Protocol of the Session on November 8, 2012

Das, was wir jetzt vorlegen, ist das Resultat von vielen Gesprächen und Gedanken, die wir uns gemacht haben.

Ich denke, wenn man sich wie Herr Dr. Konrad differenziert damit auseinandersetzt und Fragen stellt, ist das absolut in Ordnung. Das schätze ich auch. So müssen wir diskutieren.

Frau Ratter, was Sie hier mit Unterstellungen und mit Frechheiten abgelegt haben, ist keine Diskussion, die auf einem ordentlichen Niveau geführt wird.

(Beifall der CDU)

Zur Erwiderung hat Frau Abgeordnete Ratter das Wort. Sie haben drei Minuten, Frau Abgeordnete Ratter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wiederhole die Passage, damit Sie genau mitbekommen, dass es

keine Unterstellung war. Es war in beiden Fällen in der Frageform geschrieben.

(Zuruf der Abg. Frau Dickes, CDU)

Bitte? Der Zusammenhang war ganz klar. Ich habe gefragt: Was haben wir als nächstes von dieser Haltung zu erwarten? Den Ruf nach dem spanischen Rohrstock? Das ist keine Unterstellung und keine Aussage, sondern eine Frage.

(Zurufe von der CDU: Oh! – Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU – Licht, CDU: Was wollen Sie denn damit suggerieren?)

Ich schlage Ihnen einen versöhnlichen Schluss vor. Ich habe noch zwei Minuten und zwei Sekunden Zeit.

Lassen Sie uns erst einmal Ursachenforschung betreiben. Lassen Sie uns die Studien der letzten zehn Jahre, insbesondere die IGLU-Studie von 2006, gemeinsam analysieren und gründlich vergleichen. Lassen Sie uns den Abschlussbericht des Schulentwicklungsprojektes „Selbstverantwortliche Schule“ vortragen, bevor Sie vorschnell Behauptungen in die Welt setzen.

Die Bemerkungen der kritischen Freunde dort, neudeutsch „Peer Review“, widerlegen einige Ihrer Fehlschlüsse, insbesondere den, den Sie gerade etwa zum offenen Unterricht genannt haben, Frau Dickes.

Es ist auch in Ihrem Antrag so, dass Sie den offenen Unterricht am liebsten in die Tonne treten würden, weil Sie der Meinung sind, dass offener Unterricht mit klaren Vorgaben nicht möglich ist. An dieser Stelle möchte ich Ihnen sehr gerne widersprechen.

Weiterhin möchte ich Ihnen in Ihrer Aussage widersprechen, dass der offene Unterricht beispielsweise Migrantenkinder benachteiligen würde. Das ist definitiv nicht der Fall, zumindest ist es tatsächlich so, dass andere Gruppen genau die gleichen Probleme haben.

Richtig ist, was Sie sagen, nämlich dass wir Sprachförderung betreiben müssen, aber systematisch und nach Diagnose.

Lassen Sie uns gern vor Ort und gemeinsam schauen, was unsere Kinder am Ende der Grundschule und am Ende ihrer Schullaufbahn können; denn eine Defizitorientierung und eine Konzentration ausschließlich auf Bildungsabschnitte verstellt den Blick auf das Ganze.

Lassen Sie uns nach intelligenten Lösungen suchen. Möglicherweise ist die Bund-Länder-Initiative zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung „Bildung durch Sprache und Schrift (BISS)“ eine solche. Ich sage eine, nämlich eine von mehreren; denn singuläre einfache Antworten wird es nicht geben und Schnellschüsse aus der Hüfte schon gar nicht, jedenfalls nicht mit uns.

Weil das so ist, können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Ahnen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Brandl, Sie haben gesagt, das, was Sie vorgetragen hätten und was im Antrag stünde, sei eine Alternative. Das stimmt. Es ist eine Alternative zu dem, was in unseren Schulen stattfindet, und eine Alternative zu dem, was ich für richtig halte.

