Damen und Herren, ganz einfach. Herr Dr. Wilke, es liegt nicht bei der Justizministerkonferenz, weil Bayern gesagt hat, wir werden den Antrag für den Bundesrat vorbereiten und dann einbringen, und wir Zustimmung signalisiert haben.

Er wird nicht eingebracht, weil die FDP das nicht wünscht und die Bundesregierung und die Bundesjustizministerin derzeit der Auffassung sind, dass es einer Änderung nicht bedarf. So einfach ist die Sache. Es geht um Änderung von Bundesrecht, insofern wird man den Herbst abwarten und sehen müssen, welche Konstellation man dann hat. Dann muss man überlegen, welche Handlungen und Anträge man sinnvollerweise machen kann.

Lassen Sie mich zum Delikt selbst noch einiges sagen. Die Kollegen haben es vorhin in den Reden aufgezeigt. Im Moment ist es erforderlich, dass eine Beeinträchtigung, wie es der BGH in seiner Entscheidung vom 19. November 2009 gesagt hat, schwerwiegend in die Lebensgestaltung der geschädigten Person eingreift. Dazu sagt er, die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwiegend beeinträchtigt, wenn es zu einem Verhalten veranlasst wird, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte und es zu gravierenden ernst zu nehmen

den Folgen führt, die über die durchschnittlich regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgeht.

Das heißt, wenn mir jemand nachstellt, mich jemand verfolgt, mich jemand im Internet bedroht und ich mir daraus versuche, möglichst wenig zu machen, ja, ein wenig schlecht schlafe, ja, ein wenig meinen Lebenswandel verändere, aber eben sage, ich bleibe an Ort und Stelle, ich will dem nicht weichen und nachgeben, dann ist ein solches Verhalten eines Täters nicht strafbar.

Das ist der Unterschied zu einem Gefährdungsdelikt, wie es das österreichische Strafrecht in dem dortigen StGB kennt. Das heißt, die Handlung des Täters, so etwas zu versuchen, nur zu versuchen, mich zu beeinträchtigen, steht unter Strafandrohung. Das ist der Unterschied.

Ich meine, das kann man sehr wohl überlegen und das auch verfassungskonform hinbekommen, dass man das Delikt verändert und weiterentwickelt.

Jetzt kann man bei einem Delikt, das erst 2007 neu in das Strafgesetzbuch hineingekommen ist, noch die eine oder andere Erfahrung in der Praxis hinzugewinnen und auch eruieren.

Bei einstweiligen Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz beachtet diese ca. die Hälfte der Täter und hält sich auch daran.

Das ist schon einmal etwas. Einstweilige Maßnahmen nach dem Stalking-Paragraphen beachten 80 % der Täter nicht. Das ist erschreckend, was rechtsstaatliches Verhalten anbelangt. Daher brauchen wir das, was Frau Raue sagte: Wir brauchen Prävention, Begleitung und Nachsorge. Die Drohung allein reicht offensichtlich nicht aus. Daher muss man prüfen, wie man solche Straftatbestände tatsächlich den Bedürfnissen von Menschen anpassen kann, sodass sie auch wirksamen Schutz bieten, und dass Ahndungen dazu führen, dass eine Verhaltensänderung tatsächlich erfolgen kann. Das ist unsere Aufgabe, und daran arbeiten wir. Dabei sehe ich im Sinne der beiden Anträge durchaus weiteren Entwicklungsbedarf beim Stalking-Paragrafen. Das werde ich unterstützen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU – Drucksachen 16/1824/1844 –, da die Beschlussempfehlung die unmittelbare Ablehnung empfiehlt.

Wer dem Antrag der CDU zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Wer stimmt dagegen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Alternativantrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/2551 –. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Wer stimmt dagegen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU angenommen.

Wir kommen nun zu Punkt 15 der Tagesordnung:

Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz Besprechung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU und der Antwort der Landesregierung auf Antrag der Fraktion der CDU – Drucksachen 16/1993/2108/2472 –

Dazu kann ich Ihnen die freudige Nachricht mitteilen, dass dieser Tagesordnungspunkt abgesetzt wird.

Ich rufe nun Punkt 16 der Tagesordnung auf:

Inklusion und Bildung Besprechung der Großen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Antwort der Landesregierung auf Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksachen 16/2167/2294/2480 –

dazu: Inklusion – zentrale bildungspolitische Aufgabe Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Entschließung – – Drucksache 16/2552 –

Es wurde eine Grundredezeit von 5 Minuten je Fraktion vereinbart. Ich darf als erster Rednerin Frau Kollegin Ratter das Wort erteilen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Antwort auf unsere Große Anfrage „Bildung und Inklusion“ durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur und der daraus resultierende Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen stimmen mich optimistisch. Wir sehen daran, dass Rheinland-Pfalz bereit ist für die Inklusion im Bildungswesen, und mehr noch, dass der Umbau schon vor Jahren begonnen hat und seit 2011 Fahrt aufgenommen hat.

Der zweite Chancenspiegel der Bertelsmann Stiftung belegt dies eindrucksvoll: Mit Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat Rheinland-Pfalz die höchste Integrationskraft aller Bundesländer im Regelschulsystem. Das Erfordernis für Integration und Inklusion ergibt sich dabei logisch aus den Menschenrechten. Seit 1948 steht dort festgeschrieben: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Wissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

Gleich auf diesen Artikel 1 folgt der Satz: „Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied(…).“

Mit Blick auf jene Menschen, die es in unserer Gesellschaft dennoch bis heute schwer haben oder schwer gemacht bekommen, ist es deshalb traurig, mit ansehen zu müssen, was für ein zäher und langwieriger Prozess es war von 1948 bis zu der generellen Einsicht der Salamanca-Erklärung von 1994 und – ich überspringe einige Daten – bis zuletzt bis zur Ratifizierung der UNBehindertenrechtskonvention von 2009 durch die Bundesregierung. Durch § 24 der UN-BRK ist eine erzwungene Separierung weg vom allgemeinen Unterricht nicht länger zu rechtfertigen.

Der systematische Ausschluss aus dem Teilsystem Regelschule kann kein Element freier gesellschaftlicher Teilhabe sein, stellt der zweite Chancenspiegel auf Seite 56 fest. Mit der freien Schulwahl ab dem Schuljahr 2014/2015 werden sich die Bedingungen in RheinlandPfalz für Inklusion weiter verbessern, wenn es sich um die Realisierung des Rechtes auf Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und mit Benachteiligungen im Bildungswesen handelt.

Aber wir erfinden das Rad nicht neu. Mit dem Aktionsplan aus dem Jahr 2010 sowie den bereits seit 2003 im Bildungswesen verorteten Schwerpunktschulen hat die Vorgängerregierung die Grundlagen für eine inklusive Bildungslandschaft gelegt, die nun Gestalt annimmt. Dies sage ich mit Blick auf die Entschlossenheit der rotgrünen Koalition, die Idee der inklusiven Gesellschaft zum Leitmotiv ihrer Bildungspolitik zu machen; denn damit befinden wir uns im Kern des gemeinsamen Projektes „Bildungsland Rheinland-Pfalz“.

Das sage ich auch mit Blick auf die engagierten Lehrerinnen, auf verantwortungsbewusste Eltern und auf die endlich zu ihrem Recht kommenden Schülerinnen und Schüler, denen ich nur wünschen kann, dass sie sich in unserem Schulsystem willkommen und angenommen fühlen, ganz gleich, woher sie kommen und wie ihre Begabungen, Stärken und Schwächen auch sein mögen.

Aber Schönreden ist nicht mein Ding, also verschweige ich nicht die Entwicklungspotenziale, die uns wenigstens auf der Halbmarathon-Distanz – in Jahren gerechnet – Disziplin und Einsatz abfordern werden. Die Arbeit in Teams, zumal in multiprofessionellen, muss in vielen Schulen erst einmal gelernt werden, damit inklusiver Unterricht stattfinden kann, damit individuell gefördert und zieldifferent unterrichtet werden kann. Dass dies mit entsprechenden Ressourcen auch des Bundes abgesichert werden muss, haben wir heute bereits an anderer Stelle erörtert.