(Beifall der SPD und bei dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es unterscheidet sich sehr grundsätzlich, aber es ist wahrlich noch kein alternatives Konzept, das den pädagogischen Ansprüchen, die Grundschule heute zu Recht stellt, in irgendeiner Art und Weise Rechnung tragen würde.

Ich hangele mich gerne an den drei Punkten entlang, die Sie angesprochen haben. Ich will aber gern noch eine Vorbemerkung machen.

Ich hätte mir diese Studie auch anders gewünscht, ich wahrscheinlich noch viel mehr als viele andere. Aber ich sage auch einmal, ich habe es gelernt, mit solchen Studien so umzugehen, wie sie es verdient haben. Ich lese sie, bevor ich sie kommentiere.

(Zuruf des Abg. Brandl, CDU)

Ich rede mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, bevor ich sie kommentiere. Dann ordne ich sie noch ein, beispielsweise dahin gehend, dass wir zum Beispiel eine IGLU-Studie haben, in der Rheinland-Pfalz hervorragend abgeschnitten hat, und wir vor allem eine Studie über die Bildungsstandards in der Sekundar- stufe I von vor zwei Jahren haben, in der die rheinlandpfälzischen Schulen auch hervorragend abgeschnitten haben, Herr Abgeordneter Brandl. Im Übrigen ist das die Nachfolge von PISA und nicht die Studie von heute, weil das bei Ihnen auch durcheinanderging.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich finde, man muss die an den Tisch holen, die inhaltlich, pädagogisch und wissenschaftlich etwas beizutragen haben. Deswegen werden wir noch in diesem Monat mit den Grundschulverbänden, mit den Gewerkschaften und dem Landeselternbeirat reden und uns gemeinsam diesem Thema nähern: Was stellt die Studie überhaupt fest? Welche Konsequenzen kann man daraus zie- hen? – Mir scheint die zentrale Konsequenz zu sein,

dass wir tatsächlich schauen, wie sich unsere Grundschulen noch besser auf diese Bildungsstandards einstellen können; denn die werden überprüft. Das ist dann schon an vielen Stellen das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern.

Die Bildungsstandards werden abgefragt, nicht Lehrpläne, sondern das, was die Schülerinnen und Schüler gegen Ende der Grundschulzeit an Kompetenzen erworben haben sollen.

Wenn man in dieser Studie bessere Ergebnisse erzielen will, muss man sich auf dieses Konzept der Bildungsstandards erst einmal einlassen. Das macht Ihr Antrag an keiner einzigen Stelle.

Ich komme zu den drei Punkten, die Sie angesprochen haben. Sprachstandserhebung und -förderung: Sie wissen genau, dass wir in diesem Land sehr frühzeitig ein Einschätzverfahren entwickelt haben, das auf wissenschaftlicher Grundlage in der Lage ist, vor dem Besuch der Grundschule oder in der Kita eingesetzt zu werden, um Förderbedarfe zu diagnostizieren. Sie wissen auch, dass wir die Sprachförderung in unseren Kindertagesstätten drastisch ausgeweitet haben.

Siehe da, in der Studie kommt auch heraus, dass die rheinland-pfälzischen Grundschülerinnen und -schüler, was den Unterschied zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund angeht, sehr gut dastehen.

Wir sind sogar in der Mathematik das Land mit den geringsten Disparitäten. Also, die Sprachförderung scheint in Rheinland-Pfalz sehr wohl zu guten Ergebnissen führen zu können.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Was ich an der heutigen Debatte bemerkenswert fand – und ich bin auch sehr gespannt und sehr interessiert, dies weiter zu diskutieren, weil ich es in dieser Deutlichkeit das erste Mal von Ihnen gehört habe –, ist, Sie sprachen davon, wir bräuchten endlich richtige Lehrpläne, wir hätten keine. – Nur zur Information, wir haben verbindliche Lehrpläne in unseren Grundschulen. Wir haben sie nicht nur in Deutsch und Mathematik, sondern wir haben sie auch in einem Fach wie Deutsch als Zweitsprache und – im Übrigen zu Ihrer Beruhigung –, weil es gut in unser Konzept gepasst hat, aus Bayern übernommen.