Ein gut vorbereiteter Übergang zwischen den Bildungseinrichtungen ist dabei ein strategischer Kernpunkt; denn Übergänge sind immer auch Neuanfänge, also Chancen zur Neuorientierung im Bildungssystem. Einbahnstraßen zu vermeiden und möglichst geeignete Wege zu eröffnen, ist für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen entscheidend.

Zum Thema „Fort- und Weiterbildung“ verweist das Ministerium in seiner Antwort auf unsere Große Anfrage auf die herausragende Bedeutung von Maßnahmen zu Teamteaching und interdisziplinärer Zusammenarbeit für

multiprofessionelle Teams oder auch zum Changemanagement für Schulleitungen. Bestätigt werden genau diese Überlegungen erneut durch den Chancenspiegel, der auf Seite 28 ein entsprechend verändertes professionelles Handeln fordert.

Die Partizipation betreffend fordert das Ministerium, dass Demokratiepädagogik eine schulische Kultur der Wertschätzung hervorbringt. Deshalb haben wir unsere Überlegungen im Entschließungsantrag entsprechend formuliert und fordern von der Landesregierung, dass dem Elternwillen bei der Schulwahl von behinderten und beeinträchtigten Kindern ebenso wie bei nicht beeinträchtigten und nicht behinderten Kindern oberste Priorität einzuräumen ist.

(Glocke der Präsidentin)

Weil dies so ist, ist bei uns jedes Kind willkommen und wird so gefördert, dass es sich auch entfalten kann; denn Bildung ist ein Menschenrecht.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Dickes das Wort.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor allem der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN! Sie haben mit Ihrer Großen Anfrage durchaus die richtigen Fragen gestellt, leider teilweise mit ernüchternden Antworten. Besonders die Frage von Inklusion als Gegenstand von Studium und Weiterbildung ist elementar, wenn wir an unseren Schulen Inklusion wirklich umsetzen wollen. Seit mehr als zehn Jahren sind wir in Rheinland-Pfalz aktiv mit Schwerpunktschulen. 2010 hat die Landesregierung die Vision mitgeteilt, dass sie gerne künftig alle Schüler in einer Schule unterrichten möchte. Aber der Stand der Lehrerfort-, -weiter- und -ausbildung ist nach wie vor mehr als unbefriedigend.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ratter, erst in der vergangenen Woche – Sie selbst waren dabei – in der Diskussion mit Lehrerinnen und Lehrern eines Gymnasiums hat eine junge Lehramtsanwärterin bemerkt, dass es genau eine Wochenstunde ist, mit der sie sich als angehende Junglehrerin mit diesem Thema auseinandersetzt, und das ist nicht das, was in die Zukunft gerichtet gute inklusive Bildung verspricht.

(Beifall der CDU)

Auch heute Nachmittag, gerade ganz aktuell, hatten wir ein Gespräch mit Professoren der Universität Landau. Auch dort ging es um das Thema der Lehrerbildung, und auch dort hat man relativ desillusioniert davon gespro

chen, wie wenig man jungen Lehrerinnen und Lehrern mitgeben kann.

Wenn jetzt das neue Gesetz, das Sie zur Lehrerbildung angekündigt haben, kommen soll, dann muss ich auch da sagen, dann werden wir frühestens in fünf Jahren die ersten Lehrerinnen und Lehrer haben, die so ausgebildet sind, wie hier schon seit zehn Jahren verfahren wird. Das ist nicht befriedigend.

(Beifall der Abg. Frau Klöckner, CDU)

Auch die Fortbildung in Rheinland-Pfalz ist in diesem Bereich nur sehr mangelhaft. Zwar wird angeboten, dass man Fortbildungen machen kann, aber de facto ist es so, dass Lehrerinnen und Lehrer sich nicht nur im Bereich der Inklusion, sondern in vielen anderen Bereichen fortbilden sollen, und es gibt keine weiteren Deputate in unseren Schulen. Also auch insoweit sehen wir dort einen großen Mangel.