Falls Sie es also noch nicht mitbekommen haben, können wir Ihnen diese Lehrpläne zur Verfügung stellen. Darin steht ziemlich genau, was man an Kompetenzen erwerben soll. Bevor Sie sie pauschal kritisieren, sollten Sie uns vielleicht immer lieber vorher fragen, aus welchem Bundesland wir unter anderem auch Dinge übernommen haben.

Wir haben also verbindliche Lehrpläne. Aber echt aufgehorcht habe ich bei dem Satz, Sie seien der Meinung, man müsse einmal die Grundschulen detaillierter steuern. Das fand ich schon interessant. Ihr Antrag tut es auch. Ihr Antrag – das sage ich einmal ganz deutlich –

versteigt sich an einer Stelle sogar dazu zu sagen, wie in Zukunft in den rheinland-pfälzischen Schulen das Schreiben gelernt werden soll, nämlich nur nach einer ganz bestimmten Methode.

Ich sage Ihnen, das ist nicht mein Verständnis vom Umgang mit Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern, die die pädagogische Freiheit haben, unterschiedliche Methoden einzusetzen. Das ist eigentlich Grundverständnis, aber dass Sie sich davon verabschieden, hat mich schon sehr gewundert.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

In dem Kontext noch bemerkenswerter fand ich aber Ihre Aussagen zu den Noten. Lieber Herr Brandl, nennen Sie mir einen Lehrerverband in Rheinland-Pfalz, der im Grundschulbereich Lehrerinnen und Lehrer vertritt und der Ihre Position zu den Noten teilt. – Es gibt keinen. Der VBE will das nicht, die GEW will es nicht, und der Landeselternbeirat will es so auch nicht. Sie haben soeben gesagt, man solle auf die Verbände schauen. – Ja, auf die Verbände schauen wir. Aber Ihr Konzept wollen die definitiv nicht, und das, was in Ihrem Antrag steht, wird von den Verbänden in keiner Art und Weise unterstützt, was die Notengebung angeht.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich möchte auch noch einmal gern das aufgreifen, was Herr Dr. Konrad gesagt hat. Wir haben verbindliche Richtlinien für die Leistungsbewertung in unseren Grundschulen. Aber wenn das Leben immer so einfach wäre, wie Sie es mit Ihrem Motto sagen: Klare Noten für klare Leistung! – Ich sage Ihnen eines, und dazu stehe ich auch: Wir unterrichten in der Grundschule fünf- bis zehnjährige Kinder. Wir bereiten sie auf ihre weitere Bildungsbiografie und auf ihr weiteres Leben vor. Ich halte es für völlig falsch, so zu tun, als könne man Kinder ab der 1. Klasse nur über Noten bewerten.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir wollen den Kindern Entwicklungschancen eröffnen. Wir wollen, dass in unseren Grundschulen Kinder unterrichtet werden und sie einen Raum vorfinden, in dem sie Wissen, aber vor allen Dingen auch Selbstbewusstsein für ihre weitere Bildungsbiografie entwickeln können. Das zumindest ist unser Verständnis von Grundschule.

In diesem Sinne sage ich Ihnen, vieles, was in Ihrem Antrag steht, ist tatsächlich nicht nur kein Fortschritt, sondern wäre ein echter Rückschritt. Es gibt immer Gründe, sich mit solchen Studien auseinanderzusetzen, und wir werden es tun, wie ich es soeben gesagt habe, aber im Sinne der Kinder und vor allen Dingen im Sinne dessen, dass sich in unserem Bildungssystem Kinder erfolgreich Bildungsbiografien grundlegen können; denn das ist die Aufgabe der Grundschule